Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frau Pfeifer in Fürstenwald

»Vor zwei Jahren war ich in Ostende«, sagte Frau Pfeifer im Juli darauf.

»Das weiß ich«, antwortete ihr Gatte.

»Und voriges Jahr in Meran«, fuhr die Dame fort.

»Das weiß ich auch«, erwiderte er und setzte, wohl ahnend, nach welchem Ziele die teure Gattin steuerte, hinzu: »Machs kurz und sage, welches Bad Du heuer dem Doktor angeraten hast, und welche Krankheit er Dir dazu verordnet hat! Heißt sie Mehadia oder Marienbad, liegt sie in Spanien oder am Bosporus, am Strande oder im Sande, unter Palmen oder am Fuße eines Gletschers?«

»Spotte nur! Du weißt doch ganz gut, wie elend ich bei meiner Abreise immer war, und wie mich immer sogar die paar Abschiedsbesuche angegriffen haben. Aber beruhige Dich, ich fühle mich heuer so wohl, dass ich auf so teure Kurorte – der Spaß hat in Ostende und Meran, wie Du weißt, über tausend Gulden gekostet – verzichten kann, und bin heuer mit einer Sommerfrische in Fürstenwald zufrieden; ich möchte nach Fürstenwald.« –

»Wa – wa – was? Nach Für – sten – wald?«, rief Herr Pfeifer darauf hin. »Aber, liebe Klara – wenn Du schon im Sinn hast, in den Böhmerwald zu gehen – in Gottes Namen denn; aber dann nach Eisenstein oder nach Eleonorenhain oder eine andere Sommerfrische des Böhmerwaldes, in der Du doch die gewohnten Bequemlichkeiten, mitteleuropäische Kost u. s. f. genießen kannst und eine Ansprache findest – aber nur nicht in das weltentlegene Fürstenwald mit seinen weit auseinanderliegenden Einzelgehöften?«

Doch Frau Pfeifer hatte sich gerade Fürstenwald in den Kopf gesetzt, und gereizt erklärte sie: »Warum soll ich nicht nach Fürstenwald? Finde ich dort nicht, was ich so sehr brauche: idyllische Ruhe, gesunde Luft, Wald und Sonnenschein, einfache, aber nahrhafte Kost und Leute, mit denen wir bereits seit Deiner Winterreise sozusagen befreundet sind? Und – Ansprache? Ist jetzt nicht die Tochter der Frau Vroni, die Lisbeth, welche, nach der Photographie zu urteilen, ein ganz gebildetes Mädchen ist, daheim? Und dann die Frau Vroni selbst? Ich bin davon versichert, dass mir gerade Fürstenwald sehr gut anschlagen wird. Und dem Rudi, der sonst immer in der Stadt bleiben musste, erst recht. Der Bub wird dort aufleben, besonders da er dort den Boirseppenhansel, dieses unverdorbene Naturkind, findet.«

Wenn sich eine Frau einmal etwas in den Kopf setzt, ist weiter nichts zu machen; die Frau Pfeifer musste nach Fürstenwald, und da von Fürstenwald ihre Nerven abhingen und von den Nerven ihre gesamte Gesundheit und von ihrer Gesundheit Herrn Pfeifers Ruhe, so gab er endlich mit einem schadenfrohen Lächeln nach und schrieb sogar selbst einen langen instruktiven Brief nach Fürstenwald. –

In zwei Tagen hatte die Luise, die treue Zofe, alle Speisekörbe, Koffer und Schachteln gepackt und, als Herr Pfeifer ebenso boshaft wie prophetisch fragte, ob nicht das Allerwichtigste vergessen worden wäre, antwortete die Perle pikiert: »Gnädiger Herr, nicht einmal Rudis Botanisierbüchse.« – – –

Die Fahrt dauerte bloß zwölf Stunden; der Boirnsepp hatte nämlich laut Auftrag in Winterberg zwei Equipagen aufgenommen. In der ersten nahmen Frau Pfeifer, der Boiernsepp und der Rudi Platz, in der zweiten waren Luise und das Gepäck untergebracht.

»Ejz samr scho-do!« sagte der Sepp und wies auf ein langgestrecktes, niedriges Haus mit ungeheuer hohem Dache, und im nächsten Augenblicke schrie der Boierseppnhansl zum Stall hinein: »Mudr, d Pfeifrleut sand scho do, und dr narrischi Karl hot a Haubn af, wej dr Marianko-Off bai de Bärntreibrzigeunr, de im Auswärts (Frühjahr) do worn!«

Der Rudi blickte seine Mutter etwas bestürzt an, doch diese winkte ihm lächelnd zu schweigen und sprang elastisch mit dem Rufe »Gott sei Dank, das wäre überwunden!« in die nächste Mistlacke. Darauf kam die gute Seppin, streckte eine Hand der Frau Pfeifer und die andere der Luise entgegen und sagte treuherzig: »Grüß Ehn'n God a Frau Pfeifr, und ehn'n a, Fräuln, und den Kloan do a! Weils ner do san! Spazierns ner waitr! D' Lisi is eh ei dr Stubn und wart af Ehn'n mitm Nochtmohl. – Müssns holt scho fürlieb nehmn mit dem, wos mir Woldleut do hobn; a Kaffeesuppn hätts ehn'n kocht und an Oirsterz. – I wir derweil no mitm Mensch, der Stolldirn-Agrl, schraibt sie si, 'n Stoll varrichtn.

Mit Hilfe des Boirseppn und der Luise gelangten Frau Pfeifer und der Rudi in die Stube, wo die »Boirnseppnlisl« (wie die Tochter des Hauses naturgemäß im Umkreise von zehn Kilometern hieß) nach freundlicher Begrüßung der Gäste »die Honneurs« machte. Die Stube war sehr rein und anheimelnd, die Lisi, welche schon in der Fremde »Monier lernen« gewesen, war sehr lieb und aufmerksam, und die Ruhe nach der langen Fahrt auf teilweise sehr holperigen Wegen tat unendlich wohl. Es kam der Frau Pfeifer zwar recht komisch vor, zum Nachtmahl Kaffee vorgesetzt zu bekommen, er schmeckte aber vortrefflich, und nur der Eiersterz wollte nicht so recht munden, denn er schwamm buchstäblich in Fett. Doch die schlaue Luise wusste sich zu helfen; sie goss das Fett in die leeren Kaffeehäferln ab und milderte dadurch das Allzuviel des Guten. Dann kam die Seppin, und man verplauderte ein Stündchen in aller Gemütsruhe. Frische Luft und Fahrt hatten die »Progr« müde gemacht, und sie gingen deshalb bald zu Bette. Vorher mussten sie jedoch noch die vermeintliche »Hühnersteige«, die steile Holztreppe – eigentlich schon mehr Leiter – »vierhändig« hinaufkrax'ln, was allgemeine Heiterkeit hervorrief. Das Bett war sehr gut, und Dame und Söhnchen verfielen bald in einen totähnlichen Schlaf. Luise dagegen wälzte sich noch lange unruhig in ihrem Bette, eigentlich einem mit Pölstern reichlich ausgestatteten Verschlage am Boden; denn sie hatte mehr als die Hälfte des fetten Eiersterzes verschlungen, und ober ihr, am »Hohbodn«, schnarchte der Knecht Maxi so gemein, dass die zarte Luise darob Tränen vergoss. Doch auch sie verfiel endlich in einen so tiefen Schlaf, dass sie nichts mehr zu stören vermochte.

Und wenn nichts Besonderes dazwischen gekommen wäre, hätten wohl die Gäste bis zum Mittagessen geschlafen; doch schon gegen vier Uhr fuhren alle entsetzt empor. – Der Bauer und der Knecht dengelten gerade unter ihren Fenstern die Sensen, und die Stalldirn brüllte: »Gehts eini, Baur, d' Kolbin is afstößi!« (unwohl), worauf das ganze Haus in Bewegung geriet. Mit dem süßen Schlafe wars vorbei, und händeringend lamentierte die Luise: »Und das nennt man idyllische Ruhe! Erst schnarcht dieser Adonis nachts wie ein Bär, und dann dengelt er um vier Uhr morgens alle Sensen des ganzen Bezirkes!«

Um sechs Uhr gab's wieder Kaffee und um halb sieben ging's in den Wald.

Der Morgen war herrlich; die Vögel sangen um die Wette, und entzückt gestand Frau Pfeifer: »Das entschädigt für alles.«

Den Gästen zu Ehren gab's heute, wiewohl ein Wochentag war, Schweinernes, Kraut und Knödel. Doch als es zum Speisen kam, spähte Frau Pfeifer vergeblich nach dem Schweinernen.

»Neun Zentimeter Speck und ein Zentimeter Fleisch«, tadelte auch Luise, und als sich auch weder die grünen, pappigzähen »Reiberknödel«, noch auch die staubenden »Krummauerknödel« als »genießbar« erwiesen, war Frau Pfeifer fest davon überzeugt, hier verhungern zu müssen, zerdrückte heimlich eine Träne und dachte schon jetzt – ans Heimfahren.

Während dieser Gemütsdepression kamen zum Überfluss auch noch zwei aufregende Korrespondenzkarten, eine an Frau Pfeifer selbst, die andere an den Hausherrn. Die erste lautete: »Liebes Klärchen! Du hast also doch die Hauptsache vergessen, ich sende Dir deshalb vorläufig einiges davon nach.« Die zweite Karte lautete: »Lieber Herr Baier! Bitte sofort eine Kiste, 36 kg schwer, von der Post mit Wagen abzuholen!«

Lächerlich! Jetzt, wo sie ans Heimfahren dachte, sendet ihr der Mann eine Kiste, 36 kg schwer und ganz gewiss voll unnützem Zeug. »Der Mann ist ein Esel!« zürnte sie, die Karte unwillig zerdrückend und in die Ecke werfend. »Der Mann ist ein Narr! Die Kiste muss retour!«

Doch der Boiersepp war schon auf und davon, und zwar sehr frohgemut; er kannte den umsichtigen, auch im Böhmerwalde wohlorientierten Herrn Pfeifer, und ihm schwante was. Und als er nachmittags mit einer großen Kiste ankam und ihr Deckel unter den wuchtigen Axthieben des Seppen aufflog und Luise flink wie ein »Oachkatzl« auszuräumen begann, da starrte Frau Pfeifer nur so d'rauf. Die Kiste enthielt, zunächst oben: 1 Paket ff. Tee, drei Dosen Kakao, 1 kg Schokolade, 1 Flasche Jamaikarum, einen Schinken, ¾ m Veroneser, 3 kg Emmentaler Käse, 1 Schachtel Teegebäck, 5 Flaschen roten Wein, 5 Flaschen Pilsner Exportbier, 1 Säckchen gebrannten Kaffee, 10 Büchsen Konserven, 5 Dosen Sardinen, eine Tüte getrocknetes Gemüse, Obst, Zuckerwerk usw., und in einer kleineren Kiste, auf deren Deckel zu lesen war »Für Schnürlregenstunden«, stand, eingebettet zwischen Romanen und Modeblättern, das feine Grammophon der Frau Pfeifer. Und zu unterst lag noch ein Zettel mit der Mahnung: »Zur Strafe für Deinen Starrsinn habe ich Euch 24 Stunden zappeln lassen. Brauchst Du sonst etwas, so telegraphiere! Mit Kuss und Gruß an Dich und Rudi – Nicki.«

»Der Mann ist ein Engel! Der Mann ist ein Engel!« Mehr brachte Frau Pfeifer nicht heraus, und die Luise jubelte: »Ein Mann ist halt doch gescheiter als Unsereiner! Um hundert Gulden was zum Schnabulieren und was zum Zeitvertreib!«

Natürlich gab's abends ein besonders gutes Mahl, während dessen die Burgmusik spielte, Caruso sang und »Der Traum des Reservisten« in Erfüllung ging, und Frau Vroni bekam einen Schwips am Schlusse, dass sie begeistert ausrief: »Na, Jesas, na, Jesas, so an Mann möcht' i a hobn! Tausch mr, Frau Pfeifr, i gib ehn'n no zwoa Ouxn draf.« Der Boirsepp rächte sich für dieses Angebot mit einem bösen Blick und der hastigen Versicherung: »Jo, dich könntr der Herr Pfeifr grod brauchn, du olti Zulln, olts Granastr du!«

Frau Pfeifer und Luise hielten sich vor lauter Lachen die Seiten, und da der Hausherr auch feierlich gelobte, fürderhin für eine ungestörte Morgenruhe sorgen zu wollen, und Luise zu kochen versprach, endete dieser so ungünstig begonnene Tag ganz angenehm.

Die verheißene Hausruhe wurde tags darauf sogar etwas unheimlich; denn als die Prager morgens aufstanden, war das Haus leer; kein Mensch, kein Rind, kein Huhn waren zu sehen oder zu hören, nur die zwei Schweine grunzten missvergnügt in ihrem Verließ. Was sollte das bedeuten? Doch der Abend brachte Aufklärung. Abends kamen sieben hochbeladene Fuhren Heu heim und mit ihnen Menschen und Tiere. »Mir habn alle af d'Wiesn müssn«, erklärte der Sepp, »weil morgn regnts, und da hat dös Heu, wos draußt wor, eini mejssn.«

»Aber, Herr Baier, was fällt Ihnen ein«, wandte auf diese Erklärung hin Frau Pfeifer ein, »mein Aneroid zeigt das beste Wetter an, die Prognose, welche der Postbote brachte, lautet auch günstig – da ists doch unmöglich, dass …«

Der Boirsepp jedoch wies nach dem Bergsattl im Westen hin und entschied: »Segn's d' Wettrluckn durt, Frau Pfeifr? Die is verschmiert und do kann 's Bangrometr sogn, wos will, und d' Prognos a, morgn guißts!« Und so war es auch; als Frau Pfeifer am nächsten Tage erwachte, regnete es in Strömen, und so auch noch drei Tage lang.

Da waren die Romane, die Journale und das Grammaphon eine wahre Wohltat, und Herr Pfeifer abermals ein Engel.

Dann kamen wieder herrliche Tage, an denen man in den Wald gehen und auch verschiedene weitere Partien unternehmen konnte, und als Frau Pfeifer endlich wieder heim musste, schieden die drei Prager mit wehmütigen Gefühlen, aber blühend von Fürstenwald und von den guten Boirseppnleuten mit dem Rufe »Auf Wiedersehen!« – – –


 << zurück weiter >>