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Das neunundzwanzigste Kapitel

Handelt von der Schamhaftigkeit bei Kindern und von Schulketzerei

Herr Hansjakob atmete schwer auf und seine Haare sträubten sich gegen den alten Husaren. Er suchte nach einem bißchen Menschlichkeit in dem verwitterten Gesicht und bat ihn, wenigstens die Mädel von den Buben zu trennen, wenn er seine Strafen vollziehe. Denn es sei zunächst einmal beschämend für die Buben, wenn sie vor den Augen der Mädchen abgestraft würden, und dann – nicht wahr – es müsse doch für die einen und für die anderen das Schamgefühl gröblich verletzen, wenn sie mit herabgezogenen Hosen – –

»Und die Mädel die Röcke hoch!« johlte der spaßhafte Husar Samson. »Hihihi! Der alte Samson und die alte Gerechtigkeit machen keinen Unterschied. Hosen herab, Röcke hoch – hihihihihi – hau zu, du alter Samson, und laß dir nichts dreinreden.«

Herr Hansjakob wehrte das grobe Lachen mit beiden Händen ab und versuchte dem Husaren beizubringen, daß er schwer gegen die Kinder sündige; sie verlören bei dieser Art das Kleinod der Schamhaftigkeit – –

Der Husar wurde wieder zum Magister und zog ernste Stirnfalten auf. »Ich bin Erzieher, nicht wahr, und muß mich aufs Erziehen verstehen. Und diese Grillen haben meine Kinder nicht. Und wenn sie sie gehabt haben, so habe ich sie ihnen fleißig weggejagt. Zudem liegt biblische Ordnung in der Strafe. Als Adam und Eva gesündigt hatten, züchtigte sie Gott zuerst mit ihrer Schamhaftigkeit. Zuerst die Schande und dann erst der Cherubim mit dem feuerigen Schwert. Ordnung muß sein.« Er schnupfte eine grimmige Prise.

»Nein, nein, den Kindern ist die Schande nicht zu groß. Zehnmal lieber lassen sie sich am Samstag ihre Lektion aufmessen, als wenn sie nur einmal mit der Eselstafel am Halse vor der Türe stehen müssen und gerechtermaßen von den Vorübergehenden verhöhnt werden. So weit habe ich es schon gebracht. Es geht ja immer einem wie dem anderen und wir bleiben bei dem schönen alten Sprichwort: heute mir, morgen dir.« Und damit war das Thema Schamgefühl für ihn abgetan; aber er erläuterte seine Prinzipien gerne weiter:

»Und wer aus der Schule schwätzt, der bekommt doppelt. Ich liebe den Klatsch nicht. Mein Haus und meine Ruhe – fertigamen. Da wird nichts geplaudert und nichts hinausgetragen, sonst wird der alte Samson grob. Und die Kinder klatschen nicht – die kennen mich. Es kommt alles darauf an, wie man sich die Sache bequem einrichtet.« Er sah Herrn Hansjakob finster und nachdrücklich an und erklärte ihm dann, er scheine ihm von der Schamhaftigkeit verflucht wenig zu verstehen, in bezug auf Hosennieder und Röckehoch. Das müsse man von klein auf machen. »Sie denken, daß die Erwachsenen glauben, es schicke sich nimmer für sie?? Ei, sie sind daran gewöhnt. Sie würden im Gegenteil glauben, sie stehen nicht mehr in meiner Achtung, wenn ich ihnen nicht wenigstens einmal in der Woche den Schnee von der Wiese kehrte. Was verstehen Sie von Erziehung!! Sehen Sie, gerade diese Größeren fangen oft selbst mutwilligerweise etwas an, nur um zur Strafe zu kommen; denn sie wissen, daß mir die Sache Spaß macht. Es ist ein Entgegenkommen, eine Freundlichkeit. Sie wissen ganz genau, daß ich, wenn ich auch die ganze Woche verdrossen bin, während der Samstaglektion ganz gewiß lache.«

Jetzt wurde dem Pater Guardian die Sache auch ein wenig zu bunt. Er drohte mit seiner vollen aufgerichteten starken Persönlichkeit: »So weit ist's?! Dann sollte man ja fast meinen, die Kinder wären schon ausgeschämt!«

»So, Herr Hochwürden!? Eiei, Herr Hochwürden: wo schlagen sich denn Ihre Novizen hin, wenn sie sich geißeln müssen? Sind die Kapuziner deswegen schon ausgeschämt, weil sie sich den bloßen Hintern verhauen? Und hauen nicht auch der Herr Pater Guardian und der Provinzial, der Novizenmeister und der General genau auf dasselbe Trommelfell? Wahr oder nicht wahr?«

Der Herr Bürgermeister sah den Pater Guardian an und bemerkte eine drohende Röte auf seinem Gesicht. Er bat ihn, sich nicht zu erzürnen und mit ihm wegzugehen. Aber da kam der Schulgehilfe mit dem Maßkrug und sein Meister sog mit einem prachtvollen Zug Erholung und Frieden ein. Er wurde versöhnlich und bedauerte herzlich, daß der Pater nicht gleicher Anschauung mit ihm sei. Er versuchte ihn zu bekehren und bat ihn, den erfahrenen alten Jesuiten mehr zu glauben als den ketzerischen Neueren. Es wurde ihm ganz warm dabei und der Maßkrug leerte sich, ohne daß er seine belehrende Rede hatte abschließen können. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, daß man schließlich doch dem alten erfahrenen Samson glauben würde; so verzichtete er leidvoll auf das Bußwerk bei den Mädchen, um seine beiden Besucher nicht vorzeitig zu verlieren, und ordnete den Schulgehilfen zu dem Werke ab: »Gehe Er indessen hinauf und expediere Er die Mädel nacheinander. Aber ja keiner was schenken, und dreinhauen, daß die Binsen wachsen. Lege Er auch einmal seine Probe ab und mache Er's so brav, wie neulich bei den Buben. Dann kann noch ein guter Schulmeister aus ihm werden.«

Mit hohen Freuden ging der Schulgehilfe zu seinem Amte.

 


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