Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Kreuznach und seine Umgebungen

Wir nähern uns jetzt schon Gegenden, die Kreuznachs Badegäste im Gefühl neuer Gesundheit durchschwärmen, Gegenden, die durch ihre Kühnheit, Schönheit und Fruchtbarkeit wohl nicht minder belebend wirken als jene heilsamen Solquellen. Bis Oberhausen am Fuß des Lembergs dringt zwar nur selten ein Badegast vor, und das ganze Dorf lief verwundert zusammen, als wir angefahren kamen, seine verfallene Kapelle zu schauen. Noch größer aber war unsere Verwunderung, als wir den unbedeutenden Gegenstand sahen, dem zuliebe diese halsbrechende Fahrt unternommen worden war. Doch mußten wir dem Talent des Zeichners huldigen, dessen Bild uns verlockt und mit soviel Todesverachtung ausgerüstet hatte.

Der Lemberg, der hier an die Nahe tritt, wird gewöhnlich vom Alsenztal aus bestiegen, das er vom Nahetal scheidet. Er ist der König des Nahegaus, der jüngere Bruder des Donnersbergs, dessen sargähnliche Gestalt er nachahmt. Ein trigonometrisches Signal bezeichnet den Gipfel, dessen weitreichendes Panorama durch die gewaltigen Felsenmassen des Rotenfels, der Gans und des Rheingrafensteins den imposantesten Vordergrund erhält. Ins obere Nahetal sahen wir bis Kirn und Oberstein zurück, vorwärts reicht der Blick weit über den lieblichen Rheingau hinaus, rechts hebt sich der befreundete Donnersberg, links die langgeschweiften Linien des Hunsrück. Der Schoß des Lembergs birgt wie der benachbarte Moschellandsberg und der Stahlberg Quecksilber- und Kohlenminen, welche englische Kapitalisten neuerdings wieder in Betrieb gesetzt haben. Drei Züge, Geiskammer und Ernestiglück heißen die Gruben des Lembergs, Backofen und Gottesgabe jene des Landsberges, Erzengel und Frische Mut die verbundenen Werke des Stahlbergs. Zur Erläuterung dieser Namen wären mancherlei Sagen zu erzählen.

Überall wird man hier, am Lemberg, durch die drei Weiher bei Hallgarten an Schinderhannes erinnert, der in diesen Bergen und Schluchten seine vertrautesten Schlupfwinkel hatte. An seinem Andenken haftet kein Fluch, er schonte wie ein anderer Elbegast Bürger und Bauern, nur der reiche Filz und der wucherische Jude erfuhren seine Verwegenheit. Ein lustiges Stückchen erzählt man sich, wie er den von Kreuznachs Viehmarkt zurückkehrenden Schacherjuden die Schuhe auszog und durcheinanderwarf, den aber mit ausgespannter Büchse mit dem Tod bedrohte, den er nach fünf Minuten noch barfuß antreffe. Dem vordersten Juden aber hatte er seine Büchse zu halten gegeben, ein Amt, dessen sich dieser mit Zittern und Zähneklappern entledigte. In den Schluchten des Lembergs verborgen, lauscht die Ruine Montfort, deren fremd klingenden Namen mitten im deutschen Land keine Überlieferung erläutert. So tief im Schlund sie, von der Höhe gesehen, zu liegen scheint, so hoch überragt sie doch von ihrem Felsenkegel das unheimliche Tal. Denn lange vor Schinderhannes' Zeiten war Montfort der Schrecken dieser Gegenden. Noch immer hat die menschenscheue Waldeinsamkeit des Burgschlosses etwas Schauerliches, ja noch heute wäre hier einer Räuberbande nicht so leicht beizukommen. Doch verließen sich ihre verrufenen Insassen nicht auf ihr abgeschiedenes Versteck, feste Mauern und starke Bollwerke türmten sie dem Rächer der Gewalttat entgegen. Vergebens: Friedrich der Siegreiche von der Pfalz ließ im Bund mit Mainz das Raubschloß niederbrennen. Der Montforter Hof mit der Jahreszahl 1607 über dem Waldeckschen Wappen ist jüngeren Ursprungs; doch zeigt auch er Spuren der Befestigung, obgleich die Weiher, die ihn umgaben, längst ausgetrocknet sind. Die junge Frau des Hofmanns, die seit sieben Jahren zu den Füßen der Ruine wohnt, hat sie nicht einmal bestiegen; ich aber kam dem Leser zuliebe so viele Meilen weit her, um Falken und Uhus aus ihrer Öde zu schrecken. Hab' ich gleich den Schatz nicht entdeckt, den die hallenden Gewölbe verbergen, so ist doch das Glück, auf diesen Schutt- und Geröllhaufen kein Bein gebrochen zu haben, nicht geringer anzuschlagen.

In besserem Ruf als Montfort stand das erst 1689 von den Franzosen zerstörte Schloß Landsberg bei Obermoschel, das Friedrich der Siegreiche in der Fehde mit Ludwig dem Schwarzen von Zweibrücken gleichfalls belagerte, aber nicht gewinnen konnte. Noch stehen bedeutende Überreste der umfangreichen Burg über den Quecksilbergruben, aus denen hier und da ein zinnoberrotes Bergmännchen emportaucht. Die Aussicht reicht nicht weit, aber der schön gewölbte Rücken des Donnersbergs erscheint ganz nah, und tief unten liegen die einst gewaltigen Burgschlösser Randeck bei Mannweiler im Alsenztal und Lewinstein im Moscheltal, letzteres der Sitz eines mächtigen Geschlechts, doch sehr unscheinbaren Ansehens.

Oberhausen, von dem wir ausgingen, gehörte einst als Pfand und Lehen von Veldenz den kampflustigen Montfortern, die sich darin, obwohl vergebens, verschanzten. Vermutlich wurde in dieser Fehde, welche Monfort mit dem Verlust des Dorfes bezahlte, die bewußte gotische Kapelle zerstört. Wichtiger als diese ist die benachbarte Trumbacher Klause, von Schwiker von Sickingen erbaut, von seinem Sohn Franz von Sickingen sogar zum Nonnenkloster erhoben und mit sieben Nonnen besetzt worden. Aber das Klösterchen erfuhr den Unbestand menschlicher Dinge an seinem Stifter, der es bald wieder verfallen ließ, als dieser berühmte Förderer der Reformation zehn Jahre später von Ulrich von Hutten gelernt hatte, vom Klosterleben verächtlich zu denken.

Die Nahe, der von dem pfälzisch-saarbrückischen Trapp- und Kohlengebirge rechts, links vom Hunsrück Wasser zurauschen, hält sich nicht immer unparteiisch auf der gemeinsamen Grenze dieser Gebirge, und wenngleich tiefer unten ein altes Sprichwort sagt:

Zu Kreuznach auf der Brück,
Da wendet der Hunsrück,

so gibt sie doch in ihrem oberen Lauf den prächtigen Kämmen des pfälzischen Trappgebirges mehrmals den Preis vor den traurigen Schieferschichten des Hunsrücks. Gerade diesem Umstand verdanken die Nahegegenden ihren entschiedenen Vorzug selbst vor dem engeren Rheintal zwischen Bingen und Koblenz, wo der Strom mächtige Ton- und Kieselschieferlager zerrissen hat. Dies gilt besonders von dem Teil des Nahetals, den wir jetzt erreichen. Der Porphyrzug des Donnersbergs, der die Alsenz begleitete, setzt bei deren Mündung über die Nahe und türmt ihr auf beiden Seiten gewaltige Bergrücken entgegen. Unterhalb Norheim prallt sie von der breiten, senkrecht emporsteigenden Felsenwand des Rotenfels ab und wendet sich südlich an der Ebernburg vorbei, wo sie, von den Wassern der Alsenz erquickt, an dem »Wolkenstürmer«, wie Maler Müller den Rheingrafenstein bezeichnend nennt, ein neues unüberwindliches Hindernis findet. Nun nimmt sie zwar ihren alten östlichen Lauf wieder an, aber nicht mehr frei, sondern zwischen himmelhohen Porphyrfelsen gefangen und gezwungen, Kreuznachs Salinenwerke zu treiben. Denn rechts hebt sich die Gans, der höchste Kamm des Bergrückens, den die Felsen des Rheingrafensteins bewachen, links der Hirtenfels und die waldige Hardt, Abhänge und Fortsetzungen des herrlichen Rotenfels; in der Mitte aber ächzen und krächzen die Maschinen, die das Salzwasser auf die hohen Gradierhäuser treiben, statt des Flusses, der im Vorgefühl baldiger Befreiung munterer dahinrauscht. Wirklich wendet sich bei der Salinenbrücke der Bergrücken der Gans landeinwärts und verliert sich allmählich, ja unmerklich im Gau, der sich bei Kreuznach öffnet und mit dem breiteren unteren Nahetal verbindet. Die Hardt begleitet aber den Fluß bis nach Kreuznachs Kurinsel, über der sie sich in den Schloßberg abdacht.

Rotenfels, Ebernburg, Rheingrafenstein: von welchem soll ich zuerst sprechen? Den Preis gebe ich unbedenklich dem ersteren: eine Felswand, die aus dem Fluß senkrecht zu einer Höhe von 900 Fuß emporsteigt, hat kaum in der Schweiz ihresgleichen. Und wie schön sind diese emporstarrenden Porphyrfelsen; wie vielfach gezackt und zerklüftet, von Rot zu Grün in wie mannigfaltigen Tönen spielend; wie gefährlich die Vorsprünge, von welchen man schaudernd hinab in die gähnenden Grüfte, vom äußersten gerade hinab in den Flußspiegel sieht; wie wird das Herz gehoben und die Brust geweitet, wenn sie sich einer so großen, riesenhaften Natur vertraut machen. Doch bald ist dieses Vertrauen errungen, der Fuß wandelt sicher über Abgründen hin, während das Ohr den widerhallenden Tönen des Hirtenhorns lauscht und das Auge von den munteren Ziegen und Lämmern, die an den Abhängen weiden, zu der herrlichen Gebirgslandschaft emporschwebt, die sich im Halbkreis umherlegt. Der Vorzug des Rotenfels dünkt uns so entschieden, daß wir ihn zum Standpunkt wählen und die benachbarten Täler und Höhen von ihm aus beschreiben.

Der Rotenfels ist gleich der gegenüberliegenden Gans einer jener gewaltigen Bergrücken, welche dem Porphyrgebirge eigentümlich sind. In weiterer Entfernung erkennt man an beiden jenes Elefantenmäßige der Gestalt wieder, welches den Donnersberg wie den Lemberg auszeichnet. Es ist eine Familie isolierter plutonischer Massen, die unterirdische Titanenkraft emporgehoben hat. Wenn der Donnersberg allein steht, so scheinen sich seine drei minderen Geschwister am entgegengesetzten Ende des Porphyrzuges gegen die Übermacht des Bruders verbündet zu haben.

Mit seinen Fortsetzungen, der Hardt und dem Schloßberg, kann der Rotenfels ganz umgangen werden, denn jenseits fällt er ins Tal des Ellerbachs ab, der in Kreuznach der Nahe zufließt. Gleich unterhalb Norheim steigen jähe Felsen aus dem Flußbett, die, immer höher und höher gehoben, sich plötzlich mit der Nahe südlich wenden und zugleich ihre staunenswürdige Höhe erreichen. Auf jene ansteigenden Felsen Norheims blicken wir von unserem schwindelnden Vorsprung herab und sehen das obere Nahetal von fruchtbaren Hügeln umkränzt. Rechts liegt Dreisen freundlich am Fuß der anschwellenden Hardt, weiterhin das einst boosische Hüffelsheim über dem weinberühmten Norheim, links hebt das waldige Haupt der Lemberg empor, von dessen Bergstock das fruchtbare Gelände herabgeflößt scheint, das in schönem Bogen das jenseitige Ufer der gewundenen Nahe umgibt. Mit Entzücken weilt das Auge auf dem bunten Flurteppich, dessen Abteilungen den gekrümmten Lauf des Flusses, konzentrische Halbkreise bildend, im kleinen wiederholen.

Wo der Vorgrund des Lembergs sich höher über die Nahe hebt, spiegeln sich im Fluß die klassischen Ruinen der Ebernburg, Franz von Sickingens Feste, der ihr durch den Schutz, welchen er Männern wie Ulrich von Hutten, Oecolampad, Bucer u. a. gewährte, den schönen Namen einer Herberge der Gerechtigkeit verdiente. Die Burg fiel mit ihrem Herrn, der nach dem verwegenen Zug gegen Trier, dessen weltlicher Kurfürst er zu werden getrachtet hatte, auf seiner gegen drei Fürsten verzweifelt verteidigten Feste Landstuhl, von einem Balken getroffen sein glorreiches Leben verhauchte. Die Sache des Luthertums war damals die der Freiheit und des Lichts, der Pieps des Pietismus und der Muckerei hatte sich im Schoß der neuen Kirche noch nicht entwickelt, und so durfte Herder von ihm sagen, er sei wie Brutus gefallen – nicht um ein Phantom politischer Freiheit, sondern um Wahrheit, Licht, Recht, Billigkeit, den Gebrauch und Genuß der edelsten Güter des Menschengeschlechts. Dem Fränzchen von Sickingen, wie ihn das Landvolk seiner kleinen Statur wegen nannte, gebührte mehr als dem schwachen Kaiser Max der Name des letzten Ritters; mehr als einer seiner Freunde, Götz von Berlichingen und Hans von Selbitz, von welchen jener Max ausrief: »Heiliger Gott, was ist das? Der eine hat nur eine Hand, der andere nur ein Bein: wenn sie erst zwei Beine und zwei Hände hätten, was wollten sie dann tun?«, verdiente Sickingen von Goethe als der Repräsentant des abscheidenden Mittelalters hingestellt zu werden. Aber Sickingen war mehr als der letzte Held der alten Zeit, er war der Herold, der Vorfechter der neuen, welcher seine Kraft, sein begeisterter Sinn gewaltsam die Bahn gebrochen hat. Man hat oft geklagt, daß es der deutschen Tragödie an einem Helden fehle; in der Tat fehlt ihr nur ein tragischer Dichter: in Franz von Sickingen, seinem hohen Streben, seinen kühnen Taten, großartigen Entwürfen und seinem furchtbaren Ausgang wäre ihm ein Held gefunden, wie ihn kaum eine andere Nation aufweisen mag. Der schlichte Ritter von Ebernburg und Nanstein (Landstuhl) erhob sich von geringen Anfängen durch die Kraft seines Geistes zum gefürchtetsten Helden seiner Zeit, der dem Kaiser und des Reichs Acht und Aberacht trotzen durfte, vor dem Reichsstädte, ja die Mächtigsten des Reichs zitterten, um dessen Gunst und Fürsprache König Franz von Frankreich durch eine Gesandtschaft buhlte, der nach Maximilians Tod die deutsche Kaiserkrone zu verschenken hatte, der in der gewaltigsten geistigen Bewegung seiner Zeit den entscheidenden Ausschlag gab, der endlich der Reformation eine allgemeine Bahn gebrochen hätte, wenn sein letzter Anschlag, an den er das Leben setzte, nicht durch die Lauheit seiner Verbündeten gescheitert wäre.

Jenseits der Alsenz, die unter der Ebernburg in die Nahe mündet, zieht sich ein enges Waldtälchen zwischen hohen Bergwänden hin, nur im Winter, wenn der Schnee schmilzt, von dem Kehrenbach durchrauscht. Man nennt es das Huttental, denn hier soll Ulrich, als er auf der Herberge der Gerechtigkeit Schutz gefunden habe, auf jene beißenden Schriften wider die Papisten und Verfinsterer gesonnen haben, unter denen wir die »Epistolae obscurorum virorum« noch heute mit Ergötzen lesen. Außer anderen hervorragenden Männern schreibt man auch Sickingen einen Anteil daran zu. Über dem Huttental liegt eine Höhe, die Spreit, auch Schäferplacken genannt, welche eine der seltsamsten Ansichten gewährt, die mir je vorgekommen ist. Selbst in diesen Gegenden, wo jeder Schritt ein neues, überraschendes Bild liefert, bleibt sie noch einzig und wunderbar. Durch die Lücke zwischen den beiden freistehenden Felsen des Rheingrafensteins sieht man die Kirchtürme von Kreuznach. Rechts hebt sich die Gans hoch über die »Kegelbahn«, die Felsengipfel des Rheingrafensteins, links wendet sich die Steinwand des Rotenfels unter dem Namen Hardt dem Salinental zu. Doch diese Ansicht kann nicht beschrieben werden. Wir kehren zu unserem Standpunkt auf dem Rotenfels zurück.

Zu den Füßen der Ebernburg, welche nach ihrem teilweisen Wiederaufbau durch Sickingens Söhne von den Franzosen im Pfälzisch-Orleansschen Krieg zum zweitenmal zerstört wurde, liegt das gleichnamige Dörfchen, über dessen Tor ein Eber eingemauert ist. »Einst«, so erzählt die Sage, »wurden Ort und Burg von einem übermächtigen Heer belagert, und der Hunger hätte sie zur Übergabe gezwungen, wenn dem Burgherrn nicht zur rechten Zeit eine Kriegslist eingefallen wäre. Ein mächtiger Eber, der Hungernden letzte Hoffnung und Zuversicht, wurde im Angesicht des Feindes vorgeführt und zum Schlachten niedergeworfen; zum Schein jedoch nur: er kam lebendig wieder in seinen Stall, um zur Wiederholung des Spiels aber- und abermals hervorgeholt zu werden. Da verzweifelte zuletzt der getäuschte Feind, die Feste auszuhungern, hob die Belagerung auf und zog ab.« Von ähnlichen Täuschungen der Belagerer sind alle Geschichts- und Sagenbücher alter und neuer Zeit voll; mir fällt aber bei dem oft geschlachteten Eber jener Walhallas ein, von dessen immer erneutem Fleisch sich Asen und Einheriar nähren.

Über dem Bergstock, dem der Rücken des Lembergs entsteigt, doch näher der Alsenz, zeigen sich scharfem Blick einige Spitzen, welche der schon besprochenen Moschellandsburg angehören. Weiter links öffnet sich das Alsenztal, und in kaum halbstündiger Entfernung von der Mündung werden die großartigen Ruinen der Altenbaumburg sichtbar, wo schon die alten Grafen des Nahegaus und die ersten Raugrafen wohnten. Raugraf Rupert hatte 1242 zwei Stunden näher gegen Alzey die neue Baumburg erbaut, welche bald den Ruhm der alten Wiege seines Hauses verdunkelte; Otto verkaufte sie sogar an die Pfalz. Von dieser kam sie lehnweise an die von Kronberg, das am Taunus heimische Geschlecht, aus welchem jener Hartmuth von Kronberg hervorging, der, mit Sickingen verschwägert, in der Begeisterung für die Grundsätze der Reformatoren so alle Schranken der Mäßigung überschritt, daß er sich an den »Statthalter Christi« mit der Aufforderung wandte, sein Haus, das auf losem, faulem Grund gebaut sei, zu verlassen und von Petri Stuhl herabzusteigen. Noch vor Sickingens tragischer Katastrophe ereilte ihn das Verderben; doch kam seine Familie wieder in den Besitz der Schlösser und blieb es bis zu ihrem Erlöschen.

Die Altenbaumburg zerstörten, wie alle Burgen der Nähe und Ferne, die nicht schon im Schutt lagen, die Pfalzvergifter. Neben ihren hochragenden, einer kleinen Stadt ähnlichen Trümmern heben sich jene des Treuenfels, der als ein Vorwerk der Altenbaumburg ihre Schicksale getreulich teilte. Unter Schreibers Sagen spielt eine, die Ermordung des heiligen Engelbert, Erzbischofs von Köln, betreffend, auf dem Treuenfels, »in der Nähe des Siebengebirges«, wo niemand von einem Treuenfels weiß. Tombleson und viele andere hat dies irregeleitet.

Wir verlassen das reizende, fruchtbare Alsenztal, über dem, vom Rotenfels gesehen, sich der Donnersberg wölbt, und wenden uns nach dem Rheingrafenstein, der über Dorf und Saline Münster am Stein senkrecht emporsteigt. Der Felsen ist roter selbst als jener des Rotenfels, und lebhafter färbt ihn der rote Strahl der Sonne, deren letzter Blick gerne bei diesem schönen Wunder weilt. Die Augenblicke sind kostbar, wenn die kräuselnden Wellen der Nahe ihren ewig bewegten Widerschein auf das entbrannte Porphyrgestein werfen und nun die grünen, grauen, rötlichen Töne hin- und herschwanken und durcheinanderspielen.

Man hat mich gefragt, woher ich wisse (vgl. meine »Rheinsagen«), daß Bürgers Ballade vom Wilden Jäger gerade am Rheingrafenstein spiele. Ich berufe mich auf die Anfangszeile: »Der Wild- und Rheingraf stieß ins Horn.« Wo anders hausten die Rheingrafen, die als Erben der Wildgrafen deren Titel und Würden an sich brachten? Und könnte ein passenderer Schauplatz gefunden werden?

siehe Bildunterschrift

Rheingrafenstein

Das alte Dynastengeschlecht der Herren vom Stein (de lapide) hatte lange schon im Nahegau geblüht, ehe Siegfried vom Stein Lucarde, die Erbin des erlöschenden ersten rheingräflichen Geschlechts, freite. Ihr Sohn Wolfram wurde der Stifter des zweiten Geschlechts der Rheingrafen, die, nach der Schlacht bei Sprendlingen aus dem heimatlichen Rheingau verwiesen, nun von der alten, im elften Jahrhundert als ein Wunder der Kühnheit erbauten Burg Stein, jetzt Rheingrafenstein, aus im Nahetal Macht und Besitzungen mehrten. Von ihren Verbindungen mit den Wildgrafen und dem Haus Salm sowie von den noch fortblühenden Zweigen der gräflichen und geforsteten Linien ist schon die Rede gewesen. Die Ruinen der von den Franzosen 1689 in die Luft gesprengten Burg hat neuerdings ein Rheingraf von Salm wieder an sich gebracht, von dem man wenigstens eine teilweise Erneuerung des Schlosses hofft. Es war noch ein anderer Anblick, als die schlanken Türme des Rheingrafensteins von der Felsenhöhe noch in die Lüfte stiegen, als Ebernburg aus mächtiger Untermauerung noch hoch emporragend das Salinental beherrschte, als die Altenbaumburg mit Warten und Palästen aus dem Alsenztal herüberblickte, als über Kreuznach die sponheimische Kauzenburg noch herrlich prangte, die alte Wertkirche noch in ihrer Schönheit dastand und auf dem Martinsberg Kloster und Kapelle weit ins Tal leuchtend das Bild rundeten und abschlossen.

Die höchste Felsenkuppe des Rheingrafensteins, die weit über die Ruinen, von denen sie doch rings umgeben ist, emporragt, wagen nur wenige zu erklettern. Nachdem ich den Stein so oft besucht hatte, lernte ich es erst in diesem Jahr von Philipp Kaufmann, dem Übersetzer des Shakespeare. Sein Vater, der als gemütvoller Mensch und Dichter allgemein beliebte J. H. Kaufmann, in dessen Haus ich viele frohe Stunden verlebte, war vermutlich der Kreuznacher, von dem A. Stork auf dieser »Kegelbahn« die Geschichte des Ritters Boos von Waldeck erzählen hörte, wie er mit dem Rheingrafen wettete, er wolle einen Kurierstiefel voll Wein austrinken, und damit das Dorf Hüffelsheim gewann. Boos von Waldeck soll zwar an den Folgen des Trunks noch in derselben Nacht gestorben sein, das Dorf aber verblieb seiner Familie bis auf die neuesten Zeiten. Stork war es, soviel ich weiß, der diese durch Gustav Pfarrius seitdem so beliebt gewordene Sage zuerst veröffentlichte. Pfarrius, dessen im Rheintal wohl empfohlenes »Nahetal in Liedern« ich weiteren Kreisen empfehle, hat um die Sage wesentliche Verdienste, indem er den traurigen Ausgang mit einem glücklicheren vertauschte. Ich setze die Romanze, zuerst in meinen »Rheinsagen« mitgeteilt, hierher:

Da droben saßen sie allzumal
Und zechten im alten Rittersaal;
Die Fackeln glänzten herab vom Stein
Und schimmerten weit in die Nacht hinein.

Es sprach der Rheingraf: »Ein Kurier
Ließ jüngst mir diesen Stiefel hier;
Wer ihn mit einem Zug wird leeren,
Dem soll Dorf Hüffelsheim gehören!«

Und lachend goß er mit eigener Hand
Voll Wein den Stiefel bis an den Rand
Und hob ihn mitten wohl in den Kreis:
»Wohlan, ihr Herren, ihr kennt den Preis!«

Johann von Sponheim hielt sich in Ruh
Und wünschte dem Nachbarn Glück dazu;
Und dieser, Meinhart war's von Daun,
Zog scheu zusammen die dunklen Braun;

Verlegen den Bart sich Flörsheim strich,
Und Kunz von Stromberg schüttelte sich,
Und selbst der mutige Burgkaplan
Sah den Koloß mit Schrecken an.

Doch Boos von Waldeck rief von fern:
»Mir her das Schlückchen! Zum Wohl, ihr Herrn!«
Und schwenkte den Stiefel und trank ihn leer
Und warf sich zurück in den Sessel schwer

Und sprach: »Herr Rheingraf, ließ der Kurier
Nicht auch seinen anderen Stiefel hier?
Wasmaßen in einer zweiten Wette
Auch Roxheim gerne verdienet hätte.«

Des lachten sie alle und priesen den Boos
Und schätzten ihn glücklich als bodenlos;
Doch Hüffelsheim mit Maus und Mann
Gehörte dem Ritter Boos fortan.

»O daß ich so lange von dir geschwiegen, du meine geliebte, teure Vaterstadt! Wo ich geboren ward, zuerst das Leben, des Seins erstes Gefühl einsog! Wie herrlich schwebst du mir Flüchtling immer noch vor der Seele, rufst oft mich zurück aus dem Gedränge lärmender Welt, verfolgst liebreich mich bis an die prachtvollen Mahle, bis in die Prunkzimmer der Großen, warst freundlich mein Tröster in öden, selbst peinigenden Stunden, wo das Herz leck wird, alle Freude, alle Liebe zum Leben versiegt. Da träufelst du Balsam in die Wunde, gießest neue Wonne, neues Leben in mein zerschlagenes Gebein, gewährst meinem Herzen neue Freuden. Wann sehe ich dich wieder, Teure, Teure! – Ja vorzüglich vom Himmel geliebt bist du, schöne Vaterstadt, gesegnet vor tausend anderen Städten! Freude und Überfluß wohnen bei dir, du bist auf Liebe gegründet. Der Bauherr, der den ersten Eckstein zu deinem Tor gelegt hat, war ein Günstling des Himmels; ihn jagte nicht Vaterfluch, ihn drückten nicht Witwenklagen, und Waisentränen verfolgten ihn nicht. Denn geöffnet von Gott war ihm das Auge, zu schauen der Lieblichkeit Heimat, zu ruhen am Herzen der Schönheit.

Vorzüglich geliebt vom Himmel bist du, schöne Vaterstadt! Verrat befleckt nicht deine Mauern, Treue und Redlichkeit sitzen dir zur Seite, du lehnst dich lächelnd über sie hin, und aus deinen ernährenden Brüsten springen Ströme auf deine Kinder herab. Fremde ehren dich, deine Söhne tragen dich in Gedanken, wo du sie auch hinsendest über Land und Meer!

siehe Bildunterschrift

Kreuznach

Kreuznach! Geburtsort! Wie selig bist du! Dir nach hebt sich im Flug meine Seele, ich sehe dich, vor mir stehst du jetzt in deiner Feste! Deine bewachsenen Türme, verfallenen Mauern steigen neu vor mir empor; ich höre das Rauschen deines dich teilenden Stroms, das Wehen deiner Winde vom Berge herüber. O süße Luft! Ach Wolkenstürmer! Kühner Rheingrafenstein! Ihr Wellen der Nahe! Gesänge des Hartwalds!«

Nicht zuviel wahrlich hat der geniale Maler Müller in Sehnsucht und Heimweh von seiner Vaterstadt gerühmt, und nicht zuviel rühmen wir von ihren Umgebungen, wenn wir sie die schönsten nennen, deren sich eine deutsche Stadt erfreut. Was wir bis jetzt von ihnen besprochen haben, sind nur einzelne Punkte des oberen Nahetals, und wie wenig war uns auch von diesen nur zu sagen vergönnt. Nun aber öffnet sich gerade vor Kreuznach der lachende, schön gehügelte Gau, neben ihm tut sich das Ellertal mit den Zweigtälern Fischbach und Gräfenbach auf, jenes nach Sponheim und Winterburg, dieses nach Gutenberg und Dalberg führend; unter ihm dehnt sich zwischen den südlichen Abhängen des Hunsrücks und den Kalkhügeln des Gaus das gesegnete, breitere Nahetal aus; jenes der Güldenbach, des goldenen Namens würdig, kommt anmutschwellend von Stromberg geflossen, und wohin wir uns wenden, wohin wir blicken, sind Lieblichkeit, Schönheit und Fülle. Ist es doch, als ob von allen Seiten sich Hügel und Berge gegen Kreuznach neigten und ihm seine Bäche zuschickten. Das Paradies bewässerten nur vier Flüsse, Kreuznach zählt die Hälfte mehr: Nahe, Alsenz, Appel, Güldenbach, Gräfenbach und Fischbach, und ein jeder hat sein Tal.

Die Lage Kreuznachs hat eine gewisse Ähnlichkeit mit jener von Koblenz und Bingen. Hier wie dort tritt der Fluß aus einem engen Tal in eine weite Ebene; hier wie dort mündet ein Nebental, in das die Stadt halb hineingebaut ist; Nahe- und Ellertal verbindet der Kauzenberg mit seiner Ruine, wie Berg und Burg Klopp bei Bingen Rhein und Nahe zusammengeben. Doch hat Kreuznach den Vorzug, auf beiden Seiten seines Flusses zu liegen. Die Gegend von Kreuznach war schon den Römern beliebt: wo noch jetzt die Heidenmauer übrig ist, hatten sie ein Kastell, vielleicht auch nur ein befestigtes Winterlager. Aber erst die fränkische Zeit gab der Stadt den Ursprung. Ihr Name ist rätselhaft, doch scheint Aucinaha (Kreuz im Wasser) die älteste Form. Ein Kreuz auf einer Insel, von Bekehrern aufgerichtet, soll die erste Ansiedlung veranlaßt haben:

Da kamen sie zur Insel gepilgert durch den Wald:
Bekehrt durchs Kreuz, bekehret zum Kreuz ward jung und alt.
Und eine Stadt erhob sich, wo einst die Hütte stand:
Vom nahen Kreuz der Insel ward Kreuznach sie genannt.

Es war aber nicht die Insel, die so vielen Tausenden Genesung spendet; die schöne Wörthkirche bei der Brücke, deren Ruinen nun leider zur Scheune dienen, hat keinen Zusammenhang mit dem ältesten Heiligtum Kreuznachs. Ein Arm der Nahe ging sonst von der Saliner Brücke an längs dem Hasenrech und vereinigte sich mit dem anderen, der indes den Ellerbach aufgenommen hatte, erst wieder bei der Roten Lei. Auf dieser Insel, die auch das römische Gemäuer trug, wurden die ersten Ansiedler um das Kreuz versammelt. Als die Nahe ihre Wasser vereinigte und jener Arm versiegte, drängten sich die Wohnungen näher an den fischreichen Fluß. Die sogenannte Neustadt, die sich ins Eilertal zieht, entstand schon im zwölften Jahrhundert. Sie scheint die Hand des Kriegs nicht so schwer empfunden zu haben als die Altstadt, die ein viel jüngeres Ansehen hat.

Wo der fränkische Königspalast, die Osterburg, einst gestanden habe, meldet kein Stein mehr; ich würde auf jene Flur der Gemarkung raten, die den Namen Firnsaal (alter Saal) trägt. Bald nach dem Erlöschen der Gauverfassung finden wir Kreuznach im Besitz der benachbarten Grafen von Sponheim, welche auch die Rechte an sich brachten, die Heinrich IV. Speyer geschenkt hatte. Bei der Teilung zwischen den Brüdern Johann und Simon wurde es die Hauptstadt der dem letzteren zugefallenen vorderen Grafschaft. Simons Sohn Johann I., auch der Lahme genannt, weil er an einem Schenkel hinkte, wollte seinem Bruder Heinrich die väterliche Erbschaft kürzen. Im Unmut darüber verkaufte dieser zwei Drittel seines Schlosses Böckelheim dem Erzbischof Werner von Mainz. Johann wollte sich diesen ohne seine Einwilligung abgeschlossenen Kauf nicht gefallen lassen, und dies veranlaßte die erwähnte Fehde zwischen Mainz und Sponheim, welche die Schlacht bei Sprendlingen 1279 zum Nachteil des letzteren entschied. Johann, durch seinen hinkenden Fuß an der Flucht gehindert, wäre gefangen worden, wenn Michel Mort, ein Metzger von Kreuznach, ihm nicht unter Aufopferung des eigenen Lebens zum Entrinnen Zeit und Gelegenheit erkämpft hätte. Man lese bei Maler Müller die Schilderung der Schlacht und der Großtat des beliebten Helden der Kreuznacher. Bis auf die letzten Zeiten erfreute sich die Metzgerzunft der Freiheiten, welche Johanns Dankbarkeit ihnen verliehen hatte. Als mit Johann V. beide sponheimischen Linien erloschen waren, eine dritte blüht in den Fürsten von Sayn-Wittgenstein fort, kam Kreuznach mit der vorderen Grafschaft zu einem Fünftel an das Kurhaus Pfalz, zu zwei Fünfteln an Baden, zu zweien an Pfalzsimmern, während Baden und Simmern die hintere Grafschaft, Starkenburg an der Mosel, gemeinschaftlich besaßen. Diese Dreierherrschaft löste sich allmählich in die Alleinherrschaft der Kurpfalz auf; das sogenannte »Spanische Rathaus« der Neustadt, das leider in Privateigentum übergegangen ist, zeigt aber noch heute die Wappen der Dreiherrn, während man den schönen pfalzsimmernschen Palast, der die ganze nach dem Ellertal gekehrte Stadtseite deckte, nur noch auf Merians Bild von Kreuznachs Erstürmung durch die Schweden bewundert. Im Orleansschen Erbfolgekrieg zerstörten ihn, wie die Kauzenburg und die Wörthkirche, die Vandalen.

 


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