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Die Fürstenwalder und die Ehereform

Die sogenannten »Ehereformer«, welche die Auflösbarkeit der Ehen und die Möglichkeit der Wiederverheiratung geschiedener Eheleute anstrebten, versuchten, um die Vorlage und Annahme eines derartigen Gesetzes zu ermöglichen, für diese Idee Propaganda zu machen.

Jene, welche die staatszersetzenden Folgen einer derartigen Ehereform zu verhindern trachteten, und alle, welche aus religiösen Gründen dieses Gesetz bekämpften, arbeiteten dagegen, und das »katholische Zentralkomitee«, an dessen Spitze der Graf Silva-Tarouca stand, versandte hundertausende Protestbogen, welche zum Sammeln von Unterschriften aller Gegner dieser Ehereform dienen sollten.

Diese Bogen wurden von den Pfarrämtern, fürstlichen Revierverwaltungen usf. an geeignete Vertrauensmänner zum Sammeln von Unterschriften weiter übergeben. Viele Leute verkannten jedoch den Zweck dieser Sammelbögen vollständig, und es gab insbesondere im Böhmerwalde oft die ergötzlichsten Missverständnisse bezüglich des Zweckes dieser Protestbogen.

Am Tage Simeon, Sonntag den 18. Februar (1906) versammelten sich im Fürstenwalder Wirtshause um die dritte Nachmittagsstunde eine schwere Menge von Kleinbauern, Holzhauern und anderen Wäldlern, und das aufgeregte Gebahren der Männer verriet deutlich, dass irgendeine wichtige Sache die Masse heftig errege.

»Monna!« schreit mit einem Male der Boiersepp, dass das Getöse verstummt, »Monna, wisst's, wer in Rotberg dös Gsetz üntrschriebn hot? – Drai I – wohner, der Grünschädlnikodem, der Petrnschustrgustl und der krump' Mathaisfranznwenzl! Wegn wos wüsst's eh: den Nikodem die sein is wej dr Tuifl af ehm, losstn in ka Wirtshaus nyt gehen und hautn no dr Notn; n Gustl die Sein is stoanolt, und er möget a Jungi, und dr Wenz woas eh, wegn wos – werds 's scho wissen, wos i moan'n tu; der Lolai büld si ei, sy s holt's mit dem graupeten Maxl. – Sinst hots obr ka Mensch nyt untrschriebn, in gonz Rotberg nyt, i d Häusln nyt, i Ellexberg nyt und ei dr Hoid a nyt. No und ös, werds 's a ny untrschraibn, denk i!?«

»Mir gebn unsri Weibr nyt her!« erscholl's darauf aus mehr als dreißig Kehlen.

»Denk i rm a«, fuhr darauf der Boirsepp fort, »weil dös is koa Leut nyt bei mir, der sich vo sein Wei scheidn losst und – hosts gsegn und nyt a, a ondri nimmt. Und no, wann's bai Oanr varbleibn tat, obr na, dös nui Gsetz sogt, a jeds koa si' Weibr nehmn, so vylr mog, zwoa, drei, vier, fünfi, und reichtr nyt mit fünfi – zeih a! San mir Türkn, doss mir uns fünf obr zeih Waibr nehmn solln? – Wos sogst du drzou Fanznl?«

»I? Wos soll i draf sogn? Wos tat den I mit zwoa, drei Weibr? I hon mit oan Wei bis doher. Dös wär a schöni Ramasuri, wenn so drei, vier Weibr im Haus waren, und a jedi möcht d Herrlichkeit und 's Kummando führn, und a jedi tat eps Ondrs tendiern? Dös war so nyt zu Ausholten. I üntrschreib so wos in koan Foll nyt.«

»Mir a nyt!« widerhallte der Chor.

Während dieses Gespräches öffnete sich die Tür, und der Krautbergerwenzlisidor bahnte sich den Weg bis zum Ofentisch. Er hatte die letzten Worte vernommen, und diese waren nur Wasser auf seine Mühle. Mit der Faust auf den Tisch schlagend, rief er: »Recht hots Monna, und a Schkandal is, doss so wos fürikimmt! In dem Gsetz steht a, olls heirat duranand: a Jud a Katholischi, a Protestanerin an Türken, a Freimaurer koa si a Evangelischi, a Katholischi obr a Judnmensch nehmn, wej a jeds grod mog. In dr hailign Schrift obr hoißts: ›Wer ein Weib nimmt, tut gut – wer aber keins nimmt, tut besser‹. Alsdann do hoißt Oani obr Koani; – vo drei, siebeni, zehni steht dogegn in koan Katechismus nix drin! – Und schon dös Duriwari, wann si oaner zn Beigspyl a Judnmensch nahm. Am Freito tats afwoschn, weil am Samsto dr Schabes is; am Sunnto tats d Wäsch woschn, weil dr Sunnto dr Montog is. Wanns zu Essn war und i s Kreuz moch, mauschlt die vom Mosesn und vom Jehowa; gang i zr Beicht, fahret se af Strakonitz in Templ, asset i a Fleisch, miget se an Fisch; wanns zum Fostn war, kamets mit oanr Gons doher, und wonn i a Schweinernes, Kraut und Knödl möget, soget se, dös is nyt koschr, dös war a Sünd. Dös war mir wos. Is wohr obr nyt.«

»Wohr is! Wohr is!«

»Dös, meini liebn Leut, wär obr erscht d oani schlechti Saitn, erscht d Glaubens- und d Haussaitn. S gibt obr no a Gemeindi- a Bezirks- und a Stootssaitn. Alsdann, i losset mi vodr Mein, vo dr Margerl, scheidn und schmeiß naus und nohmet mer a sou a jungs saubrs Trutschai, wej mr ostand. Leid't die ober meini drei Kindr und zwoa Menschr? Na, dy müsstn bold ausm Haus, weil sy leidets nyt. D Margerl künnts obr a nyt drnährn – weils ejz selstn nix hot und bedln gehen müsst. Alsdann follns olli Sex dr Gemeinde zr Lost. Dös war dr Onfong. Dös Trutschei, wos i ejz hätt, segat si obr bold an Ondrn, wosr bessr gfolln tat und soget wegn dem afamol z mir ›Pfirt di God, und i loss mi schaidn und heirot den Natzl.‹ Sy tuts a, obr in drai Monat kimmt wos Kloans af d Welt, wo i dr Vodr bi. Dr Natzl hot zwo odr fif Kindr aus sainr erschtn Eh, a poor aus der zwaitn, kon a san, etla aus dr drittn, und ejz kimmt no oans obr gor s kemmn Zwilling, dy vo mir san. Grod s bawilonisch Turmschpyl war dös, und olli de zeihfochn Weibr und neunfochn Monnr hängn ehri füfund zwonzg Menschr und Kindr dr Gemeindi am Bugl und sogn: ›Sou, ejz drnährts di gonzi Bagaschi!‹ No jo, weil ehm ghörns nyt und ehrer a nyt und bai d meistn woas übrhapts koa Mensch nyt, wer im Grund dr Vodr is. Eiz, wej koa obr d Gemeindi bei dy Steuern und Lostn olli dy Bankrtr drholtn und afzuign? Olls krocht, olls muss ins Boiern bedln gehn.« – Die Erregung der Gemüter wurde immer größer. Flüche und Verwünschungen wurden laut. Der Boirsepp hatte Mühe, nochmals zum Worte zu kommen. Seines Vorredners Worte hatten ihn auf ein neues Hindernis, eine weitere fluchwürdige Folge aufmerksam gemacht. Und da er sich auf keine Weise Gehör verschaffen kann, steigt er auf den Tisch und gebietet von dieser hohen Warte aus silencium. Endlich tritt Stille ein, und mit bewegter Stimme beginnt er:

»Monna, ejz hon mir dös Gsetz vo dr Aus- und Glaubnsseitn beleucht und vo der Gemeindi- und Staatsseitn a. Wej stehts obr ejz mit derer Seitn, wos die orm'n Hascherns onlongt? – Denkts eng ner, so a Katholische Heirat an Judn, und die zwoa krign an Bubn. Narürla mussr nochm jüdischn Glauben afzogn wern. Wenn obr d Mudr sogt, geh Maxl, sog am mol die fünf Gebote der Kirche auf und n Glauben, sogtr: »Bin i jach a Christ? Jach bin nix e Christ, jach bin beschnittn.« Is dös net a schreckliche Sach für so a Kind und so a Mudr? Obr somt dem, dös Kind woas bis dato dös Oani, wos a Jud is und dos a Jud is. Der olt Jud verstirbt obr, und des Weib nimmt si jezt an Evangelischen. Wos obr ejz? D Mudr is katholisch, der Vodr a Evangelischer, und s Kind a Jud; d Mudr bet zr heilign Maria, dr Vodr zum Martin Lutr und s Kind zum Jehowa; dr Oani locht de Ondrn aus und schimpft übern Ondrn sein Glauben. Is dös a Erziehung for die Kindr? Müssn do net lautr Antichristn aus die Kindr und d Menschrln werdn? – Und ejz frg i eng: Solln mir unseri Kindr und Menschr lautrn Antichistn wern lossn? Brauchen mir dös duldn? Brauchen mir a so a Gsetz untrschreibn? – I sog na und neunundneunzigtausend Mol na! Niedr mit dem Saugsetz, wo unseri Weibr schlecht mocht und d Kindr für d Höll herricht! Niedr mit den Gsetz!«

»Niedr mit dem Gsetz!« dröhnte es mit Macht. Die Aufregung war am Siedepunkte. Mit geröteten Gesichtern, geballten Fäusten und fluchend standen die Männer umher.

In diesem Augenblicke trat der Abgesandte des Revierförsters, der Heger Pankraz, mit dem Bogen ein. Wäre eine Bombe durchs Dach herein gesaust, die Wirkung wäre keine größere gewesen.

Alle einunddreißig Männer starren den Mann sprachlos an. Dass es der Bogen des Verderbens ist, den er hier schwingt, daran zweifelt keiner; dass aber der Förster – sogar der Förster …? … nein, das begreift keiner.

Wäre der Mann da kein Heger gewesen, er wäre nicht bis zum Ofentisch gelangt; mit einem Heger aber verdirbt sich's kein Mensch im Walde gern – und – der Bogen könnte ja schließlich doch auch etwas anderes enthalten, eine Forst- oder Jagdangelegenheit betreffen? Also kam der Mann bis zum Ofentisch, woselbst er »Grüß God, olli mitanandr!« sagte.

»Grüß God, a!« tönte es dumpf zurück.

»Der Herr schickt mi her, ös sollts dös unterschreibn; werd's eh schon wissen, wegn dem Ehgsetz.«

Also doch wahr! –

Die Zornader schwoll allen an, einer sah den andern an, als wollt er fragen: »Wo ist der unabhängige Mann, welcher vortritt, Antwort zu geben? Keiner da?« –

O doch, der Pagatlsolofleischer ist's. Der kauft zwar auch im Forsthause Ochsen, Kühe, Kälber und Schweine; aber er zahlt auch gut, und er ist unabhängig. Langsam tritt er also vor, und seinen durchbohrenden Blick in des Pankraz Innerstes senkend und die Arme in die Seiten stemmend, beginnt er: »Mit Verlaub zu sagen, Herr He – ger, der Jager schickt dich her? Der Ja – ger? Jo, wos war denn dös? Is eppr dr Ja – gr a nimmr z'friedn mit sein mudlsaubrn Weiberl? Odr seids ö Jagr a scho lutherisch gsinnt? Lumpn wollts machen? D Leut unglücklich machen? D Weibr verstößn? D Kindr in d Höll stößn? – A do schauts her? Und du gibst di zu so wos her, Pankraz, und schamst di net? – Pfui Deibl, sogi, pfui Deibl!« –

Der Heger sieht ganz blöd um sich. Der Schimpf schnürt ihm die Kehle zusammen. Endlich ermannt er sich, und vor Wut bebend, poltert er hervor: »Sakra, sakra – bin i den üntr lautr Norrn grotn? Hobts ös an Begriff davo, wos do drinnet steht und wos untrschreibn sollts? Der Herr hot gsogt, doss er, doss ös …«

Doch was der Herr gesagt hat, kam damals nicht zum Vorschein; denn 31 Stimmen unterbrachen ihn, 31 Feinde beschimpften ihn, und je mehr der Heger maulwerkt und protestiert, desto mehr schreien die anderen. Sagt er etwas von einem »Kontra«, brüllen die, welche es hören: »Dös gibt's net, solche lutherische Ehe-Kintrakt mögn mir net!« Sagt er »Weiß«, höhnen die anderen »Schwarz!« Und wie der Ärmste zu schimpfen beginnt, weil ihn niemand zum Wort kommen lässt, wird die Sache noch ärger. Einer reißt ihm den Bogen aus der Hand und diesen selbst in Fetzen; und wie der Bedrängte dem Wilden einen Stoß versetzt, ist's um ihn geschehen, zehn zwanzig Hände greifen um ihn, und ehe er noch sagen kann: »Schonet mein Weib und meine Kinder!« fliegt er auch schon, arg zerbläut, zum Wirtshaus hinaus. –

Weil aber die Wahrheit immer wieder siegreich durchdringt, drang sie endlich auch in Fürstenwald durch; die Fürstenwaldler kamen dahinter, dass der Bogen nicht für, sondern gegen den »Ehe-Unfug« verfasst war. Doch dann war's zu spät; ihr Bogen flog ja schon, in seine Urbestandteile zerlegt, über die Gipfel der Berge und Wipfel der Bäume.

Der Förster aber sagte an diesem denkwürdigen Tage: »Der Pankraz ist ein Esel; er hätte doch sofort merken können, dass die Leute vollgetrunken und am Irrwege sind. Hätte er vorerst über die Ehereform geschimpft und ihnen dann erklärt, um was sich's uns handelt, hätte er sich die Dresch erspart, und wir hätten um 31 Unterschriften mehr und um einen Skandal weniger.«

Eine gute Folge hat jedoch diese Sache trotzdem gehabt: Seit dazumal lesen die Fürstenwäldler alle Ukase durch, ehe sie die Boten durchprügeln und herauswerfen. –


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