Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Schwalbach und Schlangenbad

Um Wiesbadens Nachbarbäder zu besuchen, müssen wir über den Rücken des Gebirges, an dessen Fuß es gelegen ist. Die Taunushöhe, an der die Landstraße vorbeiläuft, heißt die Hohe Wurzel, die nächste bedeutende Nachbarin des Trompeters, bei dem die Platte liegt. Wenn die Volkssage den Namen dieses Gipfels auf einen Trompeter deutet, der, von Räubern überfallen, so stark in das Horn blies, daß ihn sein Freund auf der Brücke zu Mainz hören und ihm zu Hilfe kommen konnte, so scheint sich hierin eine Erinnerung an König Rother erhalten zu haben. Auf der Brücke zu Mainz war auch der Scharfhörigste zu entfernt, um dem auf der Taunushöhe von Räubern bedrängten Freund noch rechtzeitig Hilfe zu bringen. Der herbeigerufene Beistand muß also, wie im König Rother, näher im Walde versteckt gewesen sein, um auf das gegebene Zeichen hervorzuspringen, da der Verurteilte von der ihm gewährten Erlaubnis, noch zum letzten Mal ein Stückchen zu blasen, Gebrauch macht. Einen Zusammenhang des Trompeters mit den Buccinobanten, zu denen der alemannische König Macrian getragen wurde, als ihn Valentinian bei Wiesbaden vergebens zu fangen versuchte, sollten wenigstens die nicht vermuten, welche die Buccinobanten für Buchonier halten, die bekanntlich im Fuldischen wohnten. Freilich wird man auf diesen Höhen durch die ewig tönenden langen Hirtenhörner an jene wunderliche Deutung des Volksnamens erinnert.

Das herzogliche Jagdschloß, die Platte, wird weit und breit im Main-, Rhein- und Nahetal gesehen und muß daher auch ein umfassendes Panorama ihrer Prachtgefilde vor uns aufrollen. Von dem zinkbedeckten Dach des Schlosses genießt man den unbeschreiblichen Anblick in voller Sicherheit, und selbst der Schwindlige fühlt sich hier behaglich. Auch das Innere des Palastes wird man gern sehen. Zwei bronzene Hirsche hüten den Eingang, Hirschgeweihe zieren Flur, Treppen und Türen, Jagdgerätschaften hängen an allen Wänden, und in den reichen Gemächern sind alle Tische, Stühle, Spinde, Leuchter, Spiegelrahmen usw. aus Hirschhorn künstlich gearbeitet.

Noch umfassender als auf der Platte ist die Aussicht auf der Hohen Wurzel, an der die Straße von Wiesbaden nach Schwalbach links vorbeiführt. Zu dieser kehren wir zurück und haben bald das nassauische Hochland zwischen Main und Lahn erstiegen. Es gewährt durchaus den Eindruck eines ganz ebenen Landes, einer unübersehlichen Feld- und Waldfläche. Erst aus näherer Betrachtung ergibt es sich, daß dieses Hochland von tiefen Tälern durchschnitten wird, in welchen klare Wiesenbäche gehen und Mühlräder sich drehen. Steigt man in eins dieser Täler herab, so starren seine Wände von schroffen Felsen oder grünen Wäldern, und der Bauer in dem verborgenen Dörflern unten glaubt mit Recht im Gebirge zu leben. Fänden sich auch Dörfer auf der Höhe, so würden diese in der Fläche zu liegen scheinen. Das Tal ahmt hier gleichsam das Gebirge, das Gebirge das Tal nach. Kaum haben wir, von Wiesbaden aus, die Hochebene erreicht, so zeigen sich uns zwei solcher tiefen Täler. Das erste, das sich links hinabsenkt, würde uns über Wambach nach Schlangenbad führen. Es ist das Tal der Waldaff, von der beim Rheingau ausführlicher die Rede ist, auch gedenken wir es sogleich, Schlangenbads wegen, zu besuchen. Das andere tut sich weiterhin, gerade vor uns, auf; es ist von der Schwalbach gebildet, die unterhalb Langenschwalbachs in die Arde fließt, denn diese soll ihre Wasser der Lahn zuführen. So geschwind ist hier (denn die Waldaff rauschte noch dem Hauptstrom zu) die Wasserscheide zwischen dem Rhein und seinem Nebenfluß überschritten. Man erreicht einen schön angelegten Felsenvorsprung, wo ein Blick in das Wiesental der Schwalbach vergönnt ist, in dem wir die Kurgäste schon umherwandeln sehen.

Die Straße wendet sich nun rechts, und alsbald sehen wir Schwalbach in seiner ganzen, schon im Namen ausgesprochenen Länge um den Berg herumliegen, von dem wir herabkommen. Die blauen Schieferdächer und die mehr ländliche als städtische Bauart der Häuser machen einen freundlichen Eindruck. Hier ist nichts von Wiesbadens Pracht, selbst das Badehaus mit der Kolonnade ist höchst einfach, und nur neuerdings scheinen einige neue Gasthöfe höher hinaus zu wollen.

Gleich beim Eingang liegt der Weinbrunnen, der wirklich wie Wein schmeckt, höher hinauf im Wiesengrund der Paulinenbrunnen, der erst 1829 zu Ehren der Herzogin angelegt und höchst reich und elegant gefaßt ist. Zu beiden Seiten führen Treppen hinab, alles ist mit rotem Sandstein ausgemauert, ein Zelt schwebt über der Rotunde. Noch weiter aufwärts liegt der Ehebrunnen, mit dem es aber nicht die sonst in Bädern gewöhnliche hoffnungsvolle Bewandtnis hat, sondern nur die, daß eine Eiche sich in seiner Nähe einer Buche vermählt hatte. Die übrigen Quellen, worunter der Stahlbrunnen als der wichtigste am besten gefaßt und mit schattigen Promenaden umgeben ist, liegen tiefer im Tal, der Brodelbrunnen fast wieder am Ausgang des Ortes. Von hier haben wir nur ein Viertelstündchen nach Adolfseck, das die Schwalbacher Gäste so fleißig besuchen. Der Weg geht auf dem Höhenzug, der erst die Schwalbach und nach deren Mündung die Arde begleitet. Unten der feuchte Wiesengrund beider Wasser, durch den der Weg gleichfalls genommen werden kann. Bei dem Dörfchen Adolfseck geht die Arde zwischen zwei hohen Felsen, die eine Brücke verbindet, hindurch und fällt hernach tief herab, dessen Wassersturz sich eine Mühle zunutze macht. Von Kaiser Adolfs Schloß sind nur die Ringmauern übrig. Die Sage berichten wir mit Nikolaus Vogts einfachen Worten: Dort, wo die Schwalbach sich in ein Wiesental ergießt, hängen an zackigen Felsen die Trümmer jener Burg, wohin Kaiser Adolf von Nassau seine Geliebte aus einem Kloster entführte, als sie ihm nach einer Schlacht die Wunden zärtlich geheilt hatte. Sein Oheim aber, der Erzbischof von Mainz, Gerhard von Eppstein, der ihn auf den Thron erhoben hatte, sah diese heimliche Liebe als Kirchenraub an. Er tat ihn in den Bann und entsetzte ihn des Thrones. Als Adolf in dem darum entstandenen Krieg bei Gelheim gefallen war, kam sein Hund traurig zurück zu der Burg und zupfte die Geliebte bis zu dem Schlachtfeld fort, wo sie ihn unter den Leichen der Erschlagenen fand. Sie baute sich hierauf ein einsames Hüttchen, lebte aber, vom Schmerz erdrückt, nicht mehr lange. Der Hund grämte sich zu Tode auf ihrem Grab.

Nach Schreiber hieß Adolfs Geliebte Imagina. Aber dies ist der Name seiner rechtmäßigen Gemahlin, mit der er sechs Söhne und drei Töchter zeugte. Unter letzteren war wieder eine Imagina. Nach anderen hieß jene Geliebte Amalgunde und Rosental das Kloster bei Straßburg, aus dem er sie entführte. Die abgeschiedene Lage des Ortes im Winkel der Arde mag die Sage von dieser heimlichen Liebe veranlaßt haben. Tiefer im Tal der Arde, die von Wehen und Bleidenstadt, dem ältesten Kloster dieser Gegenden, herabkommt, liegt Hohenstein, eine katzenellenbogische Burg, deren gewaltige Trümmer drohend über der Arde hängen. Die weitläufigen, noch ziemlich wohl erhaltenen Ruinen würden einen reinlichen, freundlichen Eindruck gewähren, wenn man da nicht von Hexentürmen und Folterkammern vernähme, von denen schon Bodmann nichts wissen wollte. Der Turm des Haupttors hat gegen innen keine Mauer; aus dem ersten Hof gelangt man durch ein zweites Tor in den eigentlichen Schloßhof, eine Wendeltreppe führt auf den Turm und aus diesem in die innere Burg, wo der tiefe, in den Felsen gehauene Brunnen und ein Gemach mit gemalten Wänden auffallen.

siehe Bildunterschrift

Langenschwalbach

Seine Glanztage sah dieses Felsenschloß, als die Grafen von Katzenellenbogen bald dort, bald auf Hohenstein Hof hielten, als die jüngeren Söhne den Namen von Schloß Hohenstein führten, als es bei Diethers und Eberhards Teilung beiden Linien gemeinschaftlich blieb. Burgmänner von Hohenstein haben wir schon bei Biberich kennengelernt. Unter Hessen war es die Wohnung des Kellners; dann des Amtmanns; als dieser nach Langenschwalbach zog, wurde es vergessen und verfiel. Man pflegt den Weg dahin nicht in dem vielfach gewundenen Ardetal, sondern über die Höhe zu nehmen. Wer sich dabei der Esel bedient, dem ist zu raten, daß er den Tieren mehr als ihren Treibern glaube, denn letztere sind des Weges selten so kundig.

Ehe wir von Schwalbach Abschied nehmen, müssen wir noch einen etymologischen Irrtum berichtigen. Mehrere Reisebücher denken bei seinem Namen an Schwalben, mit denen es aber nichts zu schaffen hat. Er kommt von seinen Mineralquellen, die man sonst Schwalborn nannte.

Schlangenbad, zu dem wir uns jetzt begeben, ist allerdings von Schlangen genannt, nicht als ob es deren dort, auch außer der sogenannten Saison, so viele gäbe, wie der »Old man« in den »Bubbles« glauben machen möchte. Nicht Schlangen waren es, die seine Entdeckung herbeiführten, sondern eine kranke Kuh, die sich von der Herde verirrt hatte und an der lauen Quelle Genesung fand. Es ist von der Schlangenglätte der Haut genannt, welche dieses Schönheitsbad seinen von allen vier Enden der Welt herbeiströmenden Nixen verleiht. Schwalbachs Gäste pflegen hier eine Nachkur zu nehmen, um den Oker des Stahlwassers abzuspülen. Wenn sie dies eine Zeitlang getan haben, wer darf dann noch mit Kirchner sagen, Schlangenbad leite den Namen von nicht gefährlichen Schlangen her, die im Dickicht der nahen Wälder hausen sollen?

In einer Bucht des engen, waldigen Tals der Waldaff klösterlich einsam gelegen, außer der sogenannten warmen Mühle nur aus Kur- und Gasthäusern bestehend, sagt Schlangenbad den wenigsten Geschmäckern zu. Waldeinsamkeit, Abgeschiedenheit von der Welt haben ihre Liebhaber; aber schwerlich wünschen sie solche in Gesellschaft zu genießen. Es wird uns daher wie der Landstraße ergehen, die erst in und durch den Ort zu wollen scheint; sie hat ihn aber kaum erreicht, als sie wie mit gesättigter Neugier umwendet und wieder hinausläuft. Wen freilich Not oder Eitelkeit zwingen, hier seinen Aufenthalt zu nehmen, dem bietet die Nähe des Rheingaus und der Nachbarbäder Ausflüge genug, auf der Höhe jenseits der Waldaff winkt ihm Georgenborn mit unermeßlicher Aussicht; und will er wie der »Old man« im Wald hinter Schlangenbad auf eine Eiche klettern, so kann er bei durchsichtiger Luft zwischen Bingen und Mainz das Dampfschiff stromauf klimmen und auf Rheinstein die Fahne wehen sehen. Solche Vergnügungen müssen ihn für die Langeweile in den langen, öden, altfränkischen Säulen der Kurhäuser entschädigen, wenn er nicht etwa, wie der Jäger in dem nachstehenden Volkslied, das Glück hat, ein Kronschlänglein zu erlösen:

Der Jäger längs dem Weiher ging,
Die Dämmerung den Wald umfing.

Was plätschert in dem Wasser dort?
Es kichert leis in einem fort.

Was schimmert dort im Walde feucht?
Wohl Gold und Edelstein mich deucht.

Kronschlänglein ringelt sich im Bad,
Die Kron sie abgeleget hat.

»Jetzt gilt es wagen, ob mir graut;
Wer 's Glück hat, führet heim die Braut.«

»O Jäger, laß den goldnen Reif,
die Diener regen schon den Streif.

O Jäger, laß die Krone mein,
Ich geb dir Gold und Edelstein.

Wie du die Kron mir wieder langst,
Geb ich dir alles, was du verlangst.«

Der Jäger lief, als sei er taub,
Im Schrein barg er den teuren Raub.

Er barg ihn in dem festen Schrein:
Die schönste Maid, die Braut war sein.

 


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