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Der imitierte Schweizerkas

Lieber Leser, »imitiert« und »imitiert« ist nicht unter allen Umständen genau dasselbe, so z.B. ist jeder »Schweizer«-Käse, welcher nicht in der Schweiz erzeugt wird, also nur eine Nachahmung des echten ist, ein imitierter Schweizerkäse. Jener imitierte Schweizerkäse aber, von dem hier die Rede sein wird, ist ganz anderer Art. Doch das findet sich im Laufe der Begebenheiten von selber. –

In den vorhergehenden Geschichten sagte ich, dass in Stubenbach drei Krawallmacher waren, habe aber darin nur von zweien derselben gesprochen. Würde ich nun aber etwa von dem dritten, dem Krawallschuster-Wenzel gar nichts erzählen, würde sich dieser – falls er noch lebt, gewiss beleidigt fühlen; sollte er aber schon gestorben sein, vor Unwillen im Grabe umdrehen. Und ich möchte beides vermeiden. – Am Formberge bei Stubenbach lebte ein Bauer, welcher mit seinem Hausnamen »Hönibauer« hieß, und dieser Hönibauer war ein sehr solider Mensch. Von Getränken kannte er außer Quellwasser, süßer, saurer und – Buttermilch gar keins. Denn der Kaffee kommt da oben nicht als Getränk auf den Tisch, sondern als Kaffeesuppe und die Suppe gilt nicht als Getränk, schon weil man sie aus der (gemeinschaftlichen) Schüssel herauslöffelt. Tee trinkt man am Formberg nur, wenn man krank ist, und der Hönigbauer war prizipiell niemals krank. Und alkoholische Getränke, also Bier, Wein und Schnaps trank er auch nicht. Das heißt, wenigstens nicht für gewöhnlich. Es vergingen Monate oft, ehe er Bier trank. Solche Leute nennt man bekanntlich, aber gewiss ganz ungerechter Weise Quartalsäufer; denn wenn ein Mensch in, sagen wir, 50 Tagen 50 Glas Bier trinkt, ist er doch bestimmt kein Säufer.

Freilich, wenn man bedenkt, dass der Hönibauer diese 50 Glas in zwei Nächten und an einem dazwischen liegenden Tage trank, könnte man immerhin von Saufen reden; aber einmal ist keinmal, und wer keinmal trinkt, ist ein Abstinenzler. Doch sei dem wie immer, eine Ausnahme ist keine Regel, und auch die strengsten Abstinenzler trinken z. B. zur Grippenzeit, oder wenn sie eine Kreuzotter beißt, literweise Rum oder Kognak und gelten dessen ungeachtet als solide Leute. Also der Hönigbauer war ein solider Mensch, und zwar auch in anderem Sinne, so in moralischem, staatsbürgerlichem usw.

Und warum er seiner soliden alkoholmeidenden Lebensweise alle zwei, drei Monate untreu wurde? Das wusste weder er noch sonst ein Mensch auf Erden. Es kam eben manchmal so über ihn, besonders, wenn er nach Stubenbach kam, ihn dort der Durst quälte und er deswegen ein Glas Bier trank. Kaum hatte er das unten, war's schon um ihn geschehen; aus dem einen wurden zehn, zwanzig … x-zig, und wenn er auch nach jedem neuen Glase sagte: »'s tat Not, i gang«, solange er nicht erklärte: »Jetzt muss i obr gehen!« ging er eben nicht, wenn er auch ohne jede Gesellschaft sitzen musste. Ob ihm das Dreitagetrinken die Hönibäuerin nicht über nahm? Selbstverständlich. Glücklicher Weise hatte auch sie eine schwache Seite, und das war der Schweizer Käse. Den aß sie leidenschaftlich gern, und da dies der Hönibauer ganz genau wusste, entwaffnete er sie mit seinem jedes Mal mitgebrachten, gewaltig großem Stücke Schweizerkäse vollständig, und alle ihre schönen Vorsätze, den Mann zu erziehen, ja auch nur zurechtzuweisen, wurden zu Wasser, sobald er nach einem gewaltigen Dauersuff mit den Worten eintrat: »Sei stad, Baberl; i bring Dir an rechten Trumm Schweizernen Kas mit.« – Wieder hatte es einmal den armen Mann gehabt, und wieder hatte er für die Baberl in weiser Vorsicht ein gehöriges Stück Schweizerkäse gekauft. Das Stück war gut 15 cm lang, 9 cm breit und 15 mm dick, war in Seidenpapier und obendrein auch noch in Zeitungspapier eingewickelt und stak bereits in der linken Seitentasche seines Rockes.

Die Gesellschaft war noch groß, der Rausch noch nicht auffällig (aber immerhin schon ganz anständig), man sang, und niemand meinte was Böses. Nur der Krawallschuster Wenzel spann so etwas. Erst biederte er sich dem Hönibauer an und lobte ihn über den grünen Klee, dann agitierte er mit seiner Linken, und mit der Rechten zog er dem Nichtsahnenden den Käse samt Umhüllung aus der Tasche. Einige Minuten später verschwand der schlechte Mensch mit seinem Raube im Schupfen des Auerhahnwirtes, wickelte das Päckchen ab, steckte den Käse in seine eigene linke Rocktasche, ohne jede Emballage, und schnitt mittelst der am Tatorte vorhandenen Säge ein Brettchen zurecht, 15 cm lang, 9 cm breit und so beiläufig 15 mm dick. Beiläufig 15 mm; denn ein 15 mm dickes war nicht da. Einwickeln und hineintragen und dem Hönibauern die Bescherung wieder in die Tasche prakizieren, war bei der animierten Stimmung keine Kunst.

Nach einer Weile brachte der Wenzel auf einem Teller ein großes Stück Schweizerkäse aus der Küche daher und auch Salz und Pfeffer und Brot und aß davon mit großem Appetit. Geizig war er nicht, und darum bekam auch der und jener davon zu kosten, auch der Hönibauer.

Endlich sprach dieser gelassen das große Wort aus: »Jetzt muss i obr gehen!« und ging auch.

Der Weg war beschwerlich, teils, weil's bergauf ging und weil er holprig war, teils wie – wie sich der Hönibauer auszudrücken pflegte, »'s Bier besoffen war.« Daheim angekommen, begrüßte er seine Baberl mit den Worten: »Sei stad; i hab Dir a rechts Trumm Schweizernen Kas mitbracht«, und reichte ihr die Gabe hin.

Einige wenige Sekunden darauf flog aber dem Hönibauern etwas Hartes an den Kopf, und eine Flut von Schimpfwörtern begleitete diesen Schuss. »I, Du elendiger Karl, drei Täg saufst im Wirtshaus und nochr holtst noch dein Weib zum Norrn? Du Bluff! Du Mist Du!« usw. Ein blaues Auge, eine Woche lang lauter saure Suppe und Kartoffeln waren die Folge der Begebenheit, und als der Höhibauer nach Monaten wieder im Auerhahn erschien, entwich der Wenzel nur mit Not durchs Fenster; denn der Bauer hätte ihm bestimmt den Schädel eingeschlagen. –

Der Schusterwenzel spannte auch einmal dem Ringelspielmann bei Nacht die Pferde aus und stellte diese beim Gruberger Schmied und beim Schafhauser-Schmied »zum Beschlagen« in Reih' und Glied auf. Er »versah« auch einmal des Juden sterbendes Pferd, was ihm ums Haar einige Monate wegen Religionsstörung eingebracht hätte usf. Um aber alle seine und seiner Kameraden Streiche hier anzuführen, dazu brauchte man ein extra Buch und darum Schluss damit und zu was anderem jetzt. –


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