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Das fünfundzwanzigste Kapitel

In welchem Pankraz brav wachsen tut und merkwürdige Nüsse zu knacken bekommt

 

Unser kleiner Pankraz geht mit unserm Romanbüchl in die Länge und in die Dicke und hat beinahe schon Hosen an.

Er kennt bereits alle Spiele, die der Kindheit der Welt geläufig sind, aber eine besondere Liebhaberei drängt ihn in die Nähe frommer Tauben und sanfter Lämmer. Die Tauben picken ruhig um ihn herum, nehmen auch die Brocken aus seiner Hand, und die Lämmer gestatten ihm die Nachahmung der Bähbähsprache und jede Berührung, vom Streicheln aufwärts bis zum Zausen.

Und der hochgünstige Leser sagt jaja, schon gut, recht schön – übersieht das Idyll mit einem zufriedenen Blicke und tut das Ganze mit einem Seufzer der Erinnerung ab: liebe junge Unschuld – oder so ähnlich, und begnügt sich damit.

O Blindheit der Aufgeklärten! O du ewige Nacht ohne Morgenröte! O du Stumpfheit der Hochgelehrten!

Um wieviel mehr sehen wir an schönen Beziehungen und heiligen Begebenheiten! Wir sehen nicht die Taube, das Bratenvieh, wir sehen nicht das Bratenvieh Lamm, wir sehen den geflügelten Heiligen Geist und das Lamm Gottes selbst, die in diesen ihren hierzuwelt feststehenden Gestalten mit dem Kleinen gespielt haben. Und die ihn vielleicht sogar unterrichtet haben.

Denn wir wissen aus unleugbaren Legenden, daß der Heilige Geist sich schon mit seinem glorwürdigen Schnabel göttliche Federn aus den Flügeln rupfte, spaßeshalber, und dieselben frommen Kindern schenkte. Welche wunderbaren Federn dann von selbst schrieben und den Kindern wie Schreiblehrer die Hände führten.

Wir wissen auch aus der Geschichte der Frommen, daß das liebe Jesulein der seligen ehrwürdigen Mutter Kreszenzia Höß von Kaufbeuern die ersten Geheimnisse des katholischen Glaubens, das Vaterunser und Avemaria und die zehn Gebote gelehrt hat. Wir wissen, daß das liebe Jesulein ihr Äpfel und Birnen zum Lohn für fleißiges Lernen geschenkt hat. Ja sogar, daß es einmal das kleine Mädchen ins Paradeis mitgenommen hat zu einem schönen himmlischen Schulfest, wo es mit den lieben Englein Ringelspiel gefahren ist und wo es dann auf der heiligen Mutter Anna Schoß gesessen hat.

Warum sollen wir also nicht glauben, daß das Lamm Gottes den frommen Pankraz auf sich hat reiten und daß der Heilige Geist sich von der Unschuld im Spaß hat rupfen lassen?

*

Der Pater Guardian hatte seine große Freude an diesen erhabenen Spielen des Kleinen. Er erinnerte sich, daß auch der heilige Franziskus eine große Liebe zu den Tieren in sich getragen hat, und es wurde ihm von Tag zu Tag klarer, was für Wege dem jungen Pankraz von der Vorsehung vorgezeichnet waren: sie führten in den heiligen Orden. Er hatte es lange zuvor der Frau Mutter Pentenriederin heimlich ins Ohr gesagt, zu Zeiten schon, da Pankraz Corleone Hansjakob noch namenlos zwischen dem Nichts und der Welt schlummerte.

Auch Frau Mutter Anna vermochte die Auslegungen des Paters Guardian zu verstehen und die große Zukunft zu begreifen. Aber sie war mehr für das Sinnenfällige und ließ sich anraten, den Kleinen jetzt schon in eine niedliche braune Kutte zu tun und mit Kapuze, Mantel und dem geweihten Gürtel vor die Hauskapelle zu stellen. Sicher würde ihm die Ordenstracht gut stehen; und welche Überraschung, welch liebes Bild für den Herrn Vater!

Aber als die Schneiderin mit dem heiligen Kleide kam, traf auch eine Bötin der Frau Gevatterin ein, die zum fünften Geburtstage des Kleinen eine ganze Guirlande von Tauftalern schenkte. Sie hatte sich nicht lumpig zeigen wollen und hatte tief in ihren alten Familienschatz hineingegriffen. An einer silbernen Kette reihte sich ein ganzes Gehäng von seltenen Münzen und wirksamen Symbolen: ein Georgs- und ein Leopoldstaler vergoldet; eine Korallenfeige, eine Gemskugel, Hasensprünge, ein Wolfszahn (lauter ganz kräftige Amulette) und ein schöner achatener Augenstein, alles in Silber gefaßt und dicht vergoldet; Sankt Michael- und Sankt Benediktuspfennige, Ablaßpfennige ohne Zahl, alle silbern; dann wieder zwei vergoldete Taler, und zwar ein kaiserlicher und ein bischöflicher Vikariatstaler; unten an einer goldreichen Masche ein veritabler Rablerdukaten aus den Zeiten des Kaisers Mathias, gegen sehr viele Krankheiten recht heilsam.

Herr Hansjakob lief mit dem prachtvollen Geschenke zu den Seinen. Aber die Frau Mutter warf kaum einen Blick auf den Schatz und der Pater wies mit hochgezogenen Brauen die Vermutung zurück, daß er seine Augen an dem eitlen Tand der Welt weiden wolle.

Und der kleine Pankraz stand schüchtern zwischen den großen Menschen und verwunderte sich an ihnen und ihren Unverständlichkeiten. Die Mutter pries das heilige Habit, aber ihre Stimme machte ein Gezänk aus dem Lob. Und des Paters ruhige Milde klang anders wie sonst und der Vater sah erschrocken aus – warum lobte er das schöne neue braune Kleid nicht? Pankraz besann sich darauf, daß er mit diesem Kleid am Hausaltar Messe spielen könne, und die Frau Rosina müsse ein Ministrantenglöcklein dazu schwingen.

Hansjakob aber war schlappen Mutes. Er empfand die Überraschung unbehaglich und sah die Reihe der Gedanken durchschnitten, die er die letzten Wochen über in sich aufgehätschelt hatte: der Bub ins Große übersetzt, im Kontor von Pentenrieder selig Erben, im Magazin bei den kirschbaumenen Stellagen, ein frischer Bursch, der mit hübschen Kundinnen scherzt und lacht, die auffällig oft bei Pentenrieder selig Erben was einzukaufen haben; denn der Bursch ist beinah zwanzig, der kecke hübsche Bursch, und ist der Sohn des ehrengeachteten Hansjakob Pentenrieder, und der Alte erwartet schmunzelnd den Tag, da er das Geschäft in jüngere Hände – –

Und Hansjakob sah mit nachträumenden Augen auf den Sohn, warm, verliebt, und die klirrende Kette in seiner Hand erinnerte ihn wieder, daß er zu ihm gekommen sei, um ihm Freude zu machen und an seiner Freude aufzuleben. Aber die Umgebung drängte ihn wieder in den Hintergrund, mit dem er sich zu begnügen gewohnt war. Er haschte nach Worten, eine stärkere Meinung zu sagen, aber seine Stimme war nicht sicher genug, als er von zarter Jugend und ersten bestimmenden Eindrücken sprechen wollte. Es klang ganz plump: wenn man den Kleinen jetzt als Husar kleide, so würde man die Gefahr heraufbeschwören, daß er einmal dem Werber und seiner Trommel nachlaufe; und das Habit – –

»Es trägt auch Gefahren in sich!?« unterbrach der Pater Guardian mit heiligem Schrecken. Er sah von Herrn Hansjakob auf Frau Anna und fand, daß seine Worte gehört worden waren.

Der Herr Bürgermeister lenkte mit verwirrter Zunge ein, streichelte seinem kleinen Pankraz die Wangen, ließ die Schautaler ein wenig klirren, wog sie auch kennerhaft mit der Hand und ihr Wert regte ihn fast auf. Aber die Frau Mutter warf nur die Lippen auf und der Pater wog die Güter dieser Welt einerseits und ein heiliges Habit anderseits mit so klaren Sätzen ab, daß Hansjakob die Kette nur mehr ganz leise klirren ließ.

Pankraz aber sah furchtsam auf die großen Menschen und Gedanken plagten ihn, die er nicht zu einer Erkenntnis zu verdichten verstand: daß es eine ganz ruhige Sprache gibt, hinter der die lauteste Leidenschaft aufschreit und daß Menschen sich züchtig gegenüberstehen können, während ihre Absichten wie Fäuste niederhämmern.

Es huschte durch diese Knabenseele ein verwundertes Leid mit einem Heer von Fragen und die Augen verschüchterten sich.

Der Herr Vater aber fühlte in dieser Stunde zum ersten Male, fast erstaunt über die Entdeckung, daß ein paarmal im Leben an jedem Menschen die Schwingen und die Kraft seiner Antriebe nachgeprüft werden.

Und er erkannte, daß er schlapp sei, und beschied sich dabei.

*

Er mühte sich zu scherzen, aber der Scherz wurde mißbilligt. Dann tätschelte er wieder seinem Buben die Wange und versuchte in einem heiteren Ton – aber die Worte kamen wie erwürgt von seinen Lippen – den Kleinen zu Wort zu bringen. Er ließ das klirrende Prunkgehäng wieder baumeln und fragte den Buben, was ihm lieber sei von den beiden schönen Sachen. Die braune Kutte? Die Silbertaler?

Pankraz wurde feuerrot, weil er sich in den Mittelpunkt gestellt sah. Mit einiger Scheu wich er den Blicken der Mutter aus, weil ihn irgendwas zum Vater hinzwang. Seine Einfalt las die Wünsche des armen Mannes und er hatte Angst, ihn zu betrüben – er nickte und griff nach der Kette.

Der Pater runzelte die Stirne.

Hansjakob aber war von einem tollen Mut erfüllt und bat so ernst, das Kuttenspiel fallen zu lassen, daß die Frau Mutter seufzte und den Guardian allein sprechen ließ – von einem Gelübde, das über dem Kind schwebe, von heiligen Bestimmungen und von anderen Dingen, die Herrn Hansjakob neu waren und gegen die er sich unruhig zur Wehr setzte. Er habe nichts dagegen, sagte er mit diplomatischen Gedanken, wenn der Kleine ein bißchen mit der Kutte spiele, aber nur vor seinem Kinderaltärchen und etwa von der Mutter mit dem Habit angetan, nicht aber von dem Herrn Pater eingekleidet und jedenfalls nicht geweiht. Gewiß, er respektiere Gelübde, aber es stehe auch im Alten Testament, daß man seine Kinder loskaufen und den Priestern das Opfer geben könne. Er sei gerne, gerne bereit …

Auch den Pater Guardian erfüllten diplomatische Gedanken und das Wort loskaufen gefiel ihm sogar. Er wolle davon absehen, das Habit des Kleinen zu weihen, sagte er zögernd, und man könne später einmal über diese ernstlichen Dinge reden. Und er könne nichts dawider haben, wenn der Kleine in dem ungeweihten Kleid fromme Spiele treibe.

Und dann reichten sich die beiden Männer die Hände und der kleine Pankraz war froh darüber, weil ihm eingefallen war, daß er beim Messespielen das Prunkgehäng mit den Schautalern über der Kutte tragen könne und daß es bei jeder Bewegung klirren müsse.

*

Übrigens war die Fastnacht übers Land gekommen und Herr Hansjakob mußte seiner Frau das Recht einräumen, den Buben in seinem Kapuzinerkleidchen zu den Nachbarinnen zu führen, die der Frau Mutter den Anblick mit viel Rührung bezahlten und der Reihe nach dunkle prophetische Sätze sprachen.

Zu Hause machte Frau Anna sich und dem Kinde oft das Vergnügen des Kapuzinerspiels. Wenn sie dann dem Kleinen die Kutte überzog, sandte sie ihre frommen Gedanken dem heiligen Erzvater Franziskus zu, erneute ihr heiliges Gelübde und bat ihn um Verzeihung und Milde für Herrn Hansjakob Pentenrieder und seine Verblendung.

Und Pankraz Corleone Hansjakob wuchs und die quieszierte Hebammin Rosina gedieh in der guten Mast des Hauses.

*

Als der Kleine die Hosen ein Jahr lang trug, begannen die Jahre der literarischen Schikanen.

Aber er war ein Kind von großem Geiste und kam mit Riesenschritten von den ersten Worten des Katechismus – wes Glaubens bist du? Ich bin ein Kind der alleinseligmachenden römischkatholischen Kirche! – zu den vier letzten Dingen des Menschen und zu den Sünden aller Welt.

Nur in den Kardinaltugenden und den Gaben des Heiligen Geistes war er noch sehr unsicher, überhaupt in höheren Glaubensangelegenheiten, soweit sie der ehrwürdigen Matrone Rosina noch nicht in das fromme Gemüt übergegangen waren.

Der Matrone Rosina??

Der Hebammin Rosina natürlich.

Sie hat ihren großen geheimnisvollen Korb mit allen Gerätschaften an eine andere fromme Frau abgegeben. Es erschien ihr nicht schicklich, nach der Tat im Hause des Herrn Bürgermeisters an aller Welt schmutzige Betten zu laufen und sie folgte gerne der Bitte, des kleinen Pankraz ständiger irdischer Schutzengel zu sein. Der Pater Guardian hatte der Frau Mutter den vernünftigen Vorschlag gemacht und Herr Hansjakob empfing sie mit offenen Armen.

Sie wirkte seelenersprießlich. Der Pater Guardian, der geistlicherweise die Wacht über den Kleinen hielt, betonte das oft, wenn Frau Anna Pentenrieder in kleinlicher Frauenart Mängel an ihr entdeckt zu haben behauptete.

 


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