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Das fünfzigste Kapitel

In dem aus dem Frater Deogratias ein Ehemann wird. Beginnt also füglich mit einer starken Lamentatio, geht aber in einen Pfefferbrief über

 

So beginnt dieses Kapitel mit einer schändlichen unkeuschen Überschrift und mit der Trauer der Heiligen Gottes im Himmel.

Sie sind entsetzt über den unbesonnenen Schritt eines Jünglings, der aus der seligen Einsamkeit des Klosterlebens den Schritt wieder in das gefahrvolle Weltgetümmel zurück macht. Sie weinen blutige heilige Tränen darüber, daß er die kostbare Blume der Keuschheit von sich wirft und zertritt und sich dem Laster der ehelichen Unzucht in die Arme wirft.

Und so beginnt dieses Kapitel aber auch mit dem lauten Jubel der Hölle darüber, daß Pankraz, ein Jüngling von großer Frömmigkeit, von außerordentlichen Gottesgaben, unter heiligen und gelehrten Ordensmännern erzogen, in die böse Welt geschleudert wird.

Wie groß und fürchterlich hätte er den Höllengeistern werden können! Wie viele Menschen auf dem Wege der Tugend halten, wie unendlich viele von den Lastern zurückführen und zu Heiligen und Engeln im Himmel machen können!

Aber frohlocke nicht zu früh, du höllisches Natterngezücht! Stimme deine grausliche Uhumusik nicht zu laut an und verkündige deinen Triumph nicht, ehe du den Feind vollkommen erlegt hast. Der Arm des Herrn ist nicht verkürzt. Und Gott läßt manchmal in seinen unerforschlichen Ratschlüssen zu, daß der Mensch falle, damit er zu größerer Ehre des Himmels mit viel gewaltigerer Macht wieder auferstehe.

Frohlocke nicht zu früh, du höllischer Feind!

Wir haben dieses Romanbüchl nicht zu deinem Wohlgefallen geschrieben und werden dir schon eins auswischen.

*

Und Pankraz war glücklich wieder im Vaterhaus, ein blasser stiller Mensch, Versonnenheiten nachhängend. Aber Herr Hansjakob lächelte zu seinem Schweigen und umgab ihn mit seiner ruhigen Güte. Und als praktischer Mensch vertraute er auf Gott und die heilende Zeit und auf die Frauen in seiner fetten Küche. Er jubelte heimlich dem Wolfshunger zu, den der Bub aus dem Kloster mitgebracht hatte und schlich bis zum späten Vormittag auf den Zehen umher, um den tiefen Schlaf nicht zu stören, der den Novizen gesunddoktern wollte. Er stellte den Sohn unter spitzbübischen Vorwänden oft auf seine große Wage, und jedes Gewicht, das er neu zulegen konnte, war ein Stein, der ihm vom Herzen gefallen war.

Die Arbeit lenkte Pankraz langsam vom Grübeln und von der Vergangenheit ab. Er war folgsam und gutdenkend, und es machte ihm Freude, den Vater in den Hausgeschäften zu unterstützen. Er gewann Interesse an dem Tun und Treiben bei Melchior Pentenrieder selig Erben. Der Herr Bürgermeister war außeramtlich ein Mann von gesündester Art und verkaufte das Salz billig, den Pfeffer teuer, gab den Kaffee lotweise und pfundweise ab, versorgte den Schneider mit Tuch und die Schneiderinnen mit den schönsten Geweben, handelte weithin und übernahm es, die Ersparnisse der Gegend nutzbringend anzulegen. Und dem jungen Pankraz gingen langsam die Augen über das bürgerliche Erwerbsleben auf. Es hatte seine Reize, es war greifbar, verständlich anzupacken und strömte Geld in Keller und Küche und Kasten.

Aber die schönen Künste, die man ihm auf hohen Schulen beigebracht hatte, waren ihm bei dieser Arbeit nicht förderlich. Im Gegenteil: er sah plötzlich ein, daß schwer errungene hohe Wissenschaften im Krämerladen sehr im Wege umgehen können.

Herr Hansjakob erkannte das schmunzelnd und freute sich über jeden Versuch seines Sohnes, mit Hilfe seiner Jesuitenweisheit den Dingen des praktischen Lebens gerecht zu werden. Er erlebte entzückende Fragen aus dem lateinischen Ideenkreis. Einmal blätterte Pankraz die ganze Reihe der Geschäftsbücher durch und suchte die Adressen von römischen und griechischen Handelsleuten aufzufinden. Aber er suchte sie umsonst und ging zu seinem Herrn Vater, um ihn darüber zu befragen. Er erbot sich, die lateinische und griechische Korrespondenz zu führen.

Herr Hansjakob Pentenrieder lachte sein herzlichstes Lachen und beschenkte aus dem besonderen Anlaß seine Nase mit einer großen Prise Tabak. Hihihi! Die Römer und die Griechen! Er bedauerte und sagte, er handle nur mit Deutschen; Pankraz könne also vielleicht die deutsche Korrespondenz führen. Gerade sei der Pfeffer ausgegangen, ein sehr wichtiger Artikel, da könne Pankraz gleich in die Stadt schreiben, daß das kostbare Gut abgesandt werde.

Pankraz war in Würde erfreut über den Auftrag. Einen ganzen Sonntag lang setzte er sich hin und schrieb einen wunderschönen lateinischen Briefaufsatz, um der Sache hernach durch eine deutsche Übersetzung beizukommen. Er wußte, daß manche gelehrte Prediger ihre deutschen Sonntagsworte am Samstag in lateinischen Grundrissen festlegen.

Er begann füglich: » Fuere Troes illium, Troes illium fuere.« Und dann erzählte er in seinem lateinischen Sendschreiben, wie aus der Menschenklasse Alexander und Darius, Ulysses und Agamemnon, Cicero und Aristoteles und so weiter verschwunden seien. Drei Bogenseiten schrieb er über die Vergänglichkeit im allgemeinen voll, bis er dann in schönen Folgerungen auf den eingetretenen Mangel an Pfeffer kam. Er las die Einleitung wiederholt durch, und sie gefiel ihm sehr.

Es war eigentlich schade, daß der Pfeffersack in der Stadt kein römischer, sondern ein orientalischer Mensch war. Vielleicht aber beherrsche er die griechische Sprache? Wohl auch kaum. Seufzend begann Pankraz mit der Übersetzung, durch die er sein schönes Werk wieder vernichten mußte.

Der Herr Vater trat ins Zimmer, als die deutsche Fassung erst halb fertig war; er las sie durch und schüttelte den Kopf.

»Es ist ja erst die Einleitung!« rief Pankraz, »warten Sie nur ab!«

»Die Einleitung?« sagte der verstörte Vater. »Nein, nein, das muß alles kurz gesagt werden,« er lächelte und nahm das Papier, um sich einen Fidibus für seine Tabakspfeife zu machen.

Pankraz war wie aus den Wolken gefallen. Er hatte die ganze Frucht seines langen Studiums gepflückt, um das Werk zu schaffen, dessen der Vater und die leere Pfefferlade bedurften. Und der Erfolg? Ein Fidibus! Er verbarg seine Gemütsempfindungen und versprach bis zum anderen Morgen einen kürzeren Aufsatz.

Die ganze Nacht blieb er an seinem Schreibtisch sitzen, dachte Latein und schrieb Deutsch und nahm alle rhetorischen Künste zu Hilfe, mit denen ihn der weise Magister Pater Plazidus, S. J., die dürftige Muttersprache verbessern gelehrt hatte. Es entstand folgendes belangreiche Schriftstück:

Laudetur Jesus Christus!
Ave Maria stella, Dei Mater alma.
Patrona in studiis sit Catharina meis.

Gleich wie der raffinierte Zucker und die edle graue fette Kaffebohne, jene kostbaren Geschenke des über schiffreiche Meere entfernten, unserem blöden Auge unerreichbaren, dannenhero nicht ersichtlichen Auslandes an den glänzenden Höfen majestätischer Großen durch den geldversplitternden Luxus und kostspieligen Gusto des zu lüsternen Magens in Kraft eiserner Gewohnheit so zum unentbehrlichen Bedürfnis geworden,

daß nicht nur beperlte Kronen und bezepterte Throne, samtene Fürstenhüte und stählerne Helme, die zärtlichsten Damen in der Musselintoilette und die unter dem heiligen Schleier der jungfräulichen Keuschheit eingesegneten Nonnen,

sondern auch der bessere Bürger und reiche Bauer, das runde Fleischerweib und die braune Milchdirne in volksreichen Städten lechzend darnach schmachten:

gleichergestalt ergibt es sich nach dem alten Spruch der lehrenden Weisheit:

jeder strecke sich nach seiner Decke, daß der arme hinter dem schneidenden Pflug und dem mageren Rappen mit müden Füßen sich einherschleppende Bauer seine magere Suppe mit dem säuernden Kristall des schneeweißen Salzes und dem ingwerfarbigen Goldstaube des gemäß des herrschenden Wortes: gehe hin, wo wachset der Pfeffer, himmelweit entlegenen Gewürzes, das unter eben diesem üblen Namen, sage Pfeffer, bekannt ist, schmackhafter zu werden gedenkt:

anerwogen und rücksichtslos dessen aber der in endesunterzeichneter Handlung vorhandene Vorrat bei diesen kauflustigen Zeiten zum hellen Beweis des blühenden Handels, in welchem eigentlich besteht der fundamentalische Reichtum glücklicher Staaten, so sehr zu schmelzen beginnet, daß er in wenigen Wochen von bezahlenden Händen gegen klingende Münzen umgesetzt und vergriffen sein würde:

also ergeht an unsern hochschätzbarsten Herrn und Freund die sowohl achtungs- als vertrauungsvoll geziemende Bitte und das Ansuchen,

uns um annehmliche Preise von diesem erwünschten Labsal gemeinerer Menschen gegen kontentierliche Bezahlung eine reichliche Provision von vier Zentnern an dem in folgender Woche anscheinenden Montag des ersten des antretenden Aprilis durch abgehenden Fuhrmann Kaspar Karner unter göttlicher Obhut und himmlischer Protektion gefälligst übersenden zu lassen.

O.A.M.D.G.

*

Pankraz schnaufte tief auf, als er diese Arbeit geleistet hatte. Er überlas sie mehrere Male, wie ein junger Autor seine ersten Blätter, und war hochbefriedigt. Das Schriftstück mußte ihm Ehre bringen und den Vater freuen.

Aber da traf ihn der Donner: der Vater lachte abermals hell auf und mußte sich auf einen Stuhl setzen, um nicht zu bersten.

Pankraz stand unglücklich da.

Wie?! Der Brief sollte nicht abgehen!?

Der Vater ging an den Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf: »Senden Sie mir mit dem nächsten Botenfuhrzeug vier Zentner Pfeffer zu dem gleichen Preise, den Sie mir bei dem letzten Kollo gemacht haben.«

»So bestellt man Pfeffer,« sagte der Vater trocken,

Pankraz begriff es nach harten Erwägungen und nickte. Aber er war trostlos und sagte: »Was soll ich mit meinem Latein? Was soll ich mit meinem schönen weitschweifenden asiatischen Stil, den ich von dem hochwürdigen Pater Plazidus Neumeier gelernt habe? Wenn diese Handelsbriefe so geradeweg geschrieben werden, so ist das alles umsonst gewesen und ich kann dem Pater Neumeier keine Ehre machen. Hier habe ich des glänzenden Lehrers Bücher über den poetischen Stil und seine gewaltige Rhetorik – was soll ich mit den wunderschönen Werken?«

Aber der Herr Vater wußte Rat, nahm die beiden Bücher und ließ Tüten für Pfeffer und Läusepulver daraus machen. Die saueren Tränen seines Sohnes ließ er ungerührt rollen.

Und dann begann Herr Hansjakob, den Unterricht des Jungen ein wenig in die Hand zu nehmen. Er stellte die ganz einfache Frage: »Wo liegt Mexiko und wie kommen die mexikanischen Waren zu uns?« Pankraz sah ihn erfreut an. Der Augenblick war gekommen, wo er die erworbenen Kenntnisse doch verwerten konnte. »Wenn ich nur einen Globus zur Hand hätte,« sagte er, »so wollte ich Ihnen viel Interessanteres über Mexiko berichten als Ihre Fragen wünschen; denn ich könnte Ihnen dann zeigen, wieviel dort die Uhr schlägt, wenn es bei uns Mittag ist.«

Aber der Herr Vater schüttelte den Kopf. Das sei ganz gleichgültig, meinte er, wie der Stundenzeiger überall in der Welt laufe und wann die mexikanischen Menschen Mittag essen; bei der Handelschaft wäre es mehr darum zu tun, daß man die bequemsten, nächsten und sichersten Wege wüßte, auf denen die Waren am billigsten hergebracht würden.

Und gelegentlich bat er den Sohn, ganz abzusehen von lateinischen Elegien, die in die Geschäftsbücher abzuirren drohten, auch wenn sie im besten Stil Ovids geschrieben seien – die Bestimmung der Preise der Waren nach verschiedenem Gewicht sei unendlich wichtiger. Pankraz müsse rechnen lernen, das habe man ihm in den schönen Schulen beizubringen vergessen.

Eine leise Wehmut beschlich den gelehrten jungen Menschen, als ihm der Vater das Einmaleins in die Hand gab und ihn richtig abzufragen begann. Aber, er begriff endlich die bürgerliche Ordnung der Welt und wurde unter der Leitung seines Vaters in ein paar Jahren ein guter kleiner Handelsherr und lebte in Zufriedenheit und im besten Einvernehmen mit dem alten Herrn.

Er war Mann geworden und handsam genug und vernünftig genug für die Erfordernisse seines Geschäftsbereiches. Es war das sehr gut für beide Teile, denn eines Tages wurde der Herr Bürgermeister gefährlich krank und man zweifelte an seinem Aufkommen.

In dieser schweren Lage wurde dem alten Herrn die Güte wieder vergolten, die er dem jungen Pankraz immerdurch an den Tag gelegt hatte. Der junge Mensch stand Tag und Nacht, soviel nur immer tunlich war, dem kranken Vater bei und wandte alles an, das ihm kostbar gewordene Leben zu erhalten.

Einmal sah es so aus, als ob Hansjakob wieder gesunden wollte. Aber er war sich klar darüber, daß der Tod nur eine Raststation machte und ihm winkte, seine zeitlichen Angelegenheiten zu ordnen. So rief er seinen Pankraz und sprach den Wunsch aus, den er viele Jahre in sich getragen und verschwiegen hatte.

»Pankraz, lieber Pankraz,« sagte er zärtlich, »es macht mir Kummer, daß mein Stamm mit dir aussterben soll. Willst du dich nicht nach einem rechtschaffenen und tugendhaften Mädchen umsehen? Schau, damals, als es dir und deiner Mutter mit dem Kloster so eilte, da hast du zum ersten Male in deinem jungen Leben einem jungen Mädel ins Auge geguckt. Es war die hübsche kleine Rosel, das schönste deiner Bäschen. Ei, Pankraz, guck sie dir noch einmal an! Sie ist ein Mädel, daran ein Bursch wie du seine Freude haben kann, hat wackere Eltern und den richtigen Taler im Sack. Glaubst du nicht, das könnte eine ganz glückliche Ehe werden?!«

Pankraz errötete sehr. Die Frage scheuchte seine Erinnerungen aus der Ruhe auf und malte ihm die schweren Träume seiner Zellennächte wieder ins Blut. Ja, sagte er dann in tapferer Überwindung, wenn er heiraten würde, so würde es wohl die Rosel sein. Sie oder keine.

Der Vater war glücklich. Er verstand sich plötzlich auf die Sprache junger Menschen und sagte sich, daß hier nur ein paar Reiser ins Feuer geworfen werden müßten, um einen schönen Brand auflodern zu lassen. Und als der Gevatter Tod die Raststation ein wenig ausdehnte, förderte er das Werk, sprach mit der Rosel und ihren Eltern und der Hochzeitstag wurde angesetzt.

Merkwürdig: der junge Pankraz drängte jetzt den Vater, das Mädel ins Haus zu führen. Denn alle die langen Nächte sucht ihn der Spuk aus der Zelle wieder heim und eine süße Stimme hieß ihn: lieber Pankraz, lieber Pankraz. Er schlug nicht mehr nach dem schönen Geiste auf seinem Bettrande, spie der Versuchung nicht mehr ins Gesicht und vergaß auf teufelbannende Worte. Er streckte die Arme aus, seufzte und hob am Morgen ein müdes Haupt aus zerwühlten Kissen. So sehr hatte ihm der weltliche Geist, der im Hause Melchior Pentenrieder selig Erben kommerzierte und profitierte, seine Vorliebe für die Tugend der Keuschheit entfremdet.

Und der milde Gevatter Tod lächelte und gab dem Herrn Bürgermeister Frist.

*

 


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