Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

»So steht es also mit uns«, sagte Dr. Bumstead eines Abends zu seiner Tochter, als die beiden eine volle Stunde länger als sonst in sorgenvollen Gesprächen aufgeblieben waren. »Glücklicherweise machen die beiden Jungen ihre Sache gut; sie können sich immer mit Stipendien und Stundengeben durchbringen; aber es wäre grausam, ihnen eine kleine Hilfe für den Notfall zu versagen. Hier in Great Falls, Connecticut, gibt es eben nicht viele Leute, die es sich leisten können, in ihren seelischen Nöten einen Spezialisten zu Rate zu ziehen. Tage und Wochen vergehen, ohne daß jemand in meine Sprechstunde kommt. Dieser eine Privatpatient aus Boston – der Millionär – ist ein Geschenk des Himmels. Zu seinem eigenen Besten (ich sage das ganz unparteiisch) sollte seine Behandlung noch länger dauern. Und nun, wo der Sommer vorüber ist, sollte er nicht mehr auf seiner Jacht in New London bleiben; es ist düster und einsam auf dem breiten Fluß, wo man dem Wind und Regen ausgesetzt ist, und es schadet auch seiner Gesundheit, wenn er sich zweimal in der Woche im offenen kleinen Boot hierher rudern läßt. Psychologische Gründe kommen hinzu. Als Arzt muß ich ihm davon abraten, sich beständig an Bord aufzuhalten, wo er ganz isoliert lebt, nur mit Männern zusammen, und zwar mit Untergebenen. Eine richtige, abwechselungsreiche, interessante Segelfahrt ist ganz etwas anderes, als wenn man müßig und trübselig ohne Zerstreuung und Gesellschaft im Hafen liegt. So ein Leben begünstigt nur schädliche Neigungen und krankhafte Gedanken.

Wenn Dr. Alden erst einmal bei uns wohnt, kann ich ihn täglich behandeln, alle seine Gewohnheiten beobachten und ihn wirksamer beeinflussen. Er kann lange Spaziergänge machen, das ist die passendste körperliche Übung für einen Mann von nachdenklichem Temperament. Wir haben ja die beiden schönen Waldwege um das Terrain der Anstalt herum und über den Berg hinüber. Lieber Gott, wenn ich daran denke, daß zu meines Vaters Zeiten – das ist noch nicht lange her! – der ganze Grund und Boden uns gehörte! Und jetzt sollen wir auch noch den vorderen Teil des Grundstücks an der Bumstead Avenue verkaufen! Aber was können wir machen? Die neue Ausgabe meines Buches ist von der Kritik sehr gut aufgenommen worden, aber der Absatz ist eine Enttäuschung.

Du brauchst Dr. Alden nicht als Mieter zu betrachten, außer bei den Abrechnungen. Er soll für uns ein zahlender Gast sein, ein Freund und Kollege, ein Kranker, der Ruhe und Pflege braucht; zumal er ja nicht für immer hierher übersiedelt – wenn er auch hoffentlich oft wiederkommt. Für diese exzentrischen Privatpatienten muß man eine leichte Hand haben. Sie sind nicht wie die gewöhnlichen verrückten alten Narren, die in die Anstalt eingeliefert werden. Wenn man einen so gebildeten Mann, der selbst Arzt ist, scharf anfaßt, dann reißt er aus; und es wäre doch sehr betrüblich, wenn Dr. Alden ausrisse. Ich muß ihm zureden, daß er diesen Winter seine gewohnte Fahrt nach Westindien macht. Im Frühling wird er um so lieber zu uns zurückkommen, wenn er fühlt, daß er nicht beschwätzt und eingeengt wird, und daß man ihm nicht die Freude an seinen Liebhabereien nehmen will. Vertrauen ist das Wesentliche: in heiklen Fällen kann man ohne Vertrauen nichts machen. Du wirst sehen, er ist sehr bescheiden und rücksichtsvoll, gar nicht anmaßend und kritiksüchtig; an jede Art von Essen und jeden Grad von Unbequemlichkeit gewöhnt, obgleich er auch den größten Luxus kennt. Wenn man ihm allerdings anzudeuten wagt, daß eine andere Denk- oder Lebensweise besser ist als seine, dann vernichtet er einen mit dem mitleidslosesten, hinterlistigsten Sarkasmus. Das macht es so schwer, ihn zu heilen. Er sehnt sich nicht einmal nach dem, was wir Gesundheit nennen, er verachtet es.«

Der nächste Frühling war besonders mild. Krokus und Schneeball kamen schon im April zur Blüte. Selbst in Dr. Bumsteads abgenütztes, wenn auch kräftiges Gehäuse schien neuer Saft zu steigen; es ging auch geschäftlich aufwärts mit ihm; im Mai war Peter Alden zurückgekommen und wohnte nun wieder bei ihnen, und bis September hatten sich die Dinge so glatt entwickelt, daß Dr. Bumstead zu seiner Tochter sagen konnte:

»Hör mal, Harriet! Ich habe eine Idee; sie wird dich zunächst überraschen: aber warum solltest du Dr. Alden eigentlich nicht heiraten

»Diese Idee überrascht mich durchaus nicht.«

»Was? Du hast schon selbst daran gedacht? Du hast nichts dagegen einzuwenden?«

»Was sollte ich dagegen haben? Glaubst du, ich sehnte mich danach, irgend einen langhaarigen Musiker oder einen gewöhnlichen Geschäftsreisenden zu heiraten? Dr. Alden ist wenigstens ein Gentleman.«

»Durchaus, ganz und gar ein Gentleman. Er ist nur körperlich und seelisch etwas baufällig; hat zuzeiten stark getrunken und sich ein bißchen mit Kokain oder Opium oder sogar mit beidem abgegeben; aber man kann ihn deswegen durchaus nicht als bekehrten Trinker oder als Opfer von Rauschgiften abstempeln. Er war einfach etwas schwach gegen sich und verschrieb sich alles, wonach es ihn im Augenblick gelüstete, ohne sich um die späteren Folgen zu kümmern. Er erkennt das selbst ganz genau; seine Gesundheit könnte durch ein geregeltes Leben und eine richtige Häuslichkeit wieder ausgezeichnet in Ordnung kommen. Er ist noch jung, kaum vierzig. Eine hübsche, robuste junge Frau wie du wäre seine Rettung.«

»Denke nicht, daß ich ihn nicht schon selbst beobachtet hätte«, antwortete Harriet. »Er ist ein Mann von sehr feinen Anlagen, der in seinen menschlichen Beziehungen nicht viel Glück gehabt hat und sich wohl erholen könnte, wenn er unter besseren Einfluß käme. Das Familienleben ist das einzig Gesunde für jeden Menschen, das hätte Dr. Alden zu seinem eigenen Besten schon früher bedenken sollen. Mein Fehler war es vielleicht, daß ich bis jetzt zu sehr in der Sorge für andere aufging und dabei vergaß, daß ich am Ende einmal allein in der Welt und heimatlos in meinem eigenen Heim zurückbleiben könnte. Allzuviel Selbstaufopferung schwächt schließlich die persönliche Eigenart und vermindert die Fähigkeit, der Allgemeinheit zu dienen. Ich zweifle nicht, daß für Dr. Alden und mich das Leben ausgefüllter und reicher würde, wenn wir uns miteinander verbänden. Unsere Pflicht scheint uns in diese Richtung zu weisen.«

»Großartig, großartig«, rief ihr Vater. »Ich bin entzückt, daß du eine so vernünftige Auffassung von der Sache hast. Ich will ihm einen Wink geben, und ich bin fest überzeugt, er wird schließlich einsehen, wie sehr eine derartige Lösung in seinem eigenen Interesse liegt. Nun ist da aber noch ein Punkt – ein delikater Punkt – über den wir uns im klaren sein sollten, ehe wir etwas unternehmen. Dr. Alden sagt oft – teils natürlich nur im Scherz – daß er ein Frauenhasser ist. Seine Erfahrungen mit dem schönen Geschlecht – und er hat viele gemacht – sind nicht immer ganz glücklich gewesen. Er ist einigermaßen blasiert. Außerdem hat er so lange abseits von Frauen gelebt, daß er sich unter Männern wohler fühlt und ihre Gesellschaft bevorzugt. Er ist gewohnt, in Klubs zu verkehren, ist ein überzeugter alter Junggeselle, körperlich entschieden nicht sehr kräftig und nicht besonders begeisterungsfähig. Du andererseits bist von Natur vollblütig; und wenn ich an eine eheliche Gemeinschaft zwischen euch denke, so frage ich mich doch, ob dies hier ganz das Richtige für dich wäre; offen gesagt: ob er dich befriedigen könnte.«

»Vater«, rief Harriet, rot vor Entrüstung, »wie kannst du – wie kannst du nur so etwas sagen? Hältst du mich für mannstoll? Wenn Dr. Alden lieber in Männergesellschaft ist, so kommt das wahrscheinlich daher, daß er noch nie einer anständigen Frau begegnet ist. Ich kann ihm das nicht zum Vorwurf machen; wie hätte er denn auf seinen ewigen Auslandsreisen eine finden sollen? Und außerdem kann ich ihm dieses Kompliment zurückgeben. Auch ich suche Gesellschaft, Freundschaft und wahre seelische Gemeinschaft nur bei meinem eigenen Geschlecht. Es gibt keinen liebevolleren, vornehmeren, sanfteren, gescheiteren Menschen als Letitia Lamb! Mit ihr allein kann ich uneigennützig, von ganzem Herzen und ganzer Seele, befreundet sein; Launen und Interessenkonflikte können unserem Verhältnis nichts anhaben! Nur genügt solch eine zarte Freundschaft und geistige Liebe nicht zu einem Familienleben. Man muß doch Kinder haben. Aber wenn die erst da sind – nimmst du wirklich an, daß eine Frau, die sich selbst achtet, dann von ihrem Gatten noch eine – eine – zwecklose Aufmerksamkeit verlangen wollte, als hätte sie ihn etwa zum Vergnügen geheiratet? Das ist eine Beleidigung für mich und für jede anständige Frau.«

»Schon gut, schon gut«, sagte Dr. Bumstead achselzuckend und fragte sich, ob diese Sache, die sich zuerst so großartig angelassen hatte, wohl wirklich zu einem guten Ende geführt werden könne. »Ich erwähnte das nur, um ganz sicher zu gehen. Falls du dich darauf einläßt, möchte ich eben, daß du es mit offenen Augen tust.«

Ein paar Tage später wurde die bewußte wichtige Frage Peter Alden von seinem Gastgeber und ärztlichen Berater vorgelegt, indem dieser ganz ohne Umschweife sagte: »Wie wär's übrigens, wenn Sie Harriet heirateten?«

»Aha, darauf wollen sie also hinaus«, sagte Peter zu sich. »Dieser Plan stammt, glaube ich, eher von dem Alten als von der Tochter. Harriet hat nicht viel Unternehmungslust; das ist für meine Begriffe eine gute Eigenschaft. Sie fügt sich einfach in die Umstände und hält sich wie ein kräftiges Schiff gut im Gleichgewicht. Sie wäre ja auch dumm, wenn sie diese Gelegenheit vorbeigehen ließe. Und ich wäre gleichfalls dumm, wenn ich mich jetzt schleunigst aus dem Staube machte, nur weil sie den Plan haben, mich einzufangen, während die Sache doch vielleicht zu meinem eigenen Besten sein könnte.

Ich habe überall nach einer mir wirklich zusagenden Lebensform gesucht; ich habe sie nicht gefunden, es gibt sie eben nicht; und wenn sich mir nun etwas anderes halbwegs Erträgliches bietet, so kann ich mich genau so gut dafür entschließen. Wenn ich diese junge Frau nicht heirate, werde ich wahrscheinlich eines Tages in einem schwachen Augenblick eine andere nehmen, die womöglich älter, häßlicher und weniger anständig ist. Aus Sentimentalität brauche ich Frauen überhaupt nicht, ich mag nicht hätscheln und gehätschelt werden, und ihre Gesellschaft langweilt mich zu Tode; aber körperlich falle ich manchmal auf sie herein, auch weil sich ein Rest von Knabenneugier in mir regt. Dann versuche ich, einen Spaß aus dem zu machen, was kaum ein Vergnügen ist. Heute nennt man das ja wohl: in der Pubertät stecken geblieben sein; früher sagte man: ein alter Kopf auf jungen Schultern.

Wenn eines Tages ein holdes weibliches Wesen – vielleicht meine Hauswirtin oder meine Wäscherin – mir als ihrem Retter unter Tränen um den Hals fiele und sagte, sie fühle sich Mutter, oder müsse ohne mich sterben und verhungern – dann würde ich mich höchstwahrscheinlich dabei ertappen, daß ich ihr die Tränen trockne und sie aufs Standesamt geleite. Eine solche Heirat wäre etwas unmoralisch, aber sonst nicht weiter lästig; jedenfalls viel erträglicher als eine Ehe mit einem der reizenden jungen Geschöpfe, die Karoline auf Lager hat, oder mit irgend einem Mädchen aus unseren Kreisen in Boston. Da würde von mir verlangt, daß ich mindestens zwei großen Haushaltungen vorstände; jede Stunde des Tages und jeder Tag des Jahres wären mit festen Verabredungen besetzt: Diners, Theater, Konzerte, Gartengesellschaften wären nicht zu vermeiden, ebensowenig – o fürchterliche Aussicht! – Segelpartien, wie die große Welt sie sich vorstellt. Zur Abwechselung würde mich meine Frau von einem europäischen Palast-Hotel zum andern schleppen, überall zur Landplage werden und mich zum Narren machen. Nähme ich hingegen, um dem zu entgehen, eine Frau von der andern, der innerlichen und verständnisvollen Art, ein schulmeisterliches, blaustrümpfiges oder tief religiöses Wesen, das sich über alle Frauen der Welt erhaben dünkt, ihnen in Wirklichkeit aber unendlich unterlegen ist – dann würde mich diese schöne Seele durch ihren Anspruch, mit mir zu fühlen, mir zu verzeihen und mich zu lenken, bestimmt verrückt machen. Ich dürfte keinen einzigen Atemzug ohne Unterwerfung und Heuchelei tun, und mir bliebe kein Ausweg außer dem Selbstmord.

Nein, Harriet ist der goldene Mittelweg; ein Kap des Gleichmuts und der Ruhe. Es verlangt mich nicht nach Glück, es verlangt mich nach Frieden. Wenn ich mich schon als Opfer vor den Wagen eines Gottes werfe, so soll es wenigstens die wohlvertraute Dampfwalze des altüberlieferten Puritanismus sein. Von frühester Kindheit an kenne ich ihr knirschendes Geräusch. Die Anpassung an sie fällt mir leichter, und die erforderlichen Lügen kommen fast von selbst über meine Lippen. Übrigens ist es in diesem Falle kaum nötig zu lügen, da Stillschweigen wohl ohne weiteres für Zustimmung gehalten wird. Vielleicht würde ich mich bei einer Frau, die mich nicht ein klein wenig an die gute Kusine Hannah und an Bruder Nathaniel erinnert, niemals ganz heimisch fühlen.

Harriet geht so völlig in ihrem hiesigen Leben auf, daß sie von dem Vorhandensein anderer Anschauungen überhaupt kaum weiß. Dank ihrer stolzen Ahnungslosigkeit über geschichtliche Entwicklungen und die Welt überhaupt ist sie mit ihrer Kleinstadt, ihrer nebelhaften Religion und ihrem angeblichen Herrensitz vollauf zufrieden. Ihr höchster Ehrgeiz geht dahin, allgemein als die erste Dame von Great Falls, Connecticut, anerkannt zu werden; mit ein bißchen Geld ließe sich diese Sehnsucht sofort verwirklichen.

Und dann paßt mir die ganze Umgebung: der Ort liegt ziemlich außer Reichweite, sodaß lästige Bekannte einen hier verschonen, aber man ist nicht so aus der Welt, daß man nicht jeden erreichen könnte, den man sehen möchte. Ich fühle mich wohl in diesem Hause. Der Alte mit seinem ganzen professionellen Hokuspokus wird verschwinden und uns darin allein lassen. Man kann es instandsetzen, sodaß es wieder ganz stattlich aussieht. Sein falscher Klassizismus gefällt mir; er ist eine rührende Huldigung an das Unmögliche. Eine derartige Architektur als wohlgelungen zu bezeichnen, wäre lächerlich; aber betrachtet man sie als bewußten Fehlschlag, als Beweis von Treue zu einer verlorenen Sache, so ist sie aller Ehren wert: Sehnsucht nach Vornehmheit spricht daraus! Sie ist bezeichnend dafür, daß der moderne Mensch hoffnungslos an dem Traum festhält, er sei immer noch ein Gentleman. Noch sind diese luftigen, quadratischen Räume bewohnbar; wir können die Zentralheizungsrohre verkleiden und im Kamin große Holzklötze brennen. Diese Halle, die monumental sein soll, ist wenigstens ganz bequem; der Brunnen und die Marmorstatue im Treppenhaus sind zum mindesten besser als ein Aufzug. Wir können das Erdgeschoß im Stile der Erbauungsperiode wiederherstellen und oben kunterbunt in unserem eigenen Geschmack schwelgen. Für mich selbst werde ich auf einem chinesischen Zimmer bestehen, und Harriet kann alle andern Räume einrichten, wie es ihr Spaß macht. Während wir diese würdevollen Treppen hinauf und hinab wandeln, werden wir Zeit gewinnen, uns auf jeden Wechsel der Atmosphäre gebührend vorzubereiten, uns von der Einsamkeit auf die Geselligkeit umzustellen und umgekehrt. Wir werden dabei nicht etwa von der Aufrichtigkeit zum Schein überzugehen brauchen, sondern nur von den Illusionen, mit denen sich jeder von uns selbst betrügt, zu der Maske, mit der es ihm möglicherweise nicht gelingt, die andern zu betrügen. Unternehmen wir es denn also, unsere noblen Überlieferungen noch eine Generation länger fortzusetzen! Wenn ich einen Sohn bekomme, soll er hier beginnen. Gott allein weiß, wo er enden wird.

Harriet selbst aber ist eine ausgezeichnete Person; wollte ich versuchen, besser zu fahren, so würde ich höchstens schlechter fahren. Sie sieht gut aus, ist vollkommen gesund, in ihrer akkuraten, provinziellen Art durchaus eine Dame, geruhsam und doch eine gute Hausfrau, aufmerksam, aber niemals nervös, aufgeregt oder zudringlich. Für einen traurigen Burschen wie mich kann es wirklich nichts Besseres geben. Ihre geistige Einstellung oder vielmehr Nichteinstellung ist mir nicht unerträglich, denn es bleibt mir ohnehin gleichgültig, was eine Frau sagt. Ich kann den Mund halten. Ich bin, weiß Gott, schwach genug, aber doch frei von einer Schwäche, die gerade den stärksten Charakteren anzuhaften scheint: daß sie es nicht ertragen können, wenn jemand nicht ihrer eigenen Ansicht ist. Harriet mag über alles denken, wie es ihr paßt, das wird mir nichts ausmachen; besonders da ich ihre Ansichten ja von vornherein kenne. Ich schmeichle mir, bei diesem Handel derjenige zu sein, der am besten wegkommt.

Was übrigens die eigentliche Liebe und so weiter betrifft, so ist Harriet ein prächtiges Geschöpf, fast so prächtig und kraftvoll wie ein junger Mann; ein bißchen passiv, nicht allzu heiter; ungefähr wie ein blonder Athlet, der über seine erste Glanzzeit hinaus und etwas dick, weich, faul und schläfrig geworden ist. Wird sie mir zuviel werden? Nein, eine schläfrige Juno hat mich immer mehr angezogen und weniger übersättigt als die ausgelassenen, spielerischen, schmollenden Dinger oder gar der angejahrte dämonische Typ. Sie wird gleichgültig bleiben, oder doch so tun, als bliebe sie es; dieser Stil wird in unserem Alter das beste für uns beide sein. Falls wir Kinder bekommen, ist Harriets starke Konstitution ein gutes Erbteil. Ihr Blick ist leer wie der einer Kuh, aber ihre Gesichtszüge sind edel, und ihr Mund ist rein und fest geformt. Humor hat sie wohl nicht. Was macht das aus, da ich nicht Kameradschaft, sondern Frieden suche – etwas, das mir Richtung gibt, mich festhält, mich von meinen extravaganten Neigungen abbringt. Ihre königliche Stattlichkeit ist ein Vorzug mehr; mitgenommen wie ich trotz unseres unerheblichen Altersunterschiedes bin, sehe ich in ihr gleichsam eine Schutzgottheit, die den besiegten Helden in Empfang nimmt und ihn bei der Heimkehr von seinen Wanderungen willkommen heißt. Sie hat es ganz bewußt auf sich genommen, mich zu heilen, mir in Gestalt der Gattin Mutter zu sein. Ich habe niemals eine wirkliche Mutter gekannt, mich niemals des umfassenden, sanften Schutzes einer guten Frau erfreut. Karoline war freundlich und heiter, aber im Innersten etwas gleichgültig. Sie mochte kränkliche Kinder nicht. Ein Junge zumal mußte für sich selbst sorgen. Sie lachte mich einfach aus, stieß mich ins Wasser und hieß mich schwimmen. Ich bin nicht ganz ertrunken, denn ich bin noch da; aber ich habe eine Menge Salzwasser geschluckt. Eine sorgfältigere und bedachtsamere Frau – eine Art Priesterin – hätte mich besser ausgestattet auf die Reise geschickt; mein Boot hätte dann nicht so oft umschlagen müssen. Mit Harriet und den Kindern daheim – falls wir Kinder bekommen – werde ich einen sicheren Ballast haben. Und wenn ich mich noch einmal aufmache, die Segel zu hissen – und warum sollte ich es schließlich nicht? – dann brauche ich nicht länger wie der fliegende Holländer von einem Nichts ins andere zu fahren. Ich werde von einem anerkannt anständigen Hafen absegeln, werde richtig eingetragen und in festen Händen sein, mit einem Wort: verheiratet; und alle Strömungen und Passatwinde dieses wasserreichen Erdballs werden mich stets wieder hierher zurückführen. Ich will die ›Alte Dschunke‹ mit ihren exotischen Verzierungen abbrechen und mir eine saubere, neue Jacht bauen, die ›Hesperus‹ heißen soll. ›Hesperus‹, sagt die Dichterin von Lesbos, ›bringt alle Dinge heim, den Wein zu den Lippen, die Ziege zum Pferch, das Kind zur Mutter‹.«


 << zurück weiter >>