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Die verwurstete Liebe

Als Junggeselle wohnte ich zuletzt in Stubenbach im Gasthaus »Zum Auerhahn« und war dadurch gezwungen, die meisten Abende unten beim Wirtstisch zu verbringen. Die Gesellschaft war da gewöhnlich recht animiert, denn jeder wusste etwas zu erzählen. Nur einer war darunter, der fast nie etwas redete, sondern nur zuhorchte und dabei seine lange Pfeife rauchte. Das war der Oberaufseher Jakob, ein großer, starker Mann mit langem Barte. Moltke war gegen ihn das reinste Waisenkind, doch auch dieser große Schweiger – ich meine damit den Jakob – hatte seine schwachen Stunden, wurde redselig, wenn die Sprache aufs gute Essen kam. Da wurde er lebendig, und die Rede floss ihm dahin wie ein munterer Bergquell.

Das wussten wir anderen, und damit hatten wir ein Mittel, seine Zunge zu lösen. Natürlich musste man dabei diplomatisch verfahren, sonst merkte er die Absicht und blieb verstimmt und verstummt wie vorher.

Ich zog also z. B. eine Zeitung aus der Tasche, überflog die Anzeigen und log »aus dem Druck«: »Schöne, fette Gänse zu 2 fl. 20 kr. sind zu haben bei …« usf.

»Aah, Gänse? Fette Gänse? 2 fl. 20 kr.? Das ist billig!« Solcher Art biss er an und dann ging's fort: »Vorige Woche habe ich in Hartmanitz beim Huber eine Gans gegessen (wahrscheinlich ganz, denn er war ein gewaltiger Esser), das was schon etwas Delikates …«, und so ging's weiter.

Wir schmunzelten alle, heuchelten das größte Interesse für seine lukullischen Auseinandersetzungen und horchten nun unserseits. Von der Gans kam er auf Truthühner, Spanferkeln, Rehbraten usw., bis ihm sogar die Pfeife ausging und er sich bei der Frau Wudy Wiener Schitzeln oder sonst was Gutes bestellte, um seine erwachten Gelüste zur Ruhe zu bringen. Dazu trank er »zur Anfeuchtung« eine ganz erkleckliche Anzahl Biere. Er vertrug in jeder Beziehung hübsch was, vorausgesetzt natürlich, dass alles auch gut war.

Nach einem Feuerwehrballe ging ich früh um ein halb oder dreiviertel acht Uhr in die Schule, und da für mich der nächste Weg der durch die Wirtsstube führte, wählte ich diesen. Wer saß da seelenvergnügt bei einem großen »Scherben« (einer Kasserolle) voll Leberwürste und Blutwürste? Selbstverständlich der Oberaufseher Jakob, und zum »Anfeuchten« stand neben dem Scherben auch ein Glas Bier. Und während mir, obwohl ich schon um zwölf Uhr nachts heimgegangen war, sehr mies war, sah der Mann so frisch aus, als ob er seine zehn Stunden geschlafen hätte. Das macht die reelle »Unterlage«, welche er sich über Nacht fünf- oder sechsmal geleistet hatte, während ich außer meinem frugalen Nachtmahle nichts Kompaktes zu mir genommen hatte.

Seine Gefräßigkeit brachte ihn aber einmal um die Zuneigung einer »Angebeteten«. Doch das will ich ihn selbst erzählen lassen:

»Da bin ich damals mit dem Aufseher Friedrich bei einer Leich' von einem Kollegen in Schüttenhofen gewesen, und vorm Weggehen sagt mir meine Damalige, ich soll ihr was Gutes mitbringen. Aber net etwa an Lebzelten oder a Schokolade, sondern a Veroneser oder a ungarische Salami, weil in derer Beziehung war sie netto wie ich. Alsdann geh' ich nach der Leich' zum Selcher und kauf' für sie a polnische Salami, die gut ihre dreiviertel Meter lang war. Dann gehen wir miteinander in ein Wirtshaus und stärken uns dort für den Heimweg. Hab' nicht viel gegessen, nur an Schweinsbraten mit Knödeln und Kraut, einen Schweizerkas und so paar Kleinigkeiten. Sagt der Friedrich zu mir: »Die Wurst sieht appetitlich aus.« – »Schon, schon«, sag ich drauf, »auseinanderschneiden werd' ich sie aber müssen, a so kann man's nicht in die Tasche stecken.« Ich schneide also auseinander, und wir kosten ein jeder davon drei, vier Spalteln. Dann steck' ich's wieder ein, und wir gehen wieder. Die Wurst, meine Herren, war wirklich großartig! So eine Wurst hab' ich seit Prag noch nicht im Mund gehabt. Bis Hartmanitz essen wir keinen Bissen, und erst beim Huber wird wieder eingekehrt. Fertig ist zu der Zeit noch nichts gewesen, warten haben wir nicht wollen, also rührt uns die Huberin an jeden sechs Eier ein, und wir essen hintennach noch jeder von derer Polnischen paar Spalterln, und ich denk' mir, die Lieserl weiß ja net, wie die Wurst lang war und kann also auch nix merken davon, dass wir was davon gegessen haben.

Dann geht's den schiech'n Berg bis Gutwasser und die Eben' hinauf, und wir schwitzen um die Wett'. Bewegung macht Appetit und auf der Eben – das Wirtshaus heißt net umsonst »Auf der Ebene« – wird eingekehrt. Wieder nix fertig; also noch einmal die Wurst her! Während dem kommt der Respizient, der Matschina, daher und setzt sich zu uns, und wie er die schöne Wurst sieht, sagt er, »das ist eine schöne Wurst«. – »Aber net nur schön ist sie«, sagte der Friedrich, »sondern auch pickfein«, und ich schneid' demselben ein anständiges Stückel von der ein' Hälften herunter. Jetzt ist aber auch noch der Girgl-Thomasl und der Lippl-Wenz, die daneben sitzen, plani geworden, und ich sag deshalb zum Friedrich: »Denen musst auch paar Spalterln zum Kosten geben«, und der schneid't auf das hin von der anderen Hälften auch so viel herunter, wie dem Matschina sein Teil war. Mit derer Spaltenschneiderei is aber die Wurst mit einmal so kurz geworden, dass der Friedrich sagt: »Mit den zwei Enden wirst aber bei der Fräulein Lieserl net viel Ehr einlegen, beleidigst sie am End' noch damit; g'scheiter is, wir essen den Rest auch noch zusammen.« Darauf bin ich aber nicht eingegangen. Ein Stückerl muss ich ja doch mitbringen, damit sie's wenigstens sieht, dass ich in Schüttenhofen an sie gedacht hab'. Dass wir's so stad am Weg zusammen gegessen haben, mein Gott, der Hunger tut halt weh! Wir essen also nur noch das eine Bröckerl zusammen und dann geht's dahin.

Wie ich wieder da in Stumbo' bin, is mein erster Gang zum Lieserl hinein, und ich riech' schon im Voraus, dass die mit zum Nachtmahl a Kalbsgolasch mit Nockerla gemacht hat. Jetzt fallt's mir aber doch aufs Herz, dass ich dem Matschina und den anderen Zweien an jeden so ein Trumm Wurst gegeben hab', und schließlich, wie komm' ich, wenn ich's so recht überleg, überhaupt dazu, mit dem Friedrich zu teilen? Das kommt nur davon, wenn man zu gut is; und jetzt trau ich mich mit dem End' Wurst net heraus und weiß net, wie ich es mit der Wurst dem Lieserl beibringen soll. Gesagt muss aber was werden, und so sag' ich halt: »Lieserl«, sag' ich, »ich hab dir beim ersten Selcher dort a polnische Salami kauft, was Pickfeins, und ¾ Meter in der Läng.« Ja, aber wie jetzt weiter! Mit dem ganzen G'sicht hat's g'lacht, die Augen haben ihr glänzt, und i muss jetzt mit dem End'l Wurst außaruck'n und sagen: »Aber leider kommt den Friedrich am Weg der Heißhunger an, und auf der Eben mag der Matschina auch von der Wurst kosten, und ich kann net »nein« sagen, und grad so der Girgl-Thomals und der Lippl-Wenz, und a so is halt davon ner dös End'l do übrig geblieben, was i mitgebracht hab', damit du wenigstens siehst, dass ich den guten Willen gehabt hab' und in Schüttenhofen an dich gedacht hab'.« –

Meine Herren, jetzt hätten sie aber sehen sollen, wie die Lieserl auf das hin wild geworden ist! »So«, sagt sie, »Zammg'fressen hast die Wurst, du Fresssack, wo ich mich auf die schon so gefreut hab? Du bist mir ein feiner Liebhaber! Hahaha, a Lieb-Hader bist und da Liebhab'r, und den Schmorrn kannst dir jetzt a no selber fress'n, weil i für dich nix übrig hab, weil i mein Golasch a solang kost' hab, bis für dich nix mehr übrig geblieben is!« Damit schmeißt sie mir das Stückel Wurst hin und fangt zu plärren an. Ich will reden – sie red't, ich komm in Zorn – sie a; der Streit ist fertig, und ich sitz' mit meinem Hunger da und am End' geh ich weg, und die ganze Liebschaft hat a a End', grad wie die dumme Wurst! Und aus war's! – Zum Wudy bin ich hinein, und die Wudyn hat mir was aufkochen müssen. –

Den anderen Tag bin ich dann zu der schön' Pfeil-Linerl hin – die hat auch sehr gut kochen können und ist noch schöner gewesen wie die Liesl und jünger auch noch, und die war froh, dass ich's g'mögt hab'. –

Ja, meine Herren, die Lieb geht auf die Art wirklich durch den Magen, und glauben möcht' man's nicht, was es auf dieser Welt für gefräßige Frauenzimmer gibt!«


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