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Das sechsundvierzigste Kapitel

In welchem es leider sehr laut hergeht und Pankraz einen Punkt hinter die Eitelkeiten dieser Welt macht

 

Drei Tage ging Pankraz im Vaterhause umher und fand es merkwürdig, daß er erst am vierten zum Vater reden solle über den Ordenseintritt. Aber da kam am Abend des dritten Tages ein ungeheuer bebarteter Mann mit stark benagelten Stiefeln und sagte zu ihm: »Bischt du der Vötter Panckhraz?«

»Ja,« sagte der Junge erstaunt.

»Ischt guat,« brummte der Fremde und trat in Herrn Hansjakobs Kontor.

Und im gleichen Augenblick stürzte der Pater Provinzial in der Frau Mutter Stube und schrie: »Er will Ihnen das Kind rauben!«

»Wer? Wie??«

»Jawohl. Der Vetter aus Tyrol ist da. Soll den Jungen nach Innsbruck mitnehmen. Soll ihn in die Handelschaft einweihen.«

Frau Anna griff sich verstört ans Herz.

»Einer armen Frau Mutter«, fuhr der Pater Provinzial fort, »ihr armes Kind rauben!!«

Frau Anna stürzte hinaus nach ihrem Jungen. Sie überströmte ihn mit hastigen Worten und zog ihn in ihre Stube.

Pankraz zitterte vor Aufregung und vor dem Kampf, den er kommen sah und den er fürchtete. »Was soll ich?!« stammelte er.

Jetzt wuchs der Pater vor ihm empor, dehnte die Brust und donnerte: »Gehorsam sein!«

»Wem?« frug der verschüchterte Junge.

»Dem heiligen Orden – niemandem in der Welt außer deinem heiligen Orden!«

Er sah ehrfurchtgebietend aus und Pankraz erstarkte wieder an ihm. Er sah sich wieder von den heiligen Feuern ergriffen, die von dem frommen Manne ausgingen und fühlte sich eins mit ihm und der Wunsch beherrschte ihn, dem heiligen Manne gleich zu werden.

»Versprich es der allersüßesten Himmelskönigin,« gebot der Pater, »daß du ihr in unserem heiligen Orden dienen willst!«

Mit quellenden Augen, der Inbrunst voll, schwor Pankraz dem weltlichen Leben ab. Er schloß, daß er dem finsteren Bartmenschen nimmer in das fremde Land folgen wolle.

*

Der Pater übernahm den schweren Gang zum Vater.

Und Hansjakob erschrak an seinem Schreibpult und der Tyroler Vetter sprach einen frommen Gruß.

»In Ewigkeit Amen,« erwiderte der Pater und sein Blick drang durch den fremden Menschen und machte ihn untertan.

»Seid Ihr auch gekommen, einen Gott wohlgefallenden Menschen dem weltlichen Geist und dem weltlichen Geiz untertänig zu machen?«

Der Tyroler erbleichte, daß sein schwarzer Bart unheimlich aus dem Gesichte starrte. Er drehte einen großen grünen Hut in den Händen und äugte Herrn Hansjakob um Hilfe an.

»Wie?« rief der Pater, »über einer Mutter Herz und eines Jünglings Treugelübde hinweg wollt Ihr einen Menschen in des Teufels Welt hinauszerren, der seine große Schuld an den Himmel bezahlen will!?«

Er vereiste dem Tyroler das Gebein und ließ nicht ab von ihm, sosehr auch Herr Hansjakob durch Räuspern in das Geschäft eingeschlossen zu werden wünschte.

»Seid Ihr des Satans, Mensch!?« schrie der Pater und hob die beschwörende Rechte.

»Ich wer schonn wiederkhemmen!« sagte der Tyroler beklommen zu Herrn Hansjakob und nahm die Türklinke in die Hand. »Und kein Tuifl sollscht mich nit schelt'n, Herr Hochwirding, sell ischt nachher doch – –« und unruhigen Herzens ging er ab.

*

Der Kampf mit Herrn Hansjakob war für den Anfang viel leidenschaftlicher. Aber das Ansehen des Provinzials und die Waffen des Kanzelredners hielten die ersten Minuten über im schwersten Stande aus. Und dann verglühten des Herrn Vaters Feuer und die Anfänge seiner alten Mattigkeit kamen über ihn.

Und jetzt rang ihm der Provinzial den Jungen langsam ab.

Manchmal flammten die Worte wieder auf, aber dann blätterte der Provinzial in der Familiengeschichte zurück und rief den Himmel zum Zeugen herab. Er schwang ein scharfes Schwert über Herrn Hansjakob und verhehlte seinen Schrecken nicht: die Hüllen von dieser Seele fallen zu sehen und Ketzerisches in aller Nacktheit zu finden.

Und Hansjakob erblich.

Der Provinzial deckte die heimliche innere Feindschaft auf, die die Wege eines Gotterwählten verlegen wolle. Er drang schonungslos in die Bresche ein, die er gefunden hatte, und verlangte Ehrlichkeit.

Aber Hansjakob vermochte nur in seiner Angst von Melchior Pentenrieder selig Erben zu sprechen, von Entwürfen und Hoffnungen, von einem Lebensabend, von Enkeln, die auf gütigen Knien geschaukelt werden wollen. Er malte seine Bilder traurig und hilflos aus, gab seinen Jammer offen her und bettelte, bettelte.

Und verlor langsam die Partie um ein junges Leben.

*

Als die lauten Worte verrauscht waren, schilderte der Provinzial mild und herzlich die wundervollen Aussichten des Knaben. Die seelenersprießlichen Verdienste und alles ewige Heil. Und die Zuwendungen dieses Heiles an brave Eltern. Die segnende Sohneshand, die sich dereinst, geweiht, mit überirdischer Macht begabt, auf einen grauen Vaterscheitel legen werde. Die Meßopfer, in kindlicher Treue dargebracht. Und solle er noch mehr verkünden? Solle er seinem prophetischen Glauben Ausdruck geben? Andeuten, daß diese tiefgläubige Natur dereinst zu Höherem berufen sei? Daß sein Name einmal von frommen Federn mit Andacht niedergeschrieben werde, der heilige berühmte Name?!

Der Herr Vater hatte einen roten Kopf, aber er war besiegt. Er hörte mit halbem Ohr und suchte sich aus des Provinzials Rede heraus, was ihm gefiel. Und schließlich rumorte in ihm nur noch der Widerwille gegen die geringen Verhältnisse und die Bettelhaftigkeit der Kapuziner – aber der Pater Provinzial schüttelte lächelnd den Kopf. Er erinnerte sich des langen Tischgespräches mit dem Augustiner, dem Franziskaner und dem Pater Maurus vom Stift und fand es für gut, alle die hohen Vorzüge der äußeren Armut und des inneren Reichtums zu preisen. Er nahm die Schleier richtig von den Dingen und trumpfte auf, wo es nur anging.

Der Vater Hansjakob horchte ein wenig freundlicher auf.

Außerdem zog der Pater Provinzial den Patriarchen Abraham herbei und erzählte, wie der bereit gewesen sei, seinen einzigen Sohn sogar zu schlachten, nur um Gott wohlgefällig zu sein. Nicht wie hier: um ihn geistlichen Freuden zu schenken. Nicht, um den hohen seinen Reif der Heiligkeit um seine Stirne zu legen.

Nur wenig wehrte sich Hansjakob noch. Er murmelte beharrlich, daß der Bub einen gesunden Kopf und gesunde Hände hätte und sich sein Brot ehrlich verdienen könne, ohne daß er es dem Bauern vom Mund wegzunehmen brauche. Aber das Lächeln des Paters drückte seine Gründe stark nieder. Auch erinnerte ihn der Provinzial daran, daß er doch besser Bescheid wissen müsse um das Kloster. Er sei der geistliche Vater der Kapuziner und in seinem Geschäft rolle das Kapuzinergeld auf Zins. Ihm brauche er doch nicht zu sagen, daß – –

Und der Pater blieb Sieger und mit einer Träne im Auge ließ sich der Herr Bürgermeister einstweilen auf ein Probejahr ein. Der zarte Junge solle es mit dem Noviziat versuchen und dann würde man schon weiter sehen.

Aber er sagte das tieftraurig und verwirrt über den rätselvollen Gang der Dinge. Er begriff die Sache innerlich nie. Daß ihm Pankraz so aus den Fingern schlüpfte! Ohne zu fragen, ob's ihm von ganzem Herzen recht sei! Es tat ihm schon weh und er sprach es offen aus und zeigte die Wunde.

Aber der Pater Provinzial sprach gröbste Fraktur: daß man calcato patre et matre der Erfüllung eines heiligen Berufes nachgehen müsse, über Vater und Mutter hinweg. Der arme Bürgermeister nickte schwermütig und sagte: »Ich fühle es, Pater. Glauben Sie, ich fühle es nicht?!« Und er brütete in sich hinein und fand den Reim nicht auf diesen Brauch. Ein Kind müßte, klagte er in sich, wenn die Eltern schon niedergeschlagen zu Boden lägen, wenigstens über sie hinwegsteigen, ohne sie mit den Füßen zu treten. Und im vierten Gebot stehe es ganz anders. So schön sei dieses vierte Gebot zu lesen – und alles eitel, und alles eitel …

Er versteckte ein Schluchzen in seiner Brust und schlug die Hände vors Gesicht.

Aber jeder Asket sieht, daß es dem Vater Hansjakob am Heiligen Geiste fehlte. Und darum müssen wir dem weltlichen Manne seinen Irrtum in Liebe verzeihen.

*

Die Frau Bürgermeisterin war im siebten Himmel. Sie sah immer mehr ein, daß ihr Sohn zu einer großen Bestimmung auserlesen wäre, und empfand das heilige Glück, ihn geboren zu haben, erst jetzt richtig.

Und der kleine Pankraz, ein unschuldiges und engelreines Bürschchen, der Welt fremd, und unbekannt mit der Sehnsucht nach ihren Eitelkeiten, in Wort und Tat zur Kutte erzogen, erwartete mit Ungeduld den Augenblick der Abreise ins Kloster.

Nur der Vater zitterte vor dem Tag. Es erschien ihm noch immer gleich unfaßlich, den einzigen Sohn zu verlieren, mit ihm Name und Stamm auf ewig zu vermauern und einen ansehnlichen Reichtum in fremde Hände geben zu müssen. Er preßte verzweifelt den Kopf in die Hände und brütete und brütete. Gab es ein Zurück? Er bekannte sich: für ihn nicht. Für andere vielleicht, aber für ihn nicht, nein. Er brachte niemals mehr die Kraft auf, sich dem mächtigen Provinzial entgegenzustemmen, der rufenden Stimme des Himmels zu trotzen (es graute ihm vor seinen Gedanken, die nicht an diese Stimme glauben wollten), und den heißen Wünschen seiner Frau und den brennenden Sinnen seines Sohnes Widerstand zu leisten.

Und tückisch nahte das Alter und befiel den einsamen wehrlosen Mann.

*

Der Tag des letzten Freudenmahles kam.

Viele Personen waren zu dem großen Feste geladen, alle Anverwandten von Vaters- und Mutterseite, etliche Patres Kapuziner, viele Magistratspersonen und andere Hausfreunde. Frau Anna glänzte in allen Wonnen.

Und die Musikanten spielten auf. Kostbar belud man die Speisetische. Es war ein Fest reichsten bürgerlichen Stils.

Pankraz zeigte sich munter und aufgeräumt, lebhafter als sonst. Er umfaßte die Menschen mit seiner letzten weltlichen Liebe und seiner letzten Heiterkeit. Zart und lieb sprach er zu dem schönen jungen Mädchen, das man neben ihn gesetzt hatte. Sie war eine weitläufige Verwandte und er hatte sie nie gesehen. Aber da er sie nun sah, fiel sie ihm auf: ein lebhaftes Feuerteufelchen, aufgeblüht wie eine junge Rose, witzig und beredt, und ihm in aller Freundschaft ergeben.

Pankraz wurde nicht müde mit ihr zu plaudern. Und als die Tafel aufgehoben war, tanzte er die letzten Tänze seines jungen Lebens nur mit ihr, so daß die Frau Bürgermeisterin beinahe in Unruhe geriet. Es hüpfte ihr das Herz stark an das Mieder.

 


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