Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Winterburg

Ja, soll er noch vergessen, der aus seiner Winterburg wie eine Nachtigall hinter dichten Zweigen sang, in seiner Sprache die zierlichsten Kränze flocht und sich in Reimen und ohne Reim in jedem angenehmen Silbenmaße, an jedes niedliche Silbenmaß versuchte?
      Herder

Der Fischbach, der uns nach Sponheim geführt hat, heißt eigentlich Winterbach, denn bei dem Dorf dieses Namens entspringt er den Schluchten des Soons. Eine halbe Stunde tiefer liegt auch Winterburg, schon zur hinteren Grafschaft Sponheim gehörig. Von Burg Sponheim führte der Weg dahin durch herrliche Wälder, an grünen Wiesengründen vorbei; am Ziel überraschte die schöne, schlanke Warte des zerstörten Schlosses, neben dem das Amtshaus sich stattlich ausnahm. Aber nicht diesem galt unser Besuch, sondern dem Pfarrhaus, das wir an den hölzernen Säulen erkannten, die den Eingang nach Knebels Angabe verzieren. Denn hier lebte als badischer Superintendent der bescheidene Joh. Nikolaus Götz, einer der Mitstifter unserer Literatur, und verbarg aus Furcht vor den Amtsbrüdern und leicht beleidigten Gönnern die göttliche Gabe in anscheinender Unbedeutendheit. Solange er lebte, wurde der Name des Verfassers vieler allgemein bekannter Lieder nicht genannt, selbst Friedrich der Große, der seiner »Mädcheninsel« unter allen deutschen Gedichten allein Beifall geschenkt hatte, erfuhr ihn nicht. Zwanzig Jahre lang hatte Götz mit Ramler in Berlin über die Herausgabe und Ausfeilung seiner Gedichte korrespondiert, der treffliche Freund setzte alle seine Feinheit und Geschmacksbildung daran, ihnen die höchste Vollendung zu geben; als sie endlich nach des Dichters Tod in Ramlers Ausgabe erschienen, hatte die deutsche Literatur Riesenschritte vorwärts getan und die Epoche der Ramler und Götze war vorüber.

Aber noch 1809 richtete J. H. Voß kritische Briefe über Götz und Ramler an Herrn von Knebel in Weimar, die ein ganz anderes Licht über Ramlers Verbesserungen aufstecken, als in unseren Literaturgeschichten zu leuchten pflegt. Knebel hatte Götz kurz vor dessen Tod in Winterburg besucht und zwanzig Jahre nachher in Herders »Adrastea« Ramlers Ausgabe in drei Bänden eine verstümmelte genannt, weil Stoff zu sieben Bänden vorhanden gewesen sei. Die Änderungen seien ihm öfter mißlungen, und indem er der Poesie eine kalte, grammatikalische Bestimmtheit habe aufdringen wollen, habe er ihren Reiz und Nachdruck vermindert und entstellt. Dagegen wies Voß nach, daß Ramler nur durch Knebels Einmischung veranlaßt worden war, drei Bände statt eines herauszugeben, dessen Wert und Wirkung gewiß größer gewesen wäre; daß Götz bis an sein Ende Ramlers gewissenhaftes und behutsames Verfahren gebilligt hatte und ein Freund wie Ramler das größte Glück war, das einem Dichter, der so mühsam und dabei so unsicher arbeitete wie Götz, begegnen konnte. Weit entfernt, dem Dichter unglückliche Veränderungen aufzudrängen, bot er ihm nur Verschönerungen, die sich von selber aufdrängen, ließ den Hauptgedanken, die Seele des Gedichts, klar und von Nebenschimmer gereinigt heraustreten und sich frei und bestimmt in anschließender Ätherhülle bewegen.

Wenn es mir rührend war, in einer Zeit, wo die deutsche Muse ihre Keuschheit verloren hat und sich auf Messen und Märkten prahlerisch feilbietet, die ganz erhaltene vieljährige Wohnung des verschämten Götz zu betreten, so mußte mich ihre ländliche Beschränktheit noch lebhafter an unsere verlorene Unschuld mahnen. Noch beschränkter als das Haus fand ich das Gärtchen, in das man aus dem zweiten Stockwerk trat, so hart liegt jenes an dem steilen Berg. Seine Tiefe beträgt nur wenige Schritte, ja der Raum zu einem Bienenhaus mußte in den Felsen gehauen werden. Seitwärts, den Berg hinan, entdeckte ich eine Laube, die eine überraschende Aussicht auf Schloß und Amtshaus gewährte: gewiß das Lieblingsplätzchen des Dichters. Aber außer diesem Garten besaß Götz, nach Knebels Zeugnis, noch einen anderen, viel geräumigeren, den ich nicht ermitteln konnte. Auch er lag am Fuß des Berges, »schwerlich über 50 bis 60 Schritte lang, mit Küchengewächsen und Obstbäumen wohl versehen, ein Teil des Ganzen mit schönen Erlen an einem vorbeifließenden Bache besteckt«.

Als ich im folgenden Jahr Kreuznach wieder besuchte, vernahm ich mit großem Bedauern, daß der unvergleichlich schöne Turm der Winterburg, den mir ein junger Maler auf Götz' Lieblingssitz ins Taschenbuch gezeichnet hatte, im vergangenen Winter zusammengestürzt war.

 


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