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Vom Mandel-Sepp und anderen »Paschern« (Schmugglern)

A Poscher oder Schwärzer ist bekanntlich jeder, welcher der Verzollung unterliegende Waren unverzollt über die Grenz zu bringen sucht; ob ihm's gelingt, ist Nebensache; und in diesem Sinne aufgefasst, könnte man in allen Grenzbezirken ohne Gewissensbisse deklinieren: Ich bin, du bist, er – sie – es ist, wir sind, ihr seid, sie sind Poschr; denn gelegentlich schwärzt ja bald dieser, bald jener eine Kleinigkeit »herein« oder »hinaus« und seien es nur ein paar Glimmstängel.

Das sind jedoch nur Gelegenheitsschmuggler und keine Volkstypen. Der rechte Posch'r ist ein professioneller Schmuggler, lebt ganz oder doch mindestens zum guten Teil von dem Ertrage seines Handwerks und betreibt es systematisch.

Die Zahl dieser Leute nimmt ab, weil einesteils der früher so schwunghaft betriebene Salzschmuggel »herein« fast ganz aufgehört hat, andernteils sich der Schmuggel infolge der strengen Grenzbewachung und überaus hohen Gefällsstrafen immer riskanter gestaltet.

Immerhin gibt es noch im Böhmerwald hunderte von professionellen Paschern und so auch im Bayerischen Walde. So werden zum Beispiel der dem Böhmerwäldler unentbehrlich gewordene »Schmalzl« oder »Brisiltubak« und die sogenannten »Zuckerln« (die Saccherinzeltchen) wohl täglich »herein« gepascht. –

Der Pascher grimmigste Feinde sind naturgemäß außer den Gendarmen, welche jedoch zu viel andere Aufgaben zu erfüllen haben, als Pascher zu fangen, die Finanzer oder wie sie der Volksmund nennt, »d' Grean«; und um ihnen nicht mit der vollen »Hucke« in die Hände zu fallen, bedarf es besonders zweier Eigenschaften: der genauesten Kenntnis aller Schleichwege und Schlupfwinkel und großer Schlauheit. – Die ersten Pascher traf ich am Gipfel des Mittagsberges in der Nähe des trigonometrischen Punktes, also auf »romanischer Höhe«. Ich hatte eben, auf einem Felsblick sitzend, die mitgebrachte Jause verzehrt und war im Begriffe, mir ein Pfeifchen zu stopfen, als ich's in meiner Nähe rascheln hörte. In der Meinung, es wäre en durchbrechendes Wild, legte ich schleunigst – meinen Regenschirm an, und es war jedenfalls mein Glück, dass der gute alte Schirm nicht losging; denn gleich darauf teilten sich die Zweige des Gebüsches vor mir und drei mit tüchtigen Packen beladene Männer sprangen auf die Lichtung, an mir und meinem Schirm vorüber und verschwanden ebenso geisterhaft im nächsten Augenblicke im Hintergrund. Geisterhaft deshalb, weil sie weder Gruß noch Frage an mich richteten, also lautlos vorüber huschten. Seither traf ich ihrer viele, insbesondere bei meinen Ausflügen nach der Scheuereck-Diensthütte bei Stubenbach. Nach dem eben genannten, in Bayern gelegenen und wirklich hochromantischen »Geierhäusel«, wie das Hegerhaus dort genannt wurde, führen vom »Bildelbaum« an drei prächtige Wege, und auf allen dreien traf ich Pascher, welche, aus dem Dickicht kommend, meinen Weg durchquerten, ohne dass ich vorher – ganz im Gegensatze zu ihnen – eine Ahnung von ihnen gehabt hätte.

Sie hatten mich nämlich ganz gewiss schon kommen hören und beobachtet; denn kein Pascher ist so unvorsichtig, quer über einen öffentlichen Weg zu gehen, ohne sich vorher zu versichern, dass die Luft rein ist. (Müssen sie ihn schon einmal gehen, so senden die Knaben, Weiber etc. als Späher voraus.)

Von Neugierde getrieben, suchte ich einige solche Querpfade eine Zeitlang zu verfolgen; doch ich gab's bald auf, weil dieselben über Stock und Stein, durch Gestrüpp und Lachen führen, oft auch plötzlich aufhörten, und ich mich bestimmt bei weiterem Vordringen derart verlaufen hätte, dass ich am Ende heute gar nicht in der Lage wäre, diesen interessanten Artikel zu schreiben! (Von Beeren und Wurzeln allein mehrere Tage zu leben, halte ich nicht aus, und die Wälder sind dort so groß und menschliche Wohnungen so dünn gesät, dass man viele Tage umherirren kann, ohne auf eine Ansiedlung zu stoßen.)

Aber auch in der nächsten Nähe von Stubenbach traf ich öfters Pascher und saß auch schon oft – allerdings ohne für gewöhnlich etwas hiervon zu ahnen (erfahren habe ich's immer erst später) – mit solchen an ein und demselben Wirtshaustische.

In der Nähe des Gruberger Wudi-Wirtshauses erblickte ich einmal plötzlich einen Mann, welcher, schwer bepackt, mit gewaltigen Sätzen dem isoliert stehenden Wirtshause zueilte, währenddem ein Finanzer ihm in einiger Entfernung und in gleicher Hast nacheilte. »Dummer Kerl!« dachte ich mir, »rennt doch nur selbst in die Mausefalle hinein und hätte doch nur ein paar Sätze nach Stubenbach hinein, wo es der Häuser genug gibt.«

Der Mann war aber kein dummer Kerl, und die Geleimten waren wir zwei, nämlich ich und der Finanzer, welcher übrigens ein Neuling in seinem Metier und dort noch fremd war.

Als ich nämlich das Wirtshaus betrat, fand ich den Finanzer bereits in voller Tätigkeit auf der Suche nach dem Pascher und war Zeuge dessen, wie derselbe alle Räumlichkeiten, also auch Keller, Boden usw. gründlich, jedoch vergeblich durchsuchte.

Wo war der Mann hingeraten? Wahrscheinlich war er durch das offenstehende Fenster der Hinterstube davon. So dachten wir. Später erfuhr ich jedoch den wahren Sachverhalt, und dieser ist für die große Geistesgegenwart dieser Sorte von Wäldlern sehr bezeichnend.

Der Mann war nicht in die Wirtsstube hineingegangen, sondern direkt ins Wohnzimmer des Schmiedes Lukas, in dem sich augenblicklich niemand befand. Die Hucken und den Stock abwerfen und beide unters Bett schleudern, sich in Hemdärmeln hinter den Tisch setzen, die Brille der Wirtin aufsetzen und sich in den dort liegenden Kalender vertiefen, war das Werk eines Augenblickes; und als der Finanzer wenige Minuten später in das Zimmer stürmte, fand der dort einen friedlichen und sein Pfeifchen rauchenden Mann, den er für den Wirt hielt und an den er die Frage stellte, ob kein Pascher dagewesen wäre, was natürlich verneint wurde.

Einen ähnlichen Fall will ich weiters erzählen. In F. traf ich abends einen sonntäglich gekleideten Mann im Wirtshaus, welcher in Langes und Breites über den Bahnbau bei Prachatitz erzählte.

Als er aber fort war, sagte mir der Wirt: »Der kimmt ejzt vo Prachatitz. Dös is der X-Poschr; der hot sein a hübsch's Taschl voll Zeug bei ehm.« »In der Rocktasche?« fragte ich.

»A na«, war die Antwort, »sel Taschl is jo hübsch groß und schwer; odr ka Poschr nimmt so was in a Wirtsstub'n eini – s kinnt jo a Finanzer drin sitz'n – s Taschl hot er z'erscht wo versteckt, im Stoll wo, odr sinst wo.« –

Mit dem »Zuckerl-Poschn« befassen sich auch sehr viele Weiber. Natürlich müssen auch diese sehr vorsichtig und kuraschiert sein, sonst kommen sie nicht weiter als – in den Arrest.

Will ich aber von Paschern erzählen, so darf ich nicht des Königs und Meisters aller Böhmerwaldpascher vergessen, des »Mandel-Sepp« aus Scheuereck bei Kuschwarda.

Er war groß, mager und hatte einen starken, schwarzen Bart und in den letzten Jahren seines Lebens (er wurde gegen 70 Jahre alt) keinen Zahn mehr im Munde. Um diesen Mandel-Sepp, der mit seinen Possen und Witzen, Streichen und Schnurren oft eine ganze Gesellschaft viele Stunden lang unterhielt und dessen Pascherkunststücke hoch heute unvergessen sind, hat sich ein ganzer Sagenkreis gewoben.

Seine Späße und Anekdoten waren allerdings nichts weniger als Salonwitze, sondern vielmehr derart derbe, saftige und unmoralische Zoten, dass man sie unmöglich wiedergeben kann. Zwei Beispiele jedoch, welche für seinen Galgenhumor Zeugnis ablegen, will ich hier zum Besten geben, ehe ich von seiner Pascherkünsten erzähle.

Der Mandel-Sepp wilderte auch hie und da, um seinen Hausbedarf zu decken und ging auch einmal bei Kesselhäuser auf die Hahnenbalz. Von dem Hahne wusste er schon länger, nicht aber davon, dass auch der Fürst Schwarzenberg (damals noch Prinz) auf denselben Hahn und zu gleicher Stunde ausgegangen war. Mein lieber Mandel-Sepp springt also von der einen Seite an, wie der Hahn so schön balzt, und der Prinz von der anderen Seite, natürlich ohne dass der eine von dem anderen wusste. Plötzlich fallen zwei Schüsse, und der Hahn stürzt zweifach getroffen zu Boden. Der Mandel-Sepp hatte entschieden Pech diesmal, die Heger, welche den Hahn ausgeforscht und den Prinzen begleitet hatten, nahmen den Hahn und auch den Mandel-Sepp hopp und lieferten Letzteren an den nächsten Gendarmerieposten ab. Da aber der Mandel-Sepp erklärte, wegen der großen Bauchschmerzen, die ihn plagten, absolut nicht gehen zu können, so requirierten die Gendarmen einen Leiterwagen, nahmen den lieben Mandel-Seppen in die Mitte und fort ging's, zunächst nach Winterberg. Der Mandel-Sepp heuchelte Reue und heulte wie ein altes Weib. Als aber die Fahrgelegenheit zu den ersten Häusern der Stadt kam und eine große Menge von Leuten herbeiströmte, um den berühmten Mandel-Sepp zu sehen, begann dieser mit mächtiger Stimme zu singen:

»Wir sitzen so fröhlich beisammen
Und haben einander so lieb …«

Und je mehr die Gendarmen gegen diese Zumutung protestierten, desto lauter erscholl des Mandel-Sepp liebliche Stimme.

Übrigens hat er damals rundweg erklärt, mit dem Fürsten Schwarzenberg nie mehr wieder auf die Jagd zu gehen.

Als ihn einmal ein Finanzer eskortierte, meinte der Mandel-Sepp mitten im dichten Walde gutmütig: »Erst rast' mr, dann schnupf' mr und dann renn' mr!« Und richtig, erst wurde gerastet, dann schüttete der Mandel-Sepp dem Finanzer, welcher eben schnupfen wollte, den Brisiltabak in die Augen und dann rannte der Sepp!

Eine Probe seines Sarkasmus.

Der Mandel-Sepp hatte wieder einmal all seinen Brisiltabak verschlissen, hing seinen Rucksack, der nunmehr nur unschuldigen Ballast enthielt, im Wirtshause an einem Wandrechendorn und streckte sich auf eine Bank zur wohlverdienten Ruhe. Bald darauf kommt ein Finanzer, sieht den schlafenden Mandel-Sepp, schleicht zu dem Ranzen hin und schnuppert an ihm mit aufmerksamer Nase umher! Da hält der Mandel-Sepp plötzlich mitten im Schnarchen inne, hebt den Kopf ein wenig und sagt ganz gelassen: »Drinn' gwen is Oaner; obr ejtz is koanr mehr drinn!«

Einmal führte er eine ähnliche Komödie auf wie die Gruberger. Von einem Finanzer verfolgt, sprang der Mandel-Sepp beim Laglbauern in Schmelzhäusern in die Streukammer, entledigte sich dort der teuern Bürde und seines Stockes, und als der Finanzer in den düsteren Raum erschien, fand er nur einen Knecht darin, welcher in Hemdärmeln beim Hackstock stand und eifrig die Waldstreu mit der Hacke zerkleinerte. Nachdem der Laglbauer den Mann als seinen Knecht anerkannte, ging der fremde Finanzer fort und suchte den Flüchtling anderswo – vergeblich.

Einmal verkaufte der Mandel-Sepp in Winterberg ganz ungeniert seine gepaschten bayerischen Zigarren. Als die Geschichte aber denn doch schon zu lange gedauert hatte und die Finanzer von dem schwunghaften Handel Wind bekamen, fassten sie ihn samt seinem Kistel ab und lieferten ihn aufs Gericht. Dort begann der Mandel-Sepp fürchterlich zu jammern und zu schluchzen und erklärte, er hätte es nicht gewusst, dass jetzt auch der »Henerdr …« verzollt werden müsste; – einige Weiber hätten ihn gebeten, ihnen für ihre Topfblumen solchen zu verschaffen, er hätte es getan und nun soll er dafür bestraft werden.

Man öffnete das Kistel – und es war Taubenmist darin!

Solche Stückel verschafften ihm den Ruf, dass er auch die »schwarze Kunst« (zu zaubern) verstände.

Der Mandel-Sepp war auch Schlingenleger, »pechelte« auch oft, das heißt, er verwundete mit seinem Pechhackel zahllose Fichten, um von ihnen nach Jahresfrist das hervorgequollene Pech zu gewinnen, und trieb noch hunderterlei Geschäfte – nur kein gutes. Doch, wie gesagt, alle seine Streiche aufzuzählen, dazu genügten Tage nicht.

Ein berühmter Pascher waren auch der Hoid'n-schuster Harand aus Fürstenhut, der »Rotschild« (Johann Bauer) aus Buchwald und viele andere mehr; doch wer kennt all' die Namen derer, die da im Walde gastlich zusammenkamen! –

Schließlich muss noch bemerkt werden, dass die Böhmerwäldler Pascher und so auch »Wildpratschützen« nur höchst selten von ihren Waffen gegen staatliche Organe und das Forstschutzpersonal Gebrauch machen; sind sie einmal in der Schlinge, na, dann sitzen sie eben ihr Vergehen ab und sind bei ihrer »Geschäftsausübung« in der Regel viel weniger rabiat und gefährich, als wenn sie im Wirtshaus berauscht mit anderen Leuten in Streit geraten. Da spielt das Messer nicht selten eine traurige Rolle.


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