Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Rauenthal

Bei Rauenthal verlassen wir die mühlenreiche Waldaff, die uns sonst wieder nach Schlangenbad führen würde, und besuchen die drei Waldflecken Rauenthal, Kiedrich und Hallgarten, die sich hoch über den Rheinorten, von denen sie durch die Weinberge geschieden werden, am Saum des Waldes in mit dem Rhein gleichlaufender Linie gelagert haben. Von den Reizen dieses Weges, der allen Ausbiegungen des vielgegliederten Gebirges folgt – bald in dunklen Laubschatten taucht, bald wieder ans Licht vor Aussichten blendender Schönheit tritt –, hat der Reisende, der unten auf der breiten Rheinstraße fährt, schwerlich eine Ahnung. Auch wird er dort vom Rheingau nicht den rechten Begriff gewinnen. Er hält es vielleicht für ein ganz ebenes, nur von fernen Höhen begrenztes Land, und seine Rebenberge, wenn er sie vor den nächsten Weingärten bemerkt, sind ihm wohl nur sehr sanfte Hügel. Und so ist es wirklich mit denjenigen, die sich dem Rhein zunächst in die Fläche verlieren, aber sie werden höher hinauf immer steiler; und wo sie den Wald erreichen, zeigen sie sich oft so jäh, daß man den Haingerichtsschlüssen beistimmen muß, welche weiteres Rotten verboten. So hat Rauenthal, das man am Rhein gar nicht bemerkt, weil es sich der Waldaff zuneigt, den Namen von der Schroffheit seines Berges, welchen Mainz, als wuchernde Rottsucht schon alles umher urbar gemacht hatte, gegen einen Weinzins armen Leuten überließ, die bald reiche Leute wurden, denn dieser rauhe Berg, den sie beim Anrotten wohl manchmal verflucht hatten, wie die Flurbenennungen Geierstein und Wißhell (gewisse Hölle) noch zu sagen scheinen, lieferte ein treffliches Gewächs, von dem sich die Mainzer Domherren den Zehnten in natura ausbaten, und jetzt kostet hier der Morgen Weinberg an dreieinhalbtausend Gulden.

Rauenthal ist den Schwalbacher und Schlangenbader Kurgästen durch die verfallene Baben- oder Bubenhäuser Kapelle wohl empfohlen, bei der man eine Aussicht über beide Ufer des königlichen Stroms genießt, wie sie eine Fata Morgana nicht zauberischer schaffen könnte. Das dunkle Waldgebirge mit seinen gewaltigen Eichen bildet einen prächtigen Gegensatz mit den lichtgrünen, so schön ins Tal auslaufenden Rebenhalden. Und dieses Tal, von Mainz bis Bingen, von Kassel bis Rüdesheim in aller Fülle der Fruchtbarkeit prangend, mit blühenden Ortschaften und leuchtenden Palästen übersät, sanft angespült von dem schön gewundenen, auenreichen Strom, umkränzt von weintriefenden, anmutig thronenden Hügeln, überwacht von höheren, aus blauer Ferne herüberblickenden Gebirgen und zuletzt bei Bingen durch ein mächtiges Felsentor geschlossen – wer kann solch ein Paradies schildern? Aber wie auch diese Aussicht das Erhabene mit dem Schönen, Großartiges und Liebliches verbindet, der Rheingau wird doch hier wie auf dem benachbarten Boß am Steinberg nur im Profil, nur von einer Seite gesehen, wie der Tempel des Niederwalds es von der anderen zeigt. Ein Blick über das Ganze läßt sich im Rheingau selber nicht gewinnen, und wir müssen den Leser auf den folgenden Artikel (Nahegau, Ingelheim) verweisen.

 


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