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Das zweiunddreißigste Kapitel

In welchem der kleine Pankraz in die richtige Schmiede kommt

 

Der Herr Vater und die Frau Mutter schluchzten am Wagenschlag, der kleine Pankraz heulte zum Gotterbarmen und der Pater Guardian tröstete mit erbauenden Worten und schloß mit einem Segen. Dann ließ der Postillon die Peitsche singen und riß die Familie auseinander.

Die Reisenden wurden in Kehlheim herzlich empfangen. Der Schmied hatte ein wortloses Gemüt, rannte in seinen Keller und holte seine Flaschen, die Schmiedin bürstete dem kleinen Pankraz zärtlich und dem Herrn Pater verehrungsvoll den Reisestaub aus den Kleidern. Sie war ganz rundliche bayrische Behendigkeit und ließ Rosen auf ihren Wangen blühen.

Der Schmied aber sagte mit breitem Lachen und gutmütigen Augen: »Durst?«

Der Pater nickte freundlich.

»Hunger?«

Wieder nickte der Pater.

Da lachte der Schmied aus vollem Herzen und stupste seine Schmiedin: »Essen!«

Wie ein molliges Wiesel rannte die Frau in die Küche. Aber im Abeilen tätschelte sie dem kleinen Pankraz die Wangen und sagte: »Du lieber Bub!« und spielte ihm die ersten Sonnenstrahlen ins neue Heim.

»Vetter!« willkommte auch der Schmied, ließ seine ganz blauen Augen über ihn ausströmen und fuhr dem Jungen mit einer Hand übers Haar, die sich hart und hürnen gearbeitet hatte und doch so wunderlich weich streichelte, daß Pankraz an seinen Herrn Vater denken mußte und den Schmied dicht neben ihm in sein Kinderherz schloß.

»Hahaha! Bub!« Der Schmied empfand, wie dieses Herz sich ihm schenkte, und lachte aus einer tiefen Tiefe herauf, aber er holte von da drunten mehr Wärme hervor, als manche Menschen unterm besonnten Scheitel tragen.

Und drum war es auch nicht notwendig, daß er an diesem Begrüßungsabend noch weiterhin schwatzhaft war.

*

Und das Kehlheimer Leben begann und die Kehlheimer Jesuitenschule erzog.

Und der Herr Autor kann sein Gehirn ausrasten lassen und Dutzendzeilen schreiben, die kein Nachdenken kosten. Oder er braucht nur den hochgünstigen Leser bitten, des Paters Petrus Canisius Religionsbüchl zu lesen – da stehen die ganzen Formeln drin, nach denen die Kehlheimer Jugend ihre Geleise zieht. Es handelt sich um nichts weiter als um mathematisch genau ausgefüllten Geist und um mathematischen Gemütsdrill, nur daß die Zahlen fehlen und die Beweise und an ihre Stelle das Einmaleins der Frömmigkeit tritt.

Oder der Herr Autor macht sich's in anderer Weise bequem und schreibt aus dem schönen Büchl ab, das der Herr Buchdrucker Riepel zu Stadtamhof gedruckt hat – mit Erlaubnis des kurfürstlich bayrischen Zensurkollegiums natürlich und der hohen Ordensoberen des Jahres eintausendsiebenhundertachtundneunzig – und sucht sich aus diesem Büchl (welches von dem heiligmäßigen Leben von sechs Dienern Gottes handelt) ein ergreifendes junges Menschenleben heraus und schreibt's kurzerhand ab.

Warum denn nicht? Wir finden so auferbauliche Sachen darin, wie man sie selten gelesen hat und wie wir sie schöner nicht aus der Feder bringen können. Wenn sich's auch in den Seiten, die wir zu stehlen herangehen, um den seliggesprochenen Frater Pazifikus O. S. F. handelt, so passen sie doch so engelschön auf unseres Pankraz blührieselweiße Jugend, daß wir nur seinen Namen da einzufügen haben, wo wir den Frater Pazifikus im Interesse der fortschreitenden Handlung nicht brauchen können.

Und hie hebet also die köstliche Jugendgeschichte an:

»Seine Sittenvollkommenheit hat er als ein Knabe mit vier Jahren dort angefangen, wo andere in dem Alter von vierzehn Jahren noch nicht hinkommen.

Die Abtötungen, unter welchen die Heiligen ihre Keuschheit sicherstellen, wie die Gärtner ihre Blumen unter die Dornenhecken, hielt er für ganz lieblich.

Hat er auch manchen Kinder- und Bubenstreich verübt, wie ihm ein freigeistiger Teufelsadvokat allenfalls vorwerfen möchte, so kann man glauben, er hätte diese Streiche nur darum begangen, um sich Schmerzen zu verursachen durch die derben Züchtigungen, die durch die Oberen erfolgen mußten. Seine weise Mutter hatte (ist schade, daß wir die Legende vom seligen Frater Pazifikus nicht schon früher kannten, als wir die Frau Bürgermeisterin zu schildern begannen), seine weise Mutter hatte nach der Sitte der zeitgemäßen geistlichen Auferziehung immer eine geweihte Rute am Fenster stecken, mit der sie aber bloß drohte, wie die Kometen am Himmel drohen, ohne je mit ihrem Schweif kräftig zu werden.

Und darum kam es, daß Ernsthaftigkeit und Anstand seine Lieblingssache wurden und daß er gern das Geschäft der Engel betrieb. Das ist: Pankraz ministrierte in Kehlheim dem Pater Guardian, ja, er nahm selbst an den Geschäften der Priester teil, indem er im kindlichen Spiel sich Altäre baute, heilige Bilder hineinstellte, Vespern und Litaneien sang, das Opfer der heiligen Messe verrichtete und überhaupt alles nachmachte, was er bei den großen Kapuzinern gesehen hatte.

Oft schlüpfte er in einen wollenen Sack, nahm einen Korb in den Arm und bettelte von Haus zu Haus. Und wenn ihn jemand frug, so sagte er, er wolle ein Kapuziner werden und jetzt schon das Amt eines Paters Collektor spielen, um seine Kräfte für die Zukunft zu erproben.

Und damit wollen wir's mit dem Abschreiben bewenden lassen, zu unserem echten Pankraz Corleone Hansjakob zurückkehren und sein Leben mit noch viel heiligmäßigeren Seiten zeigen, als in dem Stadtamhofer Büchl beschrieben sind.

Wobei natürlich der einfältige Schmied der Erwähnung eigentlich ziemlich unwert wird und über seine rundliche Frau nur zu sagen ist, daß sie mit heiligem Staunen auf den Kleinen sah und mit dem Pater Guardian oft fast ehrfürchtig sein Tun und Treiben besprach. Sie bangte für den zarten Buben, daß sich seine tiefe Frömmigkeit aufs Gemüt und ins Geblüt schlagen könne und schloß aus manchem Kopfschütteln ihres Schmiedes (denn sie verstand sich auf seine wortlose Sprache), daß er der gleichen Meinung sei.

Aber der Pater Guardian beschwichtigte die Sorgen der kleinen Schmiedfrau und sie beruhigte sich und versuchte nur, aus ihrer Küche die bleichen Wangen, die sich der Bub in der Jesuitenschule holte, mit besonderen Künsten wieder aufzufärben.

Der Pater Guardian fand das sehr löblich und nahm wiederholt Gelegenheit, den zauberhaften Kochlöffel der Frau Schmiedin mit Verwunderung zu loben, wobei er freilich zugeben mußte, daß ein armseliger Kapuzinergaumen kaum als vollendeter Richter bestehen könne.

Und des Schmiedes kleine Frau bekam bei solchen Reden süße Röslein auf die Wangen.

*

Was waren das merkwürdige Kinderspiele bei diesem Buben: alles mit Kyrie Eleison und Pater noster begleitet, mit sanftem Rosenkranzgemurmel gewürzt und mit Weihwasserbächen berieselt. Er brachte Kameraden mit und dann spielten sie demütige Novizen und es stand den Kindern beinahe besser an als den verspätetsten Noviziaten und graubärtigsten Klerikern, die den Rest ihrer Tage in die Kutte kleiden.

Und einmal kam das vor: der Kleine hatte den Pater von der Kanzel gehört in einer wundervoll grollenden Predigt, die jedem lutheranischen Zuhörer das Blut zu Eis hätte erstarren lassen. Furchtbar schwang der Guardian seine Geißel gegen die Irrgläubigen und seine Worte prägten sich wie Siegelstöcke in sein Gedächtnis ein.

Er kam mit blasser Begeisterung nach Hause.

Der Schmied sah ihn mit seinen blauen Augen an und frug mit lächelnder Teilnahme: »Einen verhaut?« Aber Pankraz schüttelte heftig den Kopf und brachte wirre Sätze aus der Predigt, die der einfältige Schmied mit einer stummen Fassungslosigkeit nach seiner Schmiede weiterschleppte und unter seinem schwersten Hammer auf seinem gröbsten Amboß zu verdauen suchte.

Pankraz aber trug seine Ergriffenheit in seine Studierstube. Und da kam plötzlich der Geist über ihn: er schlüpfte in einen wollenen Sack, stieg auf einen Stuhl und schrie, wie er's auf der Kanzel gehört hatte: »O! Tränengüsse und Zährenbäche über die lutheranischen Bürger, unsere in Christo geliebten Stiefbrüder! Fließet, ihr Tränen, rinnet, ihr Zähren! Wie! Was! Rasender! Wo denkst du hin? Höllenbrände nennst du die in Christo Geliebtesten? Nein, nein! Der Stab ist gebrochen! Das Urteil ist gefällt! Verdammt, verdammt sind alle Lutheranischen! Ohne Glauben ist es unmöglich, daß man Gott gefalle. Niemand kann außerhalb der römischen Kirche selig werden. Alle, alle, die draußen sind, werden verdammt, ewig verdammt werden.«

Und vor seiner Tür stand die Schmiedin und lauschte mit einer Angst, die ihr die Herzkammern fast bersten machte. Die schönen Röslein ihrer Wangen eilten weg und sie zitterte in aller ihrer Rundlichkeit. O Gott! klagte sie und versuchte durchs Schlüsselloch nach dem Buben zu sehen – da klappte eine Hand auf ihre Schulter, sanft, gütig, und machte sie doch fast sterben vor unendlichem Schreck.

Der Pater Guardian beruhigte sie mit einem milden Lächeln, und vor seinen freundschaftlichen Augen kehrten die Röslein wieder in aller Blüh in die Wangen zurück.

»Der Bub!!« hauchte sie.

Der Guardian nickte hochgemut.

»Es ist mir Angst um ihn!«

Der Guardian aber sah heiter drein und beschwichtigte ihr Kinn mit seiner weichen Hand. Er schwieg, um den Buben nicht zu stören und legte der Schmiedin die Hand beschwörend vor den Mund.

Aber sie vermochte ihrer Angst nicht Herr zu werden und lief in ihre Küche.

Sorgenvoll sah ihr der Pater nach. Aber dann lauschte er der Predigt des Kleinen und seine Gedanken fanden wieder tröstlichere Wege. Er lächelte wieder in frommer Heiterkeit.

*

Er lauschte lange. Aber plötzlich konnte er nicht mehr an sich halten, stürmte im Überschwang seiner Gefühle hinein und fiel dem Kinde um den Hals. Wie in einem Spiegel sah er sich in diesem Knaben wieder. Es erregte ihn über die Maßen und er fand schwer in seine besonnene Art zurück. Aber das Staunen des Knaben gab ihm langsam seine Würde wieder und gerührt spendete er ihm seinen Segen. Er prophezeite ihm Großes und lud ihn zu einem Spaziergang ein, der dem Kleinen manchen Wink für die Zukunft gab. Und dann landeten sie beim Zuckerbäcker und der Pater belohnte die schöne Predigt mit einem zuckernen Martin Luther und hieß den Buben dem ungläubigen Manne den Kopf abbeißen.

Mit jugendlichem Ingrimm biß Pankraz zu – ach, süß ist es, gegen die Heiden zu kämpfen.

Der Pater Guardian war des Glückes voll. Wie eben immer die Menschen sind, die in den Kleinen sich wiedersehen und nach ihrem Tode in diesen Kleinen weiter zu leben hoffen.

Und war er nicht der geistliche Vater dieses kleinen Pankraz?

 


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