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Das einundvierzigste Kapitel

Welches aber nur von einem armen Gaukler handelt und von der wahren Frömmigkeit besser ungelesen bleibt. Scheint uns auch einen recht bösen Schluß zu haben

 

Als die Frau Anna Pentenriederin die Schwagersleute wieder verließ, hatte sogar der Schmied keine Sorgen mehr um das Leben des kleinen Pankraz. Es geschah jetzt, daß er manchmal fröhlich pfiff, dann wie ertappt um sich sah und weiterpfiff, wenn er überzeugt war, daß seine Augen kein Jesuitenhütlein gesehen hatten.

Und die Frau Schmiedin bekam wieder ihre lieben Röslein in die Wangen, weil der Bub ihre Gebete zur Mutter Gottes als durchaus unketzerisch bezeichnet hatte und ihr ganz insgeheim die Geschichte von dem Gaukler unserer lieben Frau erzählte. Er bat sie aber hinterher mit Angst und Pein, kein Wort davon dem Pater Guardian zu sagen, denn es habe der kleine Wanninger darum vier Stunden auf kantigen Holzscheitern knien müssen. Und er habe die Geschichte des Gauklers von dem armen Wanninger, der sie in einem Buch gelesen habe.

Der Gaukler, sagte er mit Herzklopfen, sei ganz gewiß kein wohlerzogener und der allerheiligsten Jungfrau wohlgefälliger Mensch gewesen, weil er aus schlechtem Volk stammte und auf die Jahrmärkte zog und in den Zechstuben seine Künste zeigte. Er sei ein verwilderter und schlechter Mensch gewesen und habe ganz gewiß nicht an allen Sonn- und Feiertagen die Kirche besucht. Und vielleicht habe er auch höchstens einmal im Jahr die heilige Beichte gehört, und wer weiß, wieviel so ein Mensch auf seinem Gewissen haben konnte.

Die Schmiedin schüttelte den Kopf: »Weißt du es gewiß, daß er so bös gewesen ist?«

»Nein,« verbesserte sich Pankraz hastig, »das weiß ich nicht ganz gewiß, aber der Wanninger meint, er sei ein wilder umherziehender Mensch gewesen, wie die Zigeuner, die die Kinder stehlen und wahrsagen und sehr gottlos sind.«

Die Schmiedin seufzte und es tat ihr leid, daß es arme gottlose Menschen gebe.

»Aber der Gaukler«, sagte Pankraz, »ist wieder in Gnaden gekommen, weil er eines Tages in sich gegangen und in die Kirche von Unserer lieben Frau eingekehrt ist. Da sah er, wie alle Menschen kamen und Geld in die Opferstöcke warfen, viel Geld, und wie sie goldene und silberne Herzen und Fingerringe auf den Altar legten und gar nicht mehr aufhörten, bis die liebe Mutter Gottes recht reich war. Sie ist so reich geworden,« sagte der Kleine eindringlich, »daß sie sich goldene Schuhe hat kaufen können – ja,« setzte er triumphierend hinzu, weil die Schmiedin so staunte.

»Und da sah der arme Gaukler die goldenen Schuhe und die Brust tat ihm weh, weil er so arm war. Und er sagte in seinem Herzen: o liebe Himmelskönigin, ich bin so arm, daß ich nicht einen winzigen Heller habe, ihn dir zu schenken.«

»So arm war er?« klagte die Schmiedin.

»Ja, so arm. Er schämte sich vor allen Leuten, die der heiligen Frau opferten, und schlich aus der Kirche und dachte sich: ich komme wieder, wenn die Kirche ganz leer ist, dann ist es für Unsere liebe Frau keine Schande mehr.«

Die Schmiedin nickte und weinte.

»Und als die Kirche ganz leer war und der Mesner kam und die Türen verschließen wollte, da versteckte sich der arme Gaukler in einem Beichtstuhl so lange, bis auch der Mesner gegangen war und ihn ganz allein zurückgelassen hatte.«

»Fürchtete er sich denn nicht?« frug die Schmiedin mit einem einfältigen Schaudern.

»Nein, er fürchtete sich gar nicht und ging auf den Altar zu, aber ganz leise, damit ihn niemand hörte, und machte der Gottesmutter seine Verneigung, ganz so wie es die Gaukler zu tun pflegen, bevor sie mit ihren Bällen spielen. Dann legte er seinen schmutzigen Teppich auf den Boden und begann zu gaukeln.«

»Was gaukelte er?«

»Ei, er nahm seine Bälle und warf sie hoch, immer mehr, fünf und sechs, und fing sie wieder auf, einen nach dem anderen und es fiel ihm dabei keiner zu Boden, weil er ein so sehr geschickter Gaukler war.«

Die Schmiedin frug ungeschickt: »Warum hat er das getan?«

»Für Unsere liebe Frau hat er das getan! Verstehst du denn nicht: er hatte kein einziges Hellerlein, das er ihr schenken konnte. Er hatte gar nichts als seine geschickte Kunst und die wollte er der heiligen Mutter zeigen und ihr eine Freude machen. Denn er war sehr einfältig und glaubte, daß die süße Mutter auch solches in Gnaden aufnehmen würde.

»Ja!« quoll es plötzlich aus der Schmiedin, »ja!«

»Woher weißt du es?« frug der Kleine aufhorchend. »Kennst du denn die Geschichte?«

Da war sie wieder verwirrt und sagte, nein, sie kenne die Geschichte nicht, aber es sei ihr so im Herzen gewesen, als ob die liebe Gottesmutter eine große Freude an dem Gaukler gehabt haben müsse.

»Ja,« sagte Pankraz verwundert, »es ist so gewesen: Unsere liebe Frau hat plötzlich den Kopf geneigt in Güte und Gnaden und dieses Kopfneigen war der Dank.«

Die Schmiedin schluchzte plötzlich vor Ergriffenheit. »Sie hat ihren Kopf geneigt und hat dem armen Gaukler gedankt! Ich habe es gewußt, daß es sie freuen würde. O, Bub, die liebe Himmelsmutter!«

Es wurde dem kleinen Pankraz ganz weich zumute und er streichelte seiner Mutterschwester die Wangen. »Du mußt nicht weinen, Mutterle. Es ist ja so schön gewesen, daß man lachen muß vor Freude. Denk dir nur, wie es diesen armen Gaukler gefreut hat!«

»Ja!« schluchzte die Schmiedin.

»Und da ist aber die Geschichte noch lange nicht zu Ende!« rief der Kleine und zauste die Schmiedin zärtlich an einem Ohrläppchen, um sie aus der Versunkenheit zu reißen. »Du mußt noch viel Schöneres hören.«

Die Schmiedin sah auf, mit schwimmenden Augen, und nickte gehorsam. »Es gibt noch viel Schöneres?«

»Ei freilich! Denk doch: da sah die liebe Mutter Gottes, was das für ein armer Gaukler war und daß er gar nichts hatte als ein schlechtes Kleid und zerrissene Schuhe und einen schmutzigen Teppich. Und gar nichts, weißt du, gar nichts anderes als noch die bunten Bälle zum Spiel und seine Kunst, die doch gewiß nichts wert war, sonst hätte er auch Geld gehabt, um es der lieben Mutter zu schenken.«

Die Schmiedin nickte traurig. Sie wünschte sich schlicht, daß einmal ein armer Gaukler käme und an ihre Türe anklopfte. Sie würde dann ihrem Schmied die Geschichte erzählen und er würde ihn recht gut beschenken.

»Und da,« sagte Pankraz, während er sein Gesicht sehr ernst machte und die Rechte erhob, wie um die Erscheinung herbei zu beschwören, »da hob die heilige Gottesmutter einen Fuß und warf einen ihrer goldenen Schuhe dem armen Gaukler zu.«

Die Schmiedin weinte herzzerbrechend. »O du liebe Mutter!« sagte sie.

»Aber dann ereignete sich Schreckliches,« fuhr Pankraz fort und machte seine Stimme sehr traurig; »der arme Gaukler ging hochbeglückt zu einem Goldschmied und sagte: kauf mir meinen goldenen Schuh ab, daß ich Fleisch und Brot essen kann. – Wo hast du den goldenen Schuh her? frug der Goldschmied. – Den hat mir Unsere liebe Frau geschenkt! – Da faßte der Goldschmied den armen Gaukler und schleppte ihn vors Gericht und sie machten ein großes Feuer auf und wollten ihn verbrennen.«

Die Schmiedin blickte schreckensstarr.

»Weißt du, sie sagten, es sei eitel Lüge und er sei ein böser Kirchendieb. Aber er schwur und verlangte, daß sie alle mit ihm gingen zu Unserer lieben Frau und daß er die Himmelsmutter vor allen feierlich befragen dürfe, ob er ein Dieb sei oder nicht. Und da gingen sie alle in den Dom und er bat die liebe Gottesmutter, ihm aus der großen Not zu helfen. Und er breitete wieder seinen schmutzigen Teppich aus und begann wieder mit seinen bunten Bällen zu gaukeln. Und da neigte sich Unsere liebe Frau wieder und warf ihm auch den anderen Schuh zu. – – Was hast du denn, liebes Mutterle,« unterbrach sich Pankraz, als die Schmiedin das Haupt in ihre Hände legte und so sehr schluchzte, daß ihr ganzer Körper bebte.

Die Schmiedin faßte sich, aber ihre Augen blieben voll Tränen. Es sei nichts wie die Freude, sagte sie, und sie müsse es ihrem Schmied gleich erzählen. Sie küßte den Buben mit aller Innigkeit und lief davon.

»Aber du darfst es dem Pater nicht weitersagen!« rief ihr der Kleine angstvoll nach.

*

Der Schmied nickte furchtbar und biß die Zähne zusammen, weil ihm etwas den Hals würgte und weil er mit Angst erkannte, daß er weinen müsse.

»Kein Jesuiter!« sagte er feierlich, die ganze Geschichte vom Gaukler abrundend. Er wiederholte die beiden Worte sogar und erzählte sie dann mit donnernden Hammerschlägen den ganzen Tag über nach, bis sie sein Herz erfüllte.

Hie und da lauschte er dem Nachhall seiner Hammertakte und es kam ihm so vor, daß sie heute wie Musik klangen. Er ertappte sich auch bei dem törichten Gedanken, daß er auch heimlich in einen Dom schleichen könnte, um Unserer lieben Frau seine Hammermusik darzubringen. Aber mit Hammer und Amboß – der Mesner würde ihn entdecken und Unsere liebe Frau würde ihn auslachen.

Und er wollte auch gar keinen goldenen Schuh von ihr.

Er errötete vor Verlegenheit übers ganze Gesicht und sah sich ängstlich nach seinen Gesellen um. Aber die arbeiteten alle eifrig.

Und als der Abend kam, beschleunte sich der Schmied am Brunnentrog so, daß er mit halbrußigem Gesicht in die Wohnstube kam. Pankraz lachte herzlich und die Schmiedin küßte ihn auf einen kleinen Rußflecken.

Der Schmied setzte sich zu seinem Pankraz und drückte ihm vorsichtig die kleine Hand. »Gaukler!« sagte er voll Zärtlichkeit und der Bub empfand, wie dieser Mensch sich einer Flucht von dankbaren Sätzen in aller Einsilbigkeit entledigte. Die Hand des Schmiedes legte sich auf seinen Scheitel und sie war nur in ihrem Wohltun zu fühlen. Sie streichelte den Kleinen bis ins Herz hinein, so daß er plötzlich dem großen Menschen an die Brust sinken und ihn abküssen mußte, wie er es von der Schmiedin gesehen hatte.

»Hohohoho!« lachte der Schmied.

Und abends nach dem Essen hatte er das Bedürfnis, dem Kleinen die Geschichte nachzuerzählen, Wort für Wort, aber es kam dabei keine Silbe über seinen Mund und nur seine Augen und Arme waren geheimnisvoll und unsichtbare Bälle flogen und fingen sich wieder in ungeheueren hürnenen Handschalen, jeder von den blauen Augen flink auf ihrer Flugbahn beobachtet.

Pankraz klatschte ihm lachend Beifall und die Schmiedin streichelte dem Buben das Haar, während sie ihren Schmied mit Innigkeit besah, die seine Arme unsicher machten und ihn zur tollen Freude des Jungen plötzlich die Bälle verfehlen ließen.

»Hahahaha!« lachte der Schmied und stieg in den Keller, um seine staubigste Flasche zu suchen.

Er hob sein Glas zur Schmiedin und der Wein in seiner Hand zitterte, als die Frau von Röslein überstrahlte.

»Gesundheit!« sagte der Schmied so weich, als er es vermochte.

»Vivat der Gaukler!« rief der Junge fröhlich.

»Vivat Unsere liebe Frau!« sagte die Schmiedin in ihrem einfältigen Herzen und trank unter den blauen Augen ihres Mannes Wunsch, Sehnsucht und Hoffnung.

Und dann schwieg der Schmied mit einer erregten Beredsamkeit, bis der Junge schläferig zu Bette ging.

»Schlafen?« sagte er zu seiner Frau.

Sie hing sich an seinen Hals und ließ sich von ihm in die Kammer tragen. Und hier benahm sich der Schmied seltsam. Er verlangte, daß seine Frau zu Bette gehe und ihn mit keinem Worte störe. Er holte aus dem Wandschrank die geweihten Kerzen und stellte sie an das Hausaltärchen, daß sie die schöne Gottesmutter recht bestrahlten.

Und dann schlenkerte er wieder mit den Armen und warf unsichtbare Bälle hoch, fing sie, warf sie wieder, und die Gottesmutter sah ihm zu und entdeckte beim Lichterglanz zum erstenmale die Himmelbläue dieser tiefen schönen Augen.

Und von ihrem goldenen Throne aus nickte sie plötzlich dem Schmied zu und ihre Locken wallten wie braune Seide.

Der Schmied schrie jauchzend auf und fiel in die Knie.

Die Schmiedin schluchzte unter der Bettdecke und ihr Herz hüpfte in unsagbaren Empfindungen.

Die geweihten Kerzen erloschen.

Und plötzlich fühlte die weinende Frau einen Kuß wie von Kinderlippen und die Arme des Mannes umfaßten sie.

 


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