Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Eintritt ins große Rheintal

Hinter den letzten Rheinfällen beginnt eine neue Periode in der Jugendgeschichte unseres Stroms. War er bisher wie ein unbändiger Knabe auf unwegsamen Pfaden einhergelaufen und hatte sich selbst eine Straße durch Wald und Gebirge gebrochen, so führt ihn nun bald sein guter Genius in ein herrliches, weites Tal, das die wohlwollende Natur eigens für ihn geschaffen zu haben scheint. Die Berge, die bisher seinen Lauf beengt, ja behindert hatten, ziehen sich zu beiden Seiten zurück, und ein reiches, gesegnetes Vorland legt sich zunächst an seine Ufer, der Wasgau links mit seinen rauschenden Eichen, zur Rechten der tannenstarrende Schwarzwald. Beide Gebirgszüge, die sich von der Schweiz bis zur Rheinpfalz erstrecken, bilden ein langes, geräumiges Felsenbecken, mit dessen Großartigkeit sich kein anderes Flußtal vergleichen darf. Indem der Rhein es erblickt, ist es, als wäre der Vorhang hinweggehoben, der den Schauplatz seiner künftigen männlichen Taten verhüllte. Jauchzend ahnt er seine große Bestimmung und lenkt freudig in das majestätische Gebirgstal. In diesem verbindet er zwei der fruchtbarsten, schönsten deutschen Länder: Baden und Elsaß; denn welcher Friedensschluß könnte uns verbieten, ein deutsch redendes Land deutsch zu nennen? Beide langgestreckten Länder liegen noch innerhalb des Tals seiner nächsten Bestimmung, dessen kolossale Weite sich darnach ermessen läßt. Bieten sie ihm erst auf der linken Seite, dann auch auf der rechten, nur ebene, wenig abwechselnde Ufer, so gebricht es ihnen gleichwohl nicht an erhabener Schönheit, weil die Belchen des Schwarzwalds bzw. Ballons des Wasgaus im Hintergrund dieser reichen, gesegneten Marken ihre parabolisch gestalteten Häupter erheben. Beide Gebirgsketten fallen zwar ziemlich steil gegen den Rhein ab, doch verzweigen sie sich, namentlich auf der badischen Seite, so mannigfach, daß diese Gegenden an landschaftlichen Reizen reich genug bleiben.

Bald werden hier beide Seiten des Rheintals von Eisenbahnen durchschnitten sein, deren Bau soeben in Paris und Karlsruhe mit einem Wetteifer beschlossen wird, der den Bewohnern höchst erfreulich sein muß. Dann sieht man es auch hier so von Fremden wimmeln wie auf den unteren Stromstrecken, welchen sie die Dampfschiffe, ein nicht so schnelles, aber angenehmeres Transportmittel, scharenweise zuführen. Ohne Zweifel werden aber die meisten Reisenden die badische Seite vorziehen, wo für ihre Aufnahme schon jetzt besser gesorgt ist und wo die eigenen Reize des Landes, wie die der herrlichen Seitentäler, die sich überall öffnen, sie viel dauernder fesseln können. Was das mit Recht gepriesene Elsaß dagegenzustellen hat, ist vielleicht an sich nicht geringer anzuschlagen, doch liegt es weiter vom Rhein ab und steht weder mit sich noch mit anderen vielbesuchten, schönen Gegenden in einem so großartigen Zusammenhang. Die meisten werden sich also wie bisher mit einem Abstecher nach Straßburg begnügen, um von der Plattform des Münsters oder von der Laterne des Turms herab das weite Elsaß zu überblicken.

Unterhalb der Rheinfälle scheint der Rhein die Kinderschuhe ausgetreten zu haben. Er ist nach einem rheinischen Ausdruck brotstark geworden, das heißt, er hat Kraft genug gewonnen, sich sein tägliches Brot zu verdienen. Zwar hatte man ihm schon früh kleine Geschäfte aufgetragen, z. B. ein Mühlrad umzudrehen, Scheitholz fortzuwälzen, Flöße, Kähne, selbst schwächere Schiffe ein paar Meilen weit zu tragen; aber auf eine längere Strecke durfte man ihm letztere nicht ohne Gefahr anvertrauen. Von nun an hat dies keine Bedenken mehr, obgleich man ihn noch gerne schont und, das Maß seiner Kräfte bedenkend, seinem Rücken nicht zu schwere Lasten aufbürdet. Auch die Vorsicht befiehlt dies, denn noch hat er seine Knabenwildheit nicht ganz abgelegt, noch versinkt er oft in Gedanken und wütet unbesonnen gegen seine Ufer, reißt Baumstämme mit der Wurzel aus und führt sie in sein Bett, wo sie das Wasser dem Schiffer verbirgt, der ihm mit größeren Segelfahrzeugen als den schon erwähnten Lauertannen im heftigen, durch die vielen Auen, die er umfließt, gereizten Strom nicht schnell genug ausweichen könnte. Daher wagt er sich mit eigentlichen Transportschiffen selten höher als bis Straßburg hinauf. Nur die kühnere Dampfschiffahrt will ihre Herrschaft künftig bis Basel ausdehnen.

Von Rheinfelden gelangte der Rhein nach Augst, der ehemaligen Augusta Rauracorum, jetzt zwei in die Ruinen der alten Kaiserstadt gebaute Dörfer, Basel und Kaiseraugst, wo sich an die römische Wasserleitung das sogenannte Heidenloch mit der rührenden Sage von der Schlangenjungfrau und dem armen Leonhard knüpft, der mit dem edelsten Schatz, der Unschuld, auch die Hoffnung verlor, durch den Kuß der Schlangenjungfrau die höchsten irdischen Schätze zu gewinnen. Mitten durch Basel wälzt sich dann die blaugrüne Woge, am Kloster Klingental vorbei, das der Minnesänger Walther von Klingen gestiftet hat, unter der Brücke durch, die Groß- und Kleinbasel verbindet, wo der Lell- oder Laienkönig, das Wahrzeichen der Stadt, nach den Schwingungen des Perpendikels der Turmuhr den Kleinbaslern Gesichter schneidet. Hierüber und wegen jener Schlangenjungfrau geben meine »Rheinsagen« nähere Auskunft; nur bedarf die Stelle

Und noch in unsern Tagen
Die Basler Glocken schlagen
Eins mehr als anderswo

der Berichtigung, denn neuerdings haben die Basler keine eigene Zeitrechnung mehr.

Nachdem wir uns in dem Gasthaus zu den Heiligen Drei Königen mit einem Trunk edlen Schweizerbluts, einst zu St. Jakob, dem schweizerischen Thermopylä, für die Freiheit vergossen, gelabt haben, folgen wir dem Strom, der, in das oben gedachte große Rheintal einlenkend, seine alte Richtung nach Norden von neuem annimmt. Bei Klein-Hüningen, der geschleiften Festung gegenüber, wo die von Hebel besungene liebliche Tochter des Feldbergs, die Wiese, dem großen Jungen des Gotthard, ihrem Bräutigam, ans Herz sinkt, verläßt dieser die Schweiz »wie ne Rothsher vo Basel, stolz in sine Schritten und schön in sine Gebehrde«.

 


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