Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Johannisberg

Anders verhält es sich glücklicherweise mit Schloß Johannisberg, das durch Abwerfen des hohen Klosterdachs und die geschmackvolle und gleichwohl einfache innere Einrichtung, die ihm Fürst Metternich geben ließ, seines stolzen Namens »Krone des Rheingaus« erst recht würdig geworden ist. Der Weg führt von Geisenheim aus durch den von dem Klingelbach bewässerten Johannisberger Grund, wie auch die Ortschaft – Weitzels Geburtsort – heißt, die sich darin angesiedelt hat. Dorf Johannisberg liegt dagegen auf der Höhe, nach Geisenheim gewendet, während das reizende Mummsche Landhaus nach Vollrats und Langenwinkel blickt. Der Eingang zum Schloß, das die Mitte des Berges einnimmt, wird von zwei einzeln stehenden Häusern bewacht, dann folgen zwei Flügel, die den Schloßhof umschließen. Durch mit Läufern belegte Gemächer tritt man in den Balkonsaal und heraus auf den Altan unter das goldstrahlende Metternichsche Wappen mit der Fürstenkrone, das jetzt an der Stelle des bischöflich-fuldaischen prangt. »Überrascht wird man aber doch, wenn man auf den Altan des Johannisberger Schlosses tritt. Denn wollte man auch alle schon genannten Orte und Gegenstände wiederholen, so würde sich doch nur dasjenige allenfalls in der Folge dem Gedächtnis darstellen, was man hier auf einmal übersieht, wenn man auf demselben Fleck stehend den Kopf nur rechts und links wendet. Denn von Biebrich bis Bingen ist alles einem gesunden oder bewaffneten Auge sichtbar. Der Rhein mit den daran gegürteten Ortschaften, mit Inselauen, jenseitigen Ufern und ansteigenden Gefilden, links oben die blauen Gipfel des Altkönigs und Feldbergs, gerade vor uns der Rücken des Donnersbergs! Er leitet das Auge nach der Gegend, woher die Nahe fließt. Rechts unten liegt Bingen, daneben die ahnungsvolle Bergschlucht, wohin sich der Rhein verliert.« In dieser kurzen Schilderung Goethes vermißt man nur die Rochuskapelle auf ihrem langen Bergrücken jenseits.

Unter dem Balkon ist die Terrasse mit Orangenbäumen besetzt. Hier zeigen sich die Öffnungen des alten Klosterkellers, der jetzt nur im Notfall, den Gott bald sende – d. h. in sehr ergiebigen Jahren –, gebraucht wird, denn unter dem ganzen Schloß zieht ein anderer her, der 500 Stückfaß hält. Gewöhnlich sieht man aber in der großen Felsenhalle nur einige hundert Stückfässer, mit Blechnummern bezeichnet, in drei Reihen nebeneinander liegen. An ihren Inhalt reicht keine Beschreibung, und nur wenigen Gaumen ist ein Urteil vergönnt. Es genügt, zu sagen, daß ein Stückfaß 1822er um 12 500 Gulden an den preußischen Hof verkauft wurde. Was dem Johannisberger diese Güte gibt, ist nicht der Boden allein, nicht die geschützte Lage an den sonnigen Abhängen, die unseren Süden vom Norden scheiden, nicht der Spiegel des Rheins, nicht die Rheingauer Erziehungsart, nicht die edle Rieslingsrebe, nicht Bau und Dung, sondern mehr als das alles die späte Lese, auf deren Vorteil man durch einen Zufall aufmerksam wurde, da durch die Vergeßlichkeit des Fürstabts von Fulda die von ihm erbetene Erlaubnis zur Lese erst eintraf, als die Trauben schon ganz faul geworden waren. Seitdem wurde die Spätlese eingeführt und selbst noch bei dieser werden die faulen von den gesunden Trauben gesondert, denn jene geben die erste und feinste, die anderen eine geringere Sorte Wein.

Doch wir treten aus Metternichs Schatzkammern wieder ans Licht und werfen noch einen Blick auf die lachendsten, anmutigsten aller deutschen Gefilde. Gleich unter der Terrasse beginnen die etwa 60 Morgen haltenden Weinberge. Die beste Lage, der Oberberg, wird durch das Schloß vor jedem Luftzug, der die Wärme verwehen könnte, geschützt. Tiefer unten liegt die Klause, wohin die Johannisberger Nonnen, die anfangs auch hier mit den Mönchen unter einem Dach hausten, später versetzt wurden. Gesegnete Fluren bespült dann der breit ergossene Rhein, in dem vier grüne Auen sich spiegeln, eine fünfte ist im Werden begriffen. Dazu ist er oft mit Dampf- und Segelschiffen und unabsehbaren Flößen so bedeckt, daß man trockenen Fußes hinüber zu können vermeint. Auch das jenseitige, weniger fruchtbare Uferland beleben doch zahlreiche Dörfer und Höfe, teils ans Ufer, teils an zwei gestreckte Vorhügel gebaut. Diesseits drängen sich die schon besprochenen Flecken und weiter unten Geisenheim, Eibingen und Rüdesheim so nahe zusammen, daß man wohl fühlt, hier sei von jeher ein Eldorado und gut Hüttenbauen gewesen. Wenn nun die Abendsonne die Höhen vergoldet und die Glocken so vieler Kirchtürme Feierabend läuten, der Rhein sich mit Kähnen Lustfahrender oder Heimkehrender belebt, hier und da gejochte Ochsen hohe Karren heimwärts ziehen, weilen die buntgekleideten Schnitter noch gern auf dem Feld, denn sie wissen wohl, für wen sie binden.

Ein andermal bevölkert ein Jahrmarkt die Straße, eine Prozession zieht mit flatternden Fahnen durch das Gewühl, den Bergen und Saaten Gedeihen zu erflehen, blasend und fiedelstreichend schreiten muntere Burschen voraus; aber andere nützen die Verwirrung und necken die wohlbekannten, jetzt fromm blickenden Mädchen, bis der Herr Frühmesser im weißen Chorhemd den Wader tiefer ins Weihwasser taucht und statt der Rebstöcke das übermütige Mannsvolk bespritzt.

Oder wenn in der Weinlese sich alles geschäftig regt, Fässer und Bütten hin und her fahren, in guten Lagen mit Musik in die Berge gezogen wird, wo die fröhlichen Winzer aus dem falben Rebenlaub die alten Volksweisen erschallen lassen: »Es kann ja nichts Schöners erfreuen« oder »Es waren drei Junggesellen«; während der rationelle Weinproduzent Gesang und Traubengenuß verbietet und nur mit wenigen Leuten sorgfältige Vorlese hält, damit man hernach bei seinem Gewächs desto besser singen und fröhlich sein kann – wenn dann unerwartet eine Wolke den nassen Schoß zu öffnen droht, die Helfleute lachend, doch ohne Schadenfreude, mit ihren Kesseln Reißaus nehmen, während die Beteiligten ratlos hin- und herlaufen und das liebe Gut vor dem überflüssigen Segen nicht zu bergen wissen: solche Momente mag der Künstler gern festhalten, und mein anderthalber Vetter, der Maler Simmler zu Geisenheim, hält hier reichliche Ernte.

Den Weingarten Deutschlands, diese sanft geschwungenen Hügel, diese Gefilde voll ionischer Weiche, bewohnen gesunde, lebensfrohe Menschen; wer unter ihnen weilt, überzeugt sich bald, daß sie ein mehr als idyllisches Leben führen, daß sie noch Mark im Gebein und das Herz auf dem rechten Fleck haben, daß auch der Spruch ihnen nicht veraltet ist: Die Luft im Rheingau macht frei. Treu hängen sie an der Sitte der Väter, ohne sich gegen Besseres zu verstocken, dem alten Glauben bleiben sie zugetan, den Heiligen streuen sie Blumen und bekränzen die Bilder, der Mantel des heiligen Martin hat sie so lange warm gehalten; aber Kreuzigung des Fleisches, Selbstgeißelung, Wachen und Fasten vertragen sich mit der Landesart nicht. Erzbischof Ruthart von Mainz, der das Kloster Johannisberg stiftete, und sein Schwager, Rheingraf Richolf, der es ausstatten half – sie taten es zur Buße einer schweren Schuld oder zu Vermeidung kaiserlicher Ungnade, als Teilnehmer des von den Kreuzfahrern an den Juden zu Mainz verübten Raubes: immerhin, wenn sie dadurch ihr Gewissen erleichtert fühlten; aber unnatürlich war es doch, andere, Unschuldige, Männer und Frauen – anfangs unter einem Dach –, zu bußfertiger, untätiger Entsagung mitten in einer Natur zu verdammen, deren Triebe allzu üppig wucherten. Es hat auch nie gut getan, nicht als Kloster, Abtei noch Propstei; St. Benedikt erlebte wenig Freude an seinen Jüngern, nach jeder Reformation brach die alte Sittenverderbnis wieder aus. Hätten hier wie zu Eberbach Zisterzienser gehaust, die sich tüchtig tummelten und mehr als Rosenkranz und Brevier, Hacke und Schaufel handhabten – es wäre viel Ärgernis erspart worden. Den sechs übrigen Klöstern des Rheingaus ging es nicht viel besser; aber sie taten frühzeitig dazu, bekehrten sich zum heiligen Bernhard und nahmen die Regel von Zisterz an.

Das von dem Fürstabt von Fulda erbaute Schloß schenkte Napoleon mit dem Gut dem Marschall Kellermann (Duc de Valmy). Im Jahr 1811 verkaufte dieser den ganzen bevorstehenden Herbst dem bekannten Kaufmann Mumm für die Summe von 32 000 Gulden. Das geschah im Sommer, als noch niemand wissen konnte, ob der Wein auch nur reif werden würde. Es folgte der berühmte, in diesem Jahrhundert noch unübertroffene »Elfte Jahrgang«, und Herr Mumm hatte ein Geschäft gemacht, wie es beim Wein wohl auch nur alle hundert Jahre vorkommt. Es waren 65 Stück, und ein einziges wurde um 11 000 Gulden verkauft. Der alte, sachverständige Pater Keller, ein Benediktiner, war der Unterhändler gewesen. Aus freien Stücken gab der Marschall auch noch die Fässer her. Das erwähnte Mummsche Landhaus am Johannisberg dankt wohl diesem Kauf den Ursprung.

siehe Bildunterschrift

Johannisberg

Als im Jahre 1813 die alliierten Mächte diese Besitzung dem Kaiser von Österreich übertrugen und dieser den Fürst von Metternich gegen den Weinzehnten damit belehnte, da schien sich das Deutsche Reich allein noch im Johannisberg und seinem Wein erhalten zu haben. Worin könnte es wohl, nächst dem Herzen des deutschen Volks, besser aufbewahrt sein? Ist uns doch auch der Hort der Nibelungen nur im Rheinwein erhalten:

Zerronnen in den Wellen des Stroms, der drüberrollt,
Läßt er die Trauben schwellen und glänzen gleich dem Gold.

Wir aber, wie Emanuel Geibel singt:

Wir aber füllen die Römer und trinken in goldenem Saft
Uns deutsches Heldenfeuer, uns deutsche Heldenkraft.

Wenn freilich der edelste Johannisberger nur auf fürstlichen Tafeln prangt, so wünschen wir, daß nie ein Tropfen davon über Deutschlands Gaue hinauswandere, damit er unseren Fürsten allein verbleibe, sie mit deutschem Sinn und überschwenglicher Liebe ihres Landes und Volkes zu tränken.

 


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