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Aus Schuster-Jogls zweiter Blütezeit

Wiewohl der Schuster-Jogl, der Vater des »Kravallschusters«, bereits 60 Jahre alt war, war er doch noch ein Mann von Eisen, trank alle Sonn- und Feiertage im »Auerhahn« seine 20-25 »Halberln« Bier, und wenn er auch darauf erst um Zwölf herum und nicht so ganz gerade heimpilgerte, so saß er doch andern Tags schon um fünf Uhr früh auf seinem Dreifuß und war wieder so nüchtern wie ein reinrassiger Philister, der zehn Stunden lang geschnarcht hatte.

St. war dazumal ein gar lustiges Nest, und es gab da, besonders zur Winterszeit verschiedene Bälle, Konzerte, Theater und sonstige Unterhaltungen, und der Jogl-Schuster war immer dabei.

Einmal war auch wieder eine Künstlerschar aus P. da, welche die Gäste bei Geige, Harfe und Zitherspiel mit verschiedenen Koupletts aus den zwei letztverflossenen Jahrhunderten unterhielt. Darunter befand sich auch eine Donna Esmeralda, ein molliges Mädl von etwa vierzig Jahren. Sie war sehr offenherzig gekleidet, und man musste staunen, mit welcher Leichtigkeit sie die höchsten und tiefsten Töne durch ihr Sumpfnäschen in den Saal schmetterte. Und alle im reinsten nordböhmischen Dialekt. In den Pausen und nach Schluss des Konzertes setzten sich die Künstler leutselig an die Tische des Publikums, und der Zufall wollte es, dass diesmal Donna Esmeralda immer wieder neben dem Schuster-Jogl zu sitzen kam. Und diese Dame hatte es offenbar dem Schuster-Jogl angetan, denn er regalierte sie alsbald mit zwei Paar Frankfurtern mit Kren und einem Glase schäumenden Bieres, nahm sich dafür aber auch die Keckheit heraus, ihre nackten Arme liebevoll zu massieren und sie wie ein verliebter Tauberer anzugirren.

Das hielt ich für einen infamen Eingriff in meine Rechte; denn erstens war ich erst halb so alt wie der melierte Mann da, zweitens war ich dazumal noch ganz freiledig, und drittens war ich ja sonst noch ein ganz anderer Kerl als der alte Schimmelpilz. Doch, was konnte ich dagegen tun! Angenommen, ich ließ Esmeralda, um den Fadian zu übertrumpfen, drei Paar Frankfurter mit Kren und zwei Glas Bier bringen, wer stand mir gut dafür, dass der Schuster-Jogl nicht sofort vier Paar Frankfurter und drei Glas Bier auffahren ließ? (Vertragen hätte ja das die Dame, und im schlimmsten Falle – wenn schon nicht – lud sie ihre Komplizen zu dem Schmause ein, und ich konnte wieder zuschauen.)

Den Seladon aber ganz ungestraft in seinen Wonnen dahinleben zu lassen, ging mir jedoch zu sehr gegen den Strich, und ich beschloss, ihm wenigstens einen gehörigen Hieb zu versetzen für seine Unverschämtheit, ja Schamlosigkeit. Zu diesem Zwecke erhob ich mich von meinem Stuhle, ging hin, klopfte dem Verzückten auf die Achsel und sagte zu ihm wohlmeinend: »Sie, Herr Meister, das sage ich Ihrer Frau! Sie treiben ja schon den reinsten Ehebruch!« Anstatt jedoch zerknirscht von seinem verbrecherischen Treiben zu lassen, antwortete der Wicht, verneinend den Kopf und Hand schüttelnd: »Herr Lehrer, die Ehe – brechn tun i niemols net – höchstens so a wenig »buign«, ner a bissl buign.« Da lachten die anderen rundherum, und ich stand da als blamierter Europäer und konnte wieder gehen. (Heute, nach kaum sechsunddreißig Jahren denke ich über diesen Sündenfall des Schuster-Jogl viel milder. Womit ich aber durchaus nicht etwa gesagt haben will, dass ich jetzt gerade so denke. Versteht sich!)

Ein andermal erwischte mich der Meister in der Bar »Auerhahn«, als mein Auge gedankenvoll an einem reizenden Mädchen haftete, und riet mir: »Herr Lehrer, Se sant ejzt scho 30 Johr olt und solltn endla scho heirotn. Jung gfreit hot no kan greut«, und er empfahl mir im Verlauf seiner Rede eine gewisse R. K. zu heiraten. Diese R. K. war nun zwar allerdings ein sehr liebes und hübsches Mädl, nachdem es aber erst vor drei Jahren meiner Klasse entschlüpft war und daher erst siebzehn Sommer zählte, entgegnete ich als ebenso solider wie vorsichtiger Mensch: »Was fällt Ihnen ein, die ist doch noch viel zu jung für mich.« Darauf replizierte der verderbte Zyniker: »A papperlpa, z' jung is a Unsinn und olt werdn die Ludern von selbr.« Ordinär, was? Übrigens hat die R. K. bald darauf richtig einen Freund von mir geheiratet, welcher nicht viel jünger war als ich. –

Der Schuster-Jogl besuchte am liebsten das Wirtshaus »Zum Auerhahn«, und zwar darum, weil er dort seitens des Hoteliers am meisten »ästimiert« (geachtet) wurde. D. h. der Wirt seckierte ihn, zog ihn auf, und das galt dem Schuster als das sicherste Zeichen der Hochachtung. (Geringere Gäste übergeht man, angesehene zeichnet man durch Neckereine auf.) Manchmal versah das aber der alte Wudy infolge des Massenbesuches und – gefehlt war's! Sofort erhob sich der Ehrgeizige, rief: »Johann, zohln!« wies auf das noch unberührte letzte Glas Bier und erklärte beleidigt: »Dös Bier do, kannst dir af an Essig stehn lossn; in an Wirtshaus, wo ma' net ästimiert wird, braucht man nöt bleib'n!« Und weg war er. Nächsten Sonntag kam er aber doch wieder, und da sich's der Auerhahnwirt mit einem so hochgeeichten Gaste nicht verderben wollte, empfing er ihn etwa mit der Begrüßung: »Koschamadiener! Was beliebt dem Herrn Schusterbaron? Marei, schnell dem Herrn Baron ein Glas Lagerbier und daneben stellst ihm a Vasn mit Pechnelken!« Versöhnt ließ sich auf so was hin der Stolze nieder, und bald hatte er die »Einzahl« überschritten. (Nach der fünften Halbe pflegte er nämlich auf die Frage: »Noch Eins gefällig?« zu antworten: »Natürla, mit der Einzahl geht Unsereiner net ham; jede Hand hat fünf Finger, und man kann d' Hand a poormol gebrauchen.«) –

Im Oberförsterhause gab's zur Balzzeit und zur Rotwildschusszeit oft hohe Gäste, Barone, Grafen und auch Fürsten hie und da. Einmal passierte so einem Herrn mit seinen Schuhen ein Malör; Oberleder und Unterleder gingen ihre eigenen Wege und waren nicht mehr zusammenzubringen. Da erhielt Meister Jogl den Befehl, »ins Schloss« zu kommen und schnell ein Paar feste Bergsteiger anzufertigen.

Der Schuster-Jogl wusste gar wohl, wie man sich in einem solchen Falle zu betragen hätte. Er zog ein frisches Hemd an und seinen schwarzen Salonanzug, nahm sein Maß mit und eilte auf Windesflügeln »hinauf«. Dort machte er vor dem Herrn Grafen die geziemende Reverenz und sprach: »Euer Hochgeboren, Herr Graf, hobn die Gnad gehabt, von wegen die Bergsteiger zu resolvieren, also bitt ich ganz ergebenst, wollen's den rechten Fuß herweisen!«

Der Graf willfahrte gnädigst diesem Wunsche, streckte dem vor ihm Knienden seinen Fuß hin und sagte: »Aeh – wollte noch sagen, lieber Herr Meister, machen Sie aber die Schuhe recht klein! Ja? Recht klein!«

Da tat der Schuster-Jogl einen gewaltigen Schnitzer. Den Fuß des Grafen aufmerksam betrachtend, erklärte er: »Dös wird net gehen, gnädiger Herr Graf.«

»Aeh – warum denn nicht?«

»Weil gnädiger Herr Graf adelige Sportfüß zu haben belieben; a sehr a hohe Nummero, und af so große Füß kann man keine kloan Schuh net mochn.«

Der Herr Graf war darob höchst indigniert und bemerkte: »Aeh – allerdings, der Sport bringt das mit sich; aber gar so eine hohe Nummer dürfte ich – äh – denn doch nicht haben. Machen Sie also die Schuhe nur nicht noch größer als meine Sportfüße sind und schleunigst!«

Der Schuster-Jogl merkte, dass er wieder einmal was Dummes gesagt hatte und verließ mit lauter Bücklingen, das Gesäß zuerst, den Salon.

Einen noch größeren Schnitzer beging der Meister jedoch damit, dass er dem Wudy von seinem ersten erzählte. Kaum waren die sonntäglichen Tische dicht besetzt, rief auch schon der Auerhahnwirt den Gästen zu: »Wenn eper anr von Euch adelige Sportfüß haben sollt – geht's ner zum Schuster-Jogl, der mocht Eng Schinakln, dass damit im Wydrabo(ch) herumkutschieren könnt's wie der Kolumbus anno 1492, wie er nach Amerika gfahrn is!« –


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