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Das dreiundfünfzigste Kapitel

In welchem abermals der Tod auftritt und sich als den Gesandten des heiligen Ordens vorstellt

 

Frau Rosel war untröstlich und schloß sich in ihre Kammer ein. Sie bat ihren Pankraz, sie allein zu lassen in ihrem Unglück. Und er möge dieses entsetzliche Pochen an der Türe lassen und ihren zermarterten Kopf schonen.

»Rosel!« flehte er.

»Pankraz!« rief sie schmerzensvoll zurück.

Da wandte er sich von der Türe und ging unsicheren Schrittes in sein Kontor, um wieder an der großen lateinischen Grabschrift zu arbeiten, die er nach dem Tode des Herrn Hansjakob begonnen hatte und die das stete Unglück immer wieder verlängerte.

Die Matrone Rosina trat ein und hatte Belangloses zu melden. Sie roch bedenklich nach Getränken und Pankraz raffte sich auf, ihr einmal zu sagen, daß es ihm peinlich sei, seine alte Kindsmutter so häufig in diesem Zustande zu sehen.

»So?« sagte sie spitz.

»Ja!« gab Pankraz ernst zurück.

»Dann muß der vornehme Herr zuerst bei sich zu Haus anklopfen,« sagte die Matrone Rosina und ging.

Der arme Mensch seufzte und ging wieder an der Frau Rosel Kammertür. »Willst du mir öffnen, liebste Rosel!« Es klang wie ein Flehen. Aber die Frau öffnete nicht und klagte, daß man ihren zermarterten Kopf nicht schonen wolle.

»Rosel!«

Sie schwieg und erhob sich nicht von ihrem Sessel.

»Rosel, trink nicht wieder!« Er brachte die Bitte zu rauh, so gütig er sie auch dieser stummen Tür und dem schweigenden Zimmer hatte vortragen wollen.

Und es kam keine Antwort zurück und er ging wieder an seine Grabschrift und an sein Latein. Er kritzelte und feilte und malte dazwischen gedankenlos Figuren auf sein Papierblatt.

Einmal fuhr er entsetzt von diesem Träumen auf. Da war's geschrieben: Rosel. Und drei schwarze Tintenkreuze hinter dem Namen.

*

Und die Kapuziner kamen, den ehemaligen Konfrater zu trösten.

»Es ist zwar richtig,« sagten sie, »daß einen Mann, der seine Hand vom Pfluge des Herrn zurückzieht, oft tausendfache Malediktion trifft. Aber – wir beten beständig für unsere Guttäter und für seine Kinder und Kindeskinder.«

»Für meine Kinder!« sagte Pankraz bitter.

Er hörte die klösterlichen Vorwürfe oft, in verkleideten und unverkleideten Worten – sie schmerzten ihn nicht so wie eine andere große Not, die Frau Rosel über ihn verhängte. Er sah die verbitterte Mutter kaum mehr. Sie beharrte eigensinnig in ihrer Frauenstube und verließ das Haus überhaupt nicht mehr. Das Kloster bewilligte ihr den mildernden Grund eines schweren Seelenleidens und dispensierte sie vom Kirchenbesuche. Auch die fromme Rosina mußte manchmal mit Erlaubnis der Herren Patres vom Gottesdienste fernbleiben, weil die leidende Frau ihre Dienste nicht entbehren konnte. Aber Pankraz erschrak jedesmal, sooft seine suchenden Augen die alte Kinderfrau in der Kirche vermißten. Und einmal schlich er sich vor dem heiligen Opfer aus dem Betstuhl und eilte mit seinen schweren Gedanken nach Hause.

– – Die Frauen kicherten und lärmten. Ein Glas zerbrach, sie lachten über den Vorgang wie die Tollhäusler.

Und jetzt warf Frau Rosel ein Weinglas an die Türe, und als es zerschellte, wiederholte sich der Jubel und Frau Rosel wußte nicht, daß sie mit den Scherben dem das Herz zerschnitt, der sie über alles geliebt hatte.

Pankraz schlich leise von dannen, wie er gekommen war, und weinte sich an dem wurmstichigen Schreibpult seines Vaters aus. Als der Pater Collektor an die Kontortüre klopfte, war er ruhiger geworden und wieder bereit, aus einem Trostbecher zu trinken, der von Galle überfloß.

Fast war er der mönchischen Vorwürfe müde. Zugleich aber fühlte er, daß sie ihn alle empfindlich trafen und daß er keinen der Pfeile aus seinem Gemüt herauszuziehen vermochte, ohne den Stachel abzubrechen. Er sprach oft in seinen Einsamkeiten mechanisch die Reden der Mönche nach und nickte als Kläger und Angeklagter zu jedem harten Worte.

Gebete befreiten ihn nicht.

Auch Opfer nicht, auch schlaflose Nächte nicht.

Der Pater Collektor lächelte fein: »Sie fühlen sich nicht wohl, Lieber. Ich sah Sie vor dem heiligen Opfer die Kirche verlassen.«

Pankraz bejahte. Es habe ihn der Kummer zu sehr bedrückt. Und ohne Andacht habe er seinem Herrgott nicht dienen wollen.

Der Collektor lobte ihn sehr.

»Haben Sie Wünsche?« frug Pankraz offen.

Der Collektor seufzte: »Hätten wir unsere heilige Armut nicht, wir hätten keine irdischen Wünsche!«

»Pater, meine Hand ist Ihnen nicht verschlossen. Sie haben zu fordern – ich bin der Schuldner.«

»Gott sucht die Seinen heim,« klagte der Pater ergeben, »er geißelt Schuldige und Unschuldige. Man muß ihn zu versöhnen suchen, daß er der Unschuldigen schone.«

Ein Lärm unterbrach den Seher. Etwas klatschte dumpf auf dem Pflaster auf und auf der Straße schrien Frauen, die von der Kirche kamen.

Pankraz eilte hinaus und der Pater folgte ihm ärgerlich.

Aber auch der Collektor erschrak: da lag das letzte Kind des Hauses und aus der Schläfe des Kleinen sah mit einem blutigen Auge der Tod heraus.

Droben am Fenster aber stand die alte Kindermagd Rosina und starrte entsetzt herunter. Sie wußte nicht, wie's geschehen war: sie hatte am Fenster gesessen und über die weggegangenen kleinen Engel nachgedacht. Sie hatte ihre himmlischen Visionen gehabt, die teils die reiche und schöne Maria von Ingolstadt und teils die schmerzhafte Mutter von Murnau umrankten. Und die alte Großmutter hatte sie wieder gesehen, wie sie das Christkindlein von Altenhohenau auf dem Arme trug. Und dann wollte sie der schmerzhaften Mutter von Murnau das kleine Büblein reichen, das auf der sündigen Welt noch verharrte – und da war's geschehen.

Das winzige Menschenkind lag drunten auf der Straße und seine Augen erloschen.

Pankraz stöhnte und schlug die Hände vor die Augen. Viele Frauen sammelten sich in der Runde und murmelten. Und zwei alte sehr weise Patres waren des Wegs gekommen, beugten sich über das Kind und murmelten auch.

Als sie wieder ins Kloster gingen, nickten sie sonderbar mit ihren Köpfen und ihre eisgrauen Bärte wallten.

Pankraz sah ihnen beklommen nach.

Aber die Hand des Collektors legte sich auf seine Schulter und brachte ihn zu den Geschehnissen zurück. Er nahm das tote Kind in seine Arme und trug es auf das Schreibpult.

Und aus der Schläfe des Kleinen quoll langsam ein roter Tropfen auf den langen lateinischen Grabmalspruch.

*

Als Frau Rosel ganz kinderlos geworden war, fand sie den Weg zu ihrem Manne wieder, aber er fand nicht mehr zu ihr. Es fröstelte ihn, wenn er in dieses rote Gesicht sah, das in nichts mehr den zarten Zügen glich, die er aus den Leidensnächten seiner Zelle kannte. Er war freundlich zu der armen Frau und litt darunter, daß er ihr nicht mehr geben konnte als diese Freundlichkeit.

Da erinnerte sie ihn. Sie sagte ihm die verliebte Beichte her, die er ihren Honignächten geschenkt hatte. Sie erzählte ihm von den süßen Novizenträumen.

Aber sie sprach plump und entweihte alles, was köstlich gewesen war. Wenn sie ihn an sich preßte und sich seinen Mund erzwang, gab sie ihm Ekel und nahm Frost.

Und da stieß sie ihn einmal wortlos zurück und verließ die Stube.

Er schüttelte bitter den Kopf und zählte ihre Schritte zur Frauenstube. Er sah das widerwärtige Bild vor sich, das dieser Bruch heraufbeschwören mußte: die Trinkerin.

Aber da hörte er sie eilig wieder das Zimmer verlassen und durch das Kontorfenster sah er sie über den Markt eilen.

Und abends brachte man sie ihm mit nassen Kleidern heim, und die Haare klatschten in das verwüstete Gesicht der Ertrunkenen.

*

Und doch war sein Leid unsagbar schwer, als dieser letzte Sarg sein Haus verließ.

Die Einsamkeit hämmerte auf ihn nieder und aus den schweigenden Winkeln kroch die Angst zu ihm und die Anklage.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Die Mönche sagten: Bruder, warum hast du deinen Gott verlassen?

Die Schatten seines Lebens irrten über die Wände seines öden Hauses und deuteten auf ihn und seine Schuld, die sie in fabelhaften Ausmaßen auf die weißen Flächen malten. Und manchmal zitterten Zuchtruten an diesen Wänden und schwangen sich über dem gedrückten Schatten des Abtrünnigen.

War er meineidig?

Er frug den heiligen Franziskus oft auf den Knien um die Größe seiner Schuld. Aber der Heilige antwortete ihm nicht mehr. Dem Flüchtling, der in die Welt zurückgekehrt war, verschlossen sich die Ohren des Himmels.

Er betete auf wunden Knien und das Gebet tröstete ihn nicht.

Der Herr war erzürnt und hatte den rächenden Arm erhoben. Er drohte Vernichtung, denn sein Haß war über dem Unbußfertigen.

Und Pankraz brach zusammen und wähnte in diesem öden Haus sterben zu müssen, ehe er Buße getan hatte. Er bat in irrenden Fiebern den Arzt um Gesundung und Kraft, um den Rest seines Lebens nur ihm dienen zu können.

 


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