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Das neunte Kapitel

In dem Herr Hansjakob den Weg zur Hebammin Rosina, beziehungsweise aus dem Dunkel sucht

 

Frau Rosina, die Hebammin, zeigte Herrn Hansjakob durch viele Knickse an, daß sie die Ehre seines Besuches auszukosten wisse. Er nahm indes wenig Notiz von ihren Höflichkeiten – obschon er sonst in seinem Leben ihm gebührende Tribute jeder Art wie mit einer Goldwage nachzuprüfen pflegte – und schleuderte der würdigen Frau eine Menge Sätze entgegen, deren Inhalt völlig unverständlich war, deren Summe aber in dem Wort Verschwiegenheit sich erschöpfte. Für derartige fachtechnische Ausdrücke hatte die weise Frau des Städtchens ein geschultes Ohr und ein Feuerwerk von Schwüren als Antwort.

Während sie dieses Feuerwerk über die Untadelhaftigkeit ihres Charakters ausstrahlen ließ, spürte sie in des gestrengen Herrn Bürgermeisters Gesicht nach dem Geheimnis, das da zu erraten war. Sie war so gelüstig nach solchen heimlichen Dingen, daß ihre Nase wie ein Raubvogelschnabel aus dem Gesichte hervorwuchs und ihre Augen den Herrn Bürgermeister aufzusaugen versuchten. Dieser Anblick trieb ihn etwas zurück und gab ihm den feigen Wunsch ein, zu fliehen, bis Frau Rosina mit süßgespitzter Zunge seinen Absichten zuvorkam: »Ich dachte mir immer schon, daß ein Mann wie der gestrenge Herr Bürgermeister –«

»Jaja,« sagte Herr Hansjakob und war froh, daß sie jetzt einen Stuhl herbeischleppte, geschäftig daran herumstäubte und ihre Zunge wiederum zu ihrer Zunftehre laufen ließ wie eine Spindel – er gewann etwas Zeit und Sammlung und war froh um jedes Sekündlein, um das er das Examen verschieben konnte.

»Jaja,« sagte die Hebammin wieder, in ihrem höchsten Schmeichelton, »ich dachte mir schon immer – wenn der gestrenge Herr Bürgermeister gütigst verzeihen wollen – aber es ist mein Amt und meine Art so zu denken – und es hat der liebe Gott die Türen zu den Häusern der Hebamminnen einsetzen lassen, auf daß die Menschen durch sie mit Vertrauen hereintreten sollen in ihren Nöten – und wo ein jeder weiß, wenn diese Tür geschlossen ist, so ist der Vorhang vor aller Welt zu und kein Mensch erfährt je ein Wörtchen von dem, was hier gesprochen wird – –«

He?! frug sich der Bürgermeister insgeheim, liest sie Gedanken? Aber die ehrwürdige Matrone Rosina wollte Gedanken lesen und vermochte es nicht. Ihre Schnabelnase brannte darauf, diesen gebietenden Bürgermeisterkopf aufzuhacken, um unter der Schädeldecke ein Geheimnis zu suchen, und ihre Augen durchstachen wütend das Wams, hinter dem sie eine schuldbeladene Brust suchte. Sie schwatzte mit ungeheuerem Eifer drauflos und grübelte indessen in den kummerbeschriebenen Zügen des Herrn Hansjakob Pentenrieder nach dem Geheimnis, das ihn hierher geführt hatte. Merkwürdig: Frau Anna Pentenrieder trat überhaupt nicht in den Forschungskreis und in die Gedankenfolge der Matrone Rosina; sie behandelte nur den Herrn Bürgermeister und blätterte in dem Buche ihres Kopfes nach den Namen der sämtlichen armen einsamen Näherinnen des Städtchens und in den Listen jüngerer Witwen und anderer gefälliger Persönchen, die vielleicht – –

Auch an die Hausmägde des Herrn Bürgermeisters dachte sie, aber nur eine kurze Weile; denn sie sah sofort die berühmten strengen Augen der Frau Pentenriederin vor sich und mußte jeden Versuch häuslicher Irrungen und nebenehelicher Speicher- oder Kellerscherze aus dem Bereich ihrer Spekulationen weisen. Aber was sonst? Frau Rosina fand mit ihrer Spürnase nicht weiter und verhedderte sich wieder in Schwüren und begann Fälle aufzuzählen, in denen gestrenge Herrschaften und Grafen und Barone ihrer Verschwiegenheit sich anvertraut hatten.

Hier nickte der Bürgermeister und sagte: »Die Sache ist durchaus nicht spruchreif, infolgedessen ungemein vertraulicher Natur. Es ist absolutes Schweigen geboten.«

Frau Rosina griff wieder in den Schatz ihrer Schwüre und Hansjakob sättigte sich so daran, daß er dieses Zünglein um Ruhe bitten mußte.

»Es ist siebzehn Jahre her,« begann er mit scheinbarer Kälte, »daß ich meine Frau Anna, geborene Brimslerin in mein Haus heimgeführt habe.«

Frau Rosina versuchte zu schweigen, aber die Zunge brannte ihr alsogleich durch. Jaja, es sei Anno einundvierzig gewesen im Oktober und sie erinnere sich so genau daran, als wenn's heute wäre.

»Wir hofften beide auf Kinder,« setzte Hansjakob sein Geständnis fort und Frau Rosina sah zu Boden, um ihn den Unmut ihres Gesichtes nicht erkennen zu lassen. Sie hatte ihm und Frau Anna niemals die schmähliche Enttäuschung verziehen, die sie an den beiden erlebt hatte. Sie hätte ihm auf Heller und Pfennig nachrechnen können, um wieviel dieses Bürgermeisterpaar ihre Einkünfte in siebzehn Jahren geschädigt hatte dadurch, daß nicht mindestens zehn oder elf Wochenbetten in dieser Zeit ausgetragen worden waren. Es machte eine respektable Anzahl von Kronentalern aus und es war kaum mehr einzuholen. Frau Rosina hätte die entgangene Summe fast augenblicklich nennen können, aber sie war mit sich beschäftigt, für den rätselhaften Fall, der den Bürgermeister zu ihr gebracht hatte, eine ganz fabelhafte Spezialforderung auszuknobeln – für Abirrungen vom gerechten Wege eine Sondertaxe aufzustellen, den Wert eines großen Geheimnisses auszunützen, den hohen öffentlichen Stand des Sünders richtig einzuschätzen und überhaupt …

»Und nun scheint meine Frau plötzlich,« sagte der Bürgermeister und geriet ins Stocken, weil er ein Stäubchen auf seinem Knie und dann eines auf seiner Weste entdeckte und weil er auch seine Schnupftabaksdose umständlicher suchen mußte, als es ihm je im Leben vorgekommen war.

Frau Rosina aber schrak aus Geheimnissen und Sondertaxen auf und fand sich in die Wirklichkeit zurück und rang nach Worten. Gewiß, sie hätte eine Menge Redensarten für den Fall zur Verfügung gehabt, aber sie kannte ihre Zunge und wußte, daß sie in diesem grausamen Augenblick der Enttäuschung mit Essig getränkt war und das Ohr des gestrengen Herrn Bürgermeisters hätte verletzen müssen. Sie prügelte zuerst ihre innere Wut darnieder und führte ein Händeklatschen vor, das als ein frommer himmelwärts gerichteter Applaus gelten sollte. Dann richtete sie auch die Augen nach oben samt der empörten Schnabelnase und gab einen mörderischen Seufzer frei, den der Herr Bürgermeister als die falsche Münze des Frohlockens einzustecken hatte.

Und die arme Frau warf ihre Liste der schönen heimlichen Sünderinnen der Stadt über Bord und griff zu ihrem alten Register der Glückwünsche und Segenssprüche und Herr Hansjakob konnte sich dieser quellenden Redensarten kaum erwehren.

»Wenn's wirklich so ist!« schrie er plötzlich und winkte wieder heftig ab.

Und nun war bei Frau Rosina die völlige geschäftliche Ruhe wieder zurückgekehrt und sie konnte mit sachlichen Fragen beginnen.

Ob die Frau Bürgermeister an Kopfweh leide?

Er könne sich nicht erinnern.

Oder an Kreuzschmerzen?

Nicht daß er wüßte.

Vielleicht aber an heftigem Erbrechen?

Seines Wissens seit mehreren Jahren nicht.

Frau Rosina vermag jetzt nur mehr über ein gedehntes hm zu verfügen.

»Tja,« erwidert der Bürgermeister grämlich.

Und dann dauert es sehr lange, bis die beiden sich im Frage- und Antwortspiel auf den Augenblick zusammenfinden, da das Türchen zum Nachttischchen der Frau Bürgermeisterin mit nie dagewesener Heftigkeit zugeschlagen worden war.

Und wie dann das mit dem Zurückstoßen sich ereignet habe und mit der Verweigerung – – die Frau Hebammin verstehe wohl, was er meine.

Ja, sie verstehe ihn wohl. Derartige Klagen seien ihr nicht neu. Zum Beispiel – –

Ob das ein Anzeichen wäre? unterbrach sie der Bürgermeister.

Es sei vielleicht ein Anzeichen.

Ob es ein sicheres Anzeichen sei?

Vielleicht ein sicheres.

Warum nur vielleicht??

Nein, es sei ein ganz bestimmtes, unwiderlegbares, bewiesenes und allgemeines Anzeichen.

Die Hebammin sah sich genötigt, ihre Überzeugung stärker in ihre Mienen einzutragen und eine Menge Eide darauf auszugeben, um den gestrengen Herrn Bürgermeister in die gute Laune zu bringen, die ihm bisher gemangelt hatte. Aber endlich war es so weit, und nun griff er auch in die Börse und wich mit seinen Angern dem ansehnlichen Goldgulden nicht aus, den sie zuerst berührt hatten.

 


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