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Meine erste und letzte Jagd

Wenn man auf die Jagd gehen will, muss man haben ein Gewehr, und man muss es auch genau kennen, also den Kolben vom Lauf zu unterscheiden wissen, dann, dass der Flinten-Hahn nicht kräht, sondern auf die Kapsel oder den Stift der Patrone hinhaut usw. Man muss auch schon irgendwo und irgendwann geschossen haben und darf nicht wehleidig sein, wenn das Gewehr hinten ausschlägt wie ein Ross. –

Das war bei mir dazumal, als ich mich entschloss, in des Waldes tiefsten Gründen Wild zu jagen, schon längst der Fall; denn, nachdem ich schon als Rekrut 60 Schuss abgegeben, Scheibenschießen und »feldmäßiges Schießen« mitgemacht hatte, war ich jedenfalls auch befähigt, Hasen, Rehe, Hirsche und anderes Wild zu erlegen, vorausgesetzt natürlich, dass ich's auch traf. Das war jedoch nicht so ganz selbstverständlich, denn als ich noch ein Schütz in des Regenten Solde war, verfehlte ich hie und da die Standscheibe, und der Herr Hauptmann sagte bei solchen Gelegenheiten jedes Mal zu mir: »Sie, Meisterschütz', wenn Sie noch einmal daneben treffen, lasse ich Sie einsperren, dass Sie schwarz werden!«

Selbstredend nahm ich mich nach solchen Anreden gehörig zusammen und zielte daneben, worauf ich die Scheibe regelmäßig traf, einmal sogar das Zentrum.

Übrigens wäre es mir aus eigenem Antriebe niemals eingefallen, auf die Jagd zu gehen, weil ich ein friedliebender Mensch bin, der nur die Stubenfliegen hasst, sonst aber den Mord verabscheut. Mein späterer Schwager jedoch, ein Forstmann und Jäger von Beruf, animierte mich so lange zum sogenannten »edlen« Weidwerk, bis ich endlich ja sagte und mitging.

Ich erhielt aus dem Waffenschrank meines ebenfalls späteren Schwiegervaters eine herrliche Leschoföbüchse oder wie dieses »Kaliber« sonst hieß, eine Jagdtasche voll Patronen und anderen nützlichen Dingen, so vielen belegten Brötchen, einer Bulle voll Wacholdergeist usw. und stand endlich – trotz meiner früheren Gesinnung – in martialischer Pose und geschwellt von Stolz und zu jeder Mordtat bereit, neben dem Schwager in spe marschbereit.

Es war ein erhebender Moment, als ich, so ausgerüstet und vor Hungersnot geschützt, ausrückte. Am Wege sprach ich viel von Schweiß, Läufen, Lichtern, Löffeln und so fort und überlegte im Stillen schon die »Strecke«, d. h., was ich alles erlegen wollte. Zunächst ein oder zwei Hirsche oder Rehe und etliche Hasen, dann je einen Auerhahn und einen Birkhahn, beide im Balz, sodann auch schädliche Tiere: Füchse, Marder, Iltisse usf., was halt so daherkommt bei einer ordentlichen Jagd.

Man muss aber offenbar verflucht weit gehen, bis man auf die richtigen »Platz« kommt; bergauf, bergab; durch Hoch- und Jungwald; über Stein und Stock; durch Wasser und Sumpf! – Heißhunger überfiel mich, und es war ein großes Glück, dass ich genügend Stärkungsmittel bei mir hatte und dass es mir dazumal nicht so erging wie bei der Heimkehr vom »Geierhäusel«, wo ich den Ziegelkäse vor lauter Hunger samt der Emballage fraß, welche in einem halben Bogen der »Neuen Freien Presse« bestand.

Jede Rast erquickte mich von Neuem, und es fehlte mir nachher nichts mehr als das notwendige Wild.

Weiß der Kuckuck (Kuckucke war das einzige, was ich bisher gehört und gesehen hatte und etliche Eichkatzeln nebst verschiedenen Singvögeln), war mein Jagdkumpan schussneidig und führte er mich boshafter Weise in lauter Gegenden, wo das Wild in die höher gelegenen Reviere verzogen – es dauerte unendlich lange, ehe ich etwas vor die Flinte bekam. Endlich kam mir aber doch ein ganzes Rudel Rehe in die Quere, und ich riss meinen Leschosö an die Backe. Zwar rief mir mein Kamerad zu: »Nicht schießen; es sind lauter Tiere und Geißen!« Aber das war mir Wurst, und ich war doch nicht auf die Jagd gegangen, um Pflanzen und Gesteine zu schießen, sondern eben lebende Tiere. Also schoss ich. Anstatt aber still zu halten, wie es der Anstand erforderte, drehten sich die Malefizviecher blitzschnell um, zeigten mir ohne allen Anstand die Blume und verschwanden mit affenartiger Behändigkeit im angrenzenden Gehölz! Mit Wehmut gedachte ich der soliden Standscheiben, auf die ich bei Königgrätz und Josefstadt in aller Gemütsruhe schießen konnte, während da alles in fortwährender fluchtartiger Bewegung war. Allerdings, einmal traf sich's ähnlich: Ein alter Hase blieb, als er mich ersah, auf seinen fünf Buchstaben sitzen und machte mir ein paar »Mandeln« vor, als ich auf ihn anlegte; als ich aber schoss, bekam er es mit der Angst zu tun, und lief mit einigen Kreuz- und Quersprüngen ins Dickicht. So kam's, dass ich ihn fehlte. Dafür stürzte aber ein Eichhörnchen, von meiner Kugel getroffen, von einem der nächsten Bäume herab. Ich hatte ihm aber aus Versehen – ich hatte es ja nicht auf ihn abgesehen – bloß den buschigen Schwanz wurzweg beim Gesäß angeschossen, und es war mir ein nur schwacher Trost, dass ich ihn auf diese Weise – notabene in absehbarer Zeit – ums Leben brachte; denn es ist erwiesen, dass Eichkatzeln ohne Rute zugrunde gehen müssen. Ich hatte offenbar Pech, und die alte »Semmelschneiderin«, welche mir beim Ausrücken über den Weg gelaufen war, trug alle Schuld daran, dass mir kein Weidmanns-Heil zuteilward. Ich nicht, bestimmt nicht, denn ich hatte meinerseits alles getan, was in meinen Kräften stand.

Unter solchen Umständen zog ich es, wie leicht begreiflich, vor, erst noch einmal zu rasten und den Rest meines Proviants zu verzehren und dann kategorisch zu erklären: »Jetzt gengmr wieder ham! Auf so a Jagd pfeif' ich!«

Mein Begleiter wollte zwar davon nichts wissen, aber ich gab nicht nach und setzte meinen Willen durch.

Vor dem Forsthause angekommen, übergab ich ihm mein Gewehr und Jagdtasche und erklärte ihm: »Wenn Ihr da nicht mehr Wild habet und kein standhafteres, ist's gescheiter, Ihr ladet Eure Puschken mit Kuhmist und bleibt hinter dem Ofen hocken! Ich geh' dir aber nie mehr auf den Leim, und wenn ich hundert Jahre hier alt werden sollte!«

Und ich hielt Wort. –


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