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Das achtundvierzigste Kapitel

In welchem der arme Frater Deogratias durch ein Gespenst verfolgt wird. Schildert auch treffliche Abwehrmittel

 

Der fromme Frater Deogratias ließ sich durch die Mühseligkeiten seines Klosterlebens nicht in seinem frommen Streben ermüden. Mit einem Feuereifer kam er seinen Pflichten nach und seine Geduld im Ertragen aller Beschwerlichkeiten war fast grenzenlos.

Aber in einer Nacht (es war am ersten Fastensonntag) hatte der junge Mensch ein Traumgesicht, das ihn schwer beunruhigte. Es kam ihm vor, als säße die hübsche kleine Base, mit der er sich an seinem letzten weltlichen Freudenfest so gut unterhalten hatte, neben ihm auf dem Bette.

Gott! wie erschrak er in seinem Traum.

Er erinnerte sich andern Tags genau, daß er Hunderte von heiligen Kreuzen vor der Erscheinung geschlagen habe. Daß er die Hilfe und Barmherzigkeit seines heiligen Ordensvaters inständig angerufen habe; daß er gegen das schöne Mädchen ausgespuckt habe, wie sich dem höllischen Blendwerk gegenüber geziemt; daß er sie mit Fäusten aus der Zelle habe jagen wollen – – alles vergeblich.

Sie stand nicht vom Bette auf, sie wich nicht – aber sie streichelte ihm zärtlich die Wangen.

Und auf einmal hörte er ihre süße Stimme wie aus weiter Ferne. Aber die Worte, die diese süße Stimme sprach entsetzten ihn: »Pankraz, du hast lange genug den Narren gemacht. Du bist der einzige Sohn deiner Eltern und der dereinstige Erbe eines schönen Vermögens. Du hast deiner Mutter zu Gefallen allen Hoffnungen entsagt und duldest; du leidest grauenvolle Drangsale – warum mein lieber Freund?«

»Aber wisse, mein lieber Pankraz, die Stunde deiner Erlösung ist gekommen.«

»Die Urheberin deiner Leiden ist nicht mehr.«

»Deine Mutter ist tot!«

*

Das Traumgesicht verschwand und der Novize erwachte. Es war Mitternacht und die Glocke rief eben in den Chor.

Der Bruder Deogratias bekreuzte sich furchtsam und schlich matt und kraftlos zu seiner Pflicht. Unnennbare Angst quälte ihn, er war von Schweiß überronnen und in seinem Innern schrien Anklagen auf. Er vermochte seinen Geist nicht zu sammeln und verrichtete sein Gebet im Chor zerstreut und maschinenmäßig.

Als die Mette vorüber war, eilte er in seine Zelle, um sich auf den Strohsack zu werfen und schlaflos sich mit Vorwürfen zu überhäufen. Einige Tage lang schlich er bekümmert umher und nachts kämpfte er wieder mit dem süßen, süßen Traumgesicht.

Seine Traurigkeit wuchs mit jedem Tage. Sie ließ sich nicht mehr in seiner Seele verschließen, sie lag sichtbar in seinem Antlitz und klagte ihn bei seinen Mitbrüdern an.

Der Novizenmeister rief den Bruder Deogratias mit seiner drohenden Stimme und stellte ihn zur Rede. Und Deogratias beichtete mit aller Offenherzigkeit.

»Hm, hm!« sagte der Novizenmeister.

Dann enthob er ihn der schweren Bußen und Entsagungen (der Novize sah in ungläubiger Furcht zu ihm auf) und versuchte mit ganz gelinden Mitteln die Gemütsruhe und die Heiterkeit für den Niedergeschlagenen zurückgewinnen. Kleine Lukaszettel mit kräftigen lateinischen Gebeten darauf schienen ihm fürs erste die beste Medizin zu sein. Er gab sie dem heimgesuchten Novizen zum Frühstück und hieß ihn vor dem Einschlafen ein paar Tropfen Sankt Walpurgisöl nehmen.

Er hing ihm auch geweihtes Holz von den Sandalen des heiligen Franziskus, Ablaßpfennige vom heiligen Antonius, Totenköpfe und Totenbeine, Beschwörungen, Bilder von Tod und Hölle und andere gesegnete Sachen mehr um den Hals, so daß der kleine Bruder Deogratias manchmal eher einer wandelnden Trödelbude als einem Menschen glich. Aber er trug die fromme Last gerne und vertraute ihrer Heilkraft.

Der Novizenmeister sprach den Segen des heiligen Pirmius und des heiligen Wendelin über ihn, der gegen den Tölpel oder Gehirnbrand der Tiere so mächtig ist. Konnte er nicht auch dem Menschen helfen? Er nahm geweihtes Papier, das den Teufel aus allen Zellen auszutreiben pflegt, und machte ihm daraus Schlafhauben, die ihn des Nachts schützen sollten.

Er band ihm die Schärpe des heiligen Thomas von Aquin um, mit welcher die Engel diesen Helden der Keuschheit umgürtet haben.

Er nähte ihm das heilige Zachariaskreuz gegen die Pest in die Kapuze.

Er befahl ihm, seine Kutte mit Hexenrauch auszuräuchern. Und über die im heiligen Habit eingenisteten Läuse sprach er den Exorcismus probativus, im Falle der Teufel in sie gefahren wäre. Er verbrannte einige von diesen Läusen an der heiligen Osterkerze, andere ersäufte er im heiligen Taufwasser. Sie gaben bei ihrem Tod keine teuflischen Zeichen von sich und so beließ er den Rest der Tiere in der Kutte.

Im heiligen Ignatiuswasser mußte sich der arme Frater waschen, den Sankt Johannissegen mußte er trinken und sein Haupt mit Malefizwachs und mit dem Öl des heiligen Cyprianus salben, das den Teufel zwingt, aus Besessenen zu weichen.

Auch kannte der Novizenmeister das treffliche Mittel: warmen, frischgefallenen Schweinskot auf der Stelle zu weihen und dem armen Novizen vor die Nase zu halten. Aber trotz heftigen Erbrechens wich kein Teufel von ihm.

Hexenbrot mußte er essen und fünfundzwanzigjähriges Heiligdreikönigwasser dazu trinken.

Und aus den Schriften des Paters Ribadeneira wußte der Novizenmeister, daß ein Haar des heiligen seraphinischen Patriarchen Franziskus ein baufälliges Haus vor dem Einsturz gerettet habe – er gab dem Novizen drei allerheiligste Haare in aufgelöster heiliger Eselsmilch von der Bulla alligata (von der im Evangelium auf den Palmsonntag Näheres zu lesen ist und die von Verona in den Gnadenschatz und in das Reliquiarum des Klosters kam). Aber ich glaube: wenn man ihm das heilige Eselshaupt selbst aufgesetzt und das Herz zu essen gegeben hätte, es wäre alles vergeblich gewesen.

Und es half dem armen Novizen Deogratias nicht von seinen schönen und schweren Nächten.

Das ganze Kloster war bestürzt. Es hatte jeder seinen guten Rat gegeben und die gewiegten alten Kenner schwieriger Seelenzustände steuerten kostbare geistliche Mittel bei, aber die Erkrankung widerstand. Es handelte sich ganz sicher um einen von unheilvollen Kräften hervorgerufenen Zustand und das ganze Manuale ausgewähltester Segenssprüche, Beschwörungen, Exorzismen, Absolutionen und selbst der überaus reichhaltige Ritus Viennense, und was nur überhaupt contra diabolum et maleficatos zu machen war, wurde versucht.

Merkwürdig, daß der Klosterarzt die geringere Rolle bei dem Unternehmen spielte. Er ärgerte sich ein wenig darüber und gab's seinen Klostergenossen giftig zurück. » Naturam furca expellas; tamen usque recurrit,« sagte er und kniff die Äuglein zusammen wie einer, der einen pfiffigen Hintergedanken hat. Er erreichte dadurch nicht mehr, als daß man ihn der Freigeisterei verdächtigte.

Aber dem Novizen Deogratias half auch das nichts und seine seelische Krankheit brachte ihn allmählich so sehr körperlich herunter, daß seine Umgebung die Köpfe zusammensteckte und Schlimmes befürchtete. Es wurde beschlossen, dem Vater von der traurigen Lage seines Sohnes Nachricht zu geben.

 


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