Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Sinn der Domsage

Der Kölner Dom steht in einem rätselhaften Bezug zu jenem Römerkanal, welcher der Hauptstadt der Germania secunda von den Kalkhöhen der Eifel reines Trinkwasser zuführte. Ich will nicht entscheiden, ob dies der einzige Zweck der wunderbaren Wasserleitung gewesen ist oder ob ihrer noch mehrere waren; so viel ist wohl gewiß, daß der Aquädukt, der von dem Rücken des Osnings – wie wir das Eifelgebirge genannt haben – nach Köln lief, wo eine patrizische Familie nach ihm (von der Aducht) benannt war, nicht derselbe sein konnte, der das reine Kalkwasser des Osnings nach Trier führte. Die Voraussetzung einer solchen Einheit erzeugte im Mittelalter die seltsame Meinung, der Kanal habe den Zweck gehabt, den Moselwein unmittelbar von Trier nach Köln zu schaffen. Vielleicht begleiteten diese Wasserleitungen die von Trier nach Köln führende Militärstraße, damit der durstige Krieger daraus Erquickung schöpfte. Wie dem auch sei, so müssen uns die Reste dieses großartigen Baus in Erstaunen setzen. Leider ist er seit Jahrhunderten zerstört: der Landmann hat die steinernen Rinnen zerbrochen, um den Kalksinter zu gewinnen, welcher sich als Niederschlag des Wassers darin abgesetzt hatte. Dies überzeugt uns zugleich, daß er jahrhundertelang seinen Zweck erfüllt habe. Säulen aus diesem Kalksinter sind an vielen Kirchen des Niederlands, z. B. an der Münsterkirche zu Bonn, verwendet worden.

Merkwürdig genug verlieren sich die Spuren des Römerkanals in dem Dom zu Köln, ja er soll auf den Ruinen des Wasserkastells erbaut sein. Dies gab wohl die nächste Veranlassung zu der sonderbaren Dichtung des Volks, die ich mit schlichten Worten erzählen will: »Als man den Dom zu bauen anfing«, so heißt es, »ging der Teufel mit dem Baumeister eine Wette ein, er wollte eher von Trier bis Köln einen Kanal zustande bringen, als daß der Bau des Doms beendet sein würde. Zum Zeichen dafür solle eine Ente auf dem Kanal einherschwimmen. Und siehe, der Turm des Domkrans hatte eben die heutige Höhe erreicht, als jene Ente erschien, die das Zeichen der für den Baumeister verlorenen Wette brachte. In diesem Augenblick stand der letztere auf dem Turm: er erblickte sie und stürzte sich aus Verzweiflung hinab; sein treuer Hund folgte ihm nach.«

Minola führte dieses Märchen an, um zu zeigen, welcher Ungereimtheiten der Pöbel fähig sei; ich führe es an, um zu zeigen, welcher Tiefsinn in den echten Volkssagen liegt. Die beiden größten Bauwerke des hiesigen Landes – die römische Wasserleitung und der Kölner Dom, die sich durch Zufall auch äußerlich berühren – werden in der Sage zusammengestellt und verglichen. Das eine gehört der christlichen Zeit, das andere dem Heidentum an. Heidenwerke sind dem Volk nach der altkatholischen Ansicht Teufelswerke, der Kanal heißt bei ihm Teufelskralle, wie es anderswo Heidenmauern Teufelsmauern nennt. Was ist aber das Ergebnis des Vergleichs, wodurch unterscheiden sich die beiden größten Bauwerke der heidnischen und der christlichen Zeit? Das heidnische ist fertig geworden, die Ente kam von Trier nach Köln geschwommen; der Kölner Dom steht zur Beschämung des Christenglaubens heute noch unvollendet; der Schmerz des christlichen Volks über den Vorzug, den das starre Heidentum hier vor dem bildsameren, in seinen Entwicklungsphasen dem Schein nach wandelbareren Christentum davonträgt, drückt sich in dem tragischen Geschick des Baumeisters aus. Vergleicht man diese altkölnische Sage, die ich köstlich und nicht minder gehaltvoll finde als die nahverwandte Faustsage, mit dem schalen Machwerk eines eitlen Franzosen, das sie gleichwohl in einer zu Köln erschienenen Sammlung rheinischer Sagen verdrängt hat, so wird man den Unterschied zwischen Dichtung und Lüge begreifen, vielleicht auch die immer seltener werdende Überzeugung gewinnen, daß man Sagen nicht machen, die echten aber, die von selber geworden sind, in gebührenden Ehren halten sollte.

 


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