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Do steht d' Welt nimmr long!

Ich habe einen Freund namens Bendler. Dieser stammt aus Krohstadtel und verbringt dort alljährlich seinen vierzehntägigen Urlaub.

Krohstadel ist ein Nest, halb Stadt schon und halb Dorf noch; aber es ist seine Heimat, und wer noch Eltern und Geschwister da hat, dem ist auch ein kleiner Ort lieb und wert, sei er noch so klein. Fragte ich ihn nach seiner Rückkehr, was es daheim Neues gibt, lautete die stereotype Antwort: »Nichts«; und das glaubte ich ihm gern; denn was soll's da Besonderes geben.

Einmal, eigentlich zwei Jahre nacheinander, gab's daselbst doch eine Sensation – für Krohstadtel wenigstens, und weil die Geschichte allerlei zu denken gibt, will ich sie hier wiedergeben. Er erzählte:

Bei uns gibt's einen Schneider; Meiselschläger heißt er, und der hat eine Tochter Barbara. Ich kenne das Mädel, wie sie noch ein Fratz war. Ein schlimmer Fratz noch dazu. Mit sechzehn Jahren war sie ein eckiges Ding noch und trug sich, wie sich eben alle Mädeln von Krohstadel tragen. Sie trug also ein buntes, seidenes Kopftuch, Kitteln bis zu den Fersen usf.

Die Baberl, wie man sie allgemein nannte, ging auch schon auf den Tanzboden; die Burschen tanzten aber nicht viel mit ihr. sie war wohl nicht übel von Gesicht und besaß auch eine ganz schöne Gestalt; aber es gab noch schönere Mädchen im Orte, und was die Hauptsache war, die Baberl war arm wie eine Kirchenmaus. Mit so einer macht man keine Faxen. Meister Meiselschläger hatte nebst dieser Tochter noch paar Buben von 8-13 Jahren, und diese aßen hübsch viel, brauchten auch jeden Augenblick irgendein neues Kleidungstück, besonders Schuhe, und wenn's auch nur Holzschuhe waren, die nach dem Kriege ebenso viel kosteten wie vor dem Kriege lederne. Es gab demnach im Hause nur einen Verdiener, den Vater, jedoch zu viele Verbraucher. Also musste wenigstens die Baberl (als die Älteste und stärkste Esserin) in die Fremde. In der Stadt konnte sie sich selbst erhalten und von ihrem Lohn noch etwas zurücklegen.

Dazu fand sich bald eine günstige Gelegenheit, indem des Nachbarn Luise, welche in Wien als Köchin diente, der Baberl schrieb, sie wüsste ihr einen guten Platz, und ob sie nicht Lust hätte, nach Wien zu kommen. Nachdem Vater und Mutter Meiselschläger schon längst den Wunsch hegten, die Tochter wo unterzubringen und diese selbst gleich Feuer und Flamme war, fuhr halt der Meister eines schönen Tages mit der Baberl nach Wien.

Die Großstadtdamen nehmen gern noch unverdorbene Mädchen vom Lande, zumal aus dem Böhmerwalde in den Dienst, schon weil die Böhmerwäldlerinnen als ehrlich und arbeitsam bekannt sind. –

Die Baberl, welche bald »Bärbel« hieß, hatte Glück; sie kam zu einer Fabrikantengattin als Mädchen für alles, und die Dame des Hauses gewann das einfache Bärbel bald sehr lieb, weil es gar so treuherzig und guten Willens war.

Natürlich war's da mit den langen Kitteln und dem Kopftuch nichts. Die Dame schenkte ihr abgelegte Kleider, kaufte ihr einen ordentlichen Hut und modelte auch sonst an ihr herum. –

Wenn ein sechzehnjähriger Bursche aus des Waldes tiefsten Gründen in eine Weltstadt kommt, ist er mit 17, 18 u. 19 Jahren noch immer ein vierschrötiger Waldmensch; ein Mädchen aber dieses Alters findet sich bald in die neuen Verhältnisse und Menschen, passt sich rasch an, und ehe noch ein Jahr vergeht, ist's nicht mehr zu erkennen. Das Bärbel entwickelte sich bei der guten und reichlichen Kost auch körperlich schnell. Die Ecken verschwanden, sie wurde, wenn auch nur mäßig, »mollet«, ihr Gang ward elastisch, war nicht mehr so schleppend wie vor Jahresfrist noch.

Das anfänglich entsetzliche Heimweh legte sich. Ganz verschwand es aber nicht, und deshalb war das Mädel, als ihr die Gnädige, weil sie selbst für einige Wochen an die See ging, vierwöchentlichen Urlaub zu einer Heimreise gab, ganz närrisch vor Freude.

Bloß ein Jahr lag dazwischen; die Veränderung, welche inzwischen mit dem Mädchen vor sich gegangen war, war jedoch eine große. Äußerlich und innerlich. Die Barbara vom vorigen Jahr trug nun einen Bubikopf, ganz kurze, moderne Röcke und Florstrümpfe, (Kleider und Strümpfe, die ihr die Dame geschenkt hatte), hatte einen feschen Hut, einen schönen Schirm usf. –

Meiselschlägers erwarteten mit Sehnsucht ihre Tochter. Heute musste sie mit der Post kommen, und als das Trara des Postillon, welcher in diesem abgelegenen Gebirgsstädtchen noch immer auf seinem Horne blies, immer näher kam, gingen sie aus dem Stübel und reckten die Hälse.

Welch eine Enttäuschung! Der Karren blieb zwar vor dem Hause stehen, anstatt aber, dass ihm die Barbara entstiegen wäre, stieg da ein fremdes Fräulein in einem langen Staubmantel aus, mit Hut und Schirm! Und hätte das Fräulein nicht aufgejauchzt: »Mutterl, Vaterl!« sie wären wahrhaftig alle wieder in ihr Stübel zurückgegangen. So aber, als die bekannte Stimme an ihr Ohr drang, die Augen besser hinsahen, gab's endlich ein freudiges Erkennen.

»Bist es oder bist's net?« lautete das erste Willkommen, und die allseitige Freude war groß.

Das erste Willkommen war also sehr freudig trotz Hut und Stodrmantl. Aber halt das zweite! Kaum hatte die Baberl ihren Hut und Mantel abgelegt, malte sich auf allen Gesichtern wahres – Entsetzen, und die Frau Mama rief: »Do steht d' Welt nimmer long! Kittala bis zu die Knie wie die Kummödiflintschn vom Zirkus, Hoor, wij's d' Lausbub'n trogn und nockete Füß (die armen verkannten Fleischfarbenen!) – jo wos war denn dös? Do steht d' Welt nimmer long! O, Mensch, wie kummst du daher? – Af d'r Stell zuigst dös Schondgwond aus und nimmst a Kopftejchl, doss di(ch) ka Mensch mit dem Lausrhorn net drsegt!«

Und der Papa sprach rügend: »Alsdann dös war auf die Ort wienerisch? Auf der Stell folgst d'r Mudr und zuigst d'r a onständigs Zeug on!«

Aber das missratene Kind lachte nur – auch wienerisch, – und entgegnete – auch wienerisch: »Ober Mutterl, Vaterl, in kann do(ch) nit in der Wienrstodt wie a oltes Bettlweib umanandrennen; do spirret mi jo d' Polizei in a Norrnhaus. Und wanns mi nit nehmts, wie i bin, muss i holt wieder furt von Enk.« Und erläuternd setzte sie hinzu: »Do sollts erst mei Gnädige segn, die noch größer is alsr i und von derer i olls, wos i onhob, kriegt hob; derer reichn d Röckerln net amol bis auf die Knie, und der ihre Hoor sant jo no viel kürzer! Mit dem Gewand, wie's do die Weibr und Ledige trogn, kunnt ma in dr Wienrstodt höchstens af an Maskenball. Wie i komm'n bi(n) und do steh, so geh i a umanand und wanns Graz gilt!«

Was war da weiter zu machen? Das Kind »verstoßn«? Das ging nicht; aber »jamentiern« konnte man. »I du Malifizmod, du wienerische, du sündhafte Welt! O hätt'mr doch das Mensch liebr dahoamt glo(ss)n und zum an Bauern in Dienst gebn! Jo, und wej di do daherred – grod herrisch! Obr, dös sog i dir, Mensch, zur Tanzmusik därfst in dem Gwand auf kein Foll! Af kein Foll!«

Barbl ging aber dennoch, wie sie war, auf den »Ball«; denn erstens hatte sie daheim nichts mehr, was ihr nicht zu klein gewesen wäre, zweitens ging sie grad justament dahin.

Vater und Mutter trauten sich nicht mit ins Gasthaus, und nur die Nachbarsleute, deren Tochter auch in dem Sündenbabel diente, trotzten allen und nahmen die Barbara mit.

Diese Sensation! Oder Skandal? Jedenfalls allseitige Entrüstung. Die älteren »Damen« (halb Bürger- halb Bauernweiber), mussten sich setzen, als sie »den Schandfleck« erblickten und, wie die Meiselschlägerin gerufen hatte, raunten sie einander zu: »Jo, do steht die Welt nimmer long! Do muss jo grod der Antichrist nimmer weit weg sein?«

Die weiblichen jüngeren Jahrgänge maßen das »hoffährtige Scheidermensch« von oben bis unten, und Herrn Bürgermeisters Mali bemerkte maliziös: »No, die Ohrring mit die großmächtigen Perln hot si' die a net von ehrm Lohn kaft.«

(Freilich, solch' Riesenperln, die selbst eine Kleopatra zu einem Weinkrampf vor Neid gebracht hätten, wenn's echt gewesen wären, waren zu infam »nob'l«.)

Auch die ganz alten Männer schimpften über das arme Ding; die jungen Männer jedoch, spitzten den Mund und machten Krebsaugen und drehten ihren Schnurrbart, und als sie ihren »Respekt« überwunden hatten, rissen sie sich nur um »dös gschmackige Menscherl«. Insbesondere machte der reiche Müllersohn Gegenbauer der Baberl den Hof. Der war erst vor Kurzem vom Militär heimgekommen, wo er schon etwas von der Welt gesehen und was anderes kennen gelernt hatte. –

Ich war selbst bei dem Ball und habe auch mit der Bärbel getanzt und muss sagen, dass sie sich sehr anständig und vernünftig benommen hat. –

Doch, das dicke Ende der Geschichte, mein lieber Freund, kommt erst nach. Höre und staune!

Das Jahr darauf komme ich natürlich wieder auf Urlaub heim. Freunderl – wo du hinschaust – alle die Mädchen von des Bürgermeisters Mali bis zu des Kirchendieners Sali – alle: Bubikopf, kniefreie Röcke, fleischfarbene Florstrümpfe, moderne Ohrringe und parfümiert!

Wie das möglich war, in Jahresfrist? Einfach genug, der reiche Müllersohn hat vor einem halben Jahr die arme Schneiderbaberl geheiratet, und jetzt meint jedes Mädel von Krohstadtel, auch ihr könnte so ein Glück blühen, wenn sie nicht mehr mit Kitteln bis auf die Fersen daherkämen wie bisher. Und die Alten, Mütter und Väter?

Die sagen jetzt zu ihren Töchtern, wofern diese die neue Mode nicht mitmachen wollen: »Do steht d' Welt nimmr long; willst denn grod wie der Antichrist daherkemm'n mit Kidln bis af d' Erd? Denk an dös Schneidermensch, d' jetzi(ge) Müllerin!«


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