Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Das engere Rheintal

Allgemeines

Zwischen Koblenz und Bingen fließt der Rhein durch eine lange, enge Schlucht, die von gewaltigen Felsen umstarrt wird. Er scheint in die Gebirge seiner Heimat zurückgekehrt. Oft hat man den freien Sohn der Alpen beklagt, daß er so weite Räume durchmessen hätte, um hier zwischen Taunus und Hunsrück in schmählicher Gefangenschaft einherzufließen. Aber der Rhein vernahm die unverständige Rede, erhob sich, seine Ehre zu retten, und sprach: »Diese Felsen, die ich gesprengt habe, wären mir ein Kerker? Sieh doch, ob sie mich halten. Der Bergkessel, den ich mir wühlte, darin als ein See, um von der Arbeit zu ruhen, ich verlasse ihn, wenn es mir beliebt: hinter jenem Felsen entschlüpfe ich. Einst, vor Jahrtausenden, wäre ich bei dem Vorwurf errötet, den ich jetzt verlache. Damals vertrat mir ein mächtiger, zwölf Stunden breiter Damm den Weg zum Ozean, daß ich als ein ungeheurer Landsee zurückgestaucht die üppigsten Fluren überschwemmen mußte. Aber ich sammelte meine Wasser, schwoll an, zerriß das hemmende Gebirge und floß jauchzend dem Vater zu. Die du meine Kerkerwände nennst, diese Felsen sind mir Triumphsäulen und Ehrenpforten.«

siehe Bildunterschrift

Bingen

Frei floß der Rhein, wie es dem Sohn der Alpen geziemt, durch das selbstgeschaffene Tal. Da kamen gepanzerte Männer, klommen die Felsen auf, verbanden Steine mit Mörtel und schlugen Burgen auf. Die da unten vorbeigingen oder den Strom befuhren, mußten ihnen Geleit und Zoll bezahlen. Aber der Rhein hauchte seine Söhne mit dem Geist der Freiheit an, der Städtebund entstand, und gebrochen fielen die Burgen.

Im Gegensatz zu dem idyllischen Rheingau hat man dieses engere Tal episch genannt, als von dem Geist der Geschichte erfüllt. Ich würde es lieber dramatisch nennen, denn wir sehen die handelnden Personen – den Rhein und die Felsen in dem Drama der Natur, die harmlosen Kaufleute und die gefürchteten Schlösser der Wegelagerer in dem Drama der Geschichte – greifbar und persönlich vor uns. Der Damm, welchen der Strom durchbrach, war das Rheinische Schiefergebirge. Wir haben in den »Taunusgegenden« den Charakter dieses neptunischen Gebildes kennengelernt. Hochliegende Ebenen, von tiefen Tälern durchschnitten, deren Wände von Wald und Felsen starren, während über ihnen der Pflug über den mageren Acker geht. Das breiteste, tiefste Tal, dem unzählige Nebentäler zufallen, hat der Rhein in die Hochebene des Schiefergebirges geschnitten. Die Felsen, die er entblößte, sind dem Tonschiefer verwandtes Gestein, Grauwacke, Quarz, Hornfels und Kieselschiefer. Von letzteren streichen mächtige Lager quer durch das Flußbett, und ihren prallen Felsen schreibt Steininger die malerischen Ansichten zu, welche diese Stromstrecke berühmt gemacht haben. Während sonst das Schiefergebirge einen traurigen Charakter hat, besonders für denjenigen, den die schönen Porphyrfelsen der heiteren Pfalz verwöhnt haben, steigert es sich hier zum Schaurigen, Wilden, Erhabenen. Jede Wendung des Stroms führt in einen neuen Felsenkessel, und der Szenenwechsel würde noch lebhafter sein, wenn die Richtung des Stroms auf das Streichen der Gebirgsschichten eine andere wäre. Bei der Mosel, die sich mit viel größeren Krümmungen durch den Schiefer windet, ist die Richtung des Stroms mit der Streichlinie beinahe parallel. Der Rheinlauf fällt senkrecht auf die Streichlinie, und der feste Hornfels und die leichter zerstörbare Grauwacke müssen durchbrochen werden. So verdankt der Strom seiner Kraft einen kürzeren Lauf, gewiß zur Freude des Geschäftsmanns, aber zum Bedauern des genußsüchtigen Wanderers.

Was die Wirkung verstärkt, ist die Enge der Schlucht. Die Berge treten so nahe heran, daß der Fußreisende fast nur von den jenseitigen Felsen einen Eindruck empfängt, während der Passagier, der auf dem Dampfer seine Zeit nützen wollte, sich keine Schönheit rechts noch links entgehen zu lassen braucht. Auf dieser zwölfstündigen Strecke, welche die Dampfkraft freilich bedeutend verkürzt, jagen sich bei der Talfahrt Genüsse und Überraschungen so sehr, daß man dem Schiff in die Räder greifen möchte. Selbst bei der Bergfahrt wird der Reisende immer noch Unterhaltung genug finden, auch wenn er die Reise schon öfter gemacht hat; kommt er aber zum ersten Mal, so mag er sich in acht nehmen, daß ihm die furchtbare Schönheit dieser Schlünde nicht die Brust zusammenpreßt und den Atem versetzt. Mir wenigstens erging es so, als ich, ein vierzehnjähriger Knabe, die erste Rheinreise machte. Es war, als wollten die Berge über mich fallen, als müßte ich mich zusammennehmen, daß sie mich nicht erdrückten. Und bei diesem Bestreben, das Große zu tragen, von dem Gewaltigen nicht überwältigt zu werden, erweiterte sich mir die junge Brust, die, von Entzücken durchdrungen, sich bei jeder Schwingung dehnte, bis sie allmählich Raum fand, so viele hereinstürmende neue Gefühle und Entschlüsse zu beherbergen. So wanderte ich weiter und weiter, den Ausgang zu finden, und als ich ihn gefunden hatte und der liebliche Rheingau mich hätte anlächeln sollen, ließ es mich kalt und unerquickt: jener übermäßigen Anspannung folgten Erschlaffung und das Gefühl unendlicher Leere. Jetzt ist es anders, das engere Rheintal ergreift mich nicht mehr so gewaltsam, der Rheingau könnte mich länger fesseln, und der Mannigfaltigkeit des Tals zwischen Andernach und Bonn, wo sich die Schönheiten beider oberen Stromstrecken verschmelzen und die vulkanischen Kämme der Eifel, des Maifels und des Siebengebirges sich viel kühner und malerischer gestalten, gäbe ich vor beiden den Preis.

 


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