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Das siebente Kapitel

Handelt von großen Bemühungen

 

In diesen Tagen vermieden Hansjakob und seine Frau, sich offenen Blickes zu begegnen. Es kam Hansjakob vor, als ob der Inhalt dieser denkwürdigen Unterredung materiell zwischen ihnen aufstünde, sooft ihre Augen sich trafen, und als ob er seiner Frau viel heiße Gesichtsröten ersparen könne, wenn er nur ganz selten von seinem Teller aufblickte. Die beiden schwiegen anfänglich viel, aber dann gingen sie wie auf geheime Verabredung in einen Wortschwall über, der sich um Nebensächliches und Langweiliges drehte, aber wenigstens die dummen Pausen ausfüllte, die ihre Eßzeiten beklemmten. Es traf sich auch, daß Frau Anna oft rascher vom Tisch aufstehen mußte, um nach häuslichen Dingen zu sehen, und daß Herr Hansjakob dringender Geschäfte halber seine Zwischenmahlzeiten in das Kontor verlegen mußte.

Aber wenn er dann allein in seinem Kontor saß und aus Langeweile den Fliegen nachstellte, ärgerte er sich über dieses seltsame Verhältnis zu seiner Frau, und gelobte sich, durch Zärtlichkeiten wieder gutzumachen, was ihn etwa hatte linkisch oder verdrießlich erscheinen lassen. Er sprach darum gern heimlich unter Tags einmal seinem Sicksacker zu und erzielte damit eine abendliche Fröhlichkeit, die Frau Anna nur darum nicht auffiel, weil sie ihrerseits die Verlegenheiten in einem starken Abendtrunk zu ersticken pflegte. Und dann geschah es oft, daß sie nach fast gesprächsloser Tageszeit bei der Lampe in ein vertrauliches Erzählen kamen, das sie eigentümlich eng zusammenbrachte.

Und dann fiel Herrn Hansjakob die Frau wieder auf und er entdeckte Fremdes an ihr, das sein Geblüt erhitzte. Er vermochte in diesen Abendstunden Gewagtes zu sagen und trotz einem jugendlichen Seladon zu schäkern, und Frau Anna wurde kniffig um Augen und Mund und wies Scherz und Handgreiflichkeiten nicht zurück. Auch trank sie tapfer mit Hansjakob und setzte sich zu guter Letzt in aller Fleischigkeit zu ihm aufs Kanapee und teilte seinen Übermut.

Anderen Tags freilich hatte Hansjakob das ärgerliche Gefühl, als ob er sich einiger Albernheiten von gestern schämen müßte. Er blieb dann lieber in seinem Kontor oder ging ins Rathaus, und seine Frau glich ihr Wesen dadurch wieder aus, daß sie den Mägden schärfer nachging und ihnen mit lauten Worten viel Unangenehmes sagte.

Aber in den Stunden bei der Lampe kehrten die gerunzelten Gedanken des Tages nicht wieder und Frau Anna tat, was einer Schwester der dritten Ordensregel schamlos und sündhaft erscheinen mußte.

*

Nur der Guardian blieb sich gleich.

Er kehrte allerdings mit keinem Wort zu seinen Ausführungen zurück, aber mit ihm kam jeden Tag das Beharren auf ein Ziel, das Herrn Hansjakob wie Sporen in die Weichen ging und Frau Anna erröten oder erbleichen machte, wie ihr bei ihren wechselnden Stimmungen die Sache augenblicklich albern oder sündhaft erschien, oder wie sie mitunter anderen Sinnes vor ihrer Frauenzukunft Furcht im Herzen trug. Hansjakob beobachtete die Frau manchmal und geriet immer in eine ängstliche Mißlaune, wenn er um ihren Mund einen verächtlichen Zug spielen sah.

Frau Anna hatte manchmal ihre merkwürdigen Anwandlungen und verließ die Stube, die sie kaum betreten hatte, wenn sie die beiden Männer im Gespräch fand. Es stieg dann eine Röte in ihrem Gesicht auf, die zwischen Zorn und Scham schwankte und Herrn Hansjakob immer wie eine undeutliche Lesezeile vorkam. Sie fürchtete die Gespräche der Männer, obwohl vor ihren Ohren nie etwas wiederkehrte, was ihr peinlich sein könnte. Es war kindisch von ihr und in Wirklichkeit sah sich das Zusammensein der beiden Männer so an: entweder trommelte der Bürgermeister mit nervösen Fingern auf dem Tische und machte mit einem tja oder einem jajaja einen gelinden Anlauf zum Sprechen, oder der Pater erzählte gleichgültig eine Neuigkeit aus dem Kloster. Dann rettete sich der Bürgermeister meistens aus seiner Hilflosigkeit in den Weinkeller und schleppte einen Krug heran. Er verweilte oft lange im Keller, um seine Gedanken zu klären und Sätze zu bilden, die er dem Pater vortragen wollte: Beobachtungen über seine Frau, kitzlige Fragen über die Zukunft, Hoffnungen, Ziele – aber es waren immer so delikate Gedanken und Herzensfragen, daß er sie zumeist über die Kellerstiegen nicht heraufzutragen vermochte. Er mußte dann, wenn er wieder im Wohnzimmer angelangt war, rasch ein paar Gläser trinken, um wenigstens den Mut zu anderen Reden zu finden. Und dann konnte er mit großer Weitläufigkeit von seinem Geschäft und von seiner Stadtregierung erzählen und schließlich und endlich unbefangen werden.

In solchen Augenblicken wagte er es auch, seine Frau zu holen und sie zur Mitfröhlichkeit zu zwingen.

Und wenn sie für Augenblicke die Stube verließ, um nach ihren Mägden zu schauen, gewann er so viel innere Kraft, daß er den Pater plötzlich derb am Arme packen und ihm mit jähem Blick eine stumme Frage vorlegen konnte. Und der Pater nickte dann und sagte: »Tut Eure Pflicht!«

»Ich tue sie!« sagte Herr Hansjakob heiser und begann lateinisch zu flüstern, was ihm in seiner Muttersprache nicht von der Zunge wollte: ob ihre Gedanken in voller Richtigkeit seien? Ob sie wisse, daß die Sache ernst sei? Ob sie das Gebet des Pater Barchi richtig gelernt habe? Und ob Rom noch nichts geschickt habe?

»Es geht seinen Gang,« sagte der Pater.

Und wenn dann Frau Anna wieder auftauchte, hatte Herr Hansjakob plötzlich dringende Geschäfte im Rathaus, und die heimlichen Winke, mit denen er abging, und die hastige Sprache seiner zwinkernden Augen drängte den Pater, der Frau tüchtig zuzusprechen und ihr geistig beizukommen, auf daß endlich Erfüllung werde.

*

Auch kam das wunderbare Mittel aus Rom. Der Guardian machte Herrn Hansjakob ganz kurz Mitteilung darüber, nickte dem tieferregten Manne Mut zu und ging zu Frau Anna in die Frauenstube. –

Und außerdem hatte der Guardian den Konvent des Klosters für die Sache der Freunde aufgerufen. Er sagte, es gelte großen Wohltätern im Gebete zu helfen und wahrhafte Eiferer für die gute Sache aus dem geistlichen Schatz zu belohnen. Es müsse die Inbrunst aller Mitwirken.

Der Konvent sagte feierlich: Amen.

Und dann sangen sie alle das fördernde Responsorium: membra, resque perditas petunt, et accipiunt juvenes, et cannes – –

Die Graubärte des Klosters nickten sich zu und verstanden sich. Es frug keiner den anderen nach Name und Stand; ein brüderliches Lächeln nannte, wer zu nennen war. Sie waren alle überzeugt, daß das vereinte Bemühen glücken müsse. Der Guardian hatte Macht über Geister und Seelen. Mehrere der alten Patres boten heimlich Wetten auf ihn an – aber es wollte sich kein Partner finden, der auf ein Mißlingen etwas von seinen geheimen Schätzen an Schnaps oder Schnupftabak ins Spiel werfen wollte. Es wäre auch gegen die Interessen des Klosters gefrevelt gewesen, das für den günstigen Ausgang der Dinge reichsten Dank erhoffen durfte.

Übrigens begann der Pater Mirakelschreiber bereits mit heiligem Eifer die Wochen zu zählen.

 


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