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Die Verlobung in der Losnacht

Im Böhmerwalde gibt es zwölf »Losnächte«, auch »Rauhnächte« genannt, in welchen die Leute die Zukunft auf mancherlei Art erfahren können, und insbesondere die Mädel und Burschen halten große Stücke darauf, das Orakel zu befragen. Die erste Losnacht ist die heilige Andresinacht, d. i. die Nacht vom 30. November zum ersten Dezember. Auch s Burgerl vom Kreuzwegbauern »z' Kirschberg« hielt große Stücke darauf, hatten doch auch ihre ältere Schwester, die Agerl, und die Dirn Annamirl letzten Fasching aufgrund der erprobten Weissagungen geheiratet.

Freilich, die Burgerl war erst zwanzig Jahre alt und hatte noch lange Zeit zum Heiraten, und ihr Vater, der Kreuzwegbauer, mit Schreibnamen Girgl Hilgert, sagte immer »Zum Heiraten und zum Sterben muss man sich Zeit lassen«, überdies sagte er auch noch: »Bei dir, Burgl, hat's ka Eil, auf'n Kreuzweghof melden si', wenn d' Zeit kummt, mehr Burschen als Blattln am Baum sein.«

Trotzdem, trotzdem hatte die Burgerl auch im vorigen Jahr beim Bleigießen, Häferlzieh'n usw. eifrig mitgetan, natürlich nur zum Spaß; denn erstens hat der Vater recht, und zweitens hatte sie noch keinen die ganze Zeit über gesehen, der ihrem Ideal entsprochen hätte.

Freilich, seit der junge Hönibauer-Maxel wieder vom Militär zurück war – den hätte sie nicht absolut verreden mögen. Der war gor net zwidr. »Weißt«, hat sie zur Müllner Philomena gesagt, »a schöne Gstalt hotr und 'n Schnauzbort hotr, nix Zweits, und tonzn konnr, grod wie dr Tuifl.« Als die Philomena sie aber so eigens von der Seite ansah, setzte sie schnell hinzu: »Net dass obr meinst, i moch mir was aus dem? Man red jo von an Kalbl a und sogt, a schöns Kalbl is und a schöne Forb hots, und wennst an Veiglstock segst odr a Rousn im Gortn, sogst a net, doss schiach is.« Somit war die Bemerkung der Burgl rein akademischer Natur, und als heute, an dem Vortage St. Andresi, die Mädeln aus der Nachbarschaft abends am Kreuzweghof zusammenkamen, um Blei zu gießen, Schuhe zu werfen, Halmkranzeln zu machen und Häferlnziehn zu spielen, tat sie auch mit; natürlich aber wieder nur per Jux; denn erstens hat der Vater gesagt, mit zwanzig Jahrln denkt man noch an keinen Ernst, und zweitens müsste es ein Bursch sein, wie zum Beispiel … no, halt einer, der was vorstellt. –

Um acht Uhr nachts (Ende November geht ja die Nacht schon »gegen Abend« an!) ging's mit den Weissagungen an, und merkwürdiger Weise wollte es der Zufall, dass die Burgerl beim Bleigießen aus dem Topfe ein Wickelkind und beim Häferlaufheben einen Ring zog. Da gab's ein Hallo, und die neidige Müllnerphilomena schrie: »Do schauts ner, s' Burgerl wird dös Johr no heirotn, und wos Kloans steht ihr a no bevor!«

Da wurde aber der Kreuzwegbauer »kritisch«: »Himmlkreuzdonnerwetter; ejz hört's af mit dem dumm Zeug! Heiratn, heiratn! An Schmarrn heiratn wird's! Erscht musst du heiratn, Philomena und die ondrn olli mitanondr und hernochr die ›Schmolgoas‹! Marsch weg mit dem Glump!«

Es nützte nichts, dass die Mädchen alle durcheinander riefen: »'s is jo ner a G'spaß!« der Alte duldete es nicht weiter. Beleidigt zogen die Mädeln in corpore ab, und die Burgerl stieg bald darauf die schmale, steile Treppe (schon mehr eine Leiter) zu ihrem Schlafgemach hinauf. –

Oben angekommen, entkleidete sie sich rasch, und trotzig rief sie: »Und grod z' Fleiß tu ich's; Betreten wird i, weil der Vodr so granti is; weil erstns is der Brauch so z' Andresi und zweitns is ›interessant‹; weil, wenn ma a no lang kann Sinn aufs Heiratn hat, wegn dem möchte ma doch gern wissen, wie der Bräutigam amol ausschaun wird!« Und sie richtete sich im Bette auf, fing mit den Beinen zu strampeln an und sprach:

Bettstadl i tritt di',
Heiliger Andrsi, i bitt di,
Loss mr erscheinen
den Herzallerliebsten meinen!«

Aber noch war das »Herzallerliebste meinen« nicht ganz heraus, so sank sie auch schon mit einem Angstschrei zusammen, kroch unter die Tuchent und rief zähneklappernd:

»Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!« Dem Fenster zugewandt, woher sie bei dem herrschenden Mondschein das Ereignis als ein Bild in den Wolken erwartet hatte, als eine geisterhafte Erscheinung, nahm diese Erscheinung plötzlich eine materialisierte Gestalt an: Eine Spitzhahnfeder, ein Filzhütel, ein Gesicht mit martialischem Schnurrbart, tauchten schnell nacheinander aus der Tiefe hervor! Hu!

Die Erscheinung zog sich im nächsten Augenblick noch etwas mehr in die Länge, oder eigentlich in die Höhe, und klopfte sachte ans Fenster, und sie hatte auch eine Stimme: »Burgerl, Burgerl! Grad ner auf a Wörtl! I hätt dir was Wichtigs zum Sagen!« So ließ sich die Erscheinung vernehmen.

»Marand Josef, dr Hönibaur-Maxl is«, murmelte die erschreckte Maid, und ihrer moralischen Entrüstung entsprechend, rief sie zurück: »A so a Keckheit! Jetzt schaust obr auf der Stell, dassd wegkummst, sinst schrei i dem Vodern!«

Der materialisierte Geist aber schien gar keine Angst zu haben, war frech und beharrlich und bettelte: »Geh, sei gscheit; i hätt a Wörtl mit dir zu redn, i muss dir wos von der Philomena drzähln. Mach auf, heraust is jo bittrkolt, und i geh glei wiedr furt.« So eine Frechheit! Das Fenster sollte sie ihm auch noch aufmachen! So eine Infamie!

»Mein Lebtog net«, entgegnete sie und setzte unvorsichtiger Weise auch noch hinzu: »Moch dirs selber af, wennst kannst; i mach dir in Ewigkeit net auf!«

»Auch gut«, replizierte er darauf, »dös wern mir gleich hobn.« Und er nahm sein langes Schnappmesser aus der Hosenrücktasche heraus und stemmte es und bohrte und drehte es und rüttelte an dem morschen Rahmen, und ehe noch die Burgerl Zeit hatte, ihre zweite Entrüstung zu äußern, war der Sakra auch schon in dem Stübel drin, nahm auf ihrem einzigen Stuhl, auf dem ihre Kleider lagen, Platz und redete daher, wie nicht gescheit, dass er schon lange ein Wörtl mit ihr zu diskutieren gehabt hätte, und müsst ihr's endlich einmal sagen, wie es um ihn stünde usw.

Empört forderte ihn das Burgerl nochmals auf, sofort wieder zu gehen, sie wäre keine »Solche«,zu der man nächtlicherweile fensterln geht und mit Gewalt in die Kammer dringen dürfte, und erst müsste sie einen Burschen schon länger kennen und ihm gut sein, ehe der sich unterstehen könnte, zu ihr fensterln zu gehen. »Und dich«, setzte sie als kräftigsten Trumpf hinzu, »dich mog is scho gor net, du keckr Buhu; schaust eh drein, wie der Tuifl, du schworzr Dings du! Marsch heraus do!«

Aber der Frechdachs folgte nicht und ließ sich nicht irre machen; hatte er doch auch einen Trumpf auf diese Rede: »No, no«, neckte er die Zornige, »wird net so arg sein mit dem Buhusein; host jo zur Müllner Philomena erst die Tog amol gsogt: »A schön' Gstolt hotr und an Schnauzbort hotr, nix Zweits, und tonzn tutr, wej dr Tuifl odr konnsts laugn'n?«

Oh dies Schlange! Purpurrot vor Scham und Entrüstung (der dritten im Verlaufe dieser Begebenheit), rief sie: »Pfui Teufl, is dos a Lug! Net wohr is, net wohr is, und wennst jetz net af der Stell gehst, meinerseel, i schrei, dass s gonzi Haus zammrennt!«

Doch es war ganz unnötig zu schreien; denn die Nemesis stand schon ante portas!

Die Burgerl wog bloß 60 Kilo; wenn aber 60 Kilo auf nur zwei Säulchen ein Bettstadl malträtieren, dann ächzt und knarrt so eine alte Lade, und Diele und des Vaters Ohr sind immer offen. Sein Mund aber wandte sich infolgedessen an seine geliebte Ehegattin mit den Worten: »Hörst nix, Olte? Der Sakrer, d' Burgerl, tut Betttretn a no! Mir scheint, die denkt richtig scho ans Heiratn?« Und bald darauf fuhr er fort: »Du, do is wer obnauf a no; i hör redn! Himmllaudonsakrdi, dös gang mr no ab!« – Wenn nur gleich Licht gewesen wäre, aber die Streichhölzchen steckten im Rocktaschel, und bei der Finsternis sah man keinen Rock, und Hörner hatte er auch nicht. Endlich fand er ihn aber doch, und als das Lamperl aufleuchtete, fuhr der Kreuzwegbauer wie der Blitz in Hose und Strümpfe, nahm den buchenen Stecken aus dem Winkel, stellte das Lamperl in die große Stalllaterne und – schlich die Stiege hinauf. Die Alte ihm nach. Kochend vor Wut, horchte der Alte ein Weilchen, dann raunte er seinem Weibe zu: »Der Mistkerl, der Hönibauern-Maxl is; obr ejz hot dös Gschül a End, den hau i, dossr hin wird!«

Die Tür aufreißen und dem erbitterten Zeus gleichend, stand er auch schon in der Kammer, und schon brüllte er vor Wut: »Jo, wos wär denn dös? Der Hönibauer-Max steigt zu nochtschlofendr Zeit, im Advent a no, zu n Kreuzwegbauern sein Kind? I du Himmlsakra, du infamr – do host dein Lohn vor deine Schlechtigkeit!« und mit dem erhobenen Stock ging er auf den Burschen los und wollte ihn schlagen.

Doch der Maxl, der, aufs Höchste erschreckt, vom Stuhl aufgeschnellt war, ergriff weder die Flucht, noch ließ er sich schlagen. Er ergriff den Stuhl und parierte mit dem jeden Schlag geschickt, wie er es beim Militär beim Bajonettfechten gelernt hatte. Ehe er sich schlagen ließ, eher sollte der alte Stuhl in Trümmer gehen. Das Gefecht war heiß, dazu jammerte die Burgerl in ihrem Bette und die Affäre verlief auch nicht wortlos. Die Alte raunte ihrem Ehegatten zu: »Schlog'n net; der Hönibauer hot jo an schöns Anwesn – zeih (zehn) Rindla Vieh, ocht Schof, zwo Säu, drei Goas …« Und der Maxl rief dazwischen, keck wie er war: »Wird wos sein, wonn i s Burgerl gern hob und heiratn möcht, und nix Unrechts is net gschehn. Unsr Wirtschoft is a net schlechtr als d Engeri, und mir koa niemand nix Schlechts nochredn. – Und s Fensterln is a alter Brauch.« – Das waren Argumente, die selbst einen Kreuzwegbauern zur Räson zu bringen vermochten; aber so ohne Weiteres konnte er nicht zum Rückzug blasen, das verbot ihm schon sein Ansehen. Er ließ also wohl vorerst seinen Arm mit dem Stecken sinken; aber er polterte noch und höhnte noch: »Is dös a Anstand und a Manier, af die Ort um a rechtschaffenes, ehrbares Moidl onholtn, s Brugerl in a Gered bringn? Gibt's do ka Haustürl net und a Benehmen, wie sichs g'hört? Scham di', Honimax! Es is ner a Glück, dass der Knecht, d' Dirn und dr Hütbua net dahoamt san, und so koa Mensch vo derer Ramasuri nix weiß.«

Nach Regen kommt Sonnenschein. Voll Erbarmen mit dem »gfrörtn« Bubn, lud die Wegbäuerin den Maxl ein, sich unten zu wärmen und an Kronawitter zu trinken, was nicht ohne entsprechender Unterlage geschah, weil beim Kreuzwegbauern jederzeit ein Trumm Rauchfleisch zu haben war. Als sich Bauer, Bäuerin und Bursch nach unten begaben, wurde auch die Burgerl aufgefordert, nachzukommen. Sie antwortete zwar: »Wer i mir no überlegen«; die Überlegung dauerte aber nur so lange, bis sie mit ihrer Toilette fertig war. Unten hielt der Max um die Hand und auch bei der Burgerl an, und als alles in Ordnung war, bemerkte die Alte noch tiefsinnig: »Können die gstudiertn Herrn redn, wos mögn; unsere altn Bräuch sant do recht; an Ring und a Wiegn hot si' zogn, und erschien'n is r ihr a.« –


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