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Das dreizehnte Kapitel

Welches in geziemlicher Weise Herrn Hansjakob wieder in Erinnerung bringt und ihn auf seinem Throne zeigt; benebst einer frohen aber kauderwälschen Botschaft

 

Herr Hansjakob hatte die auserwählten Männer der Stadt zu einer Sitzung befohlen und langweilte sich also in der Schwüle des Rathaussaales zum Sterben, während der Herr Marktschreiber – utriusque juris candidatus und der heiligen Theologia Baccalaureus, zugleich Ludimagister des Städtchens – sich eines Vortrages entledigte, der über das Finanzwesen (in Verbindung mit dem Projekt eines Fischbrunnens, der Anschaffung einer Feuerleiter, der Erbauung einer Mariensäule und der Einstellung eines Turmwächters) in vielen zierlichen Worten Bescheid gab.

Oft schnitt sich der Herr Bürgermeister eine Feder zurecht, wenn die Schwüle zu sehr auf seine Augenlider drückte und den zur höheren Überwachung des Städtchens erlesenen Mann einzuschläfern drohte. Er ließ dann wohl in der Erkennung seiner Selbstaufopferung einige tadelnde Blicke in den Saal gleiten, die nach den Stühlen des Ratsherrn Bäckermeister oder des Ratsherrn Färbermeister und anderer müder Stadtvertreter zielten, in denen eben dieser Bäckermeister oder Färbermeister schlief und hin und wieder durch ein erheucheltes Nicken seine Aufmerksamkeit kundgeben wollte. Wer wahres Interesse für die Schicksale des Städtchens hatte, verabscheute diese nickenden Lügner sehr und drehte zum Zeichen des vollsten Wachseins für die Allgemeinheit die beiden Daumen einen um den anderen, wechselte auch mehrfach in diesem Spiele ab, drehte rechtsum, drehte linksum und wehrte mit Kopfschütteln summende Fliegen ab oder zählte die silbernen Sterne, die auf den himmelblauen Grund des Plafonds gemalt waren.

Wer nahe bei den großen Spitzbogenfenstern saß, konnte auch hin und wieder auf den Marktplatz gucken – es ging doch ab und zu eine Seele vorüber. Zuerst war's der Pudel des Herrn churfürstlichen Rentenschreibers, dann der Herr churfürstliche Rentenschreiber selbst, von der Hitze beleidigt, pustend, Schweißperlen mit zornigen Fingern abfegend und verschleudernd. Auch eine dicke Magd kommt vorbei und blinzelt in den sonnenprallen Tag. Eine bucklige Bäuerin mit einem Eierkorb. Ein Alter mit Stelzbein, wild bebartet, mit kühnen Augen, die eifrig umhersuchen, ob nicht jemand irgendwo müßig stehe, einer mit schlappem Hirn und großen Ohren, in die man vom letzten Krieg hineinerzählen könnte. Und die Spitzhündin der Frau Saliterin trippelt unschlüssig über den Platz, merkwürdiger Gedanken voll, mit buntem Gefolge, sechs, sieben, acht Hunden gemischten Gepräges und gleicher Tendenz. Und Beobachter: der Bub vom Selcher Hetterle und die lumpige kleine Walperl von der Leutweberin, der Bub kichernd, frech und weise, die Walperl dumm und beängstigend fingerkauend. Und der Kreuzschuster kommt, nimmt gerechten Anstoß, zürnt, maulschelliert den Buben, zaust das Mädel und bleibt nach der Flucht der beiden als Sieger zurück; stattlich, der Tapferkeiten und der Taten weiterhin beflissen; einen halben Schotterhaufen wendet er gegen das ärgerlich wandelnde Hundegeschmeiß an, bis der Unzucht einigermaßen abgewehrt ist. Aber beinah trifft er auch den langen dürren, geistig unwegsamen Hausknecht des Herrn Bürgermeisters, der mit flegelnden Armen dem Rathaus zuläuft.

Der Kreuzschuster hält mit dem Werfen ein, sieht blöde auf den wegflatternden Knecht, schüttelt den Kopf und verläßt den Platz.

Aber der dürre Hausknecht eilt die Stufen hinauf zum Portal, rastet für ein paar Tiefschnaufer aus und flegelt wieder weiter.

Springt über die Stiegen zum Rathaussaal, tut wieder zwei Schnauferchen, reißt die Türe auf, guckt hinein, hausknechtsblöd, glotzig, und schreit plötzlich unbekümmert um Ort und Ohren:

»'s Kalb ist auf'm Weg!«

Und da läuft der Kerl wieder weg, und kein Mensch hat begriffen, was geschehen ist und was gesagt worden ist.

Und der Herr Marktschreiber spinnt seine Sätze weiter: von den Stadtfinanzen und der Feuerleiter, der Mariensäule und dem Fischbrunnen und dem Turmwächter – es fließt von seinen Lippen wie dünner feiner Sand und senkt sich auf die Augen wie dünner und feiner Sand und die Stadträte wehren sich gegen die einschläfernde Flut.

Da reißt der hausknechtsblöde Tölpel wieder die Tür auf und schreit: »Geht doch in Teufels Namen heim, Herr Bürgermeister! 's Kalb – –«

Und verschwand wieder, wie er gekommen war. Und die Fliegen summten wieder und die Männer im Rate staunten gerechtermaßen. Und zornig schüttelte Herr Hansjakob den Kopf über seinen Hausknecht und über die unziemliche Stallsprache, die mit ihm in diesem ehrbaren Ratssaale laut geworden war.

Aber der Herr Gevattersmann des Herrn Bürgermeisters sah bedeutsam auf, nickte, studierte die verblümte Redensart des Hausknechts einmal, zweimal in Ruh', nickte wieder und sagte zum Herrn Bürgermeister: »Was wetten wir, Euer Weib geht zum Kinde!«

Große drohende Stille. Und dann sah es einen Augenblick so aus, als ob der Herr Bürgermeister seinem Gevattersmann das Tintenfaß an den Kopf werfen wollte; aber der Herr Marktschreiber, utriusque juris, auch der Theologie Candidatus unterbrach den Fluß seiner Rede und fiel ihm in den Arm.

So konnte der Herr Bürgermeister sich nur mit Schreien verteidigen. »Du alter grauer Esel, glaubst du, ich sei ein Ochs, daß ich Kälber zeuge!?«

Aber da geschah es, daß der ganze Rat Hitze, summende Fliegen, Ort und Ehrfurcht vergaß, nebst Stadtfinanzen und Turmwächter und zu lachen begann.

Nur der Herr Ludimagister hustete. Und doch empfand auch gegen ihn der Herr Bürgermeister eine Wut, die ihn zu sprengen drohte.

Von dem Herrn Gevattersmann gar nicht zu reden – er war stockblau im Gesichte geworden und glich einem Schlagflüssigen oder einem Schlemmer, der mit einer großen Gräte im Schlund seine Rechnung mit dem Himmel zu machen gezwungen ist (wie der Rat Färbermeister später seiner Frau Färbermeisterin erzählte).

Und der Anblick des Herrn Bürgermeisters sowohl wie seines Herrn Gevattersmanns war so schrecklich, daß das unbillige Lachen erstarb und alle Ratsherren in eine gräßliche Verlegenheit kamen.

Aber da tat sich die Tür abermals auf und dicht hinter einem spitzigen Nasenschnabel sah man der Matrone Rosina in die triumphierenden Wehmutteraugen. Sie kostete augenscheinlich den Eindruck aus, den ihr Auftreten machte. Dann erging sie sich in Knicksen gegen den Bürgermeisterstuhl und sagte: »Gehet heim, wir haben einen Fisch gefangen!« Und knickste wieder und trug den Nasenschnabel aus dem Saal.

Das war nun freilich viel reputierlicher gesagt und der Bürgermeister wurde wieder leitbar wie ein Lamm, hellte seine Mienen auf, erhob sich aus seinem gepolsterten Ruhesessel, strahlte Freund und Feind gleichermaßen mit beglückten Augen an, entschuldigte sich nach allen Seiten und ging heim.

Und jedermann sah, daß er eine ragende Gestalt hatte und daß sein Kopf höher aus der Halsbinde wuchs als der vieler anderer Menschen.

Aber der Herr Gevattersmann, der sich sowohl von der drohenden Apoplexie wie von der (bildlich gedachten) Fischgräte wieder erholt hatte, erhob ärgerlich die Faust und schwur, den alten grauen Esel nicht vergessen zu wollen.

 


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