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Der Ameisenbär

Eine naturhistorische Geschichte

Der Luiselwirt hieß wirklich Luiselwirt, und ich bringe es nicht über die Leber, ihn etwa den Franzelwirt oder den Seppelwirt zu nennen; denn es wäre ebenso lächerlich und ehrenrührig, den Luiselwirt anders zu nennen, als wenn man den Bismarck oder den Kolumbus Krauthuber oder Grießschmarren nennen wollte. Historischen Männern muss man unter allen Umständen ihre weltbekannten Namen lassen. Es gab nur einen Bismarck, einen Kolumbus und einen Luiselwirt, und damit basta.

Ebenso verhält sich's mit dem Schauplatz unserer Geschichte, welche sich wirklich in des Böhmerwaldes tiefsten Gründen abgespielt hat.

Anders verhält sich's aber mit den Namen der Hauptpersonen, welche in dieser wahrhaftigen Geschichte eine Rolle spielen, weil ihrer noch welche leben mögen, oder doch mindestens ihre Nachkommen, und es wäre nicht gut, ihr Inkognito zu lüften. Bezüglich des Zeitpunktes darf ich ohne Weiteres verraten, dass dazumal die Eisenbahnstrecke Pilsen-Bayerische Grenze eben fertiggestellt und dem Verkehr übergeben wurde. Und nun zurück zu unserem unsterblichen Luiselwirt! Dieser hatte in seinen Jugendjahren ein großes Stück Welt kennengelernt, indem er als Glasfrächter bis tief in den Balkan gekommen war, alles per Achse!

Damals, als ich ihn kennen zu lernen die Ehre und das Vergnügen hatte, war er ein Sechziger. Er war etwas über Mittelgröße, ein wenig beleibt und trug stets ein Wirtskapperl, welches er weit hinten auf demselben Kopfe trug, in dem er unzählige lustige Streiche ausbrütete.

Wehe dem Fremden, der ihm ins Garn ging, und wenn er dabei niemals selbst einging, so verdankte er das nur dem Umstande, dass er alles so vorsichtig einfädelte und bis zu Ende spann, dass ihm niemand ankonnte. Freilich, allein, auf sich selbst angewiesen, hätte er es wohl nie zu solchem Ruhme gebracht; er hatte eben auch vortreffliche Mitarbeiter, »Helfer«, welchen ebenfalls der Schalk im Nacken saß und der Übermut nie ausging. Das waren seine allabendlichen Gäste. Da waren etliche Ingenieure vom Bahnbau, zwei bayerische Forstverwalter, der Med. Dr. Goldmann, der Oberlehrer Drasal, etliche Geschäftsleute usw.; im Ganzen meist 15 bis 20 Personen.

Hatte der alte Liusel etwas ausgeheckt und passte das den anderen, flugs waren die Rollen verteilt, doch ohne lange Redereien; oft genügte ein Blinzeln oder ein Kopfnicken dazu, und wenn einer oder der andere von der Gesellschaft nicht mehr weiterlügen konnte, sofort log der nächste weiter wie gedruckt. …

Kommt da wieder einmal der Luisel aus dem großen Schanklokal, der »Schwemme«, ins Herrnzimmer und grinst. Und schon wussten alle: Da gibt's a Hetz, und jeder Blick von der Tafelrunde her ist ein Fragezeichen.

»Der Angerer-Moses is mit'm Zwölferzug gekommen, und bald's finster wird, kommt er rein.«

»Na – und?« –

»Dem sollten wir wieder einmal an Bären aufbinden.« (Der Angerer-Moses war ein Schnittwarenhändler aus Altberg, welcher mit seinem Binkel den Wald durchstreifte und seine Stoffe bis in die entlegensten Einschichten brachte.)

Also, der Vorschlag lautete: »Einen Bären aufbinden.« Diesem Vorschlage folgte sofort die Frage: »Einverstanden; aber was für einen?« und nach kurzem Bedenken seitens des Oberlehrers die Antwort: »Wir könnten's ja einmal mit einem wirklichen Bären oder etwas Ähnlichem, z. B. mit einem Ameisenbären versuchen.

»Bravo, gut, sehr gut! Ameisenbären hatten wir noch keinen; wird gemacht! Aber fix, ehe noch der Angerer da ist!« – Allgemeines Gemurmel, Rollenverteilung. Der Luisel entwirft den Plan der Geschichte, der Oberlehrer gibt seinen Kren dazu, der Doktor seinen Senf, der eine Forstverwalter spielt Trümpfe aus, der andere übersticht sie, und schon ist alles fix und fertig …

»Guten Abend, die Herren!« so sagt der Herr Angerer, der bald darauf daher kommt, die Türe öffnend, und »Guten Abend!« sagen die Begrüßten als Gegengruß. Der Angerer setzt sich an sein Stammtischchen beim Ofen, bestellt sich beim Luisenwirt ein Nachtmahl und vertieft sich ins Abendblattel. Wie immer. Die Herren reden vom Bahnbau, vom Wetter; der Lenzenbauer ist gestorben – arme Kinder, sieben Kinder; in Deffernik hat der Blitz in die Doppelfichte eingeschlagen …

Der Seeförster hat gestern schon wieder einen Ameisenbären geschossen. »Schon wieder? – Meine Herren, passen Sie auf – der wird noch einmal scheußlich damit eingehen, scheußlich sag ich Ihnen.«

»Wieso?«

»Wieso? Er soll doch keinen Ameisenbären schießen. Ist doch ein eminent nützliches Tier, und wenn der Fürst Hohenzollern einmal dahinter kommt, dass der Fischer (so hieß der Seeförster) Ameisenbären schießt – na, Gnade ihm!« »Warum schießt er denn welche, wenn er's nicht tun soll?« »Hm – hm – hm« – (das laute Gespräch wird immer mehr piano, kaum dringen die Worte bis zum Ofen.) »So was kommt wohl mit der Zeit an den Tag; denn nichts ist so fein gesponnen – es kommt an die Sonnen. Da ist aber, wie so oft im Leben, die Habsucht mit im Spiele. Er ver-kauft das Fett dem A-po-the-ker in Klattau, das ganze Fett!«

»Ist das teuer?« fragt der alte Bürzel.

»Wie man's nimmt«, sagt der Doktor darauf, »der Esel gibt dem Apotheker das Fett um zwei Gulden das Kilo; der Apotheker aber nimmt dafür acht bis zehn Gulden!« »Ei, ei, ei. – Ja, aber wie schaut denn so ein Ameisenbär eigentlich aus; ich habe doch auch schon x Jagden in aller Welt mitgemacht; einen Ameisenbären aber …?«

So der Ingenieur; darauf der Oberlehrer: »Natürlich haben Sie, Herr Ingenieur, noch nie dieses Waidmannsglück haben können, denn der Ameisenbär kommt außer in Zentral- und Südamerika nirgends vor als im Böhmerwald, und da nur in der Gegend um den See. Und wie der aussieht? Haben Sie schon einen Dachs gesehen? Ja? – Also in der Größe und Farbe sind Dachs und Ameisenbär ziemlich übereinstimmend. Aber der Ameisenbär hat eine Art röhrenförmigen Schnabel, einen buschigen Schwanz, der aussieht wie ein Rauchfangkehrerbesen, und im Maul hat er eine ausstreckbare Zunge von dreiviertel Meter Länge. Und mit der sticht er in die Ameisenhaufen, und wenn die voller Ameisen ist, zieht er's wieder zurück und frisst's.«

»Merkwürdig, höchst merkwürdig. Aber sagen Sie mir noch, zu was ist das Fett von dem gut?«

Das weiß wieder der Doktor Goldmann:

»Das Fett des Ameisenbären hilft gegen Rheuma, Ischias, Gicht, Blasenleiden, Skrofeln, geschwollene Mandeln und noch gegen eine ganz Reihe anderer Krankheiten.

»Da schaut's einmal her. Das ist ja hoch interessant, und ich hatte bisher noch keine Ahnung davon.«

»Das ist ganz erklärlich. Verschrieben wird das Ameisenbärenfett nämlich unter dem Namen Molybänbenzolnitrat haufenweise eingenommen gegen Gliederreißen nämlich, dass das aber Ameisenbärenfett war, davon hatte ich nicht die leiseste Ahnung.«

Doch man kann nicht ewig von Ameisenbären und deren Fett sprechen und kommt endlich auch auf andere Themata. – Der eine Ingenieur war am Sonntag in Pilsen im Theater und hat da die Oper »Der Freischütz« gehört, und die Szenen in der Wolfsschlucht war, wie er sagt, geradezu schauderhaft schön. Der Hammerschmied Zoglauer erzählt einen Traum, den er gehabt hat, wie das Bier billiger geworden ist, und so kommt man im weiteren Verlaufe der Debatte vom Hundertsten aufs Tausendste und redet und lacht und lobt und schimpft usw. Der Angerer aber hat nur für das Abendblatt Augen, scheinbar wenigstens, dagegen zwei sehr feine Ohren, welchen selbst die leisesten Worte drüben nicht entgehen, und leise, ganz leise murmelt er: »Ae Geschäft; zwei Gülden – acht bis zehn Gülden; heißt ä Rebach.«

Kaum graut der Morgen, ist der Moses Angerer schon am Wege. Aber nicht, wie er vorgehabt hatte, nach Hartmanitz, sondern zum See hin. –

Der Förster Fischer, ein Mann mit kurzgeschorenem Haupthaar und einem gewaltig langen Schnurrbart, dessen Spitzen jedoch nicht aufwärts streben, sondern senkrecht nach unten, steht neben seiner Schwester Laura, und es ist eben vom Mittagessen die Rede, und ob der Rehziemer heute so oder so bereitet werden soll. Ein Vorstehhund, zwei Dackel, ein Rattler und ein Hühnerhund horchen dem Gespräche aufmerksam zu und blicken dabei an ihrem Herrn hinauf, als ob sie vor dem Kirchturm stünden; denn ihr Herr ist wohl hager, aber gut 1,90 Meter hoch.

Da werden draußen Schritte hörbar, und die ganze Meute stürzt bellend zur Tür hin. Ein herrisches Kusch! Und sämtliche Hunde liegen wieder da wie Steingebilde.

An der Tür klopft's, der Förster ruft »Herein!« und in der Tür erscheint der Angerer und grüßt. Auch der Förster und Frl. Laura grüßen. Die Anwesenheit der Dame passt jedoch offenbar dem Angerer nicht, und er sagt deshalb halblaut: »Könnte ich Sie nicht sprechen unter vier Augen, Herr Seeförster?«

Verwundert wendet sich der Angesprochene an seine Schwester, deutet ihr, sie möge aus dem Zimmer gehen, und kaum ist das geschehen, beginnt der Handelsmann in vertraulichem Tone: »Ohne alle Umschweife, Herr Seeförster; wenn Sie werden wieder schießen einen Ameisenbären, Herr Fischer, verkaufen Se mir das Fett; jach zahl Ihnen zwei Gulden fünfzig vor's Kilo.«

Der Förster ist offenbar starr. »Was beliebt, Herr Angerer?« sagt er, um nur überhaupt etwas zu sagen. Angerer beeilt sich daraufhin sein Angebot zu erneuern.

Da strammt sich des Försters Gestalt, und seine Hände in die Hüften stemmend und die Augenbrauen in die Höhe ziehend, ruft er: »Amei-sen-bären? Sie sind wohl verrückt, Herr Angerer? Wer hat Ihnen diese Bären aufgehängt?«

Doch der Angerer lässt sich nicht irre machen; er weiß, was er weiß, und so fährt er denn fort: »Ich weiß, Sie sollen nix schießen Ameisenbären, weil das ist ä eminent nützliches Tier; aber wenn jach wird mit Ihnen machen ä Geschäft, werd ich's doch nix verraten dem oder dem; weil, wer das Molybänbenzolnitrat kauft von Sie, macht sich doch auch selbst strafbar eines Vergehens gegen's Forstgesetz?«

»Himmelherrgottelement«, fährt jetzt der Förster, welcher schon meint, der Angerer wäre richtig übergeschnappt, auf, »sind Sie ein Narr oder ich? Wer hat Ihnen denn diesen Blödsinn mit dem Ameisenbären und dem Molybänbenzolnitrat eingeblasen? Da könnt man ja auf der Stell …«

Angerer begreift: Der Förster darf's nicht eingestehen; es könnte ihn die Stelle kosten, und darum versichert er nochmals: »Der Schlag soll mer treffen auf der Stell, wenn jach red ä Wort davon. Se können sein ganz beruhigt, und jach geb Ihnen drei Gulden vors Kilo. Das is aber mein letztes Wort, und ich weiß gut, dass Ihnen der Apotheker in Klattau zahlt vors Kilo nur zwei Gulden.«

Dem Apotheker in Klattau ein Fett verkauft, zwei Gulden das Kilo? War der Förster bisher noch darüber im Zweifel gewesen, ob der Mann überschnappt ist oder nicht, jetzt gibt's absolut keinen Zweifel mehr, der Mann da ist irrsinnig! Der Arme! Was tun? Man kann doch nicht, um sich von so einem Menschen zu befreien – und heraus muss er ja doch –, die Hunde auf ihn hetzen oder ein Gewehr – und wäre es auch ungeladen – auf ihn in Anschlag bringen! Das wäre barbarisch und auch gefährlich; denn es könnte ihn vor Angst der Schlag treffen, oder er wird tobsüchtig. Am besten ist's also, man versucht's in Güte und mit List. Und wie der Förster so nachdenkt, kommt ihm ein genialer Einfall: Er wird zum Schein auf die fixe Idee des Angerer eingehen und verkauft ihm das verdammte Fett. In der Rumpelkammer steht ja der große, zweihenkelige Topf mit der Stiefelschmiere, und den soll er haben! Was dann weiter wird, wird sich schon finden, wenn nur der Mensch heraus ist. Erst Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und so beginnt denn der sonst so raue Mann mit den sanftesten, einschmeichelnden Flötentönen: »Lieber Herr Angerer, ich sehe schon, Sie wissen alles, und darum sollen Sie das Ameisenbärenfett bekommen, von mir aus um drei Gulden das Kilo. Gleich sollen Sie's haben.« Ein Ruf, der Befehl »Laura bring das Fett aus der Kammer mit der – der – der Schmiere herein!« und schon!

Verwundert holt das Fräulein den großen Topf mit der Stiefelschmiere. Eine Frage sitzt ihr auf der Zunge, doch zornig schneidet der Bruder ihr jedes weitere Wort ab, und sie schaut, dass sie weiter kommt.

Der Angerer triumphiert. »Nu sehen Sie«, sagt er ebenfalls schmelzend, »ich hab's doch gewusst, dass Se haben den Molybänbenzolnitrat. Se haben das nur gehabt vergessen.« Vorsicht ist aber die Mutter aller Weisheit; er hebt also noch den Deckel in die Höhe, taucht zwei Finger in die Schmiere, reibt, riecht dazu und sagt darauf hoch befriedigt: »Ja, das ist de echte Molybändenzolnitrat – Ameinsenbärenfetten. Gott über de Welt, was vor ä feiner Geruch wie ä Honig.«

Fünf Minuten später hat der Förster sein Geld, 12 fl. 50 kr.; der Angerer seinen Topf, verbindet ihn mit einer Schnur fest und stapft schmunzelnd davon. Doch nicht ohne vorher noch dem Förster zuzuraunen: »Wenn Se haben wieder ä Fett, denken Se an mich; es werd nix Ihr Schaden sein.« …

Wo und wann wird sich das Finale dieser Fettgeschichte abspielen? Wo denn anders, als in der Klattauer Apotheke und gleich nächsten Tages:

Der Apotheker steht, nichts Böses ahnend, hinter dem großen Kastentische mit der Marmorplatte und bereitet eben Mixturen. Da tritt der ihm wohlbekannte Moses Angerer ein, grüßt, und wieder beginnt er mit einem Seitenblicke auf den auch da beschäftigten Provisor und den Laboranten: »Herr Apothekerleben, könnte ich Se nix sprechen auf drei Minuten unter vier Augen?«

»Geheimes Leiden?« denkt sich der Apotheker. Wäre überflüssig diese Prüderie; lässt sich doch nicht verschweigen. Man kommt aber seinen Kunden gern entgegen, und Provisor und Laborant erhalten einen Deuter und verschwinden.

»Wo fehlt's denn, Herr Angerer?«

»Wo wird's fehlen, Herr Apotheker, mir fehlt, Gott sei's gedankt, gar nix, und Sie sollen auch so gesund sein bis 100 Jahr. Ae Geschäft hab ich aber vor Sie; jach bringe Ihnen 41/4 kg prima Molybänbenzolnitrat, das Kilo zu 5 fl. 50 kr. Ich weiß, Sie haben es bezogen bisher direkt vom Seeförster Fischer à 2 fl.; aber es ist derweil gestiegen im Preis und jach bin von heute an der einzige Mensch auf dieser Welt, der Ihnen kann liefern das Ameisenbärenfett, weil ich übernommen habe von dem Seeförster kontraktlich den Alleinverkauf von alles Fett, was er wird schießen.«

Der Apotheker reißt die Augen auf, dass sie wie zwei Wagenräder groß werden und schaut. Hm, was soll dieser Rede Sinn sein? Sinn hat sie überhaupt keinen. Sollte der Mann am Ende gar …? Gegen Irrsinn gibt's aber doch in einer Apotheke keine Mittel?? Aber der Angerer scheint diese Verwunderung nicht zu bemerken, oder er begreift sie; hat doch der Pflasterschmierer ein böses Gewissen und soll jetzt anstatt zwei Gulden 5 fl. 50 kr. bezahlen, wenn er überhaupt darauf auch ferner noch reflektiert. Und haben muss der Magister diese Mixture.

Also schürt der Angerer die Knoten auf, hebt den Deckel ab und erklärt: »Se brauchen nix kaufen de Katz im Sack – wollen Se gefälligst selber verkosten diese prima Molybänbenzolnitrat, wie der Ameisenbärenfett heißt auf lateinisch. Greifen Se zu, Herr Apotherleben!«

Ist's Neugierde, geschieht es in der momentanen großen Verlegenheit – der Apotheker tritt näher, reibt, riecht dazu, schaut den Angerer wieder an und sagt ganz einfach: »Das ist Stiefelschmiere; Stiefelschmiere führe ich nicht.«

»Was Stiefelschmiere führen Se nix?« repliziert der Angerer hierauf. »Und ich sage Ihnen, Se führen ja so eine Stiefelschmiere, weil das ist prima Ameisenbärenfett, was gut ist vor Rheuma, Ischias, Gicht, Blasenleiden, Skrofeln, geschwollene Mandeln und noch gegen eine ganze Reih anderer Krankheiten.«

Weil aber der Apotheker ein verstockter Sünder ist, ein ungeduldiger und grober Mensch auch noch dazu, schreit er den Angerer an: »Jetzt schaun's aber, dass Sie herauskommen, Sie Narr, oder ich schmeiß Sie heraus!«

I du grober Kerl! Aber auch der Angerer hat eine Gallenblase, wenn man ihn um ein Geschäft prellen will; kommt auch zeitweise in Wut. Jetzt schon, auf das hin; und darum setzt er sich in Positur und ruft: »Se werden mir nix herausschmeißen! Und wissen Sie wegen was? Weil ich zeige Se beim Gericht an wegen Ankauf von Molybänbenzolnitrat, was der Seeförster muss beschwören!«

Der Apotheker rennt aber blindlings ins eigene Verderben; er schreit dem Provisor und dem Laboranten, und der Angerer fliegt auch schon gleich darauf mit vereinten Kräften geschoben, gestoßen und gehoben zur Türe hinaus! …

Was der Angerer »auf das hin« getan hat? Erst hat er einen entsetzlichen Bahöll gemacht, hat geschimpft und gebrüllt, und dann ist er schnurstracks zum Bezirksrichter und hat den Apotheker verklagt. –

Leider helfen »die Großen« alle zusammen, und es gibt keine Gerechtigkeit mehr auf der Welt: Dem Förster und dem Apotheker haben alle zugehalten, und selbst der Fürst Hohenzollern hat auf Angerers ergebenst untertänigste Anzeige bloß geantwortet.

»Da Schießen von Ameisenbären ist dem Revierförster Fischer vom See bis auf Weiteres strengstens untersagt.« –

*

Solcher Streiche hat der alte Osserwirt noch mehr verübt, darunter auch einen ähnlichen, wie den eben geschilderte. Ein Reisender, dem in Pilsen ein ausgehungerter, großer, struppiger Hund zugelaufen war, und anhänglich blieb, weil ihm der Reisende zu fressen gab, kam mit diesem Hunde in den »Osser«, erzählte von seiner unfreiwilligen Erwerbung und ging dann seinen Geschäften nach.

Zurückgekehrt, fand er die große Tischgesellschaft in lebhaftem Meinungsaustausch über den »Hyänenhund« des Bezirksrichters in Pilsen und die 50 Gulden Belohnung, welche dieser dem ehrlichen »Finder« des Hundes im »Prager Abendblatte« für die Rückstellung des seltenen Tieres zusicherte.

Der Reisende, welcher, abseits sitzend, die genaue Beschreibung seine Hundes (unter seinem Sessel) vernahm, fuhr mit diesem direkt nach Pilsen und trat mit ihm beim Bezirksrichter mit den Worten ein: »Herr Bezirksrichter, da ist der Hyänenhund!« Die darauf folgende Szene entwickelte sich in ganz ähnlicher Weise, wie jene im Apothekerladen in Klattau und endete ebenfalls mit dem Herauswurf des Reisenden. –

Im darauffolgenden Sommer erzählte der Wirt diese Stückeln an einem Regentage einem Herrn, und dieser sagte daraufhin: »Herr Wirt, diese zwei Geschichten sind sehr schön ausgedacht; aber auch sehr unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt – und insbesondere keinen Juden, der auf eine so plumpe Lüge hereinfiele. Mich würden Sie beispielsweise in gar keinem Falle so zum Narren halten; dafür stehe ich Ihnen gut.«

»No, no«, entgegnete hierauf der so Zurechtgewiesene, »müsst mer's erst drauf ankomm'n loss'n«, und ging sodann seiner Wege. –

Eine Stunde später kam der alte Tischler Weinberger von via à vis und erkundigte sich nach den Wünschen des Herrn Osserwirtes.

Dieser Weinberger war ein Vokativus erster Güte, ein verschmitzter Kumpan mit einem polizeiwidrigen Gesichte, in dem die ganze Muskulatur beständig absonderlich spielte. Zwischen ihm und dem Wirte entspann sich folgendes Gespräch:

»Was wünscht der Herr Wirt?«

»Schau her Girgl; die drei Fenst'r do san scho' total hin. D' Rehmen san verfault, der Kitt is ab, musst mir neue mochn. Aber auf der Stell, eh noch olls hin is.«

»Hm, jo; sand richtig hin; obr af der Stell geht dös net, wenn mir a d ganz' Nocht durcharbeit'n. Drei Täg braucht ma unbedingt drzou, scho wegn dem Onstrich, der orndli trückn'n muss.«

»Wenn's net ehender sein kann, a gut; obr am Mitticha muss sein. S Maß kannst jo gleich nehmen, net?«

»Jawohl, dös koa ma scho toan.«

Mit diesen Worten tritt der Tischlermeister an das erste Fenster, dessen innere Flügel offen stehen, bringt beide Arme in Horizonalhaltung und »misst« die Breite des Fensters, indem er die Fingerspitzen links und rechts anlegt. Dann misst er auf ebensolche Weise die »genaue« Höhe der Fenster und zuletzt auch die Diagonalen, wobei er entsetzliche Fratzen schneidet. Dann empfiehlt er sich.

Der Sommerfrischler hatte dem Gebaren des merkwürdigen Gesichterschneiders befremdet zugesehen und frage jetzt den Wirt, was das zu bedeuten hätte.

»Maß hat der Tischler genommen.«

»Ohne Zollstab?« – »Zollstab? Zollstab haben unsere Leut da kan, dös wird olls ner nach dem Gefühl do gmacht.«

»Nach dem bloßen Gefühl kann das unmöglich stimmen!«

»Muss stimmen! Und wenn Sie dös net glauben woll'n – am Mitticha werden's schon seh'n, doss stimmt.« –

Und richtig, wie am Mittwoch die Fenster kommen und eingehängt werden, passt alles aufs Haar!

»Unbegreiflich, unbegreiflich!« sagt der Fremde staunend.

Der Wirt aber wartet nur, bis der Weinberger wieder draußen ist, klopft dann dem Herren auf die Achsel und sagt schmunzelnd: »Sehen's, dass Sie a angschmiert werd'n können? Die Fenster sind schon drei Woch'n fertig und g'messn wird do wie überoll!« –


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