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Das zwanzigste Kapitel

Welches bestimmt ist, alle Irr- und Ungläubigen mit Neid zu erfüllen und von einer ganz eminenten Gnade aus dem Kloster handelt

 

Der brave Vater Hansjakob sah oft und tief in sein Glas, bis ihm sein Kopf mit den vielen Gedanken darin und mit den vielen Gesetzen und überhaupt mit dem vielen Wissen schwer wurde.

Als er ihn einmal versuchsweise wieder hochhob, da trafen seine Augen auf zwei neue Bilder an der Wand.

»Wawawa wawawas wowowollen diese zwei neuen Bilder, Frau Gevatterin?«

»Zwei Bilder?? Eins sehe ich, das ist hübsch, gar hübsch, unvergleichlich hübsch.«

»Weiweiweil sie besoffen ist. Weiweiweil sie besoffen ist, sieht sie nur mehr auf eieinem Auge. Es sind zwei Bibilder.«

»So?! Soso. Jaja, es gibt Augenblicke, es gibt Umstände und es gibt Gelegenheiten, wo man doppelt sieht,« sagte die Frau Gevatterin mit sehr gespitzter Zunge.

Der Herr Hansjakob faßte nun den Beschluß, an die Wand hinzutreten und die beiden Bilder abzunehmen, sie der Frau Gevatterin zu geben, sie zu bitten, alle beide mit ihren Händen zu betasten und sich zu überzeugen, daß er recht habe.

Das waren der Beschlüsse viel auf einmal. Es ist gut, daß gleich der erste mißlang und daß der Herr Vater auf den Sessel zurücksank, von dem er sich hatte erheben wollen.

Aber der Pater Collektor war diensteifrig und holte das Bild und gab es dem Herrn Vater in die Hände.

»Wowowo ist das andere?« schimpfte der Herr Vater. Und heftete seine Augen steif auf den Platz, wo die zwei Bilder gehangen hatten. »Wawawas? Wowowo ist das aandere?« Er entdeckte es nicht mehr, so gläsern er auch ausguckte.

*

Und jetzt kann der hochgünstige Leser dem Herrn Vater über die Schulter gucken und sich an dem Bilde weiden. Und wir rechnen sehr auf brennende Neugierde, weil es sich um eine seltsame Gabe aus dem Kloster handelt, die unser Pater Dekoratius im Staatszimmer des Herrn Bürgermeisters aufgehängt hat.

Der Herr Vater leidet augenblicklich an einem gelinden Aufflackern und einer Art Viel-, mindestens aber Doppelgesichtigkeit, und muß erklären, daß auf der Bildtafel nicht nur eine Menge Figuren sondern auch Gedrucktes und Geschriebenes so durcheinanderliefe, daß er lieber die Volksmengen in einem aufgestörten Ameisenhaufen abzählen wolle, als – –

Und so steckt die Frau Hebammin Rosina ihre scharfe Nase in die Tafel. Sie muß dem Herrn Vater recht geben, ehrlich, ganz von innen heraus, denn sie erhärtet ihre Aussage durch eine Anzahl saftiger Weinschluckser.

Die Frau Gevatterin sieht noch etwas klarer. Ihre ersten Entdeckungen veranlassen sie zu einem frommen Knicks, weil auf dem Bilde die heilige unbefleckte Empfängnis und ein lebenswahres Porträt des heiligen Erzpatriarchen Franziskus eine große Rolle spielen. Auch findet sie die Mutter Gottes ein zweites Mal, diesmal als Erzordensmutter; des ferneren ein großes Siegel; auch eine treffliche Abbildung des Heiligen Geistes; ditto einen nach dem Leben gezeichneten Kapuzinerärmel, auf den sich schützend eine nackte Hand gelegt hat.

»Hm!« murmelt Hansjakob verwirrt.

Und die Hebammin Rosina schluckst ihm zu.

Der Pater Collektor aber sagt feierlich und stolz: »Dieses ist ein Filianzbrief!«

Filianzbrief?

Ja, ein Geschenk aus dem Kloster für die Frau Kindbetterin. Ganz ein kostbarer Schatz. Verbindet den also bedachten Laien innig mit dem Orden, schenkt ihm Gebete, Messen, Abtötungen, Geißelgewinne ohne Zahl, überhäuft ihn mit Segnungen, mit Kamellasten von Fürbitten, Sündenablässen und Verdiensten – mit einem Filianzbrief des heiligen Kapuzinerordens in der Hand sperrst du den Himmel auf wie mit einem heiligen Dietrich.

Und so empfand Hansjakob eine Glückstrunkenheit und eine süße Rührung, die ihm Tränen aus den Augen trieb.

Auch die Hebammin Rosina begann zu weinen. Aber ihre scharfe Nase stand ihr jetzt wie ein unwirscher Stachel aus dem Gesichte und auch ihre Zunge stach: »Reiche Leut' wer'n leicht Engel!« Es verstand sie indes niemand, weil ihre Sprache schwer und trüb geworden war.

*

Der Pater Collektor aber nahm die Bildtafel und las mit geschwellter Predigerstimme, im Crescendo ein schwerer Posaunist, im Decrescendo ein säuselnder Engel, ein murmelnder Bach, ein Silbergeläut, im Andante ein rufender Herold oder ein testamentverkündender Notar – der Pater Collektor las also die gedruckten und geschriebenen Worte des heiligen Filianzbriefes vor:

 

»Sintemalen und alldieweilen viele und große uns erwiesene Freigiebigkeiten und Guttaten uns zu großer Dankbarkeit ermunterten, so nehmen wir hiemit unseren schätzbaren Herrn Vater,
die Frau Mutter,
alle ihre leiblichen Kinder und Kindeskinder,
sowie alle übrigen Abstammenden bis auf den dritten Grad eingeschlossen
zu geistlichen Kindern unseres heiligen Ordens auf und erklären sie im Angesicht des allmächtigen Gottes, seiner heiligen Mutter Maria und des heiligen Erzvaters Franziskus in dieser hohen Würde und Qualität vor den Augen der ganzen weiten und breiten Welt.«

Der Herr Vater Hansjakob weinte heftig auf, weil sein ganzes inneres Glück nach außen drängte. »O!« schluchzte er, »du unsterbliche Wohltat!«

Und die Hebammin Rosina weinte zum Erbarmen. »Die Reichen!« heulte sie, »die Reichen!« Aber ihre schwere Zunge machte die Worte unleserlich.

Der Pater Collektor fuhr fort:

»Und in Ansehung dessen machen wir sie vollkommen teilhaftig aller Gnadenschätze des heiligen Ordens, insonderheit der von unseren Mitbrüdern täglich zu opfernden heiligen Messen, der Zahl nach über siebzehnhundert am Tag, alle Jahre über sechshundertzwanzigtausend und mehr, dann ferner aller unserer gebeteten Tageszeiten, Rosenkränze, Betrachtungen, Predigten, geistlichen Gespräche, Wallfahrten, Fasten, Abtötungen, Geißelungen, heimlichen und öffentlichen Bußwerke, Bodenküssen und so weiter, welche nicht nur von den Vätern, Brüdern und Tertiaren unseres heiligen Ordens, sondern auch von den frommen Ordensschwestern der heiligen Klara, nicht minder den der dritten Regel des heiligen Franziskus zugetanen im Geiste unserer heiligen Religion geschehen und ausgeübt werden, und zwar so, daß ihnen alle diese, sowie in allen Gefahren des hinfälligen Lebens, als in dem Tode, sowohl in dem schmerzlichen Sterbebette, als etwa im peinlichen Fegfeuer täglich und augenblicklich zu ihrem Besten und ihrer Erlösung durch die unermeßliche Gnade unseres Heilands und seines allerhöchsten Nachfolgers und unseres glorreichen Patriarchen Franziskus dienlich und zum ewigen Leben wirksam werden soll.«

Furchtbar schluchzte der Herr Vater.

»Zu dessen gewisser Versicherung gebe ich Obenangesetzter unter Anrufung des kostbaren rosenfarbenen Blutes Jesu Christi und der preiswürdigsten Namen des heiligen Franziskus, der heiligen Klara und des heiligen Antonius von Padua, dem Herrn Hansjakob Pentenrieder, Ortsbürgermeister und seiner Frau Ehekonsortin Anna Pentenriederin, geborenen Brimslerin, gegenwärtigen, mit unserem größeren Insiegel gefertigten offenen Brief. Gott sei in dem heiligen Franziskus mit seinen fünf purpurnen Wundmalen gebenedeit!«

Die Frau Hebammin Rosina aber hörte den gewaltigen Schlußsatz nicht mehr. Sie hatte ihren Kopf auf die Arme gelegt und schlief einen tröstenden Schlaf.

Der Herr Vater erwachte wie aus einem Traum. »Und wer ist das, der uns dieses alles schenkt?« stammelte er.

»Das ist,« sagte der Pater Collektor, »der Pater General des Ordens selbst und der Filianzbrief ist nicht der Brief eines Provinzialen, wie ihn die armen Karmeliter und Franziskaner geben – nein, nein, er ist vom Pater General selbst.«

Die Gevatterin nickte und sah in ferne Weiten, in denen Engel jubelten und mit dem kleinen Pankraz spielten.

Der Herr Vater Hansjakob aber war wieder dabei angelangt, zum Erbarmen zu schluchzen und zu weinen. Es gibt Menschen, bei denen dieser Zustand auftritt, so sie unmäßig getrunken und geschlungen haben – aber beim Herrn Vater war's der Fall, weil er mit den heiligmäßigen Kapuzinern Mitleid empfand. »Für mich,« heulte er heraus, »für mich sollen sich diese heiligmäßigen Leute geißeln, für mich ohne Hosen und Hemd in der groben Kutte in der Welt herumwandeln, für mich ihre harte Abtötung üben – für mich!!«

Er sank gebrochen zusammen.

 


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