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Eine Wolfsjagd im Böhmerwalde

Der Löwe ist los! Der Löwe ist los!« So erscholl einst der Schreckensruf in Florenz. »Draußt a dr Trotn (Feldrain) rennt a Wolf umanand!«so erscholls vor etlichen Jahren in Stadlau.

»Draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand!« rief der kleine Ludltoni, und auch der alte Koberl schrie.

»Draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand!«

Ein Hirt war mit der Hiobsbotschaft ins Dorf gelaufen gekommen, und wenn auch die Bedächtigeren ihre Häupter schüttelten, es blieb dabei, »draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand«.

»'s is net möglich«, sagte der Xaverlbauer; »a Hund wird's sein«, meinte der Weißschädlmaxl, und der Schmied erinnerte, dass vor etwa vierzig Jahren der fürstlich Schwarzenbergsche Baumeister Sterbik den letzten Böhmerwaldwolf am Maurechenberg beim »Wolfstein« geschossen hätte, und dessen Balg im alten Jagdschlosse in Frauenberg ausgestopft zu sehen sei. Doch was nützte das alles – »draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand!« ging's weiter durch der Häuser lange Zeile.

Zum Überfluss kam auch noch der »Hundstomerl« dazu und bestätigte das Gerücht. Der Tomerl war in dieser Sache eine Autorität und sowohl als Hundefreund wie auch als Hundekenner im Umkreise von zehn Meilen bekannt; denn es gab in der ganzen Gegend keinen fetten Hund, den er nicht schon verspeist hatte oder nach dem ihm nicht schon der Mund gewässert hätte.

»Ka Hund ist's net«, entschied er, »i kenn olli Hund vo Stubnwossr bis af Rehdorf und Harberg. Er gibt kann Laut von sich, schaut wie a Isakgrimm aus und is überhaupt a Wulf, wie er im Büchl steht.« Das entschied.

»Draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand!« schrien die Leute auf der Straße, aus jedem Fenster kam derselbe Ruf, und selbst aus der Dachluke rief ein altes Weib: »Draußt af dr Trotn rennt a Wolf umanand!«

Keine Garnison der Welt war je auf das Alarmzeichen hin so schnell gestellt wie der Stadlbauer. Zehn Minuten nachdem der Hundstomerl alle Zweifel zerstreut hatte, stand das bewaffnete Stadlau männlichen Geschlechtes auf der Straße. Die Bauern hatten Gewehre, die Knechte Flegeln, Sensen, Mistgabeln und Knittel, und selbst die sanfte Gattin des Gemeindeschreibers rief demselben, als er in eiligem Schritt das Haus verließ, nach: »Aber Wilhelm, du wirst doch nicht so ganz ohne gehen? Nimm doch wenigstens das lange Lineal mit!«

Am Ortsende gab's zunächst einen Kriegsrat.

»Wie greif mr o?« fragte der Hammerschmied.

»Wir müssn a Kreisjagd mochn, versteht sich, a russische.«

»Wie is dös? Wie macht man dös?« fragte der Lenz.

»Dös is a so: Einer wicklt sich recht viel Hodrn um den linkn Orm, nimmt a langs Messer in d rechte Hand und geht auf den Wolfn los. Wie der Wolf dös segt, doss ner Oanr is, stellt er sich und geht af den Jagr mit dem Messr zu. Jetzt kriecht der mitm Messr bis zum Wolfn hin und holt dem den dickn Orm mit die Fetzn hin, und wie der Wolf hinschnoppn tut – indem sticht n der Jagr mit dem langen Messr ins Mäul eini und immer weitr bis in Mogn, bis dös Ludr holt hin is und mausdreckerltot is.«

»Jo, dös taumr!« riefen alle, und im Nu waren Dutzende von Händen mit »Schneuztüchln« und ellenlangen Hadern da, doch leider – kein williger Arm. Der erste, welcher refüsierte, war der Antragsteller selbst, ihm folgte der Schmied und der Lenz, der Luisl und der Wenz, der Hermann und der Michl. Man befürchtete offenbar, der Wolf könnte missverstehen und anstatt nach dem Arme nach dem Gesichtsvorsprunge schnappen. Kurz, dieses Projekt verschwand so schnell, als es in die Welt gesetzt ward, ebenso rasch wieder von der Bildfläche.

»Rufts n Löwn!« spottete deshalb einer der Runde, »der Löw soll an Brüllr mochn; den fürcht der Wolf wie dr Teufl s Weihwasser.« Doch auch damit war's nichts; denn der Nathan Löw saß samt Weib und Kindern im Keller und rief ein übers andermal »Gott der Gerechte, af dr Trotn rennt a Wolf umanand!«

Noch ein Vorschlag ward gemacht. Der Gemeindeschreiber schlug vor, dem Wolfe eine mit Strychnin vergiftete Knackwurst zum »Vorwurf« zu machen; sintemal aber derzeit im ganzen Dorfe kein Strychnin vorhanden war, und Knackwürste ohne Strychnin für Wölfe ziemlich ungefährlich sein sollen, wurde auch diese Idee ad acta gelegt, und die Schützen einigten sich endlich dahin, dass die »bewehrten« Jäger den Wolf beschleichen, die gewehrlose Menge aber hierbei Treiberdienste zu leisten hätte. Und auf des Bürgermeisters »Marsch!« hin setzte sich der Zug in Bewegung.

An der Lisiere des Gutbacher Waldes trabte inzwischen der Wolf, nichts Böses ahnend, umher und schnupperte am Boden hin. Offenbar hatte er die Spur eines unschuldigen Lämmchens oder einer zarten Geiß entdeckt und ahnte nicht, was für ein Unwetter im Zuge wäre.

Der Wolf, den man nun schon mit freiem Auge erkennen konnte, besaß alle Kennzeichen eines Wolfes. Er hatte einen Kopf, einen Hals, einen Rumpf und vier Läufe, auch eine Rute, und mehr konnte man gerechterweise von einem Wolf auch nicht verlangen. Und wie der herkam? Jedenfalls hatte er sich verlaufen und war aus den Karpaten übers mährische Gesenke in den Böhmerwald gekommen oder aus den Alpen über Linz und Budweis und hatte die Retourkarte verloren.

Doch zur Sache!

Während der tückische Wolf die unschuldige Schafspur verfolgte und im Kreise umher trottete, als ob er die Drehkrankheit hätte, nahte das Verderben von Ost und West, Süd und Nord. Von Zeit zu Zeit wurde ein Schütze zwischen den Bäumen sichtbar, der sich aber allemal, wenn er des Wolfes ansichtig wurde, bescheiden zurückzog.

Der Wolf schien jedoch verschnupft zu sein; denn anstatt den Feind zu wittern und zu fliehen, wedelte er mit der Rute und rannte direkt dem Waldrande zu, direkt den Jägern vors Rohr. Endlich nahte er sich der großen Fichte, hinter welcher drei Hubertusse Stellung genommen, und schon sammelten sich Schwärme von Raben, der baldigen Mahlzeit gewärtig, als die drei Jäger – aus strategischen Gründen wahrscheinlich – zur Reserve abschwenkten. Scheinbar war das Isegrims Glück; doch wem das Fatum den Tod durch Pulver und Blei bestimmt, dessen Parzen spinnen nimmer lang, der rennt fortgesetzt in sein Verderben, bis er endlich im Hades ein unrühmliches Ende findet. So der stützbegriffige Stadlbauer Wolf.

Plötzlich, ohne jeden ersichtlichen Grund, machte er kehrteuch und lief geradewegs auf den Tännlingbauer los. Das war aber ein alter Soldat, und der verstand keinen Spaß. Puff! ging' los und an, und Piff und Puff und Paff knalte es gleich darauf von allen Seiten, dass die Gipfelknospen des Jungholzes und die Grasbüschel vom Boden stoben. Der erste Schuss hatte eben den Bann gelöst und den anderen Schützen Courage gemacht. Und Hurrah! Hurrah! durchhallte es aus hundert Kehlen Feld und Wald, Wies' und Weide. Einer der Schützen, vermutlich der Tännlingbauer, hatte den Wolf getroffen, doch nicht tödlich, und so kam's, dass er zwar jämmerlich heulend und hinkend, aber doch immerhin die Flucht ergriff und seiner Heimat – vermutlich Sibirien – zustrebte. Ihm nachzusetzen wäre offenbar ganz unnütz gewesen; einesteils, weil ja so ein angeschossenes Tier ohnehin bald verenden musste, andernteils, weil er doch noch besser rennen konnte als die Schützenkompagnie. Darum standen auch die Jäger von der weiteren Verfolgung ab und zogen in corpore ins Lager zur reschen Wirtin, wo man das Ereignis besprechen und sich dabei stärken konnte.

Bekanntlich erzeugt jede Wolfsjagd einen Wolfshunger und einen Mohrendurst, und so dauerte es ein Weilchen, ehe die Sachverständigen zu Worte kamen. Dann aber erklärte der Tännlingbauer die seelischen Eigenschaften des Wolfes, während der Schuster-Sixt sich über die körperlichen Merkmale desselben verbreitete. Doch ging das nicht so ganz ohne jede Opposition vonstatten.

Der Schuster behauptete: »Erkennen kannst den Wulfn an dem, weil r san Schwonz ollweil af dr Erdn hinschleift«, wogegen der Lenz ganz richtig erwiderte: »Haha, doss i net lach. Söll is so dr Fuchs und net dr Wulf.« Nach einer Weile kam aber zum Glück der Gemeindeschreiber und, Pokurnys gesamtes Tierreich, Ausgabe für Mittelschulen, in der Rechten schwenkend, rief er schon von Weitem »Stilenzium! Net streitn; do gibt's a authentische Auskunft. Dann begann er, doch nicht ohne oft unterbrochen zu werden, zu lesen an:

»Der Wolf, canis lupus …«

»Jo, a Gauner is und a Lump is«, bestätigte der etwas schwerhörige Schmied.

»… gleicht einem Schäferhunde«, fuhr der Sekretär fort.

Aber auch dieser Nachsatz reizte jemanden zu einem Zwischenrufe; der Lenz triumphierte: »Segstes, Schustr – hon is net gleich gsogt? Du Lolai du? Wie' a Hund is 'r.«

Die Bemerkung, »er lebt in Rudeln in den Wäldern von Polen, Russland und Norwegen«, bestätigte der Hammerschmied wieder, indem er dazu nickte und wiederholte, »er lebt in Poln, in Russland und in Rudelien.« Und nachdem es weiter hieß, »in Deutschland und in Österreich ist er fast überall schon ausgerottet«, ergänzte der Schuster den Bericht mit den Wortn: »In Böhm hotn der Sterbik ausgerott und bei uns der Tännlingbauer.« Schließlich, als es hieß, »er liefert ein gutes Pelzwerk und ein festes Leder«, und der Schreiber ein kräftiges »Dixi« hinzufügte, prahlte noch der Hammerschmied, »jo, a dicks is. Mein Schwogr, sein Död, sei Suh (Sohn) hot selbst amol an Tobokbeutl von an Wulfn ghot, den er in der Wallachei gschossn hot, und den hotr zwanzig Johr ghot, so dick is.«

Damit war aber das Thema erschöpft, und man einigte sich auf ein Spielchen, und es kamen drei Tarokpartien mit doppel besetzten Kiebitzen zustande. Und lange hörte man nichts als das Aufschlagen der Fäuste und »Trumpf! Trumpf! Trumpf!« Dann aber ließen sich mit einem Male streitende Stimmen hören; die Wirtin schien jemanden den Einlass zu verwehren, und man vernahm die Worte: »Geh net eini, sie schmeißn di' heraus, doss d Haxn übern Kopf zammschlagst.« Doch der Fremde, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, drang dennoch ein, trat an den Honoratiorentisch, wickelte dort umständlich etwas aus dem Schnupftuche und – eben da jemand am Nebentische »Pagatl ultimo!« rief – warf er dieses Etwas mitten auf den Tisch und meldete: »Stimmt schon, vom Pagatl ultimo is und d' Gebrtin schickt mi aus Hintrhäusr her und losst eng olli schön grüßn, und do schickts den Herrn Schützn den Haxn, den wos Ihr ihrem Hund, dem Pagatl, ogschossn hobts!« –

Durch die Lüfte aber zog ein Rauschen und ein Heulen, zog Lützows wild verwegene Jagd, und mitten daraus klang Pagatls Stimme heraus, ein herzzerreißendes Wau – wau – wau!


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