Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Marsilius

Die Privilegien, welche die Stadt so eifersüchtig bewachte und so kräftig zu behaupten wußte, schreiben sich aus Römerzeiten her, wenigstens gibt ihnen die einheimische Sage diesen frühen Ursprung. Einst wurde Köln, so erzählt die Chronik, von einem römischen Kaiser belagert und kam namentlich durch Holzmangel in große Not. Da erdachte ein edler Bürger, Marsilius genannt, zur Befreiung der Stadt einen klugen und listigen Anschlag. Es sollte eine Schar Frauen, wie um Holz zu fällen, mit Karren und Wagen zu einem Tor ausziehen, Helme auf den Häuptern tragen, auch sonst wie zum Streit männlich gerüstet sein; unterdes aber sollten die Bürger mit ihrem Hauptmann aus einem andern Tor hervorbrechen, um den Feinden, wenn sie die Weiber angreifen wollten, in den Rücken zu fallen. Als nun die Frauen auszogen mit Wagen und Karren und die Feinde sie sahen, brachen sie alsbald auf und wollten sie festnehmen. Da kamen aber die Bürger mit ihrem Hauptmann Marsilius zu dem anderen Tor heraus und drangen mit großer Macht auf sie ein, so daß sie von allen Seiten von Feinden umringt waren. Und Gott gab den Kölnern Glück, daß sie einen großen Teil erschlugen und viele fingen und unter diesen auch den Kaiser selbst. Sie brachten ihn mit den übrigen Gefangenen in die Stadt und legten ihn in einen tiefen Turm; nach einigen Tagen aber führten sie ihn heraus und wollten ihm auf offenem Markt das Haupt abschlagen lassen. Und als er an die Stelle kam, wo er enthauptet werden sollte, da war ein köstliches Tuch ausgebreitet, darauf mußte er niederknien. Da bat er, daß sie ihn leben ließen: sein Leben solle ihnen nützer sein als sein Tod. Er wolle ihnen bestätigen, was sie von ihm verlangten. Das nahmen die Kölner an und brachten eine große Bulle mit vielen Gerechtsamen beschrieben; daran mußte er sein Siegel hängen. Darum begingen seitdem die Kölner den Donnerstag nach Pfingsten mit Sang und Spiel und großen Freuden und nannten ihn den Holzfahrtag. Und nach seinem Tod wurde Marsilius in einem Sarg bei St. Aposteln in die Stadtmauer gelegt, wo sein Denkmal, der Marsiliusstein, noch unlängst gesehen wurde; vor dem weltberühmten städtischen Kauf- und Tanzhaus Gürzenich aber steht Marsilius noch jetzt neben Agrippa, dem ersten Gründer der Stadt; ehemals las man bei jenem mit goldenen Buchstaben geschrieben:

Marsilius heyden ind der sere stoultze
Behielte Coelne ind sy voiren tzo houltze.

 


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