Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Mäuseturm

Gewöhnlich rät man, den Niederwald bei Asmannshausen zu erklimmen und bei Rüdesheim herabzusteigen, was wir aber nur denjenigen empfehlen, die aus dem engeren Rheintal kommen; die anderen würden einen unnötigen Umweg machen, um ein verworrenes Bild zu gewinnen. Von Rüdesheim durch das Binger Loch nach Assmannshausen oder Burg Rheinstein in einem Nachen zu fahren, ist freilich hinreißender Zauber; oder man fahre von Bingen nach dem Mäuseturm, lasse den Fährmann an den Quarzfelsen harren, welche die Insel bilden und betrete das Innere der einsamen Warte. Bei einem solchen Besuch überzeugte ich mich, daß diese Felsen und festgefügten Quader niemals Mäuse bewohnten, Mäuse mithin dem verlassenen Turm den Namen nicht gaben noch die Anknüpfung der auch sonst vorkommenden Sage veranlaßten. Wir müssen zu der Ableitung von Muserie-Waffen und Geschütz greifen, womit man freilich Musketen nicht zusammenbringen darf. Mushaus hieß auch ein Zeughaus bei Mainz und ein Teil des alten Braunschweiger Schlosses. Er war also ein Waffenturm, gleich jener Pfalz im Rhein zur Durchsuchung und Anhaltung der vorüberfahrenden Schiffe erbaut, die bei Burg Ehrenfels, dem Mausturm gegenüber, zollpflichtig waren. Seine mit Ehrenfels gleichzeitige Entstehung fällt in die Zeit der deutschen Könige Philipp und Otto. Wenn aber die Sage, die Trithemius zuerst berichtet, sie an Hattos unbarmherzige Härte knüpft, so sollten die Geschichtsforscher, statt die Zeit an ihre Widerlegung zu verschwenden, sich lieber ihren historischen Gehalt aneignen. Vergebens hält man ihr entgegen, welch ein trefflicher Erzbischof Hatto gewesen ist, in welchem Ansehen er schon als Abt zu Fulda bei Otto dem Großen gestanden und welche Verdienste er sich um Reich und Kirche erworben hatte. Nicht im entferntesten, meint Dahl, passe dieses Märchen auf diesen braven, allgemein verehrten Prälaten. Allein wer sagt denn, daß von Hatto II. die Rede sei? Der Name Hatto, aus Harto entstellt, scheint überhaupt nicht beliebt. Auch Hatto I. war ein trefflicher Erzbischof und hieß seines Königs Herz; aber das eben ist aus der Sage zu lernen, daß er keineswegs allgemeine Verehrung genoß, daß Strenge und Härte ihm den Haß des Volks zugezogen hatten, das noch nach Jahrhunderten sein Andenken schmähte. Sang doch auch das Volk Lieder von der Hinterlist, mit der er sich seines Gegners, Adalberts von Babenberg, entledigte. Wir dürfen die Geschichte, da sie am Rhein spielt, wohl erzählen.

Adalbert wurde von dem König, gegen den er sich schwer vergangen hatte, in seiner Burg belagert. Gleisnerisch ermahnte ihn Hatto, des Königs Gnade zu suchen, und versprach eidlich, ihn sicher und heil in die Burg zurückzubringen. Unterwegs sprach der Bischof, der früher eine Mahlzeit ausgeschlagen hatte: »Fürwahr, oft begehrt man, was man erst abgelehnt: ich bin wegmüde und nüchtern.« Da beugte der einfältige Adalbert sein Knie vor dem Prälaten und bat demütig, sein Haus nicht zu verschmähen. Sie kehrten zurück und traten nach eingenommenem Mahl die Reise wieder an. Als sie aber zu Tribur, im Lager des Königs, anlangten, wurde Adalbert ergriffen und als Hochverräter zum Tod verdammt. Da mahnte er Hatto seines Wortes; aber der Verräter versetzte: »Mein Wort hab' ich gelöst, da ich dich zum Imbiß ungefährdet in deine Burg zurückführte.« So wurde Adalbert, weil er auf Hattos Treue zuviel getraut hatte, enthauptet.

Noch ein anderes Stückchen erzählen von ihm Wittekind und Dietmar von Merseburg: »Den Herzog Heinrich zu Sachsen, nachmaligen König Heinrich den Vogler, hatte er mit großen Ehren zu Gast geladen und gedachte ihn in einer silbernen Kette zu erwürgen, was er auch vollbracht hätte, wenn nicht der Schmied, bei dem sie bestellt war, den Verratenen gewarnt hätte, da ließ ihm Heinrich sagen, er habe keinen härteren Hals als Adalbert, und lieber wolle er zu Hause bleiben, als ihn mit vielem Gefolge belästigen.«

Wer solcher Dinge fähig war, der könnte wohl auch zur Zeit der Hungersnot arme Leute, die ihn um Korn ansprachen, in einer Scheuer versammelt und verbrannt, ihr Gewimmer aber dem Pfeifen der Kornmäuse verglichen haben. Daß er dafür von Mäusen lebendig aufgefressen worden sei, diesen so oft wiederkehrenden, sagenhaften Zug erst noch widerlegen zu wollen, ist lächerlich. Wendet man ein, daß auch jene Geschichten von Adalbert und Heinrich nur Fabeln seien, so stimmen wir bei; glauben aber, daß drei voneinander unabhängige Sagen denselben Mann nicht in ganz gleiches Licht stellen würden, wenn sie damit nicht seinen wirklichen Charakter beleuchteten. Die Anknüpfung an Hatto ist also gerechtfertigt: die an den viel später erbauten Mäuseturm erklärt sich aus dem Namen und der Lage mitten im Rhein, die der Mäuseverfolgung erst recht den Anstrich des Wunderbaren gab.

Wenn wir übrigens der viel gewanderten Sage ins tiefste Herz blicken, so sehen wir sie aus einer sehr einfachen Wahrnehmung hervorgehen. Wer viel Korn speichert, der lädt sich die Mäuse gleichsam ins Haus, und gierig verschlingen sie, was hilfloser Armut unbarmherzig versagt wurde. Ist das Korn aufgezehrt, so fallen sie über andere Lebensmittel her, benagen selbst Uneßbares, und so ist es nicht einmal sehr kühn gesagt, daß Kornwucherer von Mäusen geplagt, verfolgt und aufgefressen würden. Diesen bildlichen Ausdruck nun hat die Phantasie ergriffen und zum Märchen erhoben.

 


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