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Das siebenundvierzigste Kapitel

Handelt vom Noviziat des Bruders Deogratias und muß von allen schreckhaften Menschen überschlagen werden

 

Die Einkleidung ging zwei Tage nach der Ankunft im Kloster vor sich. Die Eltern hatten das himmlische Vergnügen, ihren lieben Sohn, den Bruder Deogratias, im Kapuzinerhabit zu sehen. Die Kutte stand ihm gut und die Mutter freute sich darüber sehr. Aber dann hatte sie doch die Augen voll Tränen und ging mit ihrem Mann gerührt wieder von dannen. Sie war ganz schluchzende Freude. Aber der Vater Hansjakob schluchzte nicht und freute sich nicht; er kniff nur ein wenig die Lippen zusammen und ging gebückter als sonst. Und es war ihm sonderbar leer im Herzen.

Die Frau, die neben ihm ging, war ihm fremd geworden und schien ihm nur mehr ein Schatten zu sein, der böse war, weil er an Freuden erinnerte.

Der Bub im Kloster!

*

Das Jahr begann schwer.

Der Novizenmeister überreichte dem Jungen feierlich die Kutte und nahm Hose und Hemd. Und die Kutte juckte und biß und rauhte die Haut, des Tags in Arbeit und Wandel, des Nachts auf dem Strohsack. Und Strumpf und Schuh nahm der Novizenmeister und gab harte Sandalen dafür.

»Büblein, Büblein!« lächelte er. »Lern du leiden!«

Und die Mitternächte im kalten Chor, der grausame Winter, das Beten und Singen. Das tägliche Betrachten und Lesen, das Fasten.

Und wöchentlich einige Male des Nachts das Miserere bei ausgelöschten Lichtern: der Novize lernt die Geißel gegen sein sündhaftes Fleisch schwingen. Der Meister hat ihm ein feines Ohr zugewandt: »Büblein, Büblein! Fester! Lern du leiden!«

Und das Blut fließt und über die Wunden fegt die Kutte des Tages und ätzt sie des Nachts.

*

Ach, körperliche Beschwerden – sprich mir nicht davon.

Aber das Brechen der störrischen Gedanken, die Züchtigung des Geistes, die tiefe furchtbare Beugung von Wille und Wissen und Weltlichkeit.

»Büblein, Büblein, lern du leiden!«

Der Bruder Deogratias lag ausgestreckt vor der Türe des Refektoriums und die Patres schritten über ihn hinweg. Sie achteten seiner nicht, wie ihrer nicht geachtet worden war in den Monaten des Noviziats. Sie rückten ihre Stühle, sie beteten das Tischgebet und setzten sich zum Essen.

Und sie achteten des Bruders Deogratias nicht, der verurteilt war, am Boden zu sitzen und ein Stück Brot zu kauen, während sie tafelten.

Einmal gab ihm der Novizenmeister einen Holzprügel in den Mund. »Apporte, mein Hündchen!«

Und schöner wie ein dressierter Pudelhund wartete der demütige Frater Deogratias den speisenden Mönchen auf und das Holz verhinderte ihn, den rasenden Hunger durch Diebstahl zu stillen, und mahnte ihn, den weltlichen Stolz abzuwerfen.

Er war in der Schule der Demut. Sie ist so alt wie die Kutte und älter als der menschliche Verstand.

Der Novizenmeister lehrte ihn zum Hunger den Durst kennen.

Damals glomm es in des jungen Menschen Augen auf wie Wahnsinn. Er schrie in den qualvollen Nächten, bis ihm die älteren Novizen den Ausweg zeigten, den sie ersonnen hatten: sie stahlen Wasser in ihren Nachtgeschirren und stürzten über ihre Töpfe her, sobald man sie abends in ihre Zellen entlassen hatte.

Manchmal sah der Bruder Deogratias heimlich in das dicke Gesicht des Novizenmeisters und versuchte aus ihm zu lesen: Menschlichkeit oder Rache, Erbarmen oder Mord – er erblaßte, sooft er diese lächelnden Mienen auf sich gerichtet sah. Er hörte unter hundert Stimmen diese eine kalt befehlende und fettig lachende heraus und zitterte, wenn sie die Schallrichtung nach ihm nahm.

Oft winselte er den Pater mit hündischen Augen an – aber der Novizenmeister lachte dann einen fetten Ton höher und häufte Strafe und Beugung.

»Büblein, Büblein, lern leiden!«

Er brach den Jungen mit Buße und hetzte seinen Verstand gegen ihn auf: er befahl, Wasser in einem Sieb zu tragen, die Zelle mit dem umgekehrten Besen auszufegen.

Und einmal, als die Augen des jungen Deogratias aufblitzen wollten, rebellisch, weltlich, da ließ er ihn das ekle Sitzbrett am eklen Ort küssen.

Mutter! schrie es in dem Jungen auf, was hast du mir angetan, Mutter?!

*

Die Freigeister sagen natürlich: das sind gemeine Kindereien und hundsföttische Kinkerlitzchen. Nur schäbige Unternehmungen, nur verabscheuungswürdig, aber nichts weiter. Aber man solle, sagen diese Freigeister, auf die Schlachtfelder ziehen – da könne man menschliches Elend sehen! Nacktes blutiges schaudervolles Elend! Den Klostergeistlichen werde immer zum Essen geläutet und sie hätten immer zu essen – aber wo gibt es auf dem Schlachtfeld eine Tischglocke? Und es wäre immer besser, um Mitternacht eine Mette zu singen, als ganze schwere scheußliche Winternächte im Schützengraben zu liegen.

Ich will mich mit diesen Weltkindern nicht verfeinden und ihnen glauben, daß sie in guter Absicht so sprechen. Aber: geschieht den Leuten nicht recht, die in den Krieg ziehen? Warum sind sie nicht in den frommen geistlichen Stand eingetreten? Warum haben sie nicht statt des bunten Rockes das ehrwürdige Habit gewählt??

Warum sind sie nicht in den Unterstand der Heiligen eingetreten?

Seht, sie sind die Törichten und erleiden die Strafe ihrer Torheit.

Und: jeder armselige Klausner erbettelt sich im Monat soviel als ein Leutnant Löhnung hat. Und niemand schießt auf die Klausner und niemand durchbohrt sie mit Degen.

Denn sie sind fromm wie die einfältigen Tauben.

Und wenn die Soldaten zum Bauern zum Requirieren kommen, so sagen die Bauern: daß euch der Satan hole!

Aber wenn der Bettelmönch seinen Sack auftut: nur herein! nur herein! schreien die Leute und spenden und geben.

 


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