Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Wiesbaden

Einst nur der Hauptort der Königshundert, jetzt Hauptstadt und Residenz des Herzogtums Nassau, welch letztere eben erworbene Würde ihm die Aussicht eröffnet, noch neue, bisher ungeahnte Blüten zu treiben. Wenn der geistvolle Verfasser der »Bubbles from the Brunnens of Nassau by an old man«, nach seiner ausgesprochenen Vorliebe für Schlangenbad und Schwalbach, an der eleganten, ja luxuriösen Bauart Wiesbadens darum keinen Geschmack findet, weil die Wiesbadener diese Häuser doch nur für Fremde gebaut hätten, weshalb sie ihm vorkämen wie Kinder in Mannsschuhen, worin ihre Füße zehnmal Raum hätten; so ist diese Blase geplatzt, seit sich ihnen die Aussicht eröffnet hat, für die im Winter entbehrten Sommergäste durch den Hof, den Adel und die ganze hof- und tanzfähige Nachbarschaft entschädigt zu werden. Auch die Eisenbahn wird Wiesbaden mehr Fremde zuführen als den übrigen von dem Netz umschlungenen Städten, und so dürfte die Baulust in Wiesbaden noch nicht so bald abnehmen. Unmittelbar am Rhein gibt es, den ganzen Strom auf und ab, keinen Kurort;Allenfalls wären der Dinkholder Brunnen bei Braubach und das Sironabad bei Nierstein auszunehmen. Letzteres ist so gut wie Wiesbaden römischen Ursprungs. Die Göttin Sirona, welcher Julia Frontina zum Dank für ihre Genesung den 1803 aufgefundenen Weihaltar widmete, könnte nach Grimm, »Deutsche Märchen«, die Freia sein. auch hierin wird Wiesbaden, sobald seine Entfernung von Biebrich, dem Hafen Wiesbadens, durch Dampfwagen aufgehoben ist, einzig sein, wenn nicht etwa gar Tal Ehrenbreitstein seine Absicht noch erreicht.

siehe Bildunterschrift

Wiesbaden

»Fontibus Mattiacis«, diese Aufschrift des berühmten Kursaals spielt auf eine Stelle des Plinius an: »Sunt et Mattiaci in Germania fontes calidi, quorum haustus triduo fervet.« In der Tat ist eine Hitze, die drei Tage zum Erkalten gebraucht hat, in der die meisten eingetauchten Schöpfgläser zerspringen, erstaunlich genug, um heute wie vor zweitausend Jahren zu der belebenden Kraft dieses Wassers Zutrauen einzuflößen. Wenn wir den Naturkundigen glauben, so kommen die Quellen, je wärmer sie sind, je tiefer aus dem Schloß der Erde herauf; auch erkalten die in unterirdischen Klüften geheizten Wasser langsamer als andere von gleicher Temperatur, was alles bestimmen könnte, ihnen geheime, dem Thermometer unmeßbare, der Scheidekunst unergründliche Kräfte zuzutrauen. Wenn es endlich wahr ist, was man in Wiesbaden den Fremden so gern versichert, daß es gar keinen Kirchhof dort gibt, weil alle Kranken geheilt werden, so sollte alle Welt Kochbrunnen trinken, auch wenn er nicht so köstlich schmeckte wie die beste Hühnerbrühe. Übrigens hält man auch den Namen Wiesbaden für eine Übersetzung von Fontes Mattiaci, da Wiesen und Matten im Deutschen gleichbedeutend seien, und »fontes« in »baden« sich wiederfinde. Daß sich die Bürger von Wiesbaden auf einem Votivstein Cives visinobates nennen, ist oben erwähnt.

Wiesbadens Umgebungen, mit denen wir es eigentlich mehr als mit seinen Quellen und Prachtgebäuden zu tun haben, sind teils schon bei Mainz besprochen, teils handeln davon die zunächst vorausgegangenen und nachfolgenden Abschnitte. Jenen Baden-Badens, mit dem sonst Wiesbaden wetteifert, scheinen sie uns nicht zu vergleichen, obgleich sie den Spaziergänger meist in Laubwälder führen, während dort Nadelholz vorherrscht. Die zunächst gelegenen Punkte leiden an Unbedeutendheit, die entfernteren liegen schon zu fern. Wer freilich anspannen lassen kann, hat nach dem herrlichen Rheingau nicht weit, die Platte liegt ihm nicht zu hoch, er bringt den Morgen in Schlangenbad, den Mittag in Schwalbach, den Abend auf der Eppsteiner Ölmühle zu und kommt noch zeitig genug nach dem Kursaal zurück, um die Nacht zu vertanzen oder allenfalls zu verspielen.

Frankfurt, Mainz und Darmstadt stehen mit allen ihren Naturschönheiten, wenn dieses Wort auf Darmstadt Anwendung findet, freilich auch zu Gebot; aber dazu wird man künftig nicht einmal der Equipage bedürfen. Wir gedenken nachstehend nur derjenigen Ausflüge, die uns ein besonderes Interesse abgewonnen haben.

Dahin würden wir Sonnenberg rechnen, wenn es nicht gar zu besucht wäre, denn alles, was Beine hat, geht, reitet oder kriecht, wie schon jemand gesagt hat, nach Sonnenberg. Neuerdings hat man es ganz in den Garten des Kursaals hineingezogen, und die mit Sand überfahrenen Wege führen unmittelbar an die viereckige Warte des einst bedeutenden Bergschlosses, das nur höher liegen sollte. Im engen Tal des Selzbachs versteckt, kann es die umfassende Übersicht des mittleren Rheintals nicht gewähren, die man weiter oben bei der sogenannten alten Kirche findet. Eine Sage hat Sonnenberg nicht, und die man ihm andichten wollte, findet weder Glauben noch Beifall. Für einen Sonnentempel wäre der Platz in dieser Verborgenheit übel gewählt, und der alemannische Fürstensohn Sunno hat der Burg nicht den Namen gegeben, sondern ihm die Burg. Was jener bei Mainz erwähnte Engländer als »Saw of Sonnenberg« einschwärzen möchte, verkennt den Unterschied zwischen Dichtung und Lüge. Die Geschichte meldet von der Sonnenburg nichts Belangreiches, als etwa, daß sie Kaiser Adolf von Nassau erneuert und bewohnt hat. Daß dem Dörfchen zu ihren Füßen Stadtrecht und gleiche Marktrechte wie Mainz und Frankfurt verliehen wurden, wird man nicht ohne Lächeln vernehmen.

Wie willkürlich die Mode in Bädern schaltet, die freilich ganz von ihr abhängig sind, sieht man wieder recht deutlich an Sonnenbergs großer Frequenz, während das nicht viel entferntere Frauenstein selten ein Badegast besucht. Und doch bieten seine Ruine und die neuerdings berühmt gewordene Riesenlinde kein geringeres Interesse dar. Eine Zeichnung letzterer findet man vor den erwähnten »Bubbles«, auch hat unser »Old man« eine Sage (»Legend of the great planetree of Frauenstein«) mitgeteilt, die uns zwar, soweit sie die Linde betrifft, aus der Luft gegriffen scheint, während ihr echter Gehalt sich auf den nahen Groroder Hof bezieht. Von der Linde wird nur beiläufig erwähnt, sie sei in Blut gepflanzt, indem sie an der Stelle stehe, wo der adelstolze Burgherr von Frauenstein den Geliebten seiner Tochter erschlagen habe. Diese pflanzte den Baum, eh sie ins Kloster ging; und solange sie das Opfer ihrer Liebe beweinte, vergoß auch die Linde aus jedem abgebrochenen Zweig blutige Tränen. Die Bewohner Frauensteins, welche ich befragte, wußten nichts von alledem, und da die Linde nach der gemeinen Sitte deutscher Dörfer in der Mitte des Orts vor der Kirche steht, so scheint es damit keine andere als die gewöhnliche Bewandtnis zu haben. Dem starken Baum, den vier Mann kaum umspannten, ist früh Gewalt geschehen, man hat seine Äste nicht in die Höhe wachsen lassen, sondern so gezogen, daß sie wasserrecht in beträchtlicher Länge hinlaufen; doch fände der größte Mann unter ihnen Raum. Man kann die Äste mit Brettern belegen und so über ihnen ein ganz ebenes Stockwerk gewinnen, wodurch sich die Ratsversammlung der Frauensteiner von selbst in ein Ober- und Unterhaus abteilen würde. Denn hier pflegte die Gemeinde zu dingen, und noch versammelt sie sich hier nach dem Gottesdienst, um ihre Angelegenheiten zu besprechen.

Der Linde gegenüber steht noch ein Pförtchen, das zur Burg führte. Außer einigen Trümmern der Ringmauer zeigt sie nur noch eine vierkantige, mit Zinnen gekrönte Warte. Im dreizehnten Jahrhundert von einem Frowin von Schierstein erbaut, gab sie einem Zweig dieses Rittergeschlechts Namen und Wohnung. Da die von Frauenstein das Erbhofmarschallamt von Mainz bekleideten, entzogen sie sich nach und nach der Hoheit der sonst hier in der Königshundert übermächtigen Nassauer und kamen unter Mainz, dem schon der dicht angrenzende Rheingau gehörte. In der Fehde gegen Erzbischof Gerhard von Mainz zerstörte König Albrecht die Burg, die aber bald wiederaufgebaut wurde.

Folgendes ist der Hauptinhalt der in den »Bubbles« erzählten Legende: Ein Graf verstieß seinen Sohn, weil er ein Mädchen niederer Herkunft geheiratet hatte. Hierauf starben ihm seine übrigen Angehörigen, und im Gefühl der Verlassenheit ergriff den schwachen Greis Reue. Er zog aus, seinen Sohn zu suchen, und fand ihn endlich bei Frauenstein in einer Hütte wieder, von der aus er die nächsten Felsen mit der Hacke urbar gemacht und mit Reben bepflanzt hatte. Diese allerdings echte Sage scheinen der Name des »Grawenroder« Hofes und die häufige Verwechslung von »Grauen« und »Grafen« veranlaßt zu haben. Es gab eine adelige Familie, die sich nach diesem Rittersitz nannte. Ihr Helmkleinod zeigte einen graubärtigen Mann im schwarzen Kleid, auf der Schulter eine silberne Rodehaue tragend. »Ein wegen Mißheirat verbannter Sohn eines gewissen Grafenhauses soll«, wie Bodmann meldet, »eigenhändig mit seiner Geliebten den Hof angerodet und zum Andenken jenes Helmkleinod seinem neuerkorenen Geschlechtsschild übergesetzt haben.« Das 1650 erloschene Geschlecht hatte in der alten Kirche zu Schierstein sein Erbbegräbnis.

Noch zwei andere benachbarte Höfe verdienen Erwähnung. Zunächst der Zur armen Ruhe, auch Armada genannt, einst ein lindauischer Rittersitz, bei dem das auf dieser Seite der Waldaff einst reich begüterte Geschlecht eine Kapelle Zorn Armode d. h. Zur Armut, stiftete. Jetzt besitzt ihn Herr Kindlinger, ein ausgezeichneter Ökonom, der Neffe des berühmten, in dem benachbarten Neudorf gebürtigen Archivars. Dann der sogenannte Nürnberger Hof, zu dem die Mainzer so gerne wallfahrten; nicht allein wegen der Talente seines Besitzers, der in Diensten des letzten Herzogs die Kochkunst ergründete – auch der unvergleichlichen Aussicht auf Rhein, Schierstein, Biebrich und Mainz zuliebe.

siehe Bildunterschrift

Biebrich

Biebrichs herzoglichen Sommerpalast zu schildern ist weniger das Geschäft der Feder als des Grabstichels, der es oft genug versucht hat, die reizendste Fürstenwohnung am Rhein im glatten Spiegel des Stroms sich beschauen zu lassen oder die schönen alten Kastanien und Trauerweiden des Parks um die haushohe Wassersäule des Springbrunnens im Bild zu wiederholen. Niemand versäume doch in diesem Schloßgarten die zierliche Ritterburg zu besuchen; schon der Aussicht auf dem Turm wegen, die den Rheingau bis Rüdesheim umfaßt und auch das jenseitige Ufer beherrscht. Zu Unrecht bezeichnen sie einige Reisebehelfe als eine künstliche Ruine: sie stellt eine völlig erhaltene Burg dar und ist auf den Trümmern und starken Grundmauern einer wirklichen aufgebaut: der Burg Penzenau bei Mosbach nämlich, von der sich die Penze von Penzenau schrieben. Die erste Nachricht von ihr kommt 1630 vor, damals gehörte sie der hohenstein-penzenauischen Linie; ein noch erhaltenes Glasgemälde am Fenster zeigt die Worte »Philippus von Hoenstein Ritter«. Da Hohenstein katzenellenbogisch war, so scheint es doch nicht so unpassend, daß der Herzog, als er die Burg von der Familie von Holzhausen zur Erweiterung seines Gartens an sich brachte, bei Erneuerung derselben katzenellenbogische Grabmäler aus der Abtei Eberbach dahin bringen und am Eingang wie im Hof einmauern ließ. Zwei andere Denkmäler katzenellenbogischer Grafen aus der St.-Klara-Kirche zu Mainz findet man im Museum zu Wiesbaden eingemauert, namentlich das jenes Diether III., von dem bei St. Goar noch die Rede sein wird, so wie hier das Philipps des Jüngeren, des letzten Sprößlings des Heldengeschlechts, dessen früher Tod beide katzenellenbogischen Grafschaften an das Haus Hessen brachte. Gewiß sind uns hier die echten Gesichtszüge jener geschichtlich höchst bedeutenden Fürsten erhalten. Die Burg, von der Biebrich (Biburc oder »bi der burc«) genannt ist, war nicht diese mosbachische, sondern die etwas höher am Rhein gelegene Amelnburg oder Amöneburg, von der nur schwache Überreste römischer Substruktionen erhalten sind.

 


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