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Bestrafter Ehrgeiz

Die angesiedelten Holzhauer des Fürsten Xaver Ypsilanti besaßen auf allen Herrschaften dieses mächtigen Feudalherren seit urdenklichen Zeiten schon das Waldweiderecht. Für das liebe Vieh waren das idyllische Zeiten; Gras gab es, wenn auch nicht überall, übergenug, auch mancherlei Grünfutter anderer Art; in der heißen Tageszeit gab's labenden Schatten, bei heftigem Regen gute Unterstände, und bei Amselschlag und Quellenrauschen ward da zwischen so manchem Bullen und so mancher gehörnten Maid ein zartes Verhältnis angeknüpft, welches die segensreichsten Folgen nach sich zog.

Die gelehrten Forstmänner fanden jedoch im Laufe der Zeit heraus, dass die Waldweide wohl dem Vieh, nicht aber dem Forste von Nutzen sei, insbesondere junge Bestände unter Huf und Maul der weidenden Horntiere arg geschädigt wurden, und sannen auf Abhilfe. Gutwillig das Recht herzugeben und ohne angemessene Entschädigung, fiel nämlich selbst dem beschränktesten Holzhauer nicht ein, und so mussten die Rechtsgelehrten in Ordnung bringen, was die Forstgelehrten durcheinander gebracht hatten. Die Diplomaten müssen ja immer die Werke der Generäle krönen, vorausgesetzt natürlich, dass sie auch Geschickte und nicht bloß Gesandte sind, was auch zeitweilig und hie und da vorkommen soll.

In dem Falle erwiesen sich die Gesandten wirklich als Geschickte, und die Viehwaldweide wurde »auf gesetzlichem Wege« aus dem Wege geschafft. Den Forstleuten zur Freude, den Holzhauern zum Leide.

Wie es aber in der ganzen Welt diplomierte und auch nicht diplomierte, aber geborene Advokaten gibt, so war das auch auf der Warmbrunner Domäne der Fall, und speziell Warmbach besaß in der Person des »Paprikaschneiders« einen gewiegten Juristen von Gottes Gnaden, welcher kein Unrecht litt und gern für Geld und gute Worte eine Lanze für die verfolgte Unschuld oder das vergewaltigte Recht einlegte. Er war auch Gemeinderat und benützte seine genaue Kenntnis aller Paragraphen in den Sitzungen des hohen Ortsrates ausgibigst. Erschien er in einer Gemeindesitzung (und er erschien in jeder Gemeindesitzung), so geschah das stets in der Weise, dass seine Rechte mitten drin im Rechte stak, indem nämlich Zeigefinger, Mittelfinger und Goldfinger zwischen den Hauptabschnitten des bürgerlichen Strafgesetzes oder eines anderen Rechtsbuches derart eingeklemmt waren, dass jeder Finger auf einem wichtigen Paragraphen, zu dem er heute sprechen wollte, ruhte, während Daumen und kleiner Finger den steifen Deckel des noch härteren Gesetzbuches festhielt. Und dann begann er pro oder contra, je nachdem es das öffentliche Recht oder sein privates Wohl erforderte, nach eingeholter Erlaubnis zum Sprechen, mit den Worten: »Meine Herren! laut § N., litera NN. und § NNN. laut lietera NNNN. usw. …« Doch die gemeindeämtliche Tätigkeit des Paprikaschneiders in allen Ehren, gehört nicht hierher; uns interessiert diesfalls nur seine private Rechtsstätigkeit, und zwar »in Sache der Viehweide«.

Der wackere Mann hatte schon zahlreiche Klagen der verschiedenen Holzhauer des benachbarten Ortes Brandelhäuser vernommen und über diese Sache gründlich nachgedacht und herausgefunden, dass da laut § NNN. Lit. A bis f und lit. M bis q ein Rechtsbruch vorliege, item das Sevitutsrecht der Waldviehweide durch den hochfürstlichen Erlass, die Urkunde soundso usw. gründlich verletzt, ja gebrochen worden ist, und er machte auch kein Hehl daraus, sondern zergliederte den ganzen Fall an der Hand des Gesetzbuches im Gemeindewirtshaus derart gründlich, dass die anwesenden Holzhauer zu der Überzeugung kamen, dass ihnen erstens bitteres Unrecht geschehen, sie zweitens als Staatsbürger das Recht hätten, gegen jedermann – und wäre es auch der Fürst Xaver Ypsilanti – klagbar auftreten könnten, drittens, das zu tun schon ihren Kindern und Kindeskindern schuldig wären.

Freilich – den Fürsten, bitte – den Fürsten – klagen? – Die Holzhauer von Brandelhäuser sollten, hm – den Fürsten klagen? Solange die Welt steht, ist so etwas nicht vorgekommen… –

Aber der Paprikaschneider war kein Mann des Mittelalters, der finsteren Feudalzeit, sondern ein Mann der Neuzeit, und übrigens – hatte der Fürst schon einmal bei ihm was nähen, ihn etwas verdienen lassen? Hatte er schon vom Fürsten irgendetwas genossen? Braucht ein Holzhauer, der seine Arbeit ordentlich tut, vor einem Fürsten zu zittern, wenn er im Recht ist? Nein, tausendmal nein; vor dem Gesetze sind alle gleich, ob Fürst, ob Schneider, ob Holzhauer!

Also bewies der Paprikaschneider den Holzhauern, dass sie sehr dumm wären, wenn sie nicht auf ihrem altverbrieften Rechte bestünden und nicht klagen würden, und er erbot sich, die Klage »eigenhändig zu konzipieren«. (Er »konzipierte« alle derartigen Schriftstücke »eigenhändig«.)

Die Leute ließen sich überreden, der Paprikaschneider verfasste eigenhändig die 19 Bogen umfassende Klage »contra« Fürst Xaver Ypsilianti, und die Holzhauer unterschrieben sie teils ebenfalls eigenhändig, teils durch Vertreter, ihre Buben und Mädeln, und setzten nur drei Kreuzeln mit eigener Hand hin.

Und dann ging die Klage ab, und dann war der Prozess, und dann wurde der Kläger – sachfällig abgewiesen. Aber dann rekrutierte der Paprikaschneider, weil es noch höhere Gerichte gibt, an die erste und dann die zweite Instanz. Aber die anderen verstanden es auch nicht besser, und die Holzhauer sollten soundso viel hundert Gulden Kosten zahlen. Obendrein aber gab's da noch eine Ehrenbeleidigungs- und Verleumdungsklage, denn der Paprikaschneider hatte zwar den Fürsten geschont, aber verschiedene andere Persönlichkeiten in der Klage gehörig »eingetunkt«.

Jetzt war das Elend fertig!

Der Paprikaschneider tobte, aber heimlich, denn öffentlich konnte er's schon darum nicht, weil er erstens eine neuerliche, eine Extraklage befürchtete, zweitens sich wegen der auf ihn wütenden Holzhauer überhaupt nicht öffentlich blicken lassen durfte. Die Holzhauer aber, 31 an der Zahl, gingen zu ihrem alten Oberförster Tschenk und baten um Rat.

»Wos soll'mr, wos kinnt'mr do moch'n, Herr Ob'rförst'r? Rot'ns uns, Herr Ob'rförst'r!« baten sie.

Der Oberförster ging ein paarmal die Front ab, schnupfte etliche mächtige Priesen, streute andere gewohnheitsgemäß auf die Teppiche, blieb dann vor dem mittelsten Manne stehen und antwortete: »Do losst sich weiter nix machen, als ihr schreibt's dem Fürsten einen Brief, und der muss lauten: »Eure Durchlaucht, allergnädigster Fürst und Herr, verzeihen's uns, wir sind allesamt Ochsen!«

Erschrocken wandte der Sprecher der Versammelten ein: »Jo, dos können wir ja dennest net schreib'n, Herr Oberförster; Ochsen sein mir do net?«

»So?« entgegnete darauf der Oberförster, »was wollt's denn dann schreiben? Dass ihr am End' doch im Recht seid?« Begütigend erläuterte er dann aber: Ochsen müsst ihr grad nicht schreiben, ob'r rauskommen muss's, verstanden? Und ich will euch das Gesuch aufsetzen – abschreiben muss es aber jemand anderer.«

Damit waren die Holzhauer zufrieden, und der Erfolg dieses Gesuches war ein sehr günstiger: der gute, alte Fürst zahlte die Strafe selber! Die Ehrenbeleidigungs- und Verleumdungsklage konnte er aber nicht ungeschehen machen, denn weder stammte sie von ihm, noch konnte er auf ihre Urheber irgendeinen Einfluss ausüben, da die Klage schon längst in Händen des zuständigen Bezirksgerichtes war. Dahingegen erhielt der und jener Holzhauer von irgendwoher einen freundlichen Deuter. Demgemäß gestaltete sich die betreffende Gerichtsverhandlung recht eigentümlich.

Der Erstgerufene trat vor und sprach: »Gestrenger Herr Richter, ich kann nicht lesen und nicht schreiben und hab' geglaubt, es ist eine Klage gegen den Juden Klotz gewesen, was ich wegen einer Eisenschaufel einbringen wollt'.« Der zweite sagte: »Ich bin nicht dahamt gewesen, wie der Bot' mit der Schrift gekommen ist, und da hat's mein Jogerl unterschrieben.« Der dritte log: »Das ist meine Schrift überhaupt nicht, gestrenger Herr Richter, ich mach' die Kreuzeln so, sehens – so, und die sein ganz krump. Das muss wer anderer von den Kollegen untergeschrieben haben. Alsdann nix für ungut.« Der Folgende entschuldigte sich damit, dass er die Schrift für ein Bittgesuch gehalten hätte; lesen konnte er's nicht, weil es schon finster war, als der Bote damit kam. Und so ging's bei allen 31. Einer war unschuldiger als der andere, und so kamen alle 31 straflos mit einem einfachen Verweise und einer väterlichen Ermahnung seitens des Richters davon, und es blieb am Schlusse nur noch einer da, der Urheber, Verfasser und Mitunterfertiger der Klageschrift, der Paprikaschneider.

Der humane Richter wollte auch diesem verirrten und vermeintlich reuigen Schäflein ein Hintertürchen öffnen und sagte deshalb zu dem Schriftgelehrten: »No, und Sie, Herr Schuster (so lautete der Schreibname des Paprikaschneiders), haben dieses Schriftstück natürlich nicht selbst abgefasst; denn dieses verrät einen gesetzkundigen und schriftgewandten Winkelschreiber, welcher in solchen Sachen Jahr und Tag arbeitet und fürs Geld nötigenfalls auch den heiligen Petrus beschuldigt, dem Gottvater den goldenen Himmelsschlüssel entwendet zu haben und …« Aber da kam der Richter schön an. Stolz auf seine Werke und ganz entrüstet darüber, dass man ihm solch eine Routine und solch ein Geschick nicht zutraue, warf sich der Paprikaschneider stolz in die Brust und rief, mit dem Daumen auf seine Brust deutend, aus: »Na, na, Herr Bezirksrichter, das hat kein Stadtschreiber geschrieben, das hab ich schon selsten gemacht, das habe ich eigenhändig konzipiert, und wenn Sie, Herr Richter, glauben, dass ich zu dumm bin vor so was – da schreib ich noch ganz andere Sachen.

»Sooo«, sagte der Richter auf dieses unumwundene Geständnis hin, »das ist was anderes; ja, dann ist Ihnen allerdings nicht zu helfen, und Sie haben sechs Wochen Arrest!«

Der Gesetzeskundige hatte auf diese ihn sehr überraschende Kunde hin allerdings wieder allerlei Einwendungen gehabt, vielleicht hätte er auch jetzt schnell zum Rückzuge geblasen, aber es war zu spät; der Richter drehte ihm den Rücken und ging; das Urteil war in Rechtskraft erwachsen! –


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