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Das vierunddreißigste Kapitel

Handelt von Ferienfreuden, vom vollkommenen geistlichen Stande vom Pater Tantlaquakapatschius und anderen gescheiten Menschen

 

Pankraz wurde für sein wohlbestandenes Examen mit einem schönen Schulpreis ausgezeichnet, der aus der lauteren Offizin des Herrn Riepel zu Stadtamhof stammte. Der Herr Präfekt hatte es sich nicht nehmen lassen, eigenhändig eine Widmung in das Buch hineinzuschreiben:

Te quisnam laudare queat, cum laudis honores
Transcendis cunctos – nil nisi laudis habes.

Frau Anna Pentenriederin war sehr ergriffen, als sie diesem Lobspruch durch Herrn Hansjakob vorgetragen hörte. Er skandierte die Verse mit wonnebebenden Lippen und zwang seine Frau, einzelne Worte nachzusprechen, damit sie ihren Zauber mit eigener Zunge kosten könne. Sie willfahrte ihm, weil's nach Kirchen klang, aber sie war noch viel glücklicher, als Herr Hansjakob die Übersetzung fertiggeschwitzt hatte:

Ich will, mein Kind, dich loben,
doch ach, ich müßte toben:
bist über 's Lob selbst droben.

Schade, daß die Übersetzung dem hochgünstigen Leser nicht gefällt. Dagegen bleibt der lateinische Spruch unbestritten hübsch und schon darum wertvoll, weil man ihn später einem großen Kaiser zugeeignet hat, der Festungskolosse warf, Schlachten über Schlachten gewann und der Held Europas ward.

So bleibt der hübsche Vergleich: der große Kaiser mit seinen Erfolgen auf kriegerischem Gebiet, der kleine Pankraz auf dem Gebiet der heiligen Wissenschaft.

Und man sieht, daß unserm kleinen Pankraz nun alle Tore der Zukunft ebenso weit offen stehen, wie seines Herrn Vaters gespickter Beutel. Und steht ihm nun nicht auch der vollkommenste Stand offen, der geistliche Stand?

Die rosige Frau Schmiedin schlug die schüchternen Augen nieder, als ihr der Pater Guardian die frohe Botschaft brachte. Er hob ihr mit seiner gütigen Hand das Kinn hoch, aber sie sagte eilig, sie wolle es gleich ihrem Schmied sagen, daß der Kleine so überaus gelehrt werden würde. Und sie enteilte und der Pater Guardian sah ihr wohlwollend nach.

Der Schmied aber hämmerte so stark, daß er seine Frau kaum zur Hälfte verstand und den Schlußsatz vom vollkommensten Stand überhaupt in den Amboß hineinschlug.

Und in seiner Einfalt vergaß er völlig, mit dem Pater eine Jubelflasche zu leeren.

*

Und Pankraz zog in die wohlverdienten Ferien, ein bißchen blaß, aber zur Zufriedenheit gefüttert und fröhlichen Gemütes. Die hübsche Schmiedin weinte, als er ihr die Hand zum Abschied reichte. »Wein nicht, du braves Mutterl!« sagte der tapfere Junge, aber er mehrte mit dem aus seinem Herzen strömenden Wort nur ihre Tränen und begann selbst zu schlucksen.

Der Schmied aber versuchte lustig zu lachen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, bis Pankraz die hürnene Tatze abfing und sie leise streichelte.

»Hohohoho!« lachte der Schmied mit kollernden Tränen, riß die Hand wieder an sich und beschrieb mit rudernden Armen Wege auf einer unsichtbaren Landkarte, warnte vor Straßenecken und Postkutschenräubern und schloß mit der Quintessenz seiner Meinungen: »Grüße.«

*

Als Pankraz drei Tage lang mit der Mutter gekost und mit dem Vater geplaudert hatte, kamen die Herren Patres, ihn zu beglückwünschen. Sie hatten in der vornehm bescheidenen Art ihres Ordens den Jungen zuvörderst seinen Eltern ungeteilt überlassen, aber jetzt trieb sie ein heimatliches Gefühl zu dem Menschenkinde, für das schon vor seiner Geburt ihre Gebete himmelan gestiegen waren.

Sie waren keine Leute vom kräftigen männlichen Schlage des Pater Guardian. Sie standen auch dem Haus nicht so nahe, und Frau Anna knickste vor ihnen gleichgültiger und Herr Hansjakob bediente sie zumeist aus nebensächlicheren Weinfässern.

Aber sie waren gleichwohl dem Hause zugetan und betraten mit Demut seine Schwelle.

Die beiden Klosterältesten kamen zuerst und sprachen zu Pankraz Corleone in liebreichem Latein. Es verwirrte ihn etwas und er war froh, daß die Mutter ihn und sich aus der Gesellschaft der Graubärte beurlaubte und es Herrn Hansjakob überließ, mit den Senioren zu plaudern.

Der Bürgermeister seufzte und befahl der Magd, ein paar Kannen Wein zu holen. Dann sprach er geläufig von Wind und Wetter und rügte, daß der Turmhahn der Stadtpfarrkirche immer so knarre.

Der Pater Tantlaquakapatschius erwiderte, daß der Herr Bürgermeister ihm ganz aus dem Herzen gesprochen habe und der Pater Mulonius gestand, daß er längst mit Betrübnis diesem ungebärdigen Turmhahn gelauscht habe.

Und dann schwiegen sie selbdritt und warteten auf die Magd und den Wein. »Jaja,« unterbrach der Herr Bürgermeister einmal bedeutungsvoll.

Auch der Pater Tantlaquakapatschius sagte mit tief mitfühlenden Lippen: »Jaja.«

Und der geistvolle Pater Mulonius nickte dem einen und dem anderen zu und wiederholte schwermütig: »Jaja!«

Und dann warteten sie selbdritt wieder auf die Magd und den Wein.

*

Gibt uns Gelegenheit, dieses Warten, das Erstaunen unseres hochgünstigen Lesers zu beruhigen und ihn abzuhalten, in seinem Sulzbacher Kalender nach den beiden (lutheranischen Ohren ach so unerhörten) Namen zu blättern. Denn er würde vergeblich suchen und es käme dann gerade so heraus, als ob es weder einen heiligen Tantlaquakapatschius noch einen heiligen Mulonius als Taufpatrone für Klosterleute gäbe! Ei, warum nicht gleich im Martyrologium des heiligen Kapuzinerordens nachlesen? Hier wird sich der Herr Tantlaquakapatschius als berühmter Märtyrer finden lassen und es wird sich herausstellen, daß ihn wegen seines Glaubens ein schwarzer Mohrenkerl in der Mitten auseinandergerissen hat. Aber der katholische Glaube des heiligen Tantlaquakapatschius ist so stark gewesen, daß nach diesem Auseinanderreißen sein glücklicherweise lebendig gebliebener Nabel noch den heiligen Glauben aus dem Bauche herausgepredigt hat und daß seine Füße noch lange nach seinem Tode einen Götzen so heftig angespuckt haben (die Füße, steht in der Legende), daß er über den Altar herunterpurzelte. Was aber den heiligen Mulonius anbetrifft, so war er an Händen und Füßen gelähmt und es erschien ihm also schwierig, einem Rufe nach Indien zu folgen. So ging er aus heiligem Gehorsam auf seinem Kopfe in das Land, und tauschte diesen Kopf unter den dortigen Sarazenen und Verhältnissen gegen das Märtyrerkränzlein aus.

Und nun wollen wir hoffen, daß weder gegen den Pater Tantlaquakapatschius noch gegen den Pater Mulonius weiterhin Einwendungen erhoben werden. Denn die beiden sind sehr wichtig in unserer Geschichte.

*

Von den beiden Klosterältesten können wir nicht verlangen, daß sie mit sprudelnden, sprühenden, spritzigen Sätzen zu Herrn Hansjakob sprechen. Über welke Klosterlippen schwebt lieber gemächliche Betrachtung und von grauen Bärten rinnt am schönsten die züchtig festgelegte, durch Erfahrung gehärtete Weisheit.

Auch wird im völlig ausgereiften Alter das Kopfschütteln zur Tugend und die bedenklichen Faltenzüge mehren sich. Die Eile kommt nicht mehr vor und die Gegenstände werden wohl erwogen, auf ihre Kanten hin geprüft und erst weislich abgeschliffen, ehe die Approbation erfolgen kann.

Und darum nickte der Pater Tantlaquakapatschius schwermütig dem Pater Mulonius zu und der Pater Mulonius wendete ein trübes Auge gegen Herrn Hansjakob, bis der Bürgermeister eine leise Unbequemlichkeit bis in die Tiefen des Gesäßes hinab zu verspüren begann und unruhig auf seinem Stuhl hin und her wetzte. Er versuchte den kleinen Kreis zu beleben und frug, ob der Wein schmecke.

»O ja,« sagte der Pater Tantlaquakapatschius mit gottergebener Stimme.

»Er ist deo gratias,« fügte der Pater Mulonius sanft hinzu.

»Hm,« dankte der Bürgermeister und überdachte, daß ein Kapuzinerdeogratias, in die Reihe weltlicher Kurrentmünzen gestellt und mit ihnen verglichen, tief unter einem Hellerlein stünde. Er bereute, den beiden alten Herren nicht einen besseren Tropfen gespendet zu haben; denn er las ihnen aus den düsteren Mienen ab, daß sie ihm Unfreundliches zu sagen bereit waren und immer bereiter wurden. Er fegte also seinen Stuhl unruhig mit dem Hosenboden und versuchte mit seinem Mustersohne und der Schilderung seines glänzenden Examens die Stimmung zu heben.

»Jaja,« gab der Pater Tantlaquakapatschius mit müden Lippen zu, »es ist erstaunlich. Es ist geradezu schrecklich.«

Der Pater Mulonius: »Es ist unerhört und gibt mir zu denken.« Er versank auch wirklich in ein Brüten, das für weniger Vertraute einem sachten Hinüberschlummern in bessere Welten glich.

Der Herr Bürgermeister trank einen zornigen Schluck.

»Wo soll soviel Gelehrsamkeit hinführen?« klagte der Pater Tantlaquakapatschius.

Und der Pater Mulonius erwachte wieder und schloß sich traurig an: »Die Welt wird zu gescheit – der liebe Gott wird einmal bös dreinzechen müssen. Ich sehe in fünfzehn, zwanzig Jahren den Jüngsten Tag vor mir, als wäre es heute schon!« Und er schloß die Augen, um sie tiefer in das Bild des Jüngsten Tages zu versenken.

» Quae stulti sunt mundi, eligit Dominus!« fügte der Pater Tantlaquakapatschius bei und benickte diese alte Wahrheit so heftig, daß sein Genick in Gefahr geriet.

Der Hosenboden scheuerte wieder.

»Mich bedrückt nicht der Jüngste Tag,« begann der Pater Mulonius wieder und wandte die Augen von seiner Vision ab und öffnete sie traurig gegen den Herrn Vater, »mich bedrückt etwas anderes.«

Auch der Pater Tantlaquakapatschius bekannte, daß ihm etwas anderes das Herz schwer mache und der Hosenboden scheuerte weiterhin den Sesselsitz.

»Was will mir der Jüngste Tag?« sagte der Pater Mulonius mit einem Versuch zu frommer Heiterkeit. »Jüngster Tag hin, Jüngster Tag her, heut oder morgen – wenn nur jeder so gerüstet ist wie wir armen Kapuziner. Aber, aber …«

Herr Hansjakob ließ diesmal den Feind nicht in geistigen Schlummer versinken und verlangte mit drängenden Worten eine Auslegung seiner beiden Aber.

Der Pater Tantlaquakapatschius übernahm die Verdolmetschung, indem er zögernd seiner seligen Großmutter erwähnte, die ein ungemein gescheites Weib gewesen sei, eine Sybille ihrer Zeit, eine Frau, durchtränkt mit Beobachtungen und Erfahrungen, ein Orakelwesen und ein weltlicher Fragetempel, eine Aufklärerin der Zweifel, eine Deuterin von Bestimmungen und von der Menschen Zukunft – –

»Es betrifft meinen Pankraz!« schrie Herr Hansjakob und sein Hosenboden scheuerte nicht mehr.

Der Pater Tantlaquakapatschius nickte, aber er hatte noch nicht die Absicht fortzufahren.

Auch der Pater Mulonius drängte ihn nicht und gab mit manchem Nicker der Spannung den notwendigen Vorschub.

»Und!?« drohte der Herr Vater.

Da sagte der Pater Tantlaquakapatschius im vollen Seherton: »Gescheite Kinder werden nicht alt.«

 


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