Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Neckartal

Zwischen Mannheim und Heidelberg bildet der Neckar kein eigenes Tal. Von seinem Gebirge verlassen, durchschneidet er quer, in vielfachen Windungen, ein fremdes Tal, das des Rheins, das hier immer noch auf beiden Seiten an die vier Stunden breit ist. Um ein Neckartal zu finden, müssen wir höher hinaufsteigen. Aber verweilen wir erst bei den Neckarmündungen. Nach der Meinung der Gelehrten waren diese in älterer Zeit nicht wie jetzt in der Gegend von Mannheim, sondern der Fluß wandte sich unterhalb Heidelberg rechts und lief längs der Bergstraße hin, um zugleich mit dem Main seine Wasser Mainz gegenüber in den Rhein zu gießen. Noch verraten gewundene Wiesenstreifen, auf denen hin und wieder Anker ausgegraben werden, sein altes Bett. Doch schon in den Römerzeiten muß wenigstens ein starker Arm bei dem heutigen Mannheim gemündet haben.

Mannheim, eine Stadt neuen Datums und des allermodernsten Ansehens, zählt als Ort doch schon ein Jahrtausend. Die Herleitung von Mannus, dem mythischen König der Deutschen, dem Sohn des erdgeborenen Tuisco, ist nicht besser als die von dem eddischen Mannheim, der Wohnung der Menschen. Der heutigen Stadt, die nicht viel über ein Jahrhundert zählt, wollen wir den Ehrennamen einer schönen, der ihr allgemein beigelegt wird, nicht streitig machen; wie weit aber müssen die Begriffe des Schönen und des Malerischen in der Anwendung auf Städte auseinanderliegen! Eine strohgedeckte Bauernhütte würden Maler lieber zur Darstellung wählen als des eleganten Mannheims stolze Paläste. Die breiten, schnurgeraden, im rechten Winkel – A-Quadrat gleich B-Quadrat – sich kreuzenden Straßen, die Mannheim so eigentümlich sind wie Karlsruhe seine Fächergestalt, erregen durch Einförmigkeit und Leere leicht Langeweile. Lieber die engen, krummen Straßen, die winkeligen Gäßchen, die himmelhohen Häuser unserer alten Rheinstädte, denen man es ansieht, daß sie das Produkt der Geschichte sind, daß ein wirkliches Bedürfnis sie hervorrief, als diese hohlen Seifenblasen fürstlicher Willkür. Gleichwohl ist die Lage zwischen Rhein und Neckar für den Handel noch glücklich genug gewählt, und die schon im Bau begriffene Eisenbahn nach Heidelberg wird alles hinzufügen, was der Freund schöner Natur bisher in diesen Flächen vermißte.

Nicht leicht wird ein Deutscher sich in Mannheim aufhalten, ohne das dortige Theater zu besuchen, das in der Geschichte der deutschen Bühne, wenn es eine gibt, ja der Literatur, die nicht zu leugnen ist, eine so glänzende Stelle einnimmt. Damals schien es allerdings, als sollte eine deutsche Bühne sich bilden, als Iffland, Beck u. a. Zierden der Mannheimer Bretter, Dalberg Intendant und unser Schiller eine Zeitlang Theaterdichter war. Hier wurden bekanntlich seine »Räuber« zum ersten Mal aufgeführt. Doch der unvaterländische Sinn der Deutschen und der Mangel alles öffentlichen Lebens trugen auch diese Hoffnungen zu Grabe. Das Mannheimer Haus teilt jetzt das Schicksal aller deutschen Bühnen, französische Vaudevilles und Scribesche Machwerke entweihen es. Bedeutungsvoll zeigt gerade ein Kirchhof zu Mannheim Kotzebues und Sands Begräbnisse. Es war in der Nähe des Theaters, wo der Mann, mit dem der Verfall der deutschen dramatischen Kunst begann, von dem Jüngling ermordet wurde, den der Schmerz über die sittliche Unwürdigkeit der Zeit zu einer Tat höchster Unsittlichkeit fortriß.

Schwetzingen dürfen wir nicht unerwähnt lassen, wäre es auch nur, um eines anderen Begräbnisses zu gedenken. Hebel ruht hier, der rheinische Hausfreund, der gemütreiche alemannische Dichter, dessen »Schatzkästlein« und »Lieder« sein Vermächtnis und Denkmal sind. Den berühmten Schwetzinger Garten, der vielleicht seinesgleichen nicht hat, werden die Verehrer der Gartenkunst höher als wir zu schätzen wissen. In seiner jetzigen Umgestaltung trifft ihn mit Grund kein Tadel, der nicht allen ähnlichen Anlagen den Stab bräche. Eines solchen Hintergrundes, solcher Gesichtspunkte und Fernblicke, bald auf das überrheinische Hardtgebirge, bald auf die Höhen des Schwarzwalds, der Bergstraße oder des Odenwalds, wird sich nicht leicht eine andere zu rühmen haben. Drei Künste: Architektur, Skulptur und Malerei entschädigen diejenigen reichlich, welche die Gartenkunst allein unbefriedigt läßt. Der Eindruck der prächtigen türkischen Moschee mit ihren Minaretts, die eine umfassende Aussicht gewähren, oder des Apollotempels gehört zu den bleibenden. Unter den Skulpturwerken gibt man der Galathee, wie sie dem Bad entsteigt, von Crepello aus carrarischem Marmor gehauen, den Preis.

Die Straße nach Heidelberg, die wir nun einschlagen, führt über Seckenheim, berühmt durch die Schlacht, welche hier Friedrich der Siegreiche, Kurfürst von der Pfalz, gegen verbundene, an Macht überlegene Feinde gewann:

»Kämpfend mengen sich die Scharen,
Hier der Rhein, der Neckar dort;
Doch des Schlachtgewühls Gefahren
Zähmt des Pfalzgrafs herrschend Wort.

Plötzlich winkt er im Gefechte,
Und auf die berittnen Reihn
Rücken seine Lanzenknechte
Mit den langen Dolchen ein.

Schlüpfen untern Bauch der Pferde,
Stechen hin und stechen her,
Roß und Reiter stürzt zur Erde,
Und erschrocken wankt das Heer.

»Flieht, Verzagte! Nicht entlaufet
Ihr der Schande noch der Haft;
Oder freut's euch, so ersaufet
Immerhin in blüh'nder Kraft.

Seht, wie kühl das Wasser ladet,
Hier der Rhein, der Neckar dort;
Streckt die Waffen denn!« Begnadet
Führt er sie zum Schloßberg fort.

»Truchseß, auf! Herbei, ihr Schenken,
Rüstet mir das Siegesmahl:
Liege Purpur auf den Bänken,
Reich umhangen sei der Saal.

Hörner sollen laut erschallen,
Weine fließen weiß und rot,
Fisch und Wildbret teilet allen;
Aber eins gebreche – Brot.« usw.

Von einer Erhöhung des jenseitigen rechten Neckarufers winkt jetzt Ladenburg herüber, das mit seinen altertümlichen Türmen und Toren auch auf einem großen Teil der Bergstraße sichtbar wird. Am bedeutendsten treten die Türme der angeblich von König Dagobert gestifteten St.-Gallus-Kirche hervor. Der Bau ist freilich jüngeren Ursprungs, wie fast die ganze heutige Stadt, deren Anfänge doch in die Römerzeiten reichen. Schon Ausonius erwähnt Lupodunum, das auch ein römisches Bad und viele andere Überreste als eine der wichtigsten Niederlassungen der Römer am Oberrhein bezeichnet. Im Mittelalter war es die Hauptstadt des Lobdengaus, dem es den Namen gab. Auf dem Stahlbühel, so heißt noch jetzt eine Ackergewanne gegen Leutershausen hin, war das Gaumal, wo die Grafen des Lobdengaus unter freiem Himmel die sogenannten Gedinge oder öffentlichen Gerichte hegten, anfangs namens der fränkischen Könige, welchen diese Grafschaft vorbehalten war, dann der Herzöge des rheinischen Franken, zuletzt der Bischöfe von Worms, die auch im zwölften Jahrhundert, während der Empörung ihrer Bürger, hier ihr Hoflager aufgeschlagen hatten. Bis zu unseren Zeiten wurde das Kurhaus Pfalz von den Bischöfen von Worms mit der Grafschaft auf dem Stahlbühel, welche keine andere als die des Lobdengaus ist, mithin auch Heidelberg einbegriff, feierlich belehnt. Die neuere Zeit hat Ladenburg in den Hintergrund gestellt; aber noch heute erinnert seine Saalgasse an den Palast der fränkischen Könige, hier wie überall Der Saal genannt.

Zum Abschied sei noch einer Legende gedacht, die bis auf unsere Tage ein lebendiges Zeugnis hinterlassen hat. Die berühmte sickingensche Familie, vielleicht einst mit der Burgmannschaft des Saals belehnt, war in Ladenburg begütert, die Kirche zeigt ihre Wappen und Grabsteine, ja eine eigene Kapelle ist nach ihr benannt. Mit dieser haben sie eine Stiftung verbunden, die ihr Geschlecht überdauert hat. Ein Fräulein von Sickingen, so meldet die Sage, verirrte sich einst in dem jetzt gerodeten Schwabenheimer Wald. Es war schon spät in der Nacht, als sie den Schall einer Glocke vernahm. Sie erkannte sie als diejenige, die ihr oft vom Turm der St.-Gallus-Kirche zu Ladenburg in die Messe geläutet hatte, folgte der befreundeten Stimme und fand glücklich nach Hause. Seitdem ertönt die Glocke allnächtlich um elf Uhr, und jede Woche läßt der Besitzer des Gutes zum Vorteil der Armen Ladenburgs ein Malter Korn zu Brot verbacken.

Von Ladenburg herkommend genießen wir den Vorteil, Heidelberg zuerst von der rechten Neckarseite zu sehen, wo es sich am Vorteilhaftesten darstellt. Die Natur kennt keine Sprünge, behauptete ein alter philosophischer Gemeinplatz, welchen Hegel widerlegt haben soll. Vor Hegel hatte es längst die Gegend um Heidelberg. Wenn man aus dem unermeßlichen, nur in blauender Ferne von Gebirgen umsäumten Rheintal bei Neuenheim plötzlich in das enge Neckartal einbiegt – welch ein Sprung! Kaum hat die Straße Raum zwischen der schroff ansteigenden Felswand und dem Fluß, der hinter einer Wendung des Gebirges sich bald dem Blick entzieht. Aber erst fließt er durch die Bogen der leicht geschwungenen Brücke, jenseits hebt sich gleich hinter der Stadt ein noch höherer Bergrücken, auf dessen Abhang die schönste und großartigste Ruine Deutschlands in ernster Feier thront.

»Den Weg hinauf« – es sind Goethes Worte – »bezeichnet, durch Bäume und Büsche blickend, eine Straße kleiner Häuser, die einen sehr angenehmen Anblick gewährt, indem man die Verbindung des alten Schlosses und der Stadt bewohnt und belebt sieht.« Es ist, als sähe man Heidelberg in einer Prozession nach dem Heiligtum seiner Bergruine begriffen. Das prächtige Schloß überragt der Geißberg mit den wenigen Mauerresten der älteren Burg, noch höher steigt, mit schöner Waldung und nackten roten Felsenpartien, der Heidelberg hinan, dem die Stadt den Namen verdankt; sein schön gerundetes Haupt, gemeinhin der Königsstuhl genannt, ist jetzt mit einem leichten schlanken Turm geziert, der von Neuenheim aus sehr gut ins Auge fällt. Rasch gleitet der Neckar über durchscheinende Granitblöcke der Brücke zu, hinter der er seine Wasser wieder sammelt und nun mit vollerer Ader sein Gebirge hinter sich läßt. Den Fluß beleben befrachtete Schiffe und Kähne, und es ist gefährlich anzusehen, wie sie im engen, seichten Stromgeleise ruhig und sicher dahinziehen. Selten fehlt es auch, wenn die Witterung günstig ist, an Nachen mit schönen Frauen und angelnden Angelsachsen.

Aber Heidelberg ist wegen ungünstiger, regnerischer Witterung verschrien. Im »Handwerksburschenlied« heißt es von ihm:

Heidelberg ist eine schöne Stadt,
Wenn es ausgeregnet hat.

»Regnet es denn noch immer in Heidelberg?« fragte jener Deutsche, der eine Zeitlang daselbst gelebt hatte, jetzt aber seit Jahren in Paris wohnte, seinen ihn besuchenden Heidelberger Landsmann. Da sich bei dieser Stadt das Neckartal gerade gegen Westen öffnet, so scheint sie mit ihrer Umgegend den Westwinden, die den Regen bringen, allerdings ausgesetzt. Dennoch mag die Klage, wenn nicht ganz unbegründet, doch sehr übertrieben sein. Ich wenigstens bin Heidelberg das Zeugnis schuldig, daß ich immer schönes Wetter dort antraf und daß es in den vierzehn Tagen, die ich noch diesen Herbst dort genoß, nicht ein einziges Mal geregnet hat. Vermutlich entsprang die Beschuldigung aus der Ungeduld der Reisenden, welche die hochgerühmte, unvergleichliche Gegend in so großer Menge dahin zieht und die es leicht wie um den Genuß, so um die gute Laune bringt, wenn zufällig ein Regenwetter in ihren kurzen Aufenthalt fällt.

Wie es aber die schlimmsten Früchte nicht sind, woran die Wespen nagen, so pflegen auch die Gegenden, wo die Klage über schlechtes Wetter am häufigsten und lautesten erschallt, gerade die schönsten zu sein, wie man sich aus den Fremdenbüchern leicht überzeugen kann. Auf dem Rigi, auf dem Montanvert im Chamounital, zu Vevey oder Chillon am Genfer See usw. sind Klagen der Art in allen Sprachen der Welt so häufig eingetragen, daß man glauben müßte, diese Bruchstücke des Paradieses seien das ganze Jahr von einem ossianischen Klima heimgesucht, nichts als Nebel und Regen, wenn nicht hier und da ein Glücklicher in Versen oder Prosa seiner Begeisterung Luft gemacht hätte oder der Reisende selbst solch ein Glücklicher ist. Wenn auf der Brücke zu Heidelberg, auf dem Philosophenweg, dem Riesenstein – vom Turm auf dem Königsstuhl zu schweigen, wo eine ganz durchsichtige Luft erfordert wird, wie sie jährlich nur wenige Tage bieten, um der ganzen unbegrenzten Aussicht teilhaftig zu werden –, wenn da ein solches Fremdenbuch ausläge, so würde man die Verbreiter jenes Gerüchts mit Namen und Vornamen kennen, denn der Unzufriedene läßt seinen Unmut gern schwarz auf weiß aus, während der begünstigte Reisende Besseres zu tun findet, als mit der Feder in der Hand erkenntlich zu sein. Ein Fremdenbuch in diesem Sinne besitzt aber Heidelberg meines Wissens nicht, wohl aber ein besseres, wir meinen das: »Fremdenbuch für Heidelberg und die Umgegend« von K. C. von Leonhard, dem bekannten, ausgezeichneten Naturforscher.

Auf dieses treffliche Buch sowie auf den entsprechenden Artikel in der Sektion Schwaben müssen wir den Leser verweisen, da es hier unsere Absicht nicht sein darf, die dort schon abgehandelte Umgegend Heidelbergs ausführlich zu besprechen. Wir würden sie ganz umgangen haben, wenn sich einige späterhin vorauszusetzende Momente aus der Geschichte der Pfalz, die für das ganze Rheintal so wichtig ist, an einem anderen Ort schicklicher erzählen ließen. Nach dem Plan dieses Werkes sollen Beschreibung und Erzählung, Malerisches und Romantisches, Hand in Hand gehen, und da die Schicksale der Pfalzgrafen, welche Heidelberg und sein Schloß gegründet haben, in der Romantik unserer erzählenden Darstellung nicht entbehrt werden können, so sind wir allerdings berechtigt, das beschreibende, malerische Element, soweit es ohne Wiederholung geschehen kann, hinzuzufügen. Ohnedies ist Heidelberg dem Rhein nicht fremd, es liegt ihm näher, als es Schwaben liegt, seine Kurfürsten nannten sich Pfalzgrafen bei Rhein, nicht in Schwaben; es war das Herzogtum des rheinischen Frankens, welches der Gründer Heidelbergs, Pfalzgraf Konrad – freilich ein Hohenstaufe und somit ein Schwabe –, nach dem Ausgang der rheinfränkischen Könige in Anspruch nahm.

Ehe wir unseren Standpunkt auf der Brücke zwischen den Bildsäulen Karl Theodors und der Minerva verlassen, schauen wir zurück nach der unten mit Reben bepflanzten, oben bewaldeten Bergwand des rechten Neckarufers. Es ist der heilige Berg, auf dem einst ein Abgott mittels gewölbter Gänge Orakel erschallen ließ. In christlicher Zeit trug er zwei Klöster, wovon jetzt nur wenige Ruinen übrig sind. Etwas oberhalb der Brücke gelangt man durch die Hirschgasse auf den Philosophenweg. Am südlichen Gehänge des heiligen Berges zwischen Weingärten hinziehend, läßt er die ganze Lage von Heidelberg und dazu das Rheintal von Baden bis zum Donnersberg – Speyer mit seinem Kaiserdom mit eingeschlossen –, bequem überblicken. Ich wollte, daß alle Philosophen diesen herrlichen Weg täglich wandelten. Welche Philosophie müßte da zutage kommen! Ich würde mich wohl bedenken, eine orthodoxe Dogmatik oder das Augsburger Glaubensbekenntnis samt der Konkordienformel und dem Heidelberger Katechismus zu unterschreiben; aber eine Weltweisheit, zwischen Lusthäusern und Rebenlauben, in der Sonne des Himmels, die der Spiegel des Neckars verdoppelt, im Angesicht der erhabensten Natur auf dem Philosophenweg erdacht – wer wollte sie nicht unbesehen Paragraphen für Paragraphen unterzeichnen?

Um die Schloßruinen zu besuchen, betreten wir jetzt die Musenstadt und drängen uns durch das Gewühl der Reisenden vor dem Gasthaus zum Prinzen Karl nach dem sich hier emporziehenden Burgweg. Da aber eben mehrere Eselkavalkaden hinaufreiten, so zwingt uns unsere Ungeduld, die von den schönen Reiterinnen fast gesperrte Straße bald wieder zu verlassen und den mit steinernen Treppen aufgemauerten Fußweg einzuschlagen, der unter hohen, breitschattenden Fruchtbäumen an dem Sanften Abhang vorbeiführt, wo einst Klara von Dettens Garten stand. Hier war es, wo der siegreiche Friedrich, der uns von Seckenheim her bekannt ist, im Arm der Liebe von Schlachten und Zeitstürmen ausruhte. Er, der Besieger übermächtiger Feinde, der dem Papst und dem Kaiser zugleich zu trotzen wagte, hatte den schönsten Sieg über sich selber davongetragen: Sein Bruder, Ludwig der Sanftmütige, war in blühender Jugend verstorben, und dessen Erbe Philipp, ein einjähriger Knabe, wäre mit der Pfalz ihren Feinden zum Opfer geworden. Da ergriff Friedrich der Siegreiche das Ruder mit starker Hand, ja er nahm auf die dringende Bitte seiner Stände, die den Wunsch des Landes aussprachen, die kurfürstliche Würde an. »Wohlan, ich will euer Kurfürst sein«, sprach er zu den Versammelten im Rittersaal; aber den kleinen Philipp auf den Arm hebend fügte er hinzu: »Und dein Vater, guter Knabe.« Nicht für sich und seine Nachkommen, sondern für seinen unmündigen Neffen wollte er auf dem Schloß seiner Väter herrschen und in schwierigen Zeitläuften die Grenzen des Landes schirmen und erweitern. Ihm zugunsten verzichtete er auf eine standesgemäße Vermählung, schloß »ein geliebtes, nicht fürstliches Weib«, die edle Augsburgerin, die er selbst urkundlich seine Sängerin nannte, an sein Herz, kaufte seinen Nachkommen die Grafschaft Löwenstein, welche sie noch heute besitzen, und ließ sein häusliches Glück von Kemnat, seinem Freund und Lehrer, im Gesang feiern.

»Wer nur ein gefühlvolles Herz hat«, sagt N. Vogt, »kann sich leicht vorstellen, wie süß Friedrich die Umarmung seiner geliebten Klara nach der Schlacht von Seckenheim müsse gewesen sein, wo er die zwei reizendsten Genüsse einer edlen Seele: Ruhm und Liebe, zugleich fand.« Bekanntlich erheben jetzt die regierenden Grafen von Löwenstein-Wertheim, als Sprößlinge aus Friedrichs und Klaras rechtmäßiger Ehe, Ansprüche auf die Nachfolge in den pfalzbayerischen Landen.

Friedrich des Siegreichen Werk ist auch der sogenannte gesprengte Turm, der uns dort, sobald wir vor das mittlere Schloßtor getreten sind, über den breiten Burggraben als ein Wunder der Zerstörung entgegenblickt. Unendlich schöner und malerischer ist dieser Turm in seinen Trümmern, als er in den Tagen seines Glanzes gewesen sein kann. Man möchte der Verheerungssucht der Franzosen Dank sagen, daß sie im Orleansschen Krieg diese fast zyklopischen Mauern auseinandersprengten und so das Innere des gewaltigen Baus unseren Blicken aufschlossen. Das abgerissene Mauerstück, das halb im Graben liegt, halb an das stehengebliebene Gemäuer emporreicht, gewährt den Anblick, als würde es eben von der Gewalt des Pulvers hinweggeschleudert. Zwei übereinander stehende gotische Säulen, von ebenso schönen Formen als gigantischen Verhältnissen, tragen die steinernen Gewölbe der beiden uns durch die Zerstörung eröffneten Turmhallen. Die oberste hat noch einen Überbau mit offener Galerie, aus deren Gestein junge Bäume mit kräftigem Wuchs emporschießen. Da dieser Punkt durch die Schlüsselbewahrerin zugänglich gemacht werden kann, so treten oft hinter dem Gebüsch, das die Turmruine krönt, kräftige Gestalten in Reisekleidern hervor, was eine überraschend schöne Wirkung macht. So vielfach dieser Turm gezeichnet oder in Worten geschildert ist – keine Abbildung, keine Schilderung reichte je auch nur von fern an die Natur, während sonst die Erscheinung eben keine seltene ist, daß sich die Dinge im Bild bei weitem besser ausnehmen als in der Wirklichkeit. Man empfiehlt mit Recht als den vorteilhaftesten Standpunkt die Tiefe des Schloßgrabens, etwa bei dem unteren Fürstenbrunnen, wo Matthison seine berühmte »Elegie in den Ruinen eines Bergschlosses« gedichtet haben soll. Die schöne und gefühlvolle Welt Heidelbergs pflegt sich jetzt in dem gesprengten Turm zu Konzerten und Gartenharmonien zu versammeln, die in solcher Umgebung wahrhaft zauberisch klingen. Oft ist es, als mische sich voller Wohllaut die Stimme Klara Dettens, der geliebten Sängerin des Turmerbauers, oder der prophetische Gesang jener Jetta, der ersten Bewohnerin des Hügels, in die vollen Musikchöre.

Durch den sogenannten Riesenturm, das Haupttor des Schlosses, gelangen wir jetzt in den Burghof, ein Moment, der in unserem ganzen nachherigen Leben Epoche zu machen bestimmt ist, vorausgesetzt, daß wir ihn zum ersten Mal erleben. Der Boden, den wir betreten, ist geheiligt, in Deutschland gibt es keinen zweiten so klassischen Raum, nirgendwo strömt uns wieder diese Fülle der bedeutendsten Erinnerungen entgegen. Aber nur dem Einsamen erscheinen die hehren Gestalten der Vorzeit, nur dem gesammelten Gemüt stehen sie Rede; hier aber entfliehen sie vor dem Schwarm der Gäste, die Silens abscheuliches Tier unterdessen zu ihren geweihten Wohnsitzen getragen hat. Die schaulustigen Fremden pflegen selten viel nach dem Rittersaal in König Ruprechts Bau noch nach Otto Heinrichs geschmackvollem Palast zu fragen, sie kümmert weder der achteckige Turm noch die Ruprechtinische Kapelle; aber das Gewölbe darunter, worin das weltberühmte Heidelberger Faß liegt, muß ihnen aufgeschlossen werden. Statt eines Fasses finden sie da zwei Fässer, ja sie erfahren von einem dritten ältesten, gleichsam dem Großvater des jetzigen größten Fasses. Aber leider sind beide Fässer leer; ein Umstand, durch den sie plötzlich gar sehr in der Meinung der Reisenden sinken, denn was kann es ihnen helfen, daß der hohle Bauch des größeren Faßungetüms 282 200 Flaschen auf einmal zu fassen vermag, wenn der Führer wiederholt versichert, ja die Reisebücher zum allgemeinen Schrecken bestätigen, daß nicht einmal die Nagelprobe darin geblieben sei! Was helfen nun des gekrönten Hofpoeten Joseph Tannenberg fromme Wünsche, die auf der Vorderseite des älteren Fasses den Schluß der Aufschrift bilden:

Gott segne diese Pfalz am Rhein
Von Jahr zu Jahr mit gutem Wein,
Daß dieses Faß und andre mehr
Nicht wie das alte werden leer.

Auch die Reime auf der Rückseite werden jetzt nüchtern gefunden, obwohl sie dem Mann mit der »gepuderten Perücken, drauf Pfalzgrafen Lorbeern drücken«, wie Uhland singt, besser geraten sind. Wir teilen nur die kernigsten mit:

Wenn Jörg von Frundsberg leben sollte
Und seinen Knechten geben wollte
Gewehr und Harnisch, glaubet das,
Sein Zeughaus wäre dieses Faß.

In diesem Faß sind eingeschlossen
Viel schöner Sprüch', auch Schimpf und Possen,
Nachdem in seinem Hirn der Mann,
Der trinkt, den Wein vertragen kann.

Wir können vieler Ding' entbehren,
Auch dies und jenes nicht begehren;
Doch werden wenig Männer sein,
Die Weiber hassen und den Wein.

Der Wein uns fremde Sprachen lehrt,
Der Blöden Herz und Mut vermehrt;
Berauscht man sich, so werden gleich
Der Knecht ein Herr, der Bettler reich.

Der Wein und Gold sind hochgeacht',
Ein jeder Mann nach beiden tracht':
Der Mann bestehet in der Welt,
Der mäßig brauchet Wein und Geld.

Man brauet Bier im Land zu Meißen,
In Sachsen, Pommern, Holland, Preußen;
Gottlob, die edle Pfalz am Rhein
Gibt uns und ihnen guten Wein.

Nur Perkeos holzgeschnitztes Standbild und sein Schwank mit dem Fuchsschwanz erregen wieder Heiterkeit, zumal wenn man erfährt, daß Karl Philipps lustiger Rat, gleich dem König Laurin ein Tiroler Zwerg, doch trotz einem Riesen zu zechen verstand und vor fünfzehn Flaschen großen kurpfälzischen Hofmaßes nicht zurückschreckte. Um so mehr bedauert man ihn, daß er im Tod verurteilt ist, bei leeren Fässern, die ihm im Leben ein Grauen gewesen sein müssen, Wache zu stehen und durstige Gäste mit trockenen Späßen zu unterhalten. Zuweilen ruft wohl ein Engländer nach Hock, d. i. Rheinwein, und gönnt auch Perkeo eine Libation, damit er ein Auge zudrücke über die Walzer und Galoppaden, welche die übrige Gesellschaft sich eben anschickt über dem Spund des Fasses, wo ein Tanzboden ist, aufzuführen. Wer gern tanzt, dem ist leicht gepfiffen, zum Überfluß finden sich ein paar Musikanten dazu, und ehe wir uns umsehen, ist der Ball in vollem Gang. Nun haben wir sie weit genug; die Musik, die aus dem Keller herauftönt, lockt alle neuen Ankömmlinge hinab, und wir können unsere Lieblingsplätze ungestört wieder aufsuchen und die Heldengestalten der ältesten pfälzischen Geschichte zu beschwören suchen.

Drei Punkte sind es, die uns zunächst anziehen. Dem Leser, der je in Heidelberg gewesen ist, werden sie erinnerlich sein. Zunächst der große Altan vor der Nordseite der Burg, mit den beiden Erkern, dann der Stückgarten unter den hohen Linden vor dem kolossalen dicken Turm und dem engländischen Bau, mit dem Blick in Klaras Garten oben auf die efeuumrankte Bildsäule des unglücklichen Winterkönigs, endlich die Terrasse im Schloßgarten, wo die Burgruine sich so groß und edel darstellt, wenn das Auge nicht in die schnellen Fluten des Neckars hinabtaucht oder auf den Ziegeldächern der fröhlichen Musenstadt ruht oder gar, die Windungen des Neckars verfolgend, den Rhein und die blauen Berge des Wasgaus aufsucht. Welche Sonnenuntergänge, welche Mondscheinnächte haben wir hier genossen! Und doch ist es noch schöner, von den wenigen Mauertrümmern der älteren Burg herab den blutigen Tod der Sonne zu erleben, wenn ihr letztes Rot die offenen Fensterbogen der unteren Burg vergoldet, die schweigend zu unseren Füßen liegt und bei dem Blick in das Meer des Glanzes auch ihrer alten Herrlichkeit zu gedenken scheint.

Die Römer sollen zuerst auf dem Kleinen Geißberg, wo hernach das obere Schloß stand, ein Kastell gehabt haben sowie ein anderes jenseits auf dem heiligen Berg. Aus diesen erwuchs in fränkischer Zeit dort die Abrinesburg, hier die sogenannte alte Pfalz, welche von dem Gebirge Heidelberg,Das heißt Heideberg, Mons sylvaticus, nicht Mons myrtillorum, denn an die Heidelbeeren braucht dabei nicht gedacht zu werden. Dieser Ableitung ist Jakob Grimm beigetreten. auf dessen Abhang sie erbaut war, den Namen empfing und ihn auf den Ort übertrug, der zu ihren Füßen lag. Es ist gewiß, daß Konrad von Hohenstaufen, Friedrich Rotbarts Halbbruder, schon ehe er zur Pfalzgrafschaft gelangt war, diese Burg bewohnt hat. Die Grafschaft auf dem Stahlbühel oder im Lobdengau, zu welcher sie gehörte, soll König Dagobert II. sich vorbehalten haben, als er dem Hochstift Worms mit der Stadt Ladenburg, deren Bezug auf diese Grafschaft nun schon bekannt ist, viele königliche Rechte im Lobdengau schenkte. Es scheint aber, daß die Bischöfe von Worms sie unter Heinrich II. an sich brachten und die rheinfränkischen Herzöge aus dem salischen Haus als Schirmvögte ihres Hochstifts damit belehnten. Als der salische Konrad II. den Kaiserstuhl bestieg, besaß sein Vetter, Konrad der Jüngere von Worms, das rheinfränkische Herzogtum, mithin auch unsere Grafschaft. Nach seinem Tod fiel sie auf Kaiser Konrads II. Nachfolger im Reich, so daß sie bis auf Heinrich V. mit dem rheinfränkischen Herzogtum bei den Kaisern blieb.

Von jetzt an bitten wir die Leser, zu bemerken, welche Rolle der Name Agnes in dieser Geschichte spielt. Als Kaiser Heinrich V. kinderlos starb, gingen seine Stammgüter, ja späterhin auch das Reich, durch seine Schwester, die erste Agnes, auf die Hohenstaufen über. Mit Friedrich I., Herzog von Schwaben, hatte sie zwei Söhne, Friedrich und Konrad, jener erhielt Schwaben, dieser Rheinfranken und späterhin als Konrad III. das Reich. Auch wieder Friedrich der Einäugige, Herzog von Schwaben, hatte zwei Söhne, Friedrich und Konrad, jedoch von zwei verschiedenen Gemahlinnen: ersteren gebar ihm Judith, eine Herzogin von Bayern, den zweiten Agnes von Zwei- und Saarbrücken. Judiths Sohn war der nachmalige Kaiser Friedrich Rotbart; der Sohn der zweiten Agnes unser Herzog Konrad von Hohenstaufen. Friedrich hatte von seinem Vater das Herzogtum Schwaben ererbt, seinem Bruder Konrad gab er, als es ihm nach dem Tod seines Oheims Kaiser Konrad III. mit dem Reich anfiel, das rheinfränkische Herzogtum. Außerdem hatte Konrad von seiner Mutter, der zweiten Agnes, viele eigene Güter im Rheintal, besonders im Speyergau und im Wormsfeld, ererbt. Aber noch höher stieg seine Macht, als ihm jetzt sein kaiserlicher Halbbruder auch noch die verwaiste Pfalzgrafschaft zuteilte.

Der bisher etwas trockene Bericht war nötig, um den Leser zu überzeugen, daß das Herzogtum des rheinischen Frankens, wozu auch die Grafschaft Stahlbühel, mithin Heidelberg, gehörte, wirklich auf Konrad von Staufen gekommen ist und daß es kein leeres Vorgeben dieses und der späteren Pfalzgrafen war, daß sie an die Stelle der alten Herzöge von Rheinfranken getreten seien. Von der Pfalzgrafschaft, mit der sich in Konrad das Herzogtum Franken verband, um dann bis auf den Namen zu verschwinden, haben wir schon erwähnt, daß sie, lotharingisch-ripuarischen Ursprungs, zuerst in Aachen auftritt und sich dann allmählich den Rhein hinaufzog. Den Titel eines Pfalzgrafen bei Rhein hatte zuerst Heinrich von Laach geführt. Sein Nachfolger Siegfried nannte sich gar einen Pfalzgrafen der rheinischen Franken. Beide Zusätze drücken schon den Anspruch auf die Pfalzgrafschaft im Herzogtum Rheinfranken aus. Wenn die Pfalzgrafen ursprünglich von den Kaisern eingesetzt waren, um die Macht der Herzöge in Schranken zu halten, so war wohl in jedem Herzogtum ein solcher. Im rheinischen Franken sind aber anfänglich keine eigenen Pfalzgrafen nachzuweisen, vermutlich weil hier die Kaiser selbst Herzöge waren und also keiner Pfalzgrafen bedurften, um ihre Rechte gegen Eingriffe der Herzöge zu wahren. Wenn nun die Pfalzgrafen im Herzogtum des unteren oder ripuarischen Frankens sich schon unter den salischen Heinrichen Titel beilegten, die den Anspruch verraten, auch im oberen oder rheinischen Franken die pfalzgräfliche Würde auszuüben, so können das eben nur anspruchsvolle Titel gewesen sein, zumal diese Pfalzgrafen im rheinischen Franken noch keine Besitzungen hatten. Als aber nach dem Aussterben des älteren lothringischen Hauses der Pfalzgrafen diese Würde Hermann III. verliehen wurde, welcher Stahleck, die bekannte Burg über Bacharach, also an der Grenze Ripuariens und Rheinfrankens, als kölnisches Mannlehen besaß, betrug sich dieser ganz, als wäre ihm die Pfalzgrafschaft auch im oberen Franken übertragen, und befehdete im Bund mit den benachbarten Grafen die geistlichen Fürsten, den Erzbischof von Trier und die Bischöfe von Speyer und Worms, welche unterdes viele dem Kaiser vorbehaltene Rechte und Besitzungen an sich gezogen hatten; und als ihn Arnold, Erzbischof von Mainz, deshalb in den Bann tat, fiel er auch diesem in sein Gebiet und verwüstete es mit Feuer und Schwert. Die Folge war, daß ihn Kaiser Friedrich wegen Landfriedensbruch mit einer schimpflichen Strafe belegte. Der Gram darüber scheint ihn getötet zu haben. Kaiser Friedrich gab hierauf die Pfalzgrafschaft mit allen Besitzungen der früheren Pfalzgrafen, also auch Bacharach und Stahleck, seinem Halbbruder Konrad, der schon Herzog von Franken war. Indem aber dieses Herzogtum mit der Pfalzgrafschaft verschmolz, nannten sich Konrad und seine Nachfolger nicht mehr Herzöge in Franken, sondern Pfalzgrafen bei Rhein. Die Fehde seines Vorgängers Hermann von Stahleck gegen die geistlichen Fürsten setzte er fort, namentlich bekriegte er den Bischof von Worms um die Grafschaft auf dem Stahlbühel, in der er sich, hier auf Heidelbergs älterem Schloß, bereits festgesetzt hatte. Der Kaiser schlichtete den Streit, Konrad nahm den Lobdengau von Worms zu Lehen, und Köln verwandelte zugunsten der dritten Agnes, der Erbtochter Konrads, das Mannlehen Stahleck in ein Kunkellehen. Konrad wählte jetzt Heidelberg zum Hauptsitz seiner Macht, obwohl eigentlich Stahleck noch immer als die pfalzgräfliche, das alte Schloß Heidelbergs als die rheinfränkisch-herzogliche Burg zu betrachten war. Den Ort unter letzterer soll er mit Mauern umgeben und zur Stadt erhoben haben.

Seinen Söhnen Friedrich und Konrad, die ihn aber nicht überlebten, hatte er den heiligen Eberhard, den Sohn seines Burgwarts auf Stahleck, zum Erzieher gegeben, welcher hernach das Frauenkloster Kumbd auf dem Hunsrück stiftete. Diesen trieb ein brünstiges Verlangen zur Lesung der heiligen Schriften, welche ihm sein Vater streng untersagt hatte. Im Schloß zu Heidelberg hoffte er dazu bessere Muße zu finden. Allein auch Konrad, der ganz ein Staufe war, wollte die unbezwungene Heldenkraft seiner Söhne durch mönchischen Unterricht nicht schwächen lassen. Da baute sich Eberhard im Wald hinter der Burg, nach dem Königsstuhl hin, einen kleinen Altar, wohin er täglich kam und betete. Auf diesen stellte er ein gemaltes Bild des Gekreuzigten, das er seinem Psalterium entnahm, höhlte einen Stein aus, goß Wasser hinein und umwickelte, so gut er konnte, Docht mit Wachs, um nachts ein Licht vor dem Altar zu haben, das er durch ein Wunder immer brennend fand, tags aber mit einem Gefäß bedeckte. Der Pfalzgraf pflegte an seinem Hof täglich sieben Arme – an Festtagen zwölf – zu speisen; die Sorge für diese übernahm Eberhard, welcher alles Kostbare ihnen zuwandte, sich selbst aber mit Weggeworfenem begnügte. So heilig war der Mann, daß ihn die Engel von Schönau, dem Zisterzienserkloster im nahen Odenwald, wo Eberhard Mönch wurde, zu mehreren Malen nach Stahleck und wieder zurück trugen. Eberhard hatte in seinem Dienst ein Mädchen, welches Lust zeigte, gleichfalls in den geistlichen Stand zu treten. Diesem sagte er: »Domicella Jutta, oculi tui apparent ita pleni prolibus, ut hoc fieri non posset.«

Noch andere Punkte in der Nähe erinnern an Konrad von Staufen. Zunächst Stift Neuburg, das jenseits des Neckars, da, wo er in das Tal eintritt, welches Heidelbergs heilige Ruinen beherrschen – dem noch zu erwähnenden Wolfsbrunnen schier gegenüber auf einem anmutigen Rebenhügel liegt, von welchem noch einige Pfeiler der schönen Brücke gesehen werden. Um das Jahr 1048 hatte hier Anselm, ein edler Franke, auf den vielleicht römischen Grundmauern seiner Altenburg, die er von Lorsch zu Lehen trug, Mönchszellen und eine Kirche erbaut. Jene schuf Konrad, auf Antrieb seiner Gemahlin, in ein Frauenkloster um und setzte ihm seine eigene Tochter Kunigunde als erste Äbtissin vor. Später wurde es in ein adeliges Fräuleinstift verwandelt. Der reizende Weg dahin führt über den Haarlaß, ein Name, der daraus erklärt wird, daß hier die dem Kloster gewidmeten Jungfrauen die Zierde ihrer Locken zum Opfer brachten.

Eine kleine Meile von Neuburg, doch schon im Odenwald, liegt in einem stillen, von der Steinach bewässerten Wiesengrund das Städtchen Schönau, das von der schon erwähnten, einst sehr reichen Zisterzienserabtei den Namen, das Dasein aber von französischen Flüchtlingen, meist Tuchwebern, empfing, die, aus Gewissenszwang aus ihrem Vaterland flüchtend, hier nach Aufhebung des Klosters eine Freistätte fanden. Burkard, Bischof von Worms, nicht der Gesetzgeber und Erbauer des Doms, sondern der andere des Namens, hatte, von der Abgeschiedenheit des Ortes angezogen, das Kloster zu Ehren der Heiligen Jungfrau gestiftet. Pfalzgraf Konrad, der es zu seinem Erbbegräbnis erwählte und kurz vor seinem Tod noch reichlich begabte, ist mit seinen ihm vorangegangenen Söhnen – auch mit Gemahlin und Enkel – in der Kirche begraben. Aber Kloster und Kirche sind bis auf einen großen Torbogen im strengen vorgotischen Stil zerstört, das Kapitelhaus von neuem zum Gottesdienst eingerichtet; und welcher fromme Deutsche jetzt zu dem Grabmal Konrads von Hohenstaufen wallfahrten will, der muß in den Keller eines Tuchmachers hinabsteigen und die ohnedies nicht allzu lesbare Inschrift und den seltsamen Schwan des Wappens mit spärlichem Lampenlicht beleuchten. – Die Legende der heiligen Hildegunde von Neuß, die als Bruder Joseph zu Schönau im Noviziat verstarb und wegen der keuschen Sorgfalt, womit sie ihr Geschlecht verhehlt hatte, in den Kalender kam, ist bei Cäsarius nachzulesen. Sie gehört zu den Kruditäten der Zeit, welche für unseren Geschmack schwer zuzurichten sind.

Nach Konrads Tod fiel die Pfalz durch seine Erbtochter Agnes an deren Gemahl, Heinrich von Braunschweig, den Sohn Heinrichs des Löwen. Von dieser Verbindung, die den alten Streit der Weiblinge und Welfen beizulegen schien, erzählen wir das Nähere schicklicher bei Bacharach: die gewünschten Früchte gingen aber nicht aus ihr hervor, denn der Pfalzgraf Heinrich zeigte sich zwar anfangs getreu, konnte aber doch den Welfen nicht verleugnen, denn in dem Streit der Gegenkönige Otto IV. und Friedrich II. ergriff er die Partei seines Bruders gegen Friedrich von Staufen. Dies war der Anlaß zur Erhebung des wittelsbachischen Hauses, das noch heute in den pfalzbayerischen Landen herrscht. Kaiser Friedrich II. verlieh, da den Pfalzgrafen Heinrich die Reichsacht getroffen hatte, dem Bayernherzog Ludwig von Wittelsbach aus dem Stamm der Schyren die Pfalzgrafschaft. Aber noch war Heinrich von Braunschweig mächtig am Rhein, und als Ludwig nach Heidelberg kam, um die Pfalz in Besitz zu nehmen, wurde er gefangen nach Schönau gebracht und mußte sich auslösen. Nur durch Unterhandlung mit Heinrich und Verlobung seines Sohnes Otto des Erlauchten mit Heinrichs Erbtochter, der vierten Agnes, gelang es ihm, die Pfalz an sein Haus zu bringen.

Otto dem Erlauchten gebar die Pfalzgräfin Agnes zwei Söhne. Der ältere war Ludwig der Strenge, dem bei der Teilung der Lande die Pfalz und das Herzogtum Oberbayern zufielen, während Heinrich Niederbayern mit der väterlichen Burg Landshut erhielt. Für Oberbayern baute sich Ludwig in München eine neue Hofburg. Er selbst ist in Heidelbergs altem Schloß geboren und gestorben. Ein entsetzliches Beispiel der Strenge, von der er genannt ist, gab er in dem blutigen Gericht, das er über seine unschuldige Gemahlin, Marie von Brabant, ergehen ließ. Wir werden im Nahetal darauf zurückkommen.

Ludwigs Regierung fiel in die traurigen Zeiten des Zwischenreichs. Er aber trug zu dessen Beendigung wesentlich bei, indem er bei der Wahl für Rudolf von Habsburg den Ausschlag gab. Zum Lohn erhielt er Mechtilde, die schönste der Töchter des neuen Königs der Deutschen. Von dieser seiner dritten Gemahlin hinterließ er zwei Söhne, Rudolf und Ludwig, jener der Pfälzer, dieser der Bayer genannt, denn dem einen war die Pfalz, dem anderen das Herzogtum Bayern zuteil geworden. Ludwig der Bayer war es, der nachmals mit Friedrich dem Schönen von Österreich, nach Schillers Worten, »um das Szepter Germaniens stritt«. Rudolf der Pfälzer hatte gegen seinen eigenen Bruder für Friedrich von Österreich Partei ergriffen. Dennoch siegte Ludwig, Rudolf flüchtete nach Österreich und starb, seiner Länder beraubt, im Elend. Doch seiner unschuldigen Söhne nahm sich Kaiser Ludwig an und setzte den ältesten, Adolf den Einfältigen, in das Erbteil seines Vaters wieder ein. Von diesem stammen alle späteren Kurfürsten und Pfalzgrafen bei Rhein, ja sein Geschlecht blüht jetzt auf Bayerns Thron, nachdem das Haus Bayern, das von Kaiser Ludwig stammt, im Jahr 1777 mit dem letzten Kurfürsten Maximilian Joseph erloschen ist.

Rudolf der Pfälzer, auch der Stammler genannt, verließ zuerst das alte Schloß Heidelberg und baute ein neues auf dem Jettenbühel, zu dem wir jetzt wieder herabsteigen. Auch hier soll schon früher, vielleicht von Römerzeiten her, eine alte Burg sich erhoben haben; wenigstens stieß man später, bei Erbauung des neuen Hofs, auf uralte Grundmauern. Vergebens späht das Auge des Geschichtsforschers durch das mythische Dunkel, das die Vorzeit dieser Stätte umschleiert. Thomas Leodius erzählt in seinen »Altertümern Heidelbergs« aus einem alten Buch, das er von einem gewissen Joh. Berger empfangen haben will, folgende Überlieferung:

»Um die Zeit, wo Velleda die Jungfrau bei den Brukterern herrschte, bewohnte jenen Hügel, wo jetzt Schloß Heidelberg steht und der noch heute Jettenbühel genannt wird, eine Greisin mit Namen Jettha und hielt sich in einem uralten Bethaus auf, dessen Überreste wir erst neulich sahen, als Pfalzgraf Friedrich, da er Kurfürst geworden war, das herrliche Haus erbaute, das der Neue Hof genannt wird. Durch Weissagungen berühmt, erschien diese Frau, um ehrwürdiger zu bleiben, nur selten vor den Augen der Menschen und gab denen, welche sie um Rat fragen wollten, ohne ihr Antlitz zu zeigen, aus einem Fenster Antwort. Unter anderem sagte sie vorher und sang es in kunstlosen Liedern, ihrem Hügel sei es vom Schicksal bestimmt, in künftigen Zeiten von königlichen Männern, die sie namentlich nannte, bewohnt, gepflegt und geschmückt zu werden, und das Tal unter ihm würde von zahlreichem Volk angebaut und mit glänzenden Tempeln geziert sein. Doch um endlich von dem märchenhaften Altertum zu scheiden, wollen wir ausheben, was jenes Buch von dem unglücklichen Tod dieser Jettha enthielt. Einst bei dem anmutigsten Wetter verließ sie die Kapelle, um sich durch einen Gang nach den Bergen zu erholen, bis sie an einen Ort gelangte, wo die Berge ein Tal bilden und die schönsten Brunnen an vielen Stellen hervorsprudelten, worüber sie sich höchlich erfreute. Sie setzte sich nieder, zu trinken, als plötzlich eine hungrige Wölfin mit ihren Jungen aus dem Wald hervorbrach, welche das Weib, das umsonst zu den Göttern rief, sobald sie es erblickt hatte, zerfleischte und in Stücke riß. Dieses Ereignis gab dem Brunnen, der durch Annehmlichkeit des Orts jedermann bekannt ist, den Namen, denn er wird noch heute Wolfsbrunnen genannt.«

Grimm urteilt von dieser Erzählung, es werde sich jetzt schwerlich sondern lassen, was daran echte Sage sei und was die Gelehrsamkeit des sechzehnten Jahrhunderts zur Verherrlichung der Pfalz und Heidelbergs hinzugedichtet habe. Das geheimnisvolle Fenster möge dem Turm der Velleda nachgebildet sein. Uns scheint schon die Berufung auf diese Velleda, die dem Volk nirgends im Andenken geblieben ist, von übler Vorbedeutung. Der Name Jettha erinnert freilich an die Jötunne, Riesen des Nordens, allein er kann aus Jutta entstellt sein, was um so wahrscheinlicher wird, als eine andere, gleichfalls fabelhafte Nachricht einer Jutta, Gräfin im Kraichgau, gedenkt, der zuliebe auf diesem Hügel ein Schloß und eine Kirche in dem benachbarten Dörfchen Schlierbach erbaut worden seien. Da nun Urkunden auch eine Schlierburg erwähnen, so hat man nicht ohne Grund vermutet, diese möge es gewesen sein, welche einst an der Stelle des Neuen Hofs über noch sichtbarem altrömischem Mauerwerk auf dem Jetten- oder Juthenbühel erhöht war.

Der nordische Klang des Namens Jettha hat die Dichterin Amalie Helwig verführt, in ihrer »Sage vom Wolfsbrunnen« die von deutschen Gelehrten willkürlich erfundenen Züge der Erzählung mit einer echten, aus der »Heimskringla« entliehenen, nordischen Sage zu durchflechten, Walküren, Nornen und Asen verschwenderisch beizumischen und daraus ein schillerndes, buntscheckiges Märchen zu brauen, dem nichts fehlt als der Schein der Wahrheit.

Die Feste, die Rudolf der Pfälzer auf dem Jettenbühel gründete, ist, mannigfach verändert und ausgebessert, noch in dem sogenannten alten Bau vorhanden, dessen an der Westseite des Schloßhofs dicht neben dem tiefen Burggraben trauernde Ruinen sich vom Stückgarten aus am ehrwürdigsten darstellen. Hiermit hatte Rudolf den bescheidenen Anfang zu der Reihe großartiger Gebäude gemacht, welche seine Nachfolger in den kommenden Jahrhunderten nach und nach auf dem Jettenbühel erhoben, bis der Schloßhof nach allen vier Seiten damit umgeben war. Und gleichwie er den ersten Stein zu den glanzvollen Gebäuden gelegt hatte, die einst hier erstehen sollten, so stiftete sein Sohn Rupert I., auch der Rote genannt, in der zu ihren Füßen liegenden Stadt die Universität, die älteste Deutschlands – wenn wir von Österreich absehen –, die gewiß nicht bloß für die Pfalz, sondern für unser ganzes geistiges Leben eine viel höhere Bedeutung erlangte, als Rupert ahnen konnte. Mit Recht hat man sie die Wiege wissenschaftlicher Bildung in Süddeutschland genannt. Daß sie dies werden konnte, dazu mag nächst der herrlichen Natur umher, welche wohl geeignet ist, die Brust des Jünglings mit hohen Entschlüssen zu erfüllen, auch die geschichtliche Wichtigkeit der Lage zu den Füßen der erhabenen Schloßtrümmer beigetragen haben.

Derselbe Rupert gründete auch die schon erwähnte Ruprecht-Kapelle, die einst nach dem Ausspruch eines Papstes, der es wohl wissen konnte, die reichste Kapellmeisterei in Deutschland war. Aber wichtiger und besser erhalten sind die Gebäude des dritten Rupert, die wir gleich beim Eingang zur Linken finden. Der Fremde wird nicht versäumen, den jetzt wiederhergestellten Rittersaal, die Wendeltreppe in dem achteckigen Türmchen und den mit geschmackvollen Arabesken verzierten Kamin im oberen Stock zu betrachten. Aber schon über dem Eingang bewunderte er den von Genien getragenen Rosenkranz, und an der äußeren Wand blieb ihm der einfache Reichsadler der Deutschen nicht unbemerkt. Im Inneren kehrt dieser nebst anderen Wappenschilden, worunter der gekrönte Löwe, den die Pfalz von den rheinfränkischen Herzögen erbte, an den Schlußsteinen der Kreuzgewölbe mehrmals zurück. Er bezeichnet den Erbauer als jenen Rupert, den die bei Rhense versammelten Kurfürsten im Jahr 1400 nach Absetzung des faulen Wenzel zum römischen König koren. Noch einmal blühte da in Deutschland die Hoffnung, es werde sich in diesen gesegneten Gauen, wo einst die salischen Kaiser geboten, ein mächtiger Staat, eine starke Vorhut des Reichs gegen den gallischen Erbfeind gestalten. Aber auch diese Wahl trug gleich jener Adolfs von Nassau und des luxemburgischen Heinrichs dem Reich keine Frucht. Der Pfalz hatte zwar König Rupert viele Reichsländer auf dem linken Rheinufer vereinigt und durch Vermählung seiner Söhne an Sponheimer und Veldenzer Erbtöchter zu weiterer Vergrößerung den Grund gelegt; nach seinem Tod wurde sie aber durch die Teilung des Hauses in mehrere Linien sowie des Landes in ein unveräußerliches Kurtum und mehrere erbliche Fürstentümer wieder geschwächt. Mit Otto Heinrich, dessen prächtiger, königlicher Bau das Schönste ist, was der Schloßhof darbietet, starb die älteste Kurlinie aus, worauf die Simmernsche an die Stelle trat. Diese hatte sich schon früh in mehrere Nebenlinien geteilt, worunter die Zweibrückische, die sich wieder in eine Neuburgische, Birkenfeldische usw. verzweigte, am längsten blühte. Alle diese Nebenlinien kamen nacheinander an die Reihe, und dem jüngsten Reis fiel nach dem Aussterben des Hauses Bayern auch dieses Land zu.

Die Pfalz ist aus der Reihe der deutschen Staaten verschwunden, nur der überrheinischen, die gewöhnlich Rheinbayern heißt, ist der alte Name neuerdings wieder zugeteilt, während Heidelberg und die pfälzischen Länder des rechten Rheinufers sich unter badischem Zepter glücklich fühlen. Aber schon früher lag der glänzende Herrschersitz auf dem Jettenbühel in Schutt und Trümmern. Was die doppelte böswillige Zerstörung der Franzosen im Orleansschen Krieg übriggelassen hatte, das nahm der Blitz des Himmels 1764 hinweg. Karl Theodor gab nun seinen Vorsatz, in den Trümmern der väterlichen Pfalzen eine neue Wohnung zu gründen, auf, er hatte, wie der »Führer durch Heidelbergs Schloßruinen« meint, im rollenden Donner eine himmlische Stimme vernommen: »Nie soll mehr Geräusch des Hofes die heilige Einsamkeit stören, dem Geist der Dichtung geweiht und der landschaftlich bildenden Kunst.« Die letzten Worte beziehen sich auf das Atelier des unermüdlichen Künstlers Karl von Graimberg, dessen zahlreiche Abbildungen des Schlosses und aller seiner Teile der Leser wohl oft zu bewundern Gelegenheit hatte. Es befindet sich in den Überresten des schon erwähnten Neuen Hofes.

Unsere Absicht, die wichtigsten Momente aus der älteren Geschichte der Pfalz, an welche wir später anknüpfen müssen, hier einzuflechten, ist nun erreicht. Wir scheiden von Heidelberg, um noch einige Blicke in das höhere Neckartal zu werfen. Das benachbarte Neckargemünd ist nach der Mündung der Elsenz benannt, die einst einem Gau den Namen gab. Die Gaugrafen hatten auf dem Dilsberg, Neckarsteinach gegenüber, ihren Sitz. Das Städtchen auf dem hohen Bergkegel, mit der weiten Aussicht in den Elsenzgau, verdient, gleich den Ruinen des sogenannten Schlosses, schon seiner Beschränktheit und rührenden Ärmlichkeit wegen einen Besuch. Von Neckarsteinach dürfen wir nur das Wirtshaus Zur Harfe erwähnen, dessen Name eine sehr alte Erinnerung bewahrt. Einer der Bligger von Steinach, die schon in Lorscher Urkunden des zwölften Jahrhunderts vorkommen, wird der Minnesänger gewesen sein, von dem in der sogenannten »Manessischen Sammlung« Lieder erhalten sind. Auch als epischer Dichter wird er genannt, aber sein hochgerühmtes Gedicht »Der Umhang« ist uns leider verloren gegangen. Von ihm könnte die Harfe im Wappen der Steinacher herrühren, die man noch über dem Tor der Vorderburg findet. Nur das erregt Zweifel, daß Gottfried von Straßburg in der bekannten Stelle des »Tristan«, wo er diesen Dichter preist, auf die Harfe in seinem Schild schon anzuspielen scheint:

Sin zunge, diu die harpfe treit,
sî hat zwô volle sælekeit:
daz sint diu wort, daz ist der sin;
diu zwei diu harpfent under in
in mære in fremdem prîse.

Der Ausdruck, seine Zunge trage die Harfe, hat etwas Gezwungenes. Man möchte den gekrönten Sarazenenkopf, der freilich nach der Sage erst später mit der Harfe verbunden wurde, hinzunehmen, um ihn zu erklären. Ulrich, Landschad von Steinach, dessen Grabmal mit der Jahreszahl 1369 die Kirche bewahrt, soll nämlich, um die Schmach des Stegreiflebens von seinem mit dem Namen Landschaden gebrandmarkten Geschlecht wegzunehmen, das Kreuz wider die Ungläubigen ergriffen und Wunder der Tapferkeit verrichtet haben. Es glückte ihm, einen Anführer der Sarazenen zu erschlagen, worauf ihm der Kaiser mit seiner Gnade die Erlaubnis erteilte, den Heidenkopf in sein Wappen aufzunehmen. So meldet die Sage; obige Stelle Gottfrieds scheint aber für das Landschadensche Wappen, »ein gekröntes Greisenhaupt auf der Harfe, über die der reiche Haarwuchs des Kopfes und Bartes herabwallte«, ein viel höheres Alter zu beweisen.

 


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