Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Zweiter Teil. Von Mainz bis Köln und Aachen

Mainz

 

Die Schiffbrücke

»So muß man sich plagen«, ruft ein dicker, freundlicher Mann in einem Kasten, »bis man seine hunderttausend Gulden beisammen hat.« Und behaglich streicht er die Kupferlinge ein, die ihm als Brückengeld entrichtet werden.

Mit wenigen Schritten stehen wir auf der berühmten Schiffbrücke und sehen die weißblauen Fluten des Rheins neben den rotgelben des Mains unvermischt hinfließen, bis sie sich in ihrem Brautbett, dem Binger Loch, im Herabfallen über Klippen vermählen. Vor uns mit seinem majestätischen Dom das einst goldene Mainz, zwar nicht mehr in der Mittagssonne seines Glanzes und Glücks, aber immer noch ein prächtiger Anblick.

Mit welchen Empfindungen betritt man diese Stelle! Hier, wo zwei Hauptströme Deutschlands sich vereinigen, wie oft ist hier sein Schicksal entschieden worden! Seit der erste Dämmerschein der Geschichte auf den Spiegel des Rheins fiel, bis auf den heutigen Tag, haben Römer und Kelten, Burgunder und Hunnen, Alemannen und Franken, Deutsche und Franzosen um den Besitz von Mainz gekämpft. Und wohl war der Preis des Kampfes wert. Seine Lage, wollüstig zugleich und gefährlich, ist der Schlüssel zu allem, was ihm im Lauf der Zeiten Holdes und Schreckliches widerfahren ist. Der Mainmündung gegenüber erschließt es das östliche Deutschland; in der Mitte zwischen der Pfalz und dem engeren Rheintal verbürgt es den Besitz der blühendsten deutschen Lande. Zu dieser teuer bezahlten militärischen Wichtigkeit fügte es im Mittelalter gleichfalls durch seine Lage im Herzen des rheinischen Franken den Glanz der ersten deutschen Bischofsmütze, sein Kurfürst war im Reich die vornehmste Person nach dem Kaiser, ja er stand über ihm, indem er ihn wählte, krönte und nach Belieben absetzte. Jetzt, wo die Inful seinem stolzen Haupt entfiel, behielt Mainz noch drei wesentliche Geschenke der Natur: die ominöse strategische Bedeutung als erster deutscher Waffenplatz, seine Wichtigkeit für den Rhein- und den Mainhandel und die üppige Lage inmitten aller rheinischen, deutschen Herrlichkeit.

Mit Mainz beginnen oder enden die meisten Beschreibungen des engeren, malerischen Rheintals; mit Mainz beginnt auch die unsere. Von vielen Hauptstraßen durchschnitten, die bedeutendste Stadt am mittleren Rhein, der selbst eine Weltstraße ist, in der Nähe von Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt, bildet es den meisten Reisenden gleichsam den Eingang in das Land ihrer Wünsche. Mit den genannten Städten (oder doch mit drei derselben) wird es bald durch die Taunuseisenbahn verbunden sein, welche die Entfernungen verkürzend, ja aufhebend, dieses Viereck, den besuchtesten Winkel der deutschen Erde, in eine einzige Stadt, eine Tetrapolis verwandelt.

Aber vergessen wir unseren Standpunkt auf der Brücke vor Mainz nicht. Wir sehen den Rhein einen Bogen beschreiben, indem er aus der fruchtbaren Pfalz, dem Talland zwischen dem Donnersberg und dem Odenwald, links herströmend sich bei Mainz abermals links wendet, um dem schönen Rheingau zuzufließen. Das im Halbkreis vom Rhein umschlossene Land des linken Rheinufers senkt sich allmählich gegen den Strom hinab, und Mainz liegt nicht ganz am Fuß, sondern zieht sich zum Teil den letzten Hügel hinauf. Wohl deshalb und wegen des jenseits, doch etwas oberhalb, mündenden Mainstroms hat man die Lage von Mainz mit der von Neapel und Konstantinopel verglichen. Letzterer Vergleich würde besser passen, wenn Mainz wie Kassel in dem Winkel zwischen Rhein und Main, nicht diesem gegenüber gelegen wäre.

Wenn die nächsten Höhen hinter Mainz dem Blick nicht gestatten, den Donnersberg zu dessen Departement es einst gehört, und die waldigen Gipfel des Hunsrücks und des Westrichs zu erreichen, so ist dagegen das vom Main geteilte rechte Rheinufer flach genug, um das Taunusgebirge dem Auge nicht zu entziehen. Wir übersehen dessen ganze Kette, von den majestätischen Gipfeln des Feldbergs und des Altkönigs bis zu den niedrigeren, fast an den Rhein ziehenden Höhen über Wiesbaden, wo sich das Gebirge des Rheingaus bis zur Hallgarter Zange anschließt. Weiter können wir, wegen seiner Krümmung, den Strom und das ihn von nun an begleitende Gebirge nicht verfolgen. Aufwärts entzieht er sich dem Blick noch früher; aber auf der linken Mainseite thronen im blauen Duft der Melibokus und der Otzberg im Odenwald, und noch andere Höhen dieses Gebirges ragen über das Vorland des linken Rheinufers, hinter dem der Strom verschwindet, hoch hinaus. Und auch diese Beschränkung tut dem Panorama der Mainzer Brücke keinen Eintrag, vielmehr gibt sie dem Bild erst Rundung und Schluß.

Nun wird es einleuchtend, daß wir die Brücke, auf der wir stehen, der schönen Aussicht wegen berühmt genannt haben. Der ehrwürdige Geschichtsschreiber des Rheinlands, Nicolaus Vogt, pflegte seine Zuhörer dahin zu schicken, damit sie sich von den Schönheiten des Paradieses, mit dem er seine historischen Vorträge zu eröffnen pflegte, einen Begriff machen möchten. Vermutlich sah der patriotische Mann den grünen Halbkranz des Taunusgebirges für die Umzäunung Edens an (Taunus und Zaun war damals eine beliebte – wiewohl unhaltbare – etymologische Zusammenstellung), und die vereinigten Flüsse Rhein und Main verglich er den Strömen von Milch und Honig, die durch den Garten Gottes flossen. Dann ist Mainz wohl das neue Zion, das himmlische Jerusalem in dem wiedererworbenen Paradies, und der majestätische Dom mit seinen sechs Türmen ist der Hohepriester – nach der Ordnung Melchisedechs – in der Stadt des Herrn. Freilich passen solche Bilder besser auf das damalige Mainz, den Sitz des ersten deutschen Kurfürsten, als auf die heutige Bundesfestung, welche man schicklicher dem Cherub mit dem flammenden Schwert vergleicht. Möchte er es immer nur gegen den Erbfeind wenden und uns Eingeborenen des Paradieses dessen ruhigen Besitz sichern!

Berühmt ist aber die Mainzer Schiffbrücke auch durch die Werke, welche sie ersetzen sollten. Gerade unter den Schiffmühlen dort, in der Linie zwischen dem Zeughaus, das ihr an der Bildsäule des Kriegsgotts erkennt, und der Kirche zu Kastel werden noch bei niederen Wasserständen die Pfeiler der alten Römerbrücke sichtbar, deren Erbauung Pater Fuchs, der Geschichtsschreiber des alten Mainz, seinem geliebten Drusus zuschrieb, welche aber, nach der jetzt geltenden Meinung, dem Trajan gehört. Bei dem Wasserstand in den ersten Monaten dieses Jahrhunderts, wenn wir dasselbe schon mit dem Jahr 1800 beginnen, konnten die französischen Ingenieure 18 Pfeiler messen, außer denen bei dem ehemals breiteren Strombett diesseits noch 4, jenseits noch 3, zusammen 25 Pfeiler, gestanden haben. Jeder Pfeiler maß gegen den Strom 36 Schuh, längs dem Strom 54. Der Zwischenraum von einem zum anderen betrug 64 Fuß: mithin hatte die Brücke eine Breite von 54 und eine Länge von 2500 Fuß, so daß auf 100 Fuß ein Pfeiler kam. Durch einen seltsamen Fund entdeckten sich die Urheber dieses Riesenwerks. Am 5. Januar 1819 schaffte nämlich ein Kasteler Schiffer bei dem ersten Pfeiler gegen Kastel einen großen Stein ans Ufer, auf welchem in der Mitte eines Rahmens die Inschrift »LEG. XXII.« eingehauen war. Außerdem fand man ihn mit einem Opferstier und einem Capricorn, den auch sonst bekannten Feldzeichen dieser Legion, verziert. Da die letztere nicht vor dem Jahre 79 aus Palästina, wo sie dem Titus bei der Zerstörung Jerusalems geholfen hatte, nach Mainz kam, wo sie bis zu Konstantins Zeiten blieb, so ist wenigstens so viel unwidersprechlich, daß Drusus jene Brücke nicht erbaut haben kann, der sich zur Verbindung der von ihm gegründeten Festung Moguntiacum mit dem jenseitigen Castellum Drusi, dem heutigen Kastel, einer Schiffbrücke bedient haben muß, wie auch wir wieder damit vorliebnehmen. Die Müller haben gerade diese Stelle des Stroms, welche sie »Auf den Arken« nennen, für ihre Schiffmühlen ausgesucht, weil zwischen den Pfeilern das hindurchdrängende Wasser ungleich stärkeren Trieb hat.

Anläßlich seiner Sachsenkriege ließ Karl der Große eine hölzerne Brücke über Trajans steinerne Pfeiler schlagen. Eginhard, der mit der Ausführung beauftragt war, berichtet, dies in zehn Jahren vollbrachte Werk schien der Ewigkeit trotzen zu wollen. Dennoch wurde es in drei Stunden ein Raub der Flammen.

Da die römischen Pfeiler zu nahe beisammen stehen, als daß die auf ihnen ruhenden Bogen bei starken Eisfahrten der Gewalt des Stroms Widerstand leisten könnten, so sollte die Brücke, welche Napoleon, der dritte große Kaiser nach Trajan und Karl, an der Stelle der heutigen Schiffbrücke aufführen zu lassen gedachte, nur auf 16 Bogen ruhen und die Pfeiler zugleich die Stelle von Eisbrechern vertreten. Ein anderes ihm vorgelegtes Projekt zu einer hölzernen Brücke verwarf er, weil er keine Brücke von Schwefelhölzern wolle, sondern ein Monument aus Granit. Sein Sturz hinderte die Ausführung. Ob aber auch diese Brücke dem Strom länger als die Trajanische getrotzt haben würde – wer kann es behaupten, wer verneinen? Aber schwerlich wäre sie für die Ewigkeit erbaut gewesen. So ruhig und gelassen der Rhein dort unten fließt, nicht mit reißender Eile, sondern mit so königlichem Gang, daß auf der spiegelnden Oberfläche kaum eine Welle seine Bewegung verrät, so furchtbar ist sein Ungestüm, wenn er auf Widerstand stößt. Ganz das Symbol des deutschen Charakters, der in seiner Langmut schwer zu erzürnen ist, aber, einmal in Zorn geraten, alles vor sich niederwirft, hätte er vielleicht die Joche der Brücke, welche ihm Napoleon aufzulegen gedachte, nicht länger ertragen als das deutsche Volk das seine. Herr St. Far, der Urheber des Modells, war, als er Gelegenheit gehabt hatte, einige Eisfahrten des Rheins zu sehen, immer bedenklicher geworden. Zuletzt verfiel er, um seine Brücke nur dem Eisgang des Rheins, nicht auch dem des Mains auszusetzen, bei deren Zusammentreffen sich allerdings oft grauenerregende Massen türmen, auf einen Ausweg. Wollte er etwa die Brücke oberhalb der Mainmündung über den Rhein schlagen? Weit gefehlt. Sein Plan war, die Mündung des Mains zu verändern und diesen Strom erst unterhalb der Petersaue, der ersten jener schwimmenden Inseln, also bei Biebrich, in den Rhein zu führen, wodurch Mainz seine eigentümliche reizende und vorteilhafte Lage eingebüßt hätte. Und so bedauern wir es nicht, daß jener kaiserliche Plan nebst manch anderem unausgeführt blieb.

 


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