Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Kiedrich

Unser Weg führt uns an dem Waldhügel Himmelreich vorbei, von dessen rätselhaftem Gemäuer, die »alte Burg« genannt, auch wir keine Kunde zu geben wissen. Bald erscheint Kiedrich, ein zu Ehren des heiligen Valentin viel besuchter Wallfahrtsort. Wie ein Kind bei der Mutter steht die Michelskapelle neben der größeren Pfarrkirche, und doch ist das Verhältnis eher umgekehrt. Die Kapelle mit dem gotisch durchbrochenen Turmhelm und der künstlichen Schneckenstiege, deren Mittelpunkt drei dünne Säulchen bilden, zeigt den vollendeten Stil des vierzehnten Jahrhunderts. Auch das reiche Blätterwerk am Turm sowie die Spitzbogen der Fenster werden bewundert und vielfach nachgebildet. An der größeren Kirche lobt man Portal, Fassade und das kunstvolle Gewölbe des Chors. Eigentümlich ist das Schnitzwerk der Stühle, deren Meister, Erhart Salnecker von Abensberg, 1510 die mannigfaltigsten Formen aus flachem Grund herausgearbeitet hat. Beide Gotteshäuser liegen am Markt, wo man auch das Amthaus mit zwei Erkern und das Wirtshaus »Zum Engel« findet, dasselbe vermutlich, das aus den Steinen einer zweiten, gleich alten, der heiligen Margarethe geweihten Kapelle gebaut wurde.

Der Name Kiedrich ist für die Vermutung seines römischen Ursprungs, auf die sein Hadenbrunn geführt hat – der überdies kein Heidenbrunnen zu sein braucht –, nicht günstig. Auch er deutet nur, wie der Kedrich (Teufelsleiter) bei Lorch und der Kadrich bei Bingen beweisen, auf die steile Lage des Ortes hin. Auch Scharfenstein, seine Burg, nehmen wir für Schroffenstein. Sie war eine der vier erzstiftischen Landesburgen im Rheingau, welche Mainz erst mit Burgmännern besetzte, hernach zu Lehen ausgab, endlich wohl gar in Allodialbesitz übergehen ließ. Die raubsüchtigen Scharfensteiner trieben es aber so bunt, daß der Erzbischof Peter eine zweite Burg Neuenhaus daneben bauen und im Tal eine Kartause (Petersthal) anlegen mußte, um »die bösen Gesellen mit weltlichen und geistlichen Waffen zugleich zu bekämpfen«, welch letztere diesmal nichts fruchteten. Die Lage von Scharfenstein gleicht denen von Frauenstein und Sonnenberg, die auch beide in einem Talwinkel versteckt liegen; aber der Bergkegel, den Schroffenstein krönt, hebt sich viel höher; auch ist sein runder, von mir unerstiegen gebliebener Turm ansehnlicher, wie auch die noch stehenden Ringmauern auf beträchtlichen Umfang deuten. Die Aussicht, die ich aus dem Ritterschen Schauhäuschen genoß, war beschränkt, reichte aber doch bis an die Türme von Mainz, die hier überall eine große Rolle spielen. Eine französische Gouvernante, die ich nach der Rittersruhe fragte, fand diesen Namen nur allzu passend. Der freundliche Landsitz lag nebst jenem der Freifrau von Nauendorf zu meinen Füßen. Den Freiherrn von Rittern gehört auch der größte Teil des Gräfenberges, ein berühmter, nur wenige Morgen haltender Weinberg, der seinen Namen von den Rheingrafen herleitet.

 


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