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Das vierzigste Kapitel

In dem plötzlich eine große Gefahr sichtbar wird

 

Die Patres seiner Schule beflügelten seine Frömmigkeit und sahen mit wachsenden Freuden, wie er seinen Geist ganz vom Irdischen ablenkte. Sie kamen zu dem Entschluß, ihn für die Gesellschaft Jesu würdig zu befinden, und verhehlten ihm nicht, daß sie ihn einmal als einen der Ihren betrachten möchten.

Pankraz nahm die freundlichen Worte der Patres wie ein geistliches Geschenk entgegen und beantwortete sie in Demut und verklärter Andacht. Er schrieb seiner Frau Mutter, daß der tugendhafteste und bei weitem gelehrteste Orden der Christenheit ihn der Aufnahme würdig befinden wolle, und teilte es auch der Frau Schmiedin mit.

»Was fehlt dir?« frug er zärtlich, als ihre Röslein forteilten.

Sie gestand wieder, eine ganz ungelehrte Frau zu sein und sein Glück nicht verstehen zu können. Sie wolle es aber ihrem Schmied sagen, der ein äußerst kluger Mensch sei, weil er so wenig rede und so viel denken müsse. Vielleicht würde sich der Schmied recht sehr freuen, sagte sie schüchtern, und dann wolle sie für ihren Pankraz ein recht inniges Gebet verrichten, ganz gewiß kein ketzerisches, sondern ein ehrbares gedrucktes, wie sie der Himmelvater und die Himmelsmutter am liebsten hätten.

Als sie zu ihrem Schmied wegging, hatte sie ihre Röslein den bleichen Wangen des Jungen zurückgelassen. Er empfand eine seltene Unruhe und beschloß, den Pater Präfektus zu fragen, ob es nicht auch ganz unschuldige Ketzer gäbe, unter dem ungelehrten Volk, das vielleicht nur durch seine Einfalt verführt werde, nicht aber durch den bösen Feind. Er wisse ganz gewiß, daß sehr fromme Frauen mit ungedruckten Gebeten zu der Himmelsmutter kämen, ohne lästern zu wollen. Sie hätten keine Rhetorik gelernt und darum sähe es manchmal schlimm aus mit ihren Worten. Könne man diese frommen Frauen nicht belehren?

Da kam der Schmied ohne seine Schmiedin und setzte sich auf einen Stuhl, ohne zu sprechen. Pankraz aber wußte, daß das die Einleitung aller seiner Reden war und lächelte ihm vertrauensvoll zu.

»Freut es dich, Vater Schmied?«

Der Schmied entdeckte auf dem Handrücken seiner Rechten ein langes Haar und riß es aus.

»Es ist eine Ehre, Vater Schmied!«

Da entdeckte er schon wieder ein Haar.

»Der Orden wahrer Frömmigkeit und tiefster Gelehrsamkeit,« belehrte Pankraz.

»Ein Haar darin gefunden,« sagte der Schmied, senkte die Lider über die kummervollen blauen Augen und ging.

Der Schmiedin, die mit schwerem Herzen seiner Botschaft harrte, gab er mit seiner genügenden Geste zu verstehen, daß er den Jungen eines Besseren belehrt habe.

*

Die Frau Mutter kam in der Eile und fast ohne Haubenschachteln angereist und schloß sich mit Pankraz in seinem Studierzimmer ein, ehe der Schmied ein Wort sagen konnte und ehe die Schmiedin zur Kaffeemühle gegriffen hatte.

Mit fliegenden Sätzen begann Frau Anna: »Du wirst mir kein Jesuit, mein lieber Pankraz! Du hast dein ganzes Dasein deinem heiligen Namenspatron Corleone zu verdanken. Du bist ein Wunderkind. Deine Empfängnis sowohl als deine Geburt sind ein Werk hoher Hände. Ich will dir später einmal davon erzählen. Die Gnade des heiligen Erzvaters Franziskus ist über dir. Und darum habe ich dich von deiner ersten Jugend an dem heiligen Kapuzinerorden gewidmet, dem heiligen Franziskus deine Person vollkommen verlobt und dem edelmütigen Pater Guardian Pankraz, dem wir beide, du und ich, soviel schuldig sind, meinen heiligen Verspruch dafür gegeben.«

Der kleine Pankraz machte große und erstaunte Augen und vermochte die Fülle der Mitteilungen nicht zu bewältigen. Es brauste in ihm und Frömmigkeit, Furcht und Gehorsam verwirrten ihn so sehr, daß er der Mutter nicht zu entgegnen wußte. Ein Schwall von Fragen tobte in ihm, aber er brachte nicht eine heraus. Ganz bleich stand er vor der entschlossenen Frau.

»Ich hoffe,« sagte die Mutter feierlich, »du wirst dich meinen Wünschen nicht entgegenstemmen, du wirst keinen Meineid gegen den großen Ordensstifter begehen und mich nicht zu einer Lügnerin machen wollen. Willst du vor dem heiligen Erzvater Franziskus deine Mutter schamrot sehen?!«

Pankraz sah sie entsetzt an und die Frau wurde gütiger.

»Und was die Jesuiten anbelangt, mein lieber Sohn, so muß ich dir unter vier Augen sagen: du darfst dich von ihnen nicht so leicht einnehmen lassen.«

Sie machte eine Pause, weil sie den Jungen leiden sah. Aber sie war nicht gewillt, ihre Waffen niederzulegen. Es mußte gehandelt werden; sie erkannte die Gefahr und durfte nicht schonen.

»Die Jesuiten«, begann sie zögernd, während sie fest an dem erblaßten Gesicht hing, »mögen allerdings ordentliche, rechtschaffene und gescheite Männer sein; aber, wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was unser Herr Marktkämmerer (und das ist ein hochgelehrter Herr) deinem Vater und mir an manchen Winterabenden teils erzählt, teils aus gelehrten und gutkatholischen Büchern vorgelesen hat, so sieht's mit der Gesellschaft Jesu wahrlich nicht gut aus. – Hörst du mich, mein lieber Pankraz?! Und willst du dich setzen? Du bist so blaß, mein armer Bub!«

Sie hatte innig gesprochen, weil sie zur Mutter erwacht war. Sie streichelte ihm die Wangen und nahm seine kalten Hände in die ihren: »Bist du krank, mein lieber Bub?«

Er schüttelte den Kopf, aber eine schmerzhafte Enge im Hals versagte ihm die Sprache.

Die Mutter schüttelte ihre Sorge ab und begann mit einem Seufzer ihre Mission wieder. »Es steht in sehr guten katholischen Schriften Erdrückendes gegen den Orden geschrieben. Unbändige Habsucht, heißt es da einmal, beleidigender Stolz, laute Verachtung gegen alle übrigen Ordensstände, schmerzende, hartnäckige Rachsucht gegen ihre wahren und auch nur vermeintlichen Gegner, Einmischung in alle Gattungen weltlicher Händel, Hofintrigen, eine abscheuliche lockere Sittenlehre – –«

»Nein!« schrie der Junge entsetzt. »Nein!«

Die Mutter sagte gütig: »Pankraz! Bub! Hör deine Mutter an! Ich kann über diese Dinge zu deiner zarten Jugend nicht so sprechen, wie ich möchte und sollte. Aber du mußt mir glauben – – was fehlt dir, Bub!?«

Sie fing ihn auf, da er vom Stuhl gleiten wollte und ihre Schreie gellten durchs Haus, ohne den Jungen seiner tiefen Ohnmacht zu entreißen.

Die Schmiedin erschien leichenblaß, der Schmied hinter ihr drein mit dem Hammer in der Hand, den er nicht mehr hatte fortwerfen können.

»Er stirbt!« Die Schmiedin hatte etwas in ihrem Schrei, was dem Schmied seine große Kraft benahm. Der Hammer fiel plump zu Boden und der Arm, der ihn gehalten, zitterte.

Aber Pankraz öffnete die Augen wieder und seine Blässe gab dem Schmied die Stärke zurück. Er hob das Bürschchen wie ein Federlein und legte es aufs Bett, so unendlich behutsam, als ob er nie mit schweren Hämmern und immer mit feinen böhmischen Glasgespinsten zu tun gehabt hätte.

Frau Anna Pentenriederin rang die Hände und ihr Gesicht war in graue Qual getaucht. Ihre Augen fieberten dem Buben zu in Angst und Anklage und wollten sich nicht beruhigen, als Pankraz ihr schmerzlich zulächelte und sie zu trösten versuchte.

Die Schmiedin weinte. »Er ist zu viel heilig. Die Frömmigkeit tötet ihn.«

»Jesuiten,« sagte der Schmied und umruderte mit dem rechten Arm einen ungeheuren Kreis.

 


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