Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Oberwesel

»Wenn man zwischen Kaub und dem Pfalzgrafenstein hervorkommt, sieht man die Stadt- und Kirchtürme von Wesel aus dem dunklen, schauerlichen Hintergrund hervorlauschen und über ihnen die stolzen Ruinen des Schlosses Schönberg. Diese Feste haben die Herren von Schönberg erbaut, welche während der mittleren Zeit mächtig in der Stadt waren und in der neueren Zeit unter dem Namen der Grafen von Schomberg wegen ihrer Heldentaten zugleich Granden von Portugal und Pairs von England geworden sind. Der romantische Geist des rheinischen Volks leitete aber den Namen der Burg von sieben schönen Fräulein her, welche einst darauf gewohnt und durch ihre Reize alle Fürsten und Ritter gefesselt haben sollen. Sie wurden ihrer Sprödigkeit wegen in jene sieben Felsenspitzen verwandelt, welche gleich unter Wesel, wenn das Wasser klein ist, aus dem Rhein hervorstehen und von den Schiffern die Sieben Jungfrauen genannt werden. Wenn man in der Geschichte einigen Grund dieser Sagen aufsuchen wollte, so konnten wohl die sieben arnsteinischen Gräfinnen dazu Anlaß gegeben haben. Sie werden alle als schön und geistreich beschrieben. Fürsten und Grafen buhlten um sie, ihr Aufenthalt war öfter zu Wesel und St. Goar, und vielleicht hat einer ihrer Liebhaber, der nicht erhört wurde, die aus dem Rhein hervorstrotzenden sieben Felsenhäupter zum Gegenstand seiner Rache genommen und ihnen diese fast ovidische Verwandlung angedichtet.«

siehe Bildunterschrift

Oberwesel

Die arnsteinischen Gräfinnen, auf welche Nikolaus Vogt die »Sieben Schwestern« deutet, waren die Töchter Ludwigs I. von Arnstein, der außer dem Grafenamt des Einrichgaus (zwischen Wisper und Lahn) auch in dem jenseitigen Trachgau die Vogteien von Oberwesel, St. Goar, Boppard und Koblenz besaß. Was aber nicht sehr für Vogts Vermutung spricht: die sieben arnsteinischen Schwestern scheinen die Sprödesten nicht gewesen zu sein, wenigstens ist nicht eine einzige der sieben unverheiratet geblieben, eine wahre Seltenheit in dieser klosterlustigen Zeit. Dafür stiftete freilich Ludwig III. von Arnstein, mit dem dieses Haus erlosch, das nach ihm benannte Kloster, wo er selber mit seiner Gemahlin sein Leben beschloß. Seine Besitzungen gingen aber auf seine sieben Tanten und deren Nachkommen über, namentlich auf die Isenburger, Nassauer und Katzenelnbogener.

Nach den Arnsteinern besaßen die von Schönberg die Vogtei oder das Burggrafenamt in Oberwesel, verloren es aber, als Kaiser Friedrich II. die Stadt, die sie als ihr Eigentum behandeln wollten, in seinen und des Reiches Schutz nahm. Von nun an erblühte sie im Genuß der Freiheit zu einer der mächtigsten Reichsstädte am Rhein, und die benachbarten Grafen von Katzenelnbogen schätzten es sich zur Ehre, Bürger von Oberwesel zu heißen. Aber früh welkte diese Blüte dahin, denn schon Heinrich VII. verpfändete Wesel und Boppard seinem Bruder Balduin von Trier, wodurch sie zu dem Rang trierischer Landstädte herabsanken. Zwar beugten die Weseler den Nacken nicht willig dem ungewohnten Joch; aber unter dem kräftigen Balduin und dem gewaltigen Kuno von Falkenstein konnten sie nicht aufkommen. Unter seinem Nachfolger Werner jedoch setzten sie der Gewalt die Gewalt entgegen und beriefen sich gegen die widerrechtliche Anmaßung des Bischofs auf die von Friedrich II. bewilligten Freiheiten. Es kam zu einem hartnäckigen Kampf, welcher damit endete, daß sie zwar die Oberherrschaft von Trier anerkennen mußten, aber auch die Bestätigung ihrer Freiheiten und bürgerlichen Verfassung erhielten.

siehe Bildunterschrift

Ruine Schönberg mit Oberwesel und dem Engehölltal

Die Lage von Oberwesel ist eine der romantischsten und, wie ein Blinder aus dem häufigen Aufenthalt der Maler schließen würde, malerischsten im engeren Rheintal. Ober- und unterhalb öffnen sich zwei weingrüne Seitentäler, dazwischen liegt die altertümliche Stadt mit ihren geschwärzten, zinnengekrönten Ringmauern, schönen Kirchen und seltsamen Türmen auf sanft ansteigender Vorhöhe steiler Berge bequem und weithin ausgebreitet; denn hier fehlt es leider nicht an Raum, der freien Plätze finden sich viele, die der Schutt vormaliger Größe bedeckt. Sehr sehenswert sind die Kirchen, besonders das schmale, schlanke Liebfrauenstift, das sich dem Vorüberfahrenden so obeliskenmäßig aufbaut.

Inwendig findet auch der Laie genug zu bewundern, den Kenner wird alles anziehen: wir nennen nur den reich verzierten Lettner (Lectorium) und den geschnitzten Kastenaltar mit seinen Flügeltüren, wo die schönsten Fenstermodelle ausgeschnitzt sind, eine Menge Formen darbietend, die man in Stein nicht ausgeführt findet. Unweit dieser Kirche steht noch wie ein ausgebrochener Zahn das alte Stadttor, aber die Straße führt nicht mehr unter ihm her in den jetzt offenen Ort. Am entgegengesetzten Ende prangt der stolze Ochsenturm, der jenem zu Andernach ähnlich ist; die schönste, weitblickendste Lage hat aber die Martinskirche. Die an die Stadtmauer angebaute Wernerkirche dachte ich nicht zu erwähnen; ich will aber meine Abneigung vor der Legende des heiligen Knaben Werner, den die Juden zu Tode gemartert haben sollen, lieber offen eingestehen und sie nicht erzählen. Statt dessen möchte ich den Leser von den Fußstapfen des »Pferdes St. Huberti« unterhalten, welche nach dem »Rheinischen Antiquarius« dem Fremden auf dem Marktplatz gezeigt werden; ich habe aber nicht mehr ermitteln können, welche Bewandtnis es damit habe.

Um wieder auf die Sieben Schwestern zu kommen, so versichert die neuere Schiffersage, wenn einst ein Fürst diese Felsen aus ihrem Lager hebe und das Gestein zu einer Kapelle weihe, so würden die Jungfrauen der Felsenrinde entledigt und erlöst werden. Man versteht den Wink: die Schiffer möchten diese Störung der Schiffahrt gerne los sein. »Wäre es nur Marmor«, sagt Braun, »so könnte ein Künstler ihnen die bezaubernde Schönheit und das Leben wieder einhauchen.«

 


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