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Das elfte Kapitel

Handelt vom Pater Guardian, von anderen unbedeutenderen Mönchen und frommen aber schwierigen Beichttöchtern

 

In dieser Zeit aber, da die fromme Hebammin Rosina bereits ihren ersten hageren und eckigen Schatten in unsere Geschichte wirft, berichtete der Pater Pförtner des Klosters verschiedenen dem Kloster zugetanen frommen Frauen über seinen Herrn Pater Guardian: »Er ist nicht wohlgelaunt – der Fußboden seiner Zelle zittert, so hart ist sein Studierschritt. Auch hatte er gestern die beiden Augenbrauen ganz hart aneinander und warf beim Gang durch den Klostergarten den Kuttensaum mit stürmischen Füßen vorwärts. So sehen seine unguten Tage aus, ich weiß es.«

In der Tat ging der Guardian in seiner Zelle umher wie ein Raubwild, das den Weg aus dem Käfig sucht, und preßte die Lippen aufeinander, als wenn er bösen Worten den Weg in die Öffentlichkeit wehren wollte. Aber als sein Inneres Luft brauchte, stellte er sich vor die Folianten eines großen Büchergestelles und schrie auf schweinsledergebundene Scholastiker ein: »Nein und nein und nochmal nein!«

Die Schweinslederrücken machten keinen Versuch, dieser energischen Sprache gegenüber zu Wort zu kommen, und der Pater beruhigte sich infolgedessen wieder. Aber immerhin zwang ihn seine innere Erregung, den Marsch im Zellengevierte wieder aufzunehmen und der ersten Ecke, die er passierte, zuzumurmeln, daß es noch nicht unter die Leute kommen solle. Bei der zweiten Ecke stand er still und dämpfte sich zu einem innerlichen Gespräche herab: es wird natürlich Klatsch entstehen, wenn es unter die Leute käme. Und die ersten, die klatschen würden, das seien die Kutten. Natürlich! sagte er laut und suchte mit schweren Schritten in der nächsten Ecke nach Gegenmeinungen. Wenn nur dieses eine vorüber wäre, sagte er der Ecke Nummer drei, das erste Bekanntwerden, das Flüstern im Kloster und dann dieses allerweltschändliche Ausstrahlen.

Wenn er mit dem Pater Collektor reden würde??

Der Collektor sammelte Schmalz und Butter, Eier, Mehl und Schlachtproben und für die abstrakten Klosterbedürfnisse die Gesprächsextrakte innerhalb des nächsten Machtbereiches der Kapuzinerprovinz. Der Collektor war der Mitbesitzer sämtlicher öffentlicher Geheimnisse der Gegend und kannte den täglichen Bedarf der bösen Zungen.

Der Pater Collektor mußte unbedingt ins Vertrauen gezogen werden. Er konnte das erste Auftauchen des Gerüchts feststellen, konnte die Weiterverbreitung überwachen und der Angelegenheit inhaltlich und stilistisch geschicktere Wendungen geben als man vom Volksmund erwarten durfte.

Das stand fest: die Frau Bürgermeisterin Anna Pentenriederin war eine hochstehende Frau, die um die Vornehmheit ihres Standes und um das Relief ihrer Wohlhabenheit beneidet wurde – an solchen Leuten wetzen die Zünglein schärfer herum als an Tagwerkersfrauen. Sie brauchte Schutz, und wer konnte ihr den in stärkerem Maße gewähren, als die Macht der Patres Kapuziner? Wer auch war mehr verpflichtet, ihr in der Not beizustehen? Der Pater Collektor hatte aus ihren Vorratskammern und aus des Herrn Bürgermeisters Keller dem verehrungswürdigen Konvent der Patres schon zu allen hohen Festen, die das Kirchenjahr kennt, Freuden zugeschleppt, die einen Salzburger Erzbischof oder einen altaicher Klosterpropst hätten schmunzeln machen können.

Als der Guardian sich dem vierten und letzten Winkel seiner Zelle gegenüber sah, war er sich darüber einig geworden, daß eine zweifelsfreie Aussprache mit dem Collektor notwendig sei.

Und darum ging er in das Pförtnerstübchen.

*

Es war die Stunde, in der der Pater Collektor nach dem Einlauf zu sehen pflegte – nicht nach einem papierenen schäbigen amtlichen, er war guter Stimmung, weil ihn die Formate einiger Butterwecken ergötzt hatten und weil der Zwillingsauer (was mochte dieser bäuerliche Generalspitzbube wieder auf sein Gewissen geladen haben!) mit den beiden Hinterschinken einer Prachtsau gekommen war. Dem Collektor tat es leid, daß der Guardian sich nicht gleich ihm in die gesegneten Schaustücke vertiefen wollte. Er folgte seinem Deut in einen Winkel der Pförtnerstube und nahm hier die Affäre in sein geübtes Ohr auf. Er nickte wiederholt sachlich, war völlig einverstanden mit den Plänen des Guardians und verband sich mit ihm zu einem festen Schweigensgelübde über den Gegenstand. Die beiden schüttelten sich zum Vertragsschluß die Hände, sahen sich einen Augenblick brüderlich in die Augen und gingen auseinander, der Guardian in den Klosterpark, der Collektor die große Steintreppe hinauf.

Aber als der Pater Collektor nach etlichen fünf Stufen die seiner Leibeskonstitution gemäße Atempause machte, sprang ihm der dürre Pater Carminifex geflissentlich nach, heuchelte Eile und versicherte, eine der schönsten Oden im Kopfe zu haben, die ihm je zu Papier gelungen sei. »So?« sagte der Collektor nichtachtend, denn er empfand den Hausdichter des Klosters immer nur als eine Belastung des Küchenetats und war für seine Person und seine geistigen Bedürfnisse geneigt, auf die erhabensten lateinischen Verse zu pfeifen, beziehungsweise zu verzichten.

»Der Auftakt ist bereits fertig,« sagte der Pater Carminifex; »er hat etwas horazisch Feierliches und Klangwirkungen, die von Kennern ausgekostet sein wollen.

» Phidia, Zeuxes, Xenophon, Homere,
Ascias, telas, calamos parate!
Nutrians faetus et aquae salubres,
Et jovis aurae!
«

»He!?« sagte der Pater Collektor, denn es hatte ihm einen sichtlichen Riß gegeben. Was wollte der Versschuster?

Aber der Pater Carminifex lächelte fein, bewegte die Arme im Rhythmus und skandierte seine Verse abermals mit bravster Selbstzufriedenheit.

Der Pater Collektor packte den Mann derb am Arm. »Und wem soll dieses Geklingsel gelten?«

»Geklingsel?!« Der Hausdichter wies die Beleidigung zurück und vergalt sie mit einem Grinsen, das er dem abscheulichen Teufel abgeguckt hatte, den er auf einer Malerei »die Verführung des heiligen Antonius« kennen und schätzen gelernt hatte.

»Wer soll gefeiert werden!?« schrie der Pater Collektor und wiederholte seinen Handgriff um den Arm des dürren Dichters in gröberem Maßstab.

»Autsch,« sagte der Dichter und versuchte mit unschuldigen blauen Augen abzulenken. »Ich habe ein kleines Freudenlied unter der Feder auf die glorreiche Geburt der geistlichen Frau Mutter.«

Der Collektor verschluckte einen Fluch von größerer Länge, »was für eine Geburt und was für eine Frau Mutter?!«

Der Pater Carminifex wiederholte sein teufelsmäßiges Grinsen, die Verführung des heiligen Antonius betreffend. »Jaja, das ist ein ganz besonderer Jubelfall. Unsere liebe, liebe Frau Bürgermeisterin!« Und als er den Collektor mit dem ganzen Gebiß knirschen hörte, setzte er artig hinzu: »Wissen Sie, wenn's noch ein Geheimnis hätte bleiben sollen, so durfte man eben solche Sachen nicht im Pförtnerstübchen besprechen! Diese Wände posaunieren, Verehrtester!« Er verließ den Collektor und skandierte die Treppe hinauf.

Der Collektor seufzte und ging ins Pförtnerstübchen zurück, was war zu tun? Die Mäuler stopfen? Wie viele? Als er eintrat, unterbrach sich wie signalgemäß ein allgemeines Getuschel und der Pater wußte Bescheid: der Frater Pförtner und sechs Patres bekannten durch listig zuckende Augen, daß ihnen niemand ihre Mitwisserschaft rauben könne. Es kam auch ein entsetzlich neugieriger alter Graubart hereingekeucht und der Collektor erlebte mit Betrübnis, daß der ehrwürdige alte Herr aus seinen armseligen Schätzen eine Flasche Kirschwasser opferte, um ganz hinter ein Geheimnis zu kommen, von dem der Pater Carminifex in der Bibliothek nur kleine Brocken hatte preisgeben wollen.

Der Collektor stellte es der Gesellschaft im Pförtnerstübchen anheim, seine grimmgeladenen Blicke im richtigen Sinne auszulegen und ging verärgert zu seinen Geschäften.

*

Am anderen Morgen frühstückte der Collektor im Pförtnerstübchen; eine fromme und gutkochende Beichttochter hatte hier allerhand hinterlegt, was der Armut des Ordensmannes zustatten kam.

Er ließ sich seinen guten Appetit durch den Verkehr im Pförtnerstübchen nicht verkümmern. Es ging zu wie in einem Taubenschlag: die Frau Metzgerin kam, die Frau Lebzelterin und die Frau Grobschmiedin, andächtige, vertraute Beichttöchter der ehrwürdigen Patres Kapuziner, die häufig im Kloster vorsprachen, um ihren geistlichen Beratern vorzulegen, was ihr Herz bedrückte.

Aber die Herzen der Metzgerin, der Lebzelterin und der Grobschmiedin waren nicht mit eigenen Angelegenheiten belastet, sondern erstaunlicherweise durch ein Geheimnis beunruhigt, für das der entsetzlich neugierige alte Klosterbart eine Flasche Kirsch geopfert hatte. Sie fielen nicht mit der Türe ins Haus; sie plauderten vom Wetter und von Ablaßfesten, von der Bogener Wallfahrt und dem Fehltritt der kleinen Näherin am untern Tor, frugen, ob die hochgeweihten Mariazeller Rosenkränze noch nicht eingetroffen seien und ob der Frater Bräumeister mit der diesjährigen Gerstenernte zufrieden sei – der Pater Collektor hatte Zeit genug, die lauernden Augen der Weiber zu untersuchen und sich zur Abwehr vorzubereiten.

Die Grobschmiedin war es, die endlich nicht mehr an sich halten konnte. »Und wie geht es unserer lieben Frau Bürgermeisterin?« sagte sie und versuchte ihre Stimme mit Milde zu umgeben.

»Der Frau Bürgermeisterin?« Der Pater Collektor hüllte sich in eine Wolke von Staunen. »Soll unsere fromme und liebwerte Beichttochter, die Frau Bürgermeisterin Pentenriederin, etwa erkrankt sein?« frug er mit Salbung.

Die Bösartigkeit der Frau Lebzelterin brannte durch: »Hehehehe!«

»Was wollen Sie sagen?« sagte der Pater milde, und dieses Vorgehen dämpfte den Mut der Lebzelterin. Die Metzgerin griff das Thema auf; sie meinte, daß im Bürgermeisterhause bald der Ofen einfallen müsse und daß es durchaus nicht mehr zu früh sei. Und es sei recht selten, daß ein Brunnen Wasser gebe, der so viele Jahre lang – –

Jetzt gestand der Collektor, daß er – ganz andeutungsweise – auch schon etwas davon gehört habe. Er gestehe: zu seiner unendlichen Freude! Dieses wirklich christkatholische Haus, diese von Frömmigkeit durchdrungene Familie, diese wahrhaft in Gott lebenden Menschen; er erschöpfte den ganzen Sack voll Lob, wie er es für seine Collektorsfahrten vorrätig hatte und mühte sich, den bösen Zungen den Weg abzuschneiden. Er erging sich in fröhlicher Lebhaftigkeit darüber, daß die ehrbarsten Frauen des Städtchens solchen Anteil an den Geschicken des Bürgermeisterhauses nahmen und daß die liebsten Gäste dieses armen Klösterleins kein Stündchen gezaudert hätten, eine freundliche Nachricht zu schenken, wie sie sonst alles zu schenken pflegten, was dem Kloster hochwillkommen sei. Wirklich, es entzücke ihn, daß auch hier die wahre Frömmigkeit an den Tag trete und daß eine tiefe christkatholische Anteilnahme – –

So senkte er die in Bosheit erhobenen Häupter der drei Frauen und tötete die Gelüste ihrer Busen. Er entließ sie mit besonderer Salbung und bat sie inbrünstig, der lieben hochehrbaren Frau Bürgermeisterin für die Zeit ihrer schweren Tage im Gebete zu gedenken. Er bat die Frau Metzgerin (wie gerne erinnere er sich hier, daß sie der Schwesternschaft zum heiligen Schutzmantel Mariae Treue geschworen!), auch von ihren frommen unter diesem gloriosen Schutzmantel verbündeten Mitschwestern den Honig des Gebetes für die hochehrbare Frau Bürgermeisterin einzusammeln; der Frau Lebzelterin, die ohnedies durch ihr dem dritten heiligen Orden getanes süßes Gelübde der Frau Anna Pentenriederin als Regelschwester am herzlichsten verbündet sein müsse, trug er auf, die züchtigen Frauen dieser dem göttlichen Seelenbräutigam unsäglich liebgewordenen Gemeinschaft zum geistlichen Vorkampf für die teuere Freundin aufzurufen; und zu der Grobschmiedin sagte er (ohne die starke Bewegung seines Herzens zu verheimlichen) und legte seine Rechte wie segnend auf ihren Scheitel: »Muß ich Ihnen, fromme Beichttochter, einen Wunsch, eine Bitte oder einen Befehl aussprechen? Nein! Ich darf es Ihrer christkatholischen Nächstenliebe und der überquellenden Güte Ihres reinen Frauenherzens überlassen, zu tun, was hier zu tun ist. Ach, fast möchte ich die Frau Bürgermeisterin beneiden um solche hilfreiche Freunde! Ziehet in Gott, Geliebteste! Der allersüßeste Namen Jesu ziehe mit Eueren engelhaften Seelen!«

So krempelte der Pater Collektor die verworrene Angelegenheit um und stellte das Beispiel eines geistlichen Hinauswurfes dar, wie es in der Welt schöner noch nicht erlebt worden war.

*

Er berichtete dem Guardian die Episödchen im Pförtnerstübchen und stattete sie mit viel neckischer Rhetorik aus. Er schwelgte richtig in dem Erlebnis mit den bösen Beichttöchtern des Klosters und setzte seinen Bauch in stärkere irdische Schwingungen, als es seiner fetten Leibesbeschaffenheit förderlich war. Der Guardian dagegen konnte in das laute Lachen nicht einstimmen und verhielt sich sehr mißmutig. Er gestand auch, aus dem Gesagten so etwas wie Verrat des heiligen Beichtgeheimnisses zu entnehmen: er habe der Frau Lebzelterin zum Beispiel mit aller Vorsicht im heiligen Beichtstuhl die Mutter Anna Pentenriederin als ihre Regelschwester im Gebete empfohlen – sub sacratissimo sigillo. Es sei ganz entsetzlich, wenn nicht einmal mehr das heilige Beichtgeheimnis gelte – er schlug sich vor den Kopf, stampfte den Kiesboden des Klosterparkes und probierte an dem Mitbruder einen künstlich expektorierten Zorn aus, aber er sah, daß das Unternehmen keinen Beifall fand.

Der Pater Collektor lachte nur: innerhalb ganz laut, äußerlich nur mit zwei, drei Fältchen in den Wangen, die er für sich reden ließ, erfahren, anekdotisch, gewürzt. »Wir müssen,« sagte er, »die Sache, so wie sie nun einmal liegt, in aller Öffentlichkeit betreiben. Zunächst im Kloster. Sie muß in venerabile conventu behandelt werden.

Der Guardian seufzte.

»Und der ganze Konvent muß darüber nachdenken, wie über eine gemeinsame Sache. Wir müssen alle geistlichen und weltlichen Mittel sammeln, die die Geburt erleichtern können. Vergessen Sie nicht: das Mirakelrad unseres heiligen Ordens ist im Rollen. Ist nicht schon die Empfängnis der Frau Bürgermeisterin etwas ganz Wunderbares?«

Der Guardian enthielt sich bescheiden des Urteils.

»Die Sache muß dem Kloster wohltätig und zinsbar gemacht werden,« schloß der Collektor eifrig. »Es ist meine Pflicht, den Gläubigen unserer Provinz das Mirakulöse der Begebenheit ans Herz zu legen. Welches Mirakel aber nicht den hochmütigen Jesuiten zu danken ist und nicht den aufgeblasenen Karmelitern, sondern ganz und gar nur den arm und heiligmäßig lebenden demütigen Kindern des heiligen Erzvaters Franziskus.«

Der Collektor prägte noch manchen begeisterten Satz über das Wunder dieser Empfängnis, und zum Lob des Ordens und ließ sich durch die schweigsame Zurückhaltung des Guardians nicht in seinen Absichten beirren.

 


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