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Das siebenunddreißigste Kapitel

In welchem aber nur ein Schneider auf den Plan tritt

 

Und wenn wir rasch das Vierteljährchen wieder zurückeilen, so kommen wir gerade noch zurecht, wie Meister Christoph, der Schneider, den bestellten Mantel des kleinen Pankraz abliefert.

Herr Hansjakob ist unterdessen gesundheitlich auf dem Wege der Besserung, nur mit Reue und Leid behaftet über Ereignisse, Worte und Zusammenhänge, mit denen er noch nicht ins reine kommen kann. Es schwebt ihm vor, als ob nicht alles in Ordnung gelaufen sei und als ob er die Böcke seines Lebens mit neuer Beute gemehrt habe – er ist griesgrämig wider sich selbst, weicht dem Mantel am Arme des Meisters Christoph mit scheuen Augen aus und müht sich, nur auf seinen Freund und Schneider zu sehen.

»Christoph, es freut mich, dich zu sehen!« sagt er, aber er grübelt darüber nach, woher diese Freude komme. Ja, richtig, daher. Freilich! »Christoph, du kommst zur rechten Zeit, wir sind im gleichen Alter, lieber Freund Christoph, weißt du noch, wie wir zusammen die Schulbank gedrückt haben? Und weißt du noch, wie wir dann zusammen ins Studium kamen, he? Du bist mein Mann, was hältst du vom Studieren?«

Der Frau Mutter wurde es grün und blau vor den Augen. Die kurze Rede steuerte ihr abermals auf ein gefährliches Ziel los und sie sah einen festen Entschluß abermals morsch werden. Aber sie war gesonnen, auf dem Kampffelde zu bleiben und den Schneider abzutun wie sie die beiden alten Klosterbärte besiegt hatte. War es nicht unglaublich? Und war es nicht eigentlich sündhaft, daß über das Urteil des Pater Guardian hinweg zwei Kuttengreise und auch noch ein simpler Schneider Maßgebenderes sagen sollten?

Der Meister Christoph aber schüttelte den Kopf und sagte bescheiden: »Ja, ich war auch einmal Student und habe Bücher in die Schule getragen in so ungeheueren Lasten, daß es fraglich ist, ob man je einen Esel in meinem Vaterland so schwer beladen hat. Denn als Bettelstudent mußte ich auch die Bücher für zwei reiche junge Herren schleppen – und die Armen brauchen wohl so viele Bücher nicht, wie die Reichen. Bei einem armen Teufel, da muß das alles auf dem eigenen Mist wachsen, was dort Gelehrte, welche die Bücher geschrieben haben, herleihen müssen.«

Der Bürgermeister gab seiner Frau mit einem Blick zu verstehen, daß die Rede des Schneiders wohl gesetzt sei.

»Mit meinem Kopf,« fuhr der Meister Christoph fort, »sah's aber gar wunderlich aus. Groß war er bestimmt – die Hüte aller meiner Mitschüler waren mir zu klein. Aber trotz des großen Kopfes wurde ich von den vielen Kleinen übersehen. Das verdroß mich und meinen Vater erst recht, und er wollte mich wieder von der Schule wegnehmen. Meine Mutter jammerte: tu's nicht, tu's nicht, mein lieber Alter! Mein Bruder, der Herr Doktor in der Stadt, der muß ihn zu sich nehmen, wenn er einmal groß ist. Dann kann er ein Advokat werden! Der Bub hat ein Maul wie ein Schwert – so was kann man brauchen in der Welt. Aber mein Vater hörte nicht zu. Weg mußte ich und zu ihm an den Schneidertisch und nähen wie er.«

Hansjakob triumphierte: »Hörst du's, Mutter? Das ist der richtige Gang! Weg muß er – vom Studieren weg!«

Frau Anna biß die Zähne zusammen und dachte nur an Rache.

Der Meister Christoph sann in sich hinein: »Damals hat mir das Ding im Herzen grausam weh getan. Aber in diesen trübseligen Zeiten danke ich erst Gott, daß er mich von der Studi weg und zu einer Profession getan hat, bei der ich mich von allen Leuten sehen und nennen lassen darf.«

»Gut, gut!« pflichtete der Herr Vater bei. »Handwerk hat einen goldenen Boden. Fort mit dem unnützen Studieren!«

»Wenn ich mir so denke,« betrachtete der Meister Christoph, »wie so viele kleine Buben jetzt in den hohen Schulen sitzen und schwitzen, so kann ich nur Mitleid mit ihnen haben. Wenn so ein kleiner Mensch einen Verstand hätte, dann würde er sich die Welt rechts und links begucken und dabei den Meister Christoph sehen und auf ihn aufmerksam werden: der singt und pfeift, der ist lustig und wenn er auch nur Kleider flickt – kein Mensch legt ihm etwas in den Weg, kein hoher Gelehrter reitet auf ihm herum und kein Mensch plagt ihn mit Weisheiten. Schaut sie doch an, die Herren mit Stock und Degen, schaut in die gelben und bleichen Gesichter, von denen man glaubt, daß nur einmal in der Woche ein warmer Löffel unter ihren Nasen hineingeschoben wird! Schaut sie doch an, wie sie immer an ihren Nägeln beißen und doch nicht satt davon werden. Tag und Nacht dichten und denken, lesen und schreiben, und dabei kracht ihnen der Magen vor Hunger wie neue Schuhe. Und ich kann mir dabei mein ehrliches Bäuchlein (vergelt's Gott!) streicheln und die Herren in Stock und Degen mit ihrer Not recht getrost betrachten, wenn die kleinen Buben in den hohen Schulen das auch so richtig könnten, so müßte es ihnen bald einfallen, daß es viel gescheiter wäre, ein braver Schneider zu werden als in Ewigkeit weiterzustudieren und dabei das Kauen verlernen.«

»Wie der weise Salomon!« sagte der Herr Vater entzückt.

Aber Frau Anna war grün und blau und mußte ihre Fingernägel in der geballten Faust verstecken.

»Und wenn man's recht nimmt, so soll einer glauben, daß es einem guten Kopf gar nichts schadet und daß ein ehrbarer Mensch gar nichts verliert, wenn er nach dem Ellenstab greift. Daß wenn's so fortgeht in der Welt mit dem Vollstopfen der Schulen und mit dem Eintrichtern der Weisheit, so müssen eines schönen Tages die lieben Gelehrten sich untereinander auffressen wie die Wölfe im kalten Winter und wir müssen nach Konstantinopel und Jerusalem schreiben, daß sie uns Bauern heraufschicken und Bürger und Schneider und Schuster – wir haben dann nichts mehr von der War', und geben gern zehntausend Gelehrte drum. Ich hab's erlebt, wie hier einmal ein Haufen Schneider gearbeitet haben und da hatten wir alle nicht Brot genug; und so denke ich mir mit meinem kurzen Verstand: je mehr Kollegen ein Advokat im Städtl hat, um so weniger füllt sich sein Beutel. Und überhaupt: klagt heutzutage nicht alles über Geldmangel?«

Der Herr Vater nickte heftig. »Erschrecklich! Niemand kauft; ein jeder schränkt seine Bedürfnisse ein; kein Mensch zahlt Schulden.«

Der Meister Christoph war im besten Schwung: »Da studieren die jungen Herren, um gestrenge Herren zu werden. Aber da heißt's warten, bis es den Gestrengenherrenlohn gibt. Und das ist bitter, wenn man's dem alten Amtsinhaber vorrechnen muß: stirbt er bald, lebt er lang, und wenn man auf ein Pöstchen wartet und sein Stückl Brot erst aus des anderen Grab herauslangen darf. Und dann noch eines: hast du viel Dienstboten zu Haus, so schickst du die liederlichsten weg. Und wenn einmal der gelehrten Herren zu viel werden, muß man sie nicht auch wegschicken? Da wird's was haben mit dem Ein- und Auskommen.«

Der Herr Vater nickte zu jedem Wort. Und die Frau Mutter reihte Schwüre und gelobte ihm Pein und Marter.

»Und bist du ein Gelehrter,« predigte der Meister, »so bist du lange noch kein freier Mensch. Darfst nicht alles sagen, was du dir denkst, und mußt der Wahrheit bei Gelegenheit ein Ohrwaschel abzwicken. Hat ein jeder Stand seine Sorgen und seine Lasten. Und darum weiß ich nicht, warum man sich lange in den Schulen den Kopf zerbrechen und nicht nach einer Hantierung greifen soll, bei der man ein sicheres Brot gewinnt und frei und frank, wie es recht ist und sein muß, arbeiten darf. Ich bin jetzt über vierzig Jahre hinaus und beim Ziel angelangt und kann über solche Sachen schon reden.«

»Ich denke geradeso,« murmelte der Herr Vater.

Frau Anna indes schwor in sich, ihn umdenken zu lernen.

»Es ist eine harte Profession um die Gelehrtenprofession. Man lernt lange und lernt nie aus. Ein jeder Schuster, der dreißig Gulden Lehrgeld bezahlt hat, ist reicher als ein Gelehrter, der dreitausend Gulden vertan hat und nicht weiß, wo aus und wo ein.«

Der Herr Vater seufzte aus Herzensgrund sein Einverständnis.

»Und dann«, sagte der biedere Meister Christoph, »haben die Gelehrten eine viel härtere Arbeit als unsereiner. Ist ein Meisterstück bei uns nichts Leichtes, so ist's bei den Gelehrten noch viel schwerer. Da sitzen sie und kauen an der Feder und bohren sich mit den Fingern Löcher in den Kopf, beißen die Nägel herunter und dann kommt immer noch kein Meisterstück heraus, sondern nichts wie Flickarbeit.«

»Sehr wohl! Sehr wohl,« sagte der Bürgermeister. (Aber im Busen der Frau Mutter kochte es.)

»Und braucht's denn die viele Schreiberei? Bier braucht's. Das trinkt man, solange man einen Pfennig in der Tasche hat. Brot braucht's, solange es einen Hunger in der Welt gibt. Und Weber braucht's, Schneider, Schuster und Lederer. Aber Bücherschreiber braucht's – wenig. Und wer ein Aktendrescher werden will, der soll lieber frühzeitig einpacken.«

Der Herr Vater: »Jaja, frühzeitig einpacken.«

Dich pack ich ein! gelobte Frau Anna.

»Vor Zeiten hat's das Wörtl gegeben: zwei Schneider tun nicht gut in einem Haus. Aber lieber will ich zwanzig Schneider nebeneinander erhalten als zwei sogenannte Gelehrte. Es gibt bei einer Zunft oft Geschrei und Lärm; aber das ist nichts gegen das Getöse, das die Gelehrten verbringen, wenn sie untereinander etwas auszutragen haben. Das sind die Allerbissigsten in der Welt. Es läßt keiner den anderen fortkommen, und hebt einer den Kopf, so schlagen gleich zehn auf ihn, bis er sich wieder duckt. Mich geht's zwar nichts an, aber man red't drüber. Ich hab das Studieren erst angefangen, wie ich ein Schneidermeister geworden bin und aus engen Röcken weite und aus alten Röcken neue zu machen angefangen habe, und wie ich mir aus diesem Studium Brot erwerben mußte. Ich glaube schon, daß das Studentenleben lustig ist, aber studieren ist was anderes. Mir studiert kein Bub, außer mit Schere und Elle.«

Jetzt warf die Frau Mutter mit ungebremster Bissigkeit ein: »Wenn er aber einen guten Kopf hat?!«

»Den braucht er notwendig. Er tät mir ja sonst zehn Kleider verschneiden, bevor er eines richtig macht.«

»So!« Die Frau Mutter begann den Schneider tief zu hassen. Aber sie zwang sich zur Würde und sagte andächtig: »Und wenn einer aber in ein Kloster geht, Gottes Diener und Geistlicher werden will?«

Der Meister Christoph schüttelte den Kopf. »Jeder Handwerksmann kann Gott dienen. Und mit Gunst zu melden: es ist dem lieben Gott von guten Menschen schon lange vorher gedient werden, ehe es ein Kloster gab. Unsere Mönche sind geistlich und haben schöne und große und runde Köpfe. Aber mit allem Respekt für die geistlichen Herren, und ganz unter uns gesprochen: wenn man sie nicht betteln läßt, so verdienen sie nicht so viel, daß sie sich ehrlich durch die Welt schlagen können. Sie haben alle zehn und zwölf Jahre studiert. Wozu? Warum soll ich meinem Buben nicht lieber sein Brot verdienen lassen als ihn dem braven Bauern in der Gestalt eines hochstudierten Paters mit dem Bettelsack auf den Hals zu schicken?«

Die Frau Mutter machte einen gehässigen Ausfall: »Wenn er aber Geld mit ins Kloster bringt?« Und sie richtete sich hoch auf und betonte damit den Wohlstand von Melchior Pentenrieder selig Erben.

»Geld?« lächelte der Meister Christoph. »Das helfen ihm seine Mitbrüder verzehren. Und wenn er nun auch selber vom Kloster nicht mit dem Bettelsack ausgeschickt wird, so speist er doch von dem mit, was seine Brüder aus dem Bettel heimbringen. Und wenn ich den heiligen Apostel Paulus recht verstanden habe, so soll kein Mensch vom Bettel leben, der einen gesunden Kopf und gerade Glieder hat.«

Der Herr Vater spendete großen Beifall. »Das ist so«, sagte er, »und das bleibt so. Das bürgerliche Gewerbe nährt am besten und am ehrlichsten.«

Jetzt hielt's die Frau Mutter nicht mehr aus: sie riß den Mantel an sich, eilte wütend weg und schloß die Türe deutlich hinter sich. Herr Hansjakob seufzte und bezahlte den Schneider.

Der Schneider ging.

 


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