Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Die Lorelei

Unterhalb Wesel verengt sich das Rheintal zu schauerlicher Wildheit, aller Anbau verschwindet, an der Schroffheit dieser Kieselschieferfelsen erlahmte der menschliche Fleiß. Schon ist die Enge beklemmend, als plötzlich das unter dem Namen der Lorelei berühmte Gestein sich in den Strom stürzt und den berüchtigten Paß hervorbringt, den der Schiffer und Floßführer mehr fürchtet als das Binger Loch. Indem sich der Strom um den vorspringenden Felsen zwängt und krümmt, teilt ihn ein langer Grund oder Sand in zwei Arme. Der linke, den größere Fahrzeuge wählen müssen (den Talweg rechts, den sogenannten Fabian, pflegen nur Nachen einzuhalten), hat eine pfeilschnelle Strömung, die gegen tiefliegende Felsen getrieben wird. Von diesen zurückprallend bildet das Wasser Wirbel, welche oft die Vorderteile großer Flöße fünf bis sechs Fuß hinabziehen und die Mannschaft untertauchen, von der mancher, der sich nicht an den Balken festklammert, nie wieder heraufkommt. Und ehe das Vorderteil wieder frei ist, gerät das Hinterteil, geraten Flügel und Anhänge in Gefahr, so daß hier die Skylla bei der Charybdis ist. Aber auch die Sirene fehlt dieser modernen Odyssee nicht, sie heißt Lorelei und singt so bezaubernde Töne vom Felsen, daß sie den am Mast festgebundenen Odysseus trotz Wachs und Baumwolle betört.

siehe Bildunterschrift

Lorelei

Die vielen Sagen von der Lorelei kann ich als bekannt voraussetzen, bis auf die nachstehende, deren bis jetzt noch kein Deutscher gedacht hat. Eine Vertiefung im Felsen soll von der Rückseite des Satans einen Abdruck enthalten. Kenner mögen die Ähnlichkeit beurteilen – mir hat er nie die Stirn geboten, ich konnte ihn also auch nicht zwingen, mir den Rücken zu zeigen.

 

Der Teufel und die Lorelei

Das ist des Teufels größter Spaß,
Die schönste Schöpfung zu verderben;
Sie läge, wäre sie von Glas,
Von ihm zerschlagen, längst in Scherben.
Zum Glück gebricht ihm die Gewalt,
Wenn Bosheit ihm die Fäuste ballt.

Er machte, wie der Mylords mehr,
Einst rheinhinauf die große Reise,
Da hob ein Fels sich hoch und hehr
Und warf den Strom aus seinem Gleise:
Das Prachtgestein zerstört' er gern,
Denn wer es sah, lobpries den Herrn.

Er greift mit beiden Händen zu
Und will es von der Stelle rücken;
Doch weil es ihm nicht weicht im Nu,
So stemmt' er an den mächt'gen Rücken:
Da singt die Lurlei hoch vom Rand,
Und Zauber hält ihn festgebannt.

Sie singt von Weh, die schöne Fee,
Und möcht' um Liebe Leben tauschen,
Sie wirbt so hold um Minnesold,
Die Wellen rauschen leis und lauschen:
Dem Teufel ist es scharfe Qual,
Als führ' durchs Mark ihm kalter Stahl.

Sie singt von Lust in fremder Brust,
Wie froh der Mensch da unten lebe,
Wie mit dem Rauch der Hütten auch
Sein Dankgefühl gen Himmel schwebe;
Der Teufel weiß nicht, ob er's glaubt,
Doch ist ihm alle Macht geraubt.

Sie schweigt; da reißt sich Satan los
Und flüchtet zu der Hölle Feuer;
Doch abgedrückt im Felsenschoß
Ist ein geschwänztes Ungeheuer;
Der Schiffer sieht's und sagt im Spott:
»Der ist noch lang kein Herre Gott!«

Der Name Lorelei scheint einen lauernden Felsen zu bedeuten, wobei man an seine als Klippen unterm Wasser verborgenen Füße denken mag, die dem Schiffer gefährlicher sind als das zutage stehende Gestein. Weil er aber die Lorelei (wie die Marlei, die Erpeler Lei – Lei bedeutet Schiefer) heißt, so mag dies, nächst der Stimme des Echos, die ihm entschallt, die leicht erregbare Phantasie der Rheinanwohner veranlaßt haben, ihn als eine schöne Zauberin zu personifizieren. Übrigens ist diese Sage, die allerdings so, wie sie Brentano darstellt, jahrhundertelang im Munde der Schiffer gewesen sein kann, in sehr neuer Zeit erst bekannt geworden; die älteren Reisebücher wissen kein Wort von ihr, und auch der Ruhm des Widerhalls ist so alt nicht, als man glaubt. Wenn seit dem »Rheinischen Antiquarius« ein Reisebuch dem anderen nachschreibt, schon die Minnesänger (Schreiber schreibt gar, die Troubadours) hätten ihn gepriesen, so habe ich schon oben erwähnt, daß kein Wort davon wahr ist. Marner, der gemeint ist, spricht von dem Burlenberg im Breisgau, in dem der Schatz der Amelungen liege; und was das Preisen anbelangt, so war Marner eben nicht sehr in der Laune, zu preisen, denn die Stelle findet sich in einem Schmähgedicht, und zwar auf die Rheinländer, die seine Kunst nicht freigebig genug belohnt haben.

 


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