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Vierzehntes Kapitel

Nicht lange nach dem Wiederbeginn des Semesters im neuen Jahr ergab es sich wie von selbst, daß Damian von Professor Methner, dem er durch seine weit über dem Durchschnitt stehenden Seminararbeiten schon seit längerer Zeit aufgefallen war, zu einem der geselligen Abende geladen wurde, die er im Winter gelegentlich in seinem gastfreien Hause zu veranstalten pflegte. Dieser Abend, in dessen Verlauf Professor Methner Gelegenheit nahm, Damian in ein Gespräch zu ziehen und ihn über seine Studienpläne auszuholen, führte bald dazu, daß sich Damian in den engen Kreis einiger älterer und befähigter Studenten aufgenommen sah, die von dem Professor zur Mitwirkung an seinen größeren wissenschaftlichen Arbeiten herangezogen wurden, für die er ihnen seine eigene reichhaltige Bibliothek zur Verfügung stellte. Der Professor, bei dem er volles Verständnis für seine Abneigung fand, sich weiter auf den Lehramtsberuf vorzubereiten, riet ihm ernstlich, sich zunächst einmal den philosophischen Doktorhut zu erwerben und sich dann, falls es ihm die Kriegsverhältnisse noch erlauben würden, einem Spezialgebiet zuzuwenden, um sich später darin zu habilitieren.

So hatte Damian endlich eine ganz klare Grundlage für die Fortsetzung seines Studiums gefunden, und damit begann für ihn ein Jahr seines Lebens, das ihn unter der Leidenschaft seines Lernens und Arbeitens so reißend durch die Monate und am Ende durch das Doktorexamen trieb, daß es ihm, während er es lebte, wie ein Wachtraum verrann und ihm doch später, über Jahre hinweg, in der Erinnerung nie anders als eine Zeit ohne Anfang und Ende, als ein Erleben glückhaft erfüllter Zeitlosigkeit vor der Seele stand. Nur manchmal streifte vom Kriegsgeschehen her ein leises Erschauern an ihm hin, das ihn die Prüfungen ahnen ließ, welche die Zukunft für ihn vorbereitete und denen er unausweichlich entgegenwuchs. Doch dann dichtete er instinktiv sofort alle Fugen der Türen und Fenster seines inneren Gehäuses nach draußen ab und schraubte sich nur noch schärfer in die Zange seines Fleißes.

Als sich das Wintersemester seinem Ende zuneigte, durfte sich Damian eingestehen, daß er nicht nur in dem und jenem Nebenfach, das ihm weniger lag, dessen stoffliche Beherrschung aber als Examenswissen unerläßlich blieb, mit raumgreifenden Schritten vorwärtsgekommen war, sondern daß er auch vor allem den in ihn gesetzten Erwartungen Professor Methners, bei dem er übers Jahr zu promovieren gedachte, voll entsprochen hatte. Daher war er zunächst aufs äußerste betroffen, als er sich durch einen von Professor Methner selbst nicht vorauszusehenden Umstand, wenige Tage nach seiner ausführlichen Unterredung mit ihm über das für seine Dissertation in Betracht kommende Thema aus der griechischen Philosophie, plötzlich vor eine Tatsache gestellt sah, die ihm die Absicht seiner Promotion bei Professor Methner mit einem Schlage zunichte machte.

Dieser teilte ihm, entgegenkommenderweise noch bevor er sich vor seinen Hörern darüber äußerte, privatim mit, daß er infolge eines Regierungsauftrages genötigt sei, noch vor Ostern für mindestens ein Jahr ins Ausland zu reisen. Da er als sogenannter Austauschprofessor mehrmals in den Vereinigten Staaten gewesen sei, wo er sich, wie Damian wußte, auch durch zahlreiche öffentliche Vorträge einen außerordentlichen Ruf erworben hatte, habe man ihn ausersehen, drüben durch Vorträge über deutsche Geistesgeschichte einem antideutschen Aufruhr in der öffentlichen Meinung, die bereits durch die Feindpropaganda stark gegen das Reich eingenommen sei, entgegenzuwirken. Diesem Auftrag könne und wolle er sich um so weniger entziehen, als er der Überzeugung sei, daß jeder deutsche Mensch heute sein Ganzes für die vaterländische Sache einsetzen müsse. Natürlich bedaure er lebhaft, daß dadurch so manche Bindungen an seine Lehrtätigkeit unterbrochen würden, und besonders, daß er nun so manche seiner beanlagtesten Schüler nicht mehr dem Abschluß ihres Studiums zuleiten könne.

»Da ich aus Erfahrung weiß«, schloß Professor Methner seine Eröffnungen, deren enttäuschender Eindruck auf Damian ihm nicht entgehen konnte, »daß es gerade die wertvollsten Schüler sind, die ihr Studium auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem Lehrer aufbauen, bei dem sie sich entschlossen haben zu promovieren, gestatten Sie mir, lieber Maechler, noch einen Rat. Als der Idealist, als den ich Sie kennen und schätzen gelernt habe, dürften Sie sich voraussichtlich schwerer als irgendein anderer in die Mentalität des Kollegen hineinfinden, der mit meiner Vertretung beauftragt wurde. Andererseits hörte ich vom Kollegen Bornemann, daß auch er durch Ihr so ausgesprochenes enges Verhältnis zur Antike, insbesondere zur hellenischen Epoche, im historischen Seminar auf Sie aufmerksam geworden ist. Und da Bornemann, wie ich wohl sagen darf, einer der überzeugtesten Verfechter antiker Menschheitswerte ist, erschließt sich vielleicht für Sie in dieser Richtung ein Ausweg aus der fatalen Situation, in die ich Sie da bedauerlicherweise gebracht habe. Zu Ihrem Glück stehen Ihnen ja noch zwei volle Semester zur Verfügung, um das Steuer herumzuwerfen und in Geschichte statt in Philosophie zu promovieren.«

Es fiel Damian anfänglich nicht leicht, sich mit dem Gedanken an eine derartige Umstellung vertraut zu machen. Aber da er sich nicht der Erkenntnis verschließen konnte, daß es nach Sachlage der Dinge für ihn wohl doch am ersprießlichsten sein würde, dem Ratschlag des scheidenden Professors zu folgen, suchte er nach Ostern unverzüglich Professor Bornemann auf, der ihm aufs liebenswürdigste entgegenkam. Mit der ganzen zähen Energie, deren er fähig war, begann er sich alsbald in den Stoff hineinzuknien, über den er bereits im Bornemannschen Seminar gearbeitet hatte und den er jetzt nach Absprache mit dem Professor zum Thema seiner Dissertation erweitern sollte. Es lautete: »Die Staatsform Athens im Zeitalter des Perikles.«

Je tiefer Damian im Verlauf der nächsten Monate in die geschichtlichen Quellen eindrang und je zahlreicher sie sich ihm erschlossen, desto stärker verdichtete sich in ihm die Überzeugung, daß kein anderes Volk mehr seit jenen Tagen, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart, einer gleich hohen Staatsauffassung fähig gewesen war wie das kleine attische am Ägäischen Meer. Und desto gewisser erkannte er, daß nur dann, wenn sich jeder einzelne Bürger als gleichberechtigtes, aber auch gleichverpflichtetes Glied des Staatskörpers weiß, wenn es weder bevorrechtete Stände noch einen Tyrannen oder Monarchen an der Spitze gibt, das staatliche Leben also allein durch die Tätigkeit und Wachsamkeit aller Schichten des Volkes von Grund auf seine Impulse erfährt, mit einem Wort: das Volk selbst zum Staat wird, ein wahrhaft nationales Volksleben gedeihen kann. Nur in einem solchen Volksstaat erwachen alle Kräfte und Fähigkeiten des nationalen Geistes, entfalten sich in Künsten und Wissenschaften zu Schöpfungen von zeitlosem Wert für die Menschheit, führen in Handel und Industrie zu Höchstleistungen und machen ihn schließlich auch im Kampf gegen alle äußeren Feinde unüberwindlich.

Dieses Eindringen in die Geschichte der staatlichen Entwicklung Athens nötigte Damian während seiner Arbeit in zunehmendem Maße zu inneren Vergleichen mit der Gegenwart. Zweifellos schien das deutsche Leben seit dem gewaltigen Wogen, das beim Kriegsausbruch über die Seele des ganzen deutschen Volkes dahinging, auf allen Gebieten von dem Willen zu einer tiefgreifenden Erneuerung erfüllt; das Bewußtsein, vor einer neuen gewaltigen nationalen Aufgabe zu stehen, war in allen Schichten lebendig spürbar; aber würde dieser Wille und dieses Bewußtsein genügen, um auch die zwischen Thron, Altar, Gebildeten, Bauern und Arbeitern nach wie vor bestehenden Schranken niederzureißen und die wahre Volksgemeinschaft zu verwirklichen, in der jeder einzelne, gleichviel an welcher Stelle, sich dem ganzen Volk verpflichtet fühlt? Vor dieser Frage überkamen Damian freilich ernstliche Zweifel, und immer häufiger geschah es ihm, daß ihn eine Bangigkeit beschlich, die er sich nicht zu erklären wußte, und deren er nur dadurch wieder Herr werden konnte, daß er sich um so tiefer in seine Arbeit vergrub, die er besonders in den großen Ferien um ein beträchtliches Stück fördern konnte. Um jederzeit die nötigen wissenschaftlichen Werke aus den Bibliotheken zur Hand zu haben, aber auch um sich durch nichts ablenken zu lassen, versagte er es sich, für diese Zeit nach Hause zu fahren.

Ende September, also kurz vor Beginn seines sechsten und letzten Semesters, kündigte ihm Walter, der ihm von Zeit zu Zeit Nachricht von seinem Ergehen gegeben hatte, an, daß seine Hoffnung, wenigstens noch als Flieger Verwendung finden zu können, nunmehr endgültig zerronnen sei. Man habe ihn als dauernd untauglich aus dem Heeresdienst entlassen. Schon um auf andere Gedanken zu kommen, habe er sich entschlossen, sogleich mit dem Studium zu beginnen und sich bereits in der Breslauer medizinischen Fakultät immatrikulieren lassen. Er hoffe, sich damit auch Damians Beifall verdient zu haben. Im übrigen bitte er den Freund, sein Quartiermacher sein zu wollen.

Als Damian vierzehn Tage später den Freund, der ein paar Wochen auf dem elterlichen Gut in Oberschlesien verbracht hatte, auf dem Bahnhof empfing, fand er ihn zwar braungebrannt, aber sein Gesicht hatte die jugendliche Unbekümmertheit gänzlich verloren, es schien um Jahre gealtert. Trotz der Prothese kostete ihn das Gehen noch sichtliche Anstrengung, da ihm der Stumpf infolge einer Infektion in einer zweiten Operation doch bis zum Schenkel hatte abgenommen werden müssen. Den linken Arm konnte er zwar im Ellenbogen bewegen, aber er war entgegen den Erwartungen der Ärzte im Schultergelenk steif geblieben.

Als sie in einer Droschke saßen und Walter, der sich von der mehrstündigen Reise ermüdet und angegriffen fühlte, sich erkundigte, ob Damian wohl schon ein annehmbares Quartier für ihn gefunden habe, ließ es dieser bei einigen geheimnisvollen Andeutungen bewenden und sagte zuletzt resolut: »Jetzt fahren wir erst mal zur Mutter Kruttke!«

In Damians Behausung kam es dann zu der Überraschung, auf die sich Damian schon seit Tagen freute. Frau Kruttke hatte es ermöglichen können, auch Walter noch ein Zimmer einzuräumen. Noch freudiger berührt, als Damian es erwartet hatte, dankte Walter dem Freunde.

»Du mußt verstehen«, sagte Walter, »daß es mir kein angenehmer Gedanke war, in meiner doch noch reichlich unbeholfenen neuen Gestalt bei völlig fremden Menschen wohnen zu sollen und von ihnen vielleicht auf nicht gerade angenehme Weise bei dieser oder jener Gelegenheit an meine Hilfsbedürftigkeit erinnert zu werden. Was mich aber am meisten beglückt, ist die Aussicht, nun nicht mehr auf mich selbst angewiesen zu sein, wenn ich mich in meinen vier Wänden einsam fühle und mich das Bewußtsein, eben doch ein Krüppel zu sein und nicht mehr mitkämpfen zu können, quält und manchmal schier verzweifeln läßt. Du wirst es also nicht ganz leicht haben mit dem gerupften Vogel, den du dir ins Nest gesetzt hast, Freund Damian«, schloß Walter mit einem Anflug von Galgenhumor.

Allein unter der mütterlichen Fürsorge, mit der Frau Kruttke ihren neuen Schützling umgab, und unter den neuen Eindrücken, die er aus den Vorlesungen mit nach Hause brachte, gewann Walter mit zunehmender Gewöhnung an sein Gebrechen von Woche zu Woche sichtbarer sein seelisches Gleichgewicht wieder. Damian spürte das zu seiner stillen Genugtuung schon, als Walter ihn eines Tages bat, ihm das Manuskript seiner Doktorarbeit zur Lektüre zu überlassen, und fast gekränkt war, als Damian zum Schein noch eine Weile wie ein Schatzhüter damit umging, ehe er sich dazu bereit fand.

Nicht anders, als handle es sich um seine eigene Arbeit, nahm Walter, der sich höchst anerkennend, aber doch so sachlich über den bisher fertigen Teil des Manuskripts äußerte, daß Damian deutlich heraushörte, wie ungeschmeichelt und begründet das Lob des Freundes war, hinfort Anteil am weiteren Wachsen der Arbeit, über deren eigentliches Problem, das der wahren Demokratie, sich die Freunde bis zum Abschluß des Ganzen an so manchen Abenden ereiferten. Denn immer wieder ließ sich Damian Walter gegenüber zu der Behauptung verleiten, daß bestimmte demokratische Einrichtungen Athens damals bereits, wenn auch natürlich in entsprechend primitiver Form, innenpolitische Forderungen verwirklichten, von deren Erfüllung man heute, vor allem im deutschen Staate, noch weit entfernt sei, obwohl es ein leichtes wäre, sie, angepaßt an die hochentwickelten Lebensformen der menschlichen Gesellschaft unserer Epoche, von neuem zu verwirklichen.

Diese Thesen des Freundes bestritt Walter meist hartnäckig und suchte sie ihm mit hundert Argumenten aus der Hand zu winden. Er leugne keineswegs zahlreiche staatliche Mißstände, die sich gleich den Keimen einer inneren Vergiftung im deutschen Volkskörper festgesetzt hätten, an deren Beseitigung in Kriegszeiten jedoch nicht zu denken sei, es sei denn, daß sie genau so, wie sich die menschliche Natur in manchen Krankheitsfällen durch Mobilisierung aller ihrer Kraftreserven und Abwehrkräfte zu helfen wisse, durch das Stahlbad dieses Krieges vom Volkskörper selbst ausgeschieden oder überwunden werden würden. Allein die Demokratie sei seiner Überzeugung nach nicht die Medizin, die einem Staatswesen nottue, vielmehr sei es eine Auslese der Tüchtigsten und Befähigsten, eine Auslese der Persönlichkeiten auf allen Gebieten, ohne Rücksicht auf Parteien und Stimmzettel, mit einem Wort: eine Aristokratie der edelsten Geister der Nation im reinsten Sinne jenes antiken Begriffes, die leider noch niemals in der Geschichte zu ihrer Verwirklichung gelangt sei. Nur von einer solchen Führerschicht her könnte ein Staat die Impulse erfahren, die eine gesunde Durchblutung des Volkskörpers in allen seinen Gliedern gewährleisteten.

Aber Damian verfocht seinen Standpunkt ebenso starrköpfig wie geschickt, so daß sich ihre Köpfe fast bei jeder dieser Debatten bis hart an die Grenze ihrer freundschaftlichen Gefühle füreinander erhitzten. War allerdings jener Punkt erreicht, so gewannen diese rasch wieder die Oberhand, und die Freunde zogen sich, jeder von der Einsicht des anderen beschämt, mit der Versicherung, wieder einmal einen überaus angeregten Abend verbracht zu haben, im schönsten gegenseitigen Einvernehmen in ihre Behausungen zurück.

Kurz vor Weihnachten hatte Damian seine Dissertation beendigt und reichte sie durch Professor Bornemann der Fakultät ein. Die Ferien verwandte er ausschließlich zur Gewinnung des Examenswissens. Da es ihm in einigen Fächern noch zu hapern schien, setzte er diese ihn weniger befriedigende, aber in der Aussicht auf das winkende Ziel nicht mehr sonderlich ernüchternde Tätigkeit mit einer Ausdauer bis zum Tage des mündlichen Examens fort, das am letzten Februartag vonstatten ging, die Walter zwar bewundernswert fand, aber doch manchmal besorgt, daß sich der Freund damit nicht übernehme, zu bremsen suchte. Der Lohn solchen Fleißes blieb auch nicht aus. Damian bestand, noch nach Tagen über dieses von ihm selbst nicht erwartete Ergebnis tief erregt, summa cum laude. Ein solennes Abendessen in einem Weinrestaurant, von den seit kurzem in Erscheinung getretenen Kriegseinschränkungen noch unberührt, zu dem Damian den Freund einlud, beschloß den denkwürdigen Tag.

Schon am nächsten Morgen meldete sich Damian, wie er sich vorgenommen und sowohl Walter wie auch Sessi seit langem mitgeteilt hatte, zum Heeresdienst. Diesmal wurde er für tauglich befunden, zur Infanterie angenommen und auch sogleich bei einem Breslauer Ersatztruppenteil als Kriegsfreiwilliger eingestellt. Die auf acht Wochen zusammengedrängte Ausbildungszeit stellte harte Anforderungen an ihn, trotzdem ihm dabei die durch gut anderthalb Jahre ziemlich regelmäßig betriebene sportliche Betätigung körperlich zustatten kam. Auf seinen spärlich bemessenen freien Ausgängen in die Stadt konnte er sich jedoch bei Walter in dieser Hinsicht manchen brauchbaren Rat holen. Ende April, nach Beendigung der Ausbildung, wurde er einem in den ersten Maitagen zur Westfront abgehenden Ersatzbataillon zugeteilt und erhielt vor dem Ausrücken drei Tage Heimaturlaub.

Als er, spätabends in Wilkau angekommen, zum ersten Male seit seiner Promotion, von deren ehrenvollem Ergebnis er die Eltern alsbald telegraphisch verständigt hatte, mit Vater und Mutter wieder gemeinsam am Tische saß, erschien es ihm, als sei die Zeit seit jenem Tag, da er mit dem Maturitätszeugnis nach Hause kam, im Gerberhaus stehengeblieben. Denn genau wie dazumal vermochte der Vater sich zu nicht mehr als einigen lobesbrummelnden, doch fast widerwillig von sich gegebenen Worten aufzuschwingen, als ihm Damian das Doktordiplom vorlegte und voll berechtigtem Stolz den lateinischen Text mit den gewichtigen Worten »summa cum laude« übersetzte.

Noch immer trug der Vater an der grausamsten Enttäuschung seines Lebens, daß sein einziger Sohn und Erbe sich von dem ehrsamen Gewerbe seiner Väter losgesagt und lieber in ein vor Meister Jochens Augen gänzlich bodenloses Schweifen seines Geistes hineingesteuert war, als auf seinen zwei Beinen an den Lohtonnen zu werken, um dauerhaftes und einträgliches Leder zu gerben.

»Nicht übel, wirklich nicht übel«, meinte Jochen, als Damian sichtlich verstimmt über des Vaters unmutiges, beinahe barsches Lob das Diplom zusammenrollte und in die dazugehörige würdige rote Hülse zurückschob, »damit wärest du also zum Schule halten berechtigt wie deine Lehrer im Rehberger Gymnasium.«

Damian wurde es erst bei dieser Äußerung des Vaters siedend heiß klar, daß dieser wahrhaftig des Glaubens war, Doktor- und Lehramtsexamen seien ein und dasselbe, und daß er selbst überhaupt nicht daran gedacht hatte, die Eltern zu unterrichten, als er sein ursprüngliches Studiumsziel aufgab. Diese Unterlassung war ihm jetzt um so peinlicher, als er in diesem Augenblick fast etwas wie Mitleid mit dem Vater fühlte, dem er nun auch noch die Enttäuschung bereiten mußte, nicht einmal ein sogenanntes »Brotstudium« hinter sich gebracht zu haben. Wie ein Kloß würgte es ihm im Halse, als er dem Vater den Sachverhalt auseinanderzusetzen begann, wobei er sich bemühte, den ihm von Professor Methner vor Augen gestellten Weg zum Dozenten in den verlockendsten Farben zu schildern.

Aber Jochen betrachtete die ganze Situation zu Damians Erleichterung so ausschließlich von seiner resignierten Erkenntnis her, den Sohn sowieso für das väterliche Lebenswerk verloren zu haben, daß es ihm schließlich beinahe gleichgültig blieb, ob Damian Gymnasial- oder Universitätslehrer wurde und ob er es früher oder später zu einem Einkommen bringen würde, das seine Existenz sicherte. Seine Bemerkung eben hatte im Grunde ja nur eine Anerkennung sein sollen, mit der er nachträglich das sich abgerungene Lob wiedergutmachen wollte, durch das er vorher Damian unbeabsichtigt verletzt hatte.

»Vorderhand, mein Junge«, unterbrach Jochen den am abwartenden Schweigen des Vaters langsam versickernden Redestrom Damians, »vorderhand sind das alles zwar recht schöne, aber ganz müßige Pläne. Wir haben Krieg, du bist Soldat und sonst nichts. Was nachher kommt, weiß niemand. Ich weiß nur das eine, daß ich mein Haus bestellt habe, so gut ich es vermochte, damit Mutter und du, den das große Schermesser da draußen verschonen möge, gesichert seid gegen all die furchtbare Menschennot, die ich ebenso auf mich zukommen fühle wie ich spüre, daß es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis ich von dieser Erde abberufen werde.«

Diesmal erschien Damian die Verdüsterung des Vaters nicht mehr so unverständlich wie sonst. Noch gab es zwar an sichtbaren Anzeichen, daß der Krieg von den Mittelmächten nicht siegreich bestanden werden würde, kaum eines, dafür aber um so mehr zum Nachdenken zwingende Imponderabilien, wie die steigende Haßpsychose der Feinde, die zu einer noch größeren Ausweitung und damit immer unabsehbareren Dauer des Krieges und, falls es nicht gelingen sollte, die Amerikaner herauszuhalten, zu einer immer lückenloseren Blockade führen mußte. Noch bestand alle Aussicht, daß der volle Einsatz der Flotte und vor allem der U-Boote deren Auswirkungen paralysieren konnte. Doch daß dem deutschen Volk noch schwerste Blutopfer abverlangt werden würden, wagte auch Damian nicht mehr zu bezweifeln. Alles in allem hatten den Vater seine bösen Ahnungen bisher nicht getrogen, und das war es im Grunde, was Damian am meisten beunruhigte. Die Todesgedanken dagegen, die er da äußerte, waren sicherlich nur ein Ausfluß seiner Gemütsverdunkelung. Mit seinen zweiundsechzig Jahren organisch völlig gesund und rüstig, bestand wahrhaftig kein Anlaß, sich dieserhalb zu sorgen.

Schon um der Mutter den Augenblick, da sie ihn ins Feld ziehen lassen mußte, nicht noch unnötig zu erschweren, drängte es Damian, dem Vater wenigstens diesen Schattenschaum fortzublasen.

Jochen mochte ahnen, wem diese Bemühungen Damians galten, denn er ließ sich immerhin dazu herbei, seine nichtsdestoweniger unerschütterte Überzeugung abzuschwächen:

»Schon gut, mein Junge, es wird ja auch nicht morgen oder übermorgen soweit mit mir sein, ein Jährchen oder auch zwei mag es mit mir noch so machen. Dein Großvater Nathanael starb mit dreiundsechzig, nein, fast vierundsechzig, aber älter als fünfundsechzig, so sagte er mir einmal, ist noch kein Maechler geworden. Warum sollte es mit mir also anders sein?«

Damians Augen ruhten forschend auf dem ernsten Antlitz des Vaters mit den ein wenig überglasten Augensternen. Sollte sich das Leben dieses einst so strebsamen Mannes wahrhaftig schon so gut wie vollendet haben? Wie bemessen war dann doch die Frist eines Menschenlebens, auch seines eigenen. Und ein paar Herzschläge lang dachte er betroffen an die Möglichkeit, daß es ihm bestimmt sein konnte, unter das große Schermesser zu geraten, längst ehe ihm die Hälfte dieser Frist vergönnt gewesen. Blitzartig durchfuhr ihn unmittelbar darauf der Gedanke an Sessi. Wenn er fiele! Halbverwaist, samt ihrer Mutter so gut wie mittellos, zeitlebens auf Zuwendungen ihrer adligen Sippe angewiesen, nein, für Sessi mußte er sorgen, noch bevor er an die Front ging. Damals, an jenem glückhaft übersonnten Herbsttag draußen bei den Grandorfer Teichen, als ihm, dem Sekundaner, Sessi strahlend das bunte Bildchen vor Augen hielt, das er als Junge spielerisch hingemalt, hatte er sich ihr und sie sich ihm im Angesicht der himmlisch schimmernden Wolken anverlobt, und noch heute klangen die beziehungsvollen Worte in ihm nach, die Sessi von den Vögeln gesprochen, deren Hin- und Widerflug sie nachschauten: »Wenn man sie auseinanderreißen wollte, müßte man ja die Erde auseinanderreißen.«

Nein, nein, er durfte sie nicht zurücklassen ohne ein sichtbares Band ihres Zueinandergehörens und auch nicht ohne die Gewißheit, daß ihr, was auch geschehen mochte, das Gerberhaus schon heute als sein Erbe und ihrer beider künftiges Heim offenstehe, gleichviel zu welcher Stunde und zu welchem Rat.

Als der Vater schon zu Bett gegangen war, und Mutter und Sohn noch eine Weile geruhsam beieinander saßen, vertraute Damian Mutter Christel all das an, was ihn Sessis wegen bewegte. Sie hörte ihm nicht nur verstehend und liebevoll zu, sondern hätte es ihm offenbar verübelt, wenn er, wie sie sich ausdrückte, nicht daran gedacht hätte, sein Verhältnis zu Sessi wie sich's gehört ins reine zu bringen, ehe er hinauszog in den Krieg.

»Ich dächte«, beschloß Christel ihre lange Aussprache, »du überläßt es mir, mit dem Vater zu reden, wenn er wieder mal einen besseren Tag hat. Du weißt ja, wie merkwürdig er oft ist. Aber gegen das Mädel hat er nichts, das spür' ich. Na, und der Baron ist tot. Bloß von der Baronin wird er nichts wissen wollen. Ich denk' mir aber, die wird mit uns auch keine Seide spinnen mögen. Die Sessi täte ihretwegen am gescheitesten, einstweilen stillzuschweigen. Kaufe ihr bei Rauch auf dem Schloßplatz einen schönen Ring mit einem Stein, den sie unbesorgt tragen kann, bis du wiederkommst. Wozu soll sie sich wegen der Mutter das Leben vergällen. Entweder gibt ihr die Baronin, wenn ihr dann heiratet, ihren Segen oder nicht, das hat nichts auf sich, Sessi ist ja schon jetzt volljährig. Und sollte dir, was Gott verhüten möge, draußen was zustoßen, für deine Sessi wäre gesorgt, das verspreche ich dir in die Hand ... Ach ja, liebster Junge, davon weißt du ja noch gar nichts. Der Vater war schon vor ein paar Monaten beim Notar, er will doch rein nichts mehr mit der Gerberei und Geschäften zu tun haben, und hat mir schon bei Lebzeiten alles vermacht, das Haus und das Geschäft. Gelt, da staunst du jetzt? Ich soll es haben, solange ich lebe, dann gehört's dir, und das ist ja so gut, als wenn es heute schon dein Eigentum wäre. Ich hab' freilich meine Not jetzt damit, aber es wird schon gehn. Wir haben lauter Heeresaufträge, und der Altgeselle, der Bertel mit dem kurzen Bein, den der Vater noch kurz vor dem Kriege eingestellt hat, ist ein braver fleißiger Mensch. Bloß das Bargeld hat sich der Vater noch behalten, wieviel es ist, weiß ich nicht, er sagt's mir auch nicht, ein paar tausend Taler werden's wohl sicher sein. Er hat's oben in der Schlitzkammer eingeschlossen.«

Damit war Damian die Last, die sich ihm in Gedanken an Sessi auf die Seele gelegt hatte, schon so gut wie genommen. Seinem festen Entschluß, ihr stilles Verlöbnis durch ihre Heirat fürs Leben zu besiegeln, sowie er aus dem Kriege heimkam, würde Sessi, das fühlte er, sich nicht entziehen, selbst wenn ihre Mutter sich dieser Verbindung noch so sehr widersetzen sollte.

Fast die ganze Nacht brachte Damian übervollen Herzens in der glückhaften Unruhe eines Menschen zu, der spürt, das seine Lebensuhr zu einem entscheidenden Schlage ausgeholt hat. Gegen Morgen sank er dann aber doch noch für ein paar Stunden in einen tiefen traumlosen Schlaf, aus dem ihn erst im halben Vormittag die Stimme der Mutter an der Tür seiner Mansardenstube weckte.

Christel, wie stets zeitig auf den Beinen, hatte auf ihrem morgendlichen Einholgang schon im Langen Hause vorgesprochen, um Sessi von Damians Ankunft und kurzem Urlaub zu verständigen, und überbrachte ihm jetzt außer Sessis erstem mündlichen Glückwunsch zu dem ausgezeichneten Examen einige Zeilen von ihrer Hand.

»Liebster Damian«, schrieb Sessi, »ich bin überglücklich, daß wir uns noch einmal wiedersehen dürfen, ehe du ins Feld rückst, ich habe mir den Nachmittag freigeben lassen. Wir wollen die Stunden ganz für uns verbringen. Ich hol' dich um zwei auf der Feldgasse ab, und wir wandern dann, wenn es dir recht ist, irgendwohin hinaus ins Freie. Immer deine Sessi.«

Aus dem Bett springen, in die Uniform schlüpfen und ungefrühstückt nach Wilkau hineilen, war für Damian eins.

Vor dem Schaufenster von Rauchs Geschäft »Juwelen. An- und Verkauf« musterte er dafür um so bedächtiger die Auslage, fand aber nichts, was ihm gefiel. Erst als der alte Rauch im Laden, da Damian unbefriedigt und langsam verdrießlich schon sämtliche Ringe zurückgewiesen hatte, die er ihm vorlegte, zuletzt aus einem besonderen Fach einige wenige, wie er sagte, »selten verlangte Pendants« hervorholte, wußte Damian, was ihm eigentlich vorschwebte: ein Paar gleichartige Ringe für Sessi und ihn.

»Hier, diese beiden Goldringe mit den schönen grünen Steinen«, entschied Damian. »Echter schlesischer Chrysopras, Herr Maechler«, warf Rauch ein.

»Ja, eben diese dürfen Sie mir verkaufen.«

»Aber gern«, erwiderte Rauch, »es sind alte Familienstücke, als Damen- und Herrenring gearbeitet. Ich erstand sie eigentlich nicht, weil ich hoffen durfte, hier in Wilkau Käufer dafür zu finden, sondern weil die Steine außerordentlich klar und ganz eigenartig gefaßt sind; ich war selbst ganz davon angetan. Der verstorbene Baron von Schillingkhoff drängte sie mir quasi auf, es ist schon ein paar Jahre her. Er war ja immer in Geldnöten ...«

Im ersten Augenblick stand Damian von dieser Eröffnung wie erstarrt da. Konnte er diese Ringe ... konnte er Sessi ... mein Gott ja hier gab es nichts zu bedenken, es war wie eine Fügung vom Schicksal, nein, ihr durfte er sich nicht entziehen. Kurz entschlossen erstand er die Ringe.

Schon lange vor der ausgemachten Zeit hielt es Damian nicht mehr in der Wohnküche. Christel hatte nach dem Essen die Fenster geöffnet, rein und wohlig warm strömte die Frühlingsluft herein, und er hörte das Heidewasser klingend über die Steine springen. Er ging hinaus, setzte sich auf die Bank unterm Frontspieß und behielt die Straße im Auge. Nach einiger Zeit blendete ihn die Sonne, daß er die Augen schloß und sich mit Wohlbehagen von ihr wärmen ließ.

Plötzlich war ihm, als höre er das Gartenpförtchen knarren. Doch ehe er sich vollends aus der Schläfrigkeit ermannen konnte, die ihn nach der unzulänglichen Nachtruhe, ohne daß er es merkte, minutenlang überfallen hatte, fühlte er sich auf seine Augen geküßt und von zwei weichen Armen auf seiner Bank festgehalten.

»Recht so, Herr Doktor, nach dem Essen soll man ruh'n«, rief Sessi fröhlich aus. Ihre Schwesterntracht, die sie seit Beendigung ihrer einjährigen Ausbildung trug, und die Damian zum ersten Male an ihr sah, kleidete sie erstaunlich gut. Ja, er fand Sessi überhaupt, wie sie jetzt, nicht mehr so knabenhaft schmal und blaß wie noch um Weihnachten vor einem Jahr, sondern weiblicher geformt und mit frischeren Farben in ihrem feingeschnittenen Gesicht, doch immer noch rank und schlank vor ihm stand und ihn mit ihren von liebender Zärtlichkeit überströmten Augen ansah, noch liebreizender, noch begehrenswerter als je zuvor.

Als sie wenig später mitsammen die Feldgasse hinunterschritten und die letzten Häuser von Wilkau hinter sich gebracht hatten, nahm Damian wie selbstverständlich Sessis Arm und sagte ihr ungescheut, wie ausnehmend gut sie ihm gefiele, worauf sie ihm, nicht minder aufgeschlossen, scherzhaft auf ihrer beider äußere Verwandlung anspielend versicherte, daß eben Kleider Leute machten und wie männlich er sich in der Uniform ausnähme. Doch leise und nachdenklich fügte sie nach einer Weile hinzu: »Und aus Kindern werden eines Tages große Leute, die sich gern haben, aber das Leben nimmt keine Rücksicht darauf.« Dabei schmiegte sie sich dichter an seinen Arm, und Damian fühlte, wie sie bebte und sich nur gewaltsam die Tränen verhielt.

Schweigend gingen sie so engverschlungen noch ein gutes Stück Weges weiter, ehe ihr Damian, ihre letzten Worte aufnehmend, entgegnete: »Du sagst ›Leben‹ und meinst den Krieg, ja, du hast recht, liebste Sessi, aber nicht ganz.« Und nun sprach er sich alles von der Seele, was er ihr heute zu sagen entschlossen war und worauf ihr Herz, nicht erst seit heute, sondern schon seit Wochen und Monaten, sehnsüchtig wartete.

Unterdessen waren sie, ohne zu wissen, wohin sie ihre Füße trugen, bis an den letzten der Grandorfer Teiche gekommen. Indem Damian Sessi neben sich auf die Uferböschung zog, seinen Arm um sie legte und nach dem in der prallen Sonne flimmernden Kamm hinüberdeutete, erinnerten sie sich wortlos jener traumverlorenen Stunde, da sie sich eben hier, noch halbe Kinder, in seliger Hingenommenheit unverbrüchliche Freundschaft gelobt hatten.

Da zog Damian das Päckchen mit den Ringen aus der Tasche, nahm Sessis linke Hand, küßte sie inbrünstig und schob ihr behutsam den goldenen Reif mit dem grünen Stein über den Ringfinger. Während sie es geschehen ließ und dabei ungläubig, halb erschrocken den alten Ring ihrer Familie erkannte, bat Damian sie mit innigen Worten, darein zu willigen, sich ihm antrauen zu lassen, sobald er das erstemal auf Urlaub aus dem Felde käme.

Fast überwältigt von der Schmerzhaftigkeit ihres Glücksempfindens vermochte sie ihm tränenüberschimmerten Auges nur noch hauchzart ihre Gewährung zuzuflüstern. Dann überließ sie sich, von seinen Armen umfangen, den Kopf auf seine Brust gebettet, für eine Weile mit geschlossenen Augen, als läge sie in einem seligen Traum, den leisen Zärtlichkeiten Damians, dem seit ihren Kindertagen ihr ganzes Herz entgegenschlug und dem es nun ihr Leben lang gehören würde, nur ihm und niemandem sonst auf der Welt.

Dann entwand sie sich seinen Armen, griff nach dem Mieder und zog errötend das kleine bunte Blättchen mit dem Bild des Heiligen hervor, den Damian sich einst nach Kinderart ausgedacht und ihm in jede Hand eine blaue Blume gegeben hatte; jenes Bildchen, das Damian ihr als Kind im Gerberhause schenkte, das sie seitdem als Lesezeichen in ihre liebsten Bücher gelegt und aus dessen Anblick sie bis heute Trost, Mut und Geduld geschöpft, wenn ihr das Leben Schweres zu tragen gab.

»Kennst du das noch?« fragte sie Damian genau wie an jenem Tage ihrer heimlichen Liebeserklärungen im Gewande glückhafter Naturbegeisterung an diesem gleichen verschwiegenen Teich vor wohl sieben Jahren, als sie es ihm zeigte und er, als er es wieder an sich nehmen wollte, vor ihren stählern blitzenden Augen zurückgewichen war.

»Es ist mein Talisman gewesen in all den Jahren, Liebster, aber jetzt soll es dich hinaus ins Feld begleiten und behüten, bis du wiederkehrst«, sagte Sessi und reichte ihm das Bildchen hin, das Damian ergriffen an sich nahm und erst in seine Brieftasche legte, nachdem er es noch einmal versonnen und ernst betrachtet hatte.

Im sinkenden Abend, als der wuchtige Zug des Riesengebirges schon von der Abendröte überströmt wurde, machten sich Sessi und Damian auf den Heimweg. Sie kamen überein, sich bis zur Abfahrt Damians am anderen Tag nicht mehr zu sehen. Als sie an der Gartenpforte des Gerberhauses voneinander Abschied nahmen, sagte ihm Sessi noch dieses: »Wie ich das Leben fortan ertragen werde? Noch weiß ich es kaum. Aber es sind ja Millionen Männer im Kriege, und alle ihre Frauen können nichts tun als warten und hoffen, daß sie heil und gesund heimkommen.«

Dann küßte sie Damian noch einmal, doch wie in jähem leidenschaftlichen Verlangen, riß sich los und eilte, ohne sich noch nach ihm umzuwenden, wie flüchtend davon.


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