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Opfer der Politik

Sooft der Boirnsepp Nachrichten von den verschiedenen europäischen Kriegsschauplätzen heimbrachte, jammerte sein gutes Weib, die Vroni, jedes Mal über das fürchterliche Blutvergießen, durch welches so viele Tausende junger Männer ihr Leben einbüßen müssten.

Kurz vor Martini jedoch überzog sich Vronis Herz mit einer Eiskruste, und sie blieb bei allen ferneren Kriegs- und Gräuelberichten unempfindlich und fertigte ihren Mann, sooft er mit neuen Nachrichten aus der Stadt heimkam, mit den Worten ab: »Red net, red net und misch di' net drein in d Kriegssochn! Vo' mir aus – i will mai Ruh hobn.«

Und der Grund dieses Gesinnungswechsels? Je nun, der Krieg warf halt seine Schatten schon bis in das Herz des Böhmerwaldes, das sonst so friedliche Fürstenwald, wie wir sogleich hören werden.

Wenige Tage vor Martini sagte die Vroni zu ihrem Gatten: »Sepp, mir hon koan Kaffee nimmer und koan Zuckr a net, und koa waizns Mehl mehr ei dr Floschn; musst af dr Stell ins Außrgfild obi; sinst hört si s Kochn af und du musst grod ner vo lautr sauri Suppn, Kraut und Dreräpfl leben und host net amol am Sunnto a Kaffeesuppn. Alsdann schläun di!« (Tummel dich)

Der Boirnsepp war zeitlebens ein Freund kulinarischer Genüsse und machte sich deshalb sofort reisefertig. Als er aber auf der Schwelle stand und mit einem fragenden Blick Daumen und Zeigefinger aneinander rieb, händigte ihm die Vroni anstatt des Geldes eine schneeweiße, prächtige Gans ein und erläuterte: »D Strunzin möcht no a poor Gansln, hots mr sogn lossn, weil z Martini kemmn Gäst, und dös woast eh, d Strunzin losst si' net beredn. Alsdann nimmst dös Gansl mit und kostn tuts eijz bei d Kriegszeitn und weils fett a is, fünf Krönln – zwoa Gulda und fufzg Kreuzr. Und af dem Zedl do hon i d'r olls deutla afgschriebn, wos d' vor dös Geld hoambringn musst, und af an Litr für di' reichts a no. So, und ejz schläun di, doss af d Nocht wiedr do bist!«

Das Gansel kam in den Rucksack, so dass dem junoischen Vogel bloß der Kopf aus dem faltenreichen oberen Ende heraus sah und er kläglich zu schnattern begann; der Boiernsepp aber schritt trotz dessen frohgemut dahin und überlegte am Wege, dass sein heimliches Privatvermögen plus der Provision zu drei Litern hinreichen dürfte. Diese Betrachtung versetzte ihn in die beste Laune, und nur wenn die Gans hinten oben zu eifrig schrie, wurde er »grantig«, und er verwies den Schreier mit der Mahnung: »Kusch, s dauert nimmer long!«

In Außergefild traf ers gut (in Außergefild trifft mans überhaupt immer gut); denn es saßen mehrere seiner besten Freunde um den großen Ofentisch herum und spielten eben »Durrak«, das Lieblingsspiel des Boienrseppn.

Jeder brachte dem allgemein beliebten Seppn sein Bier zu, und der Racklhoferannamirlisidor und der Mühlbauernlenzendominik gaben nicht eher nach, bis der Boirnepp auch mittat. Und da dieses Spiel nicht um Geld, sondern bloß »zum Zeitvertreib« gespielt wird, so konnte sich er Sepp ungeniert dem Vergnügen hingeben. Sintemalen aber der Goasschneidermartin beständig »fressen«, d.h. ein Packel Karten um das andere nehmen musste, ging dem die Geduld aus, und er warf die Karten mit einem »Himmlsakramalefizglump« so kräftig auf den Tisch, dass ihrer etliche dem Mustl von der Wulda ins Bierglasel hineinflogen und deshalb die »Eichelsau« und der Schellober als total untauglich ausgeschieden werden mussten, worauf das Spiel nicht mehr fortgesetzt werden konnte. Die anderen brummten zwar ein wenig über den »wildn Karl«; da aber der Wirt gerade eine frische »Budweiser Zeitung« daherbrachte und mit lauter Stimme: »Passts af, Monna, dr Hindnburg hot wiedrum an Schlogr toa(n); a poor Tausend Russn sand wiedr hi'!« – ausrief, wandte sich das allgemeine Interesse den Kriegsereignissen zu, und auf Vorschlag des Racklhoferannamirlisidor war dem Boirseppn die Ehre zuteil, die Telegramme vorlesen und sodann auch erläutern zu dürfen.

Nachdem dieser mit der Vorlesung der letzten Drahtnachrichten zu Ende war, schritt er auch sofort an die Veranschaulichung derselben. Mit den Worten: »Wenn do, wo ejz mei Brisilglasl is, dr Hindnburg schteht und do, wo i ejz de Sumpftn himol, dr Russ mit seini 99 000 Kosakn schtehn tout, und do, wo mein Pfeifnröhrl liegn tout, der Ongriff vor si ganga is, alsdann dr Hindnburg herentn und dr Russ drentn san, so verholt si d Sach a sou: dr Russ koa net her, wo mei Üntrsatzl schtehn tout, weil do hot dr Hindnburg d Schrappnellrgschütz, und weil af der Seitn, wo ejz die' Holbi schteht, d Gavallerie fürireit', so mus, varschteht si, der Russ z'ruck, grod ei d Sumftn eini, und do drschticktr eim Dreck!« Das wollte aber der Mühlbauernlenzndominik nicht einsehen, und er rief dazwischen: »Wegn wos koa denn nachr dr Russ nit d Offnsifn ergraifn, wannr 99 000 Kosakn und a poor Millionr Infandrie hot? Grod wegn dem, weil dr Hindnburg »Na« sogt? Na, na, Brüderl, de Soch is als a gonzi ondrs! Segst, do, wo dei Pfeifnröhrl liegt, do is n Russn sei schwochi Schtell, weil do n Russn d Position fahlt und ehm dr Hindnburg vo drai Saitn in d Flankn follt und ehrm drdruckt!« »An Schmorrn drdrucktr ehm«, schrie wieder der Goasschneidermartin dazwischen, »weil, wer koa mi druckn, wenn i so schtork bi wie dr Russ? Drdruck mi, we' i 99 000 Kosakn und a poor Millionr Infandrie und etla hundrt Kanonr hon! Schwonz, törischr! Obr der Hindnburg hots dennest drmocht, und woast mit wos? Mit dr Kriegslist, vo derer d Russn nix net varschtehn. Varschtehst!« Im nu waren zwei Kriegsparteien da; der Sepp und seine Anhänger behaupteten, Hindenburg siege nur mittelst seiner »stratögischn« Kunst, der Gegner, er siege durch Kriegslist; und Pfeifenröhl, Untertasse und Bierkrügeln veränderten dabei fortwährend ihre Positionen.

Dabei vergaß der Boirnsepp seiner Mission, trank ein Glas um das andere und zahlte sogar seiner »Hilfsmacht«, dem »Lotschai-Nazl« etliche »Vadschina« und »a saurs Beuschl«. Gegen acht Uhr kam endlich jemand, welcher den Weltfrieden wieder herstellte, der in der ganzen Gegend wohlbekannte Viehhändler Moritz Mandelstern. Der legte seine Hände beschwichtigend auf die Lederhosen der beiden Hauptgegner und sprach achselzuckend: »Was werds streiten um des Hindenburgs Bart? Kümmert uns das was, wie der Hindenburg kommt zu siegen? Das kümmert uns nein. Wenn nur wird die Sach gemacht und gemacht wird se, darauf geb iach euch allen mein Ehrenwort. Weil ich kenn den Hindenburg und weiß, was vor ein Genie der Mann is. Er machts und damit genug, basta! – Oder sain mir der Hindenburg und der Mackensohn und wie se alle heißen, de Heerführer und sein mir verantwortlich vor Krieg und Frieden? Wir sein nein verantwortlich und nicht ja verantwortlich. Das interessiert uns also nix. Aber, wenn einer von die Herrn hat an Oxn oder a alte Kuh, so bin ich der Mann davor, und se solln sehn, dass ich zahl' gut und bar. Nu, wie steht's mitm Vieh?« Mandelstern hatte das richtige Wort gefunden, um die erregten Geister zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen. (Wenn vom Vieh die Rede ist, herrscht für die Bauern der ganzen großen Welt holde Eintracht, süßer Friede auf Erden, besonders dann, wenn auch vom gut und bar Bezahlen die Rede ist.)

Doch der Boirnsepp hatte augenblicklich kein Vieh feil, und als es elf schlug, der Wirt kam, den Fasshahn zwischen Hindenburgs und Russlands Truppenmassen auf den Tisch legte und sagte: »Kriegszeit is, anzapft wird nimmr!« erhoben sich alle und zahlten ihre Zeche. Beim Boirnsepp waren Rechnung und Gegenrechnung höchst einfach: 16 Halbe 1 fl. 76 kr., fünf Verschina 30 kr. und zweimal Beuschel mit Brot 1 fl. 4 kr.; so krig i no 60 Kreuzer außi, af dei Gons.« So sagte der Wirt. Der Boirnsepp kratzte sich hinter den Ohren und entgegnete halblaut: »Do hätt i jo d Malifizgons saubr varsufa? Und schuldi blaib i a no wos!« und ging heim, trotz Rausch und Finsternis, trotz »Schnackerln und Zickzackweg.«

Um zwei Uhr morgens stolperte der Ärmste zur Tür hinein, und kaum war er in den Lichtkreis des Lämpchens getreten, als ihn die Gattin zornsprühend anfuhr: »Wo host denn d Sach', Lump bsuffn'r, ha?« worauf der Sepp lallend antwortete: »I hon nix kaft, weil i ka Geld nit ghabt hon.« Und als sie ihn nun nach dem Verbleib des schönen Vogels fragte, warf er sich in Hochdeutsch: »Die – Ga – Gans – die ist – ei – ein Opfer – der – Po – Politik«, ließ die verblüfft und verständnislos dreinsehende Gattin stehen, legte sich, wie er ging und stand, ins Bett und schnarchte gleich darauf wie ein Bär.

Am anderen Morgen gestand er aber reumütig: »Woast, Vronerl, i hon dös Ludrgansl wegn dem Hindnburg und wegn de Russn varschtrittn und varsuffa«, und fügte versöhnend hinzu: »Obr i tuas mei Lebtog nimmr.« – Seit dieser Zeit mag die Seppin vom Kriege nichts mehr wissen, und wenn der Sepp wieder wohingeht, ermahnt sie ihn immer mit den Worten: »Holt di zruck, Sepp, dossd net amol selbr hoamkimmst als a Opfr dr Politik!« –


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