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Simson II.

Es gibt heute noch im Böhmerwalde (und im angrenzenden Bayerischen Walde) riesenstarke Männer, welche gleich dem berühmten Breitstätter, oder wie der hieß, Eisenstäbe krummzubiegen, eiserne Ketten zu zerreißen und im athletischen Zweikampfe manchen Recken zu Boden zu ringen vermöchten und durch professionell ausgeübte Produktion zu hohen »Ehren« und Reichtum gelangen könnten, – wenn sie auf so etwas von Jugend auf eingestellt wären und sich einem solchen Lebensberufe widmen würden. Das liegt aber den biederen Wäldlern nicht, auch fehlt ihnen hierzu die nötige Weltkenntnis, Lust und Liebe. Es fällt ihnen nicht einmal ein, zu ihrem Vergnügen eine solide Eisenkette »kaputt« zu machen; denn so einen Blödsinn begeht kein gescheiter Mensch. Dahingegen halten sie es für ihre Pflicht, gegebenenfalls jemandes, in hohem Kot oder Schnee steckengebliebenes Vehikel, das weder Pferd noch Ochs mehr weiterbringt, wieder flott zu machen oder ihre Kraft in sonst nutzbringender Weise Bedrängten zur Verfügung zu stellen. Solche gutmütige Herkulesse oder, wie die Wäldler es nennen, »sakrisch storke Karln« waren vor Jahren beispielsweise der in Hirschbergen (am Fuße des Plöckensteins) sesshaft gewesene Holzhauer Lorenz Pasta und der Eisensteiner Bauer Keckeis, dessen sich die älteren dortigen Leute wohl noch heute zu erinnern wissen werden.

Von dem Eisensteiner Keckeis soll hier eine ergötzliche Episode berichtet werden.

Keckeis war kein Hüne; aber er war muskulös und besaß die Kraft eines Bären, und seine Anwesenheit in einem Wirtshause genügte, die zu unlöblichem Tun versammelten Berufsraufer – denn solche gab's vor Jahren im Böhmerwalde und im benachbarten Bayerischen Walde übergenug – im Zaune zu halten. Mit dem Keckeis wollte es keiner zu tun haben; denn wenn's nottat, packte der die Raufer paarweise beim Kragen, hob sie hoch und warf sie wie paar Katzerln vor dieTür.

Mit einem Stuhlbein bewaffnet, hätte er ohne Zweifel eine ganze Wirtshausgesellschaft »drschlogn«. Doch so etwas lag ihm fern, weil er ein zu solider und gutmütiger Mensch war, um irgendeine Gewalttat zu begehen, und er hielt es auch für seiner Ehre unwürdig, zu raufen – wenn's nicht gerade sein musste.

Einmal musste es aber sein, und das kam so. Eines schönen Tages prangte am Mauereck des Eisensteiner Gasthauses »Zum Arber« folgende (patronierte) Ankündigung:

 

!!! Zirkus Grando !!!

! Noch nie dagewesene Produkzionen!

Geehrte p. t. Publikum! In Petersburg, Wien, Warschau, Berlin, Spanien u. a. große Weltstädte hat unsere Atraktion sehr grosse Aufsehen erregt und 3 Medaillen bekommen!

Brogram vor heute:

  1. Simmson II. der stärkste Mann der Welt wird zuerst hebe vile Zentner mit dem klein Finger, dann ganz eiserne Ketten mit freier Hand zereißen und mit freier Hand Oxenhuffeisen zerbrechen wie König August der starke von Saxen.
  2. Gain und Abel. Pantomine mit Musik und Gasbeleichtunk.
  3. Donna Elwira wird am Dratseil tanzen in Triko.
  4. Rikardo Maroni als Feierfresser und Glaßfresser.
  5. Der dumme August und das gescheite Ferd Bungo.
  6. Am Schlusse der Vorstellung:

Simmson II. der stärkste Mann der Welt wird mit beliebigen Herren aus dem P. T. Publiko ringn. Wer ihm wirft, bekommt auf der Stell bar
100 f. Belohnunk!

Schauplatz hier im Hotöll Arber heut um 8 auf die Nacht.
Eintritt vor Erwaxene Person 20 kr.,
Kinder 10 kr. unter 12 Jahre.

Um starken Besuch bitted

Die Direkzion.

 

So etwas muss man sich jedenfalls ansehen. Ganz Eisenstein findet sich zu der Vorstellung ein. Der Simson, ein wirklich ganz athletisch gebauter Mensch, erscheint, jongliert mit – (scheinbar wenigstens) kolossalen Gewichten, reißt mit mächtig ausholendem Ruck Stallketten auseinender und zerbricht mehrere Ochsen- und Pferdehufeisen. Allgemeines Staunen. Er tritt, allgemein akklamiert, ab, und es erscheinen Kain und Abel. Ersterer mit einer Ziege, Letzterer mit einer Schütte Stroh. Der Ajust kommt mit zwei brennenden Kerzen, beleuchtet damit »die Gas« und erklärt: »Da haben Sie, verehrte Publiko, die »Gasbeleuchtunk«. Kain will die Opferziege schlachten, sie rennt ihm aber meckernd davon. Er rennt nach. Derweil richtet der Abel ein unblutiges Opfer her. Inzwischen kommt der blutgierige Kain mit der Ziege zurück und wirft das Stroh mit den Füßen beiseite. Das lässt sich Abel nicht so ohne Weiteres gefallen, es kommt zum Streit, schließlich erschlägt der Bösewicht Kain den friedlichen Abel. Dieser fällt hin und spreizt sterbend beide Arme auseinander. Der Kain tut sie zusammen, da gehen aber Abels Beine auseinander. Kain schiebt diese zusammen, usf. in infinitum. Während dessen rennt die »Gas« wieder davon. Kain packt den Abel derb an, schüttelt ihn, kitzelt ihn mit einem Strohhalm unter der Nase, bis er wieder lebendig wird, und beide rennen der Ziege nach und – kommen nicht mehr wieder. Der Ajust hatte zu dem allen Zugharmonika gespielt; also gab's wirklich eine Pantomiene mit Gasbeleuchtung und Musik. – Donna Elvira tanzt am Drahtseil, Rikkardo Maroni frisst Feuer und Glasscherben, zieht hierauf aus dem Munde 50 m farbige Bänder. Als Zugabe schluckt er ein meterlanges Schwert. Dann kommt der Ajust mit dem Pferde Bungo. Dieses ist sehr gescheit; es bleibt, hierzu von seinem Herrn aufgefordert, vor der »schönsten« Dame stehen, macht ihr einen Kratzfuß, gibt, darum befragt, ihr Alter durch 44 Hufkratzer an; nickt mit dem Kopfe, wenn's »ja« heißen soll, und schüttelt ihn, wenn's »nein« heißen soll usw. Nach jeder Nummer gibt's Applaus; das Publikum ist zufrieden. Dennoch sieht jedermann der Nr. 6 mit Spannung entgegen. Schon darum, weil, wenn sich niemand zum Ringkampfe hergibt, die Vorstellung aus ist und man auf diese Weise um die interessanteste Nummer kommt.

In der nun statthabenden, längeren Pause (welch ein Trick!) schneuzt, hustet, schnupft, murmelt, scharrt mit den Füßen und trinkt alles. Mit einem Male – Grabesstille – Simson schreitet in Trikot, die herkulischen Arme nackt, aus dem Hintergrunde hervor!

Er verbeugt sich und lässt seine Muskeln spielen. Wie er seine Faust bei der Armbeuge bis zur Achsel bringt, schwellt sein Deltamuskel hügelhoch an. Allgemeines »Ah« und Bemerkungen fallen, so z. B. »Hot der Karl Muskln!« oder »A sakrisch storkr Karl dös, net?« – Der Rikkardo und der Ajust bringen einen Strohsack und werfen diesen am linken Bühnenende nieder. Wozu das? Wird schon kommen. »Er« wird's selber sagen. An den Rand des Podiums tretend, ruft Simson II.: »Alsdann die Herrn da unten! Wem gefällig ist zu ringen mit mir, der soll gefälligst heraufkommen! Keine Furcht, meine Herrn – ich werf' an jedn ner af den Strohsack hin. Sie riskiern nix dabei, höchstens an kleinen Rippen- oder Schlüsselbeinbruch oder an Nasenbeinbruch. Wenn er aber mich schmeißt – 100 Gulden ist auch kein Schmarren, was? Der Herr Direktor zahlt Ihnen die 100 Gulden sofort bar auf die Hand! Hm?« – Offenbar ist das Risiko zu groß. 100 Gulden ist ein schönes Geld; was nützen mir aber 100 Gulden, wenn ich dabei ein Krüppel werde, und gar, wenn's einen Krüppel ohne 100 Gulden gibt?

»Niemand 100 Gulden gefällig? Keine Kurasch? – Hm???«

Da räuspert sich wer in der hintersten Reihe!?

»Großgoschet'r Karl dös«, sagt derselbe auch noch.

Wer ist dieser Kecke? Natürlich der Keckeis.

Aller Augen wenden sich ihm zu, und siehe! Keckeis erhebt sich und ruft Simson II. zu: »Wann's nix dagegen haben, Herr Simson, probierm'rs halt a wenig mit anand.«

Simson spitzt den Mund, und spöttisch spricht er: »Also bitte, nur herauf da!« »Kumm eh scho«, entgegnet der Keckeis, zieht sein Röckel aus, streift, oben angekommen, seine Hemdärmel hinauf und sagt ganz gelassen: »Alsdann los!« Kolossale Aufregung. Rufe »Bravo Keckeis!« »Schmeiß den Karl! Hau 'n um d' Erd!« »Holt' di' Keckeis!« –

Beiderseitige Avance, jetzt sind sie einander schon ganz nahe, jetzt greifen vier Arme und Hände vor – noch ein Schritt, und schon haben sie einander umfasst, und das Ringen geht los! Kein Kinderspiel das; her und hin geht's; bald rinnt ihnen beiden der Schweiß über den ganzen Körper. Mit einem Mal aber gibt's einen Krach, und hundert Menschen brüllen und jauchzen. »Bravo Keckeis! Hoch, hoch der Keckeis!« Der Keckeis hatten den Simson II. wirklich zu Boden gebracht und war damit zum »Allerstärksten Mann der Welt« avanciert! – Ob er auch die ausgesetzten 100 fl. bekam? Die ganze Bande hatte keine 20 fl. im Vermögen; doch dem Keckeis war's nicht um das Geld zu tun gewesen, sondern bloß darum, die Ehre der Böhmerwäldler zu retten, und das war ihm gelungen! –


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