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Das einundfünfzigste Kapitel

In welchem schnell geheiratet, schnell geboren und schnell gestorben wird; ein über die Maßen erstaunliches Kapitel

 

Lamentatio:

So bist du also hin, heiliges Kleid der Unschuld! Verdunkelt ist dein Glanz, und deine Zierde ist in den Kot gefallen!

Du wirst also, armer Pankraz, dereinst nicht mit einer weißen Stola der Unbefleckten angetan dem Lamme folgen, wo es immer nur hingeht.

Aber der Arm des Höchsten ist nicht verkürzt, Gott ist wunderbar in seinen Heiligen, und der Wege, auf denen er seine Auserwählten zu sich in den Himmel führt, sind viele und verschiedene.

Und somit, da das Sternlein des Trostes uns die künftigen Wege erhellt, schließt die Lamentatio wieder.

*

Und Pankraz ist verheiratet.

Und der milde Gevatter Tod winkte dem Herrn Bürgermeister, bedauerte sehr und rief ihn von dem schluchzenden Sohne weg.

Frau Rosel tröstete den Mann und die Matrone Rosina ermunterte ihn durch die Andeutung, daß sie in dem bevorstehenden Ausnahmefall wieder zu ihrer früheren Tätigkeit zurückgreifen wolle.

Pankraz jauchzte: es war ein Bub.

Und im nächsten Jahr war's ein Mädel.

Im übernächsten wieder ein Bub.

Es war ein eiliges Zeugen und Werden, wir müssen mitteilen und dürfen keine Haltestationen einlegen, wir wollen nicht gemächlich mit den weltlichen Menschen essen, trinken, zeugen, schlafen – wir galoppieren auf der Rennbahn der Tugenden einem anderen Ziel entgegen: der geistlichen Wiedergenesung unseres Freundes, seiner Abkehr vom Weltschnick und Geldschnack, seiner Flucht vor der bürgerlichen Unzucht.

Es genügt, wenn wir die Jahre der Weltsucht unseres Pankraz mit einem Blicke streifen: die beiden Eheleute verstehen sich, die Familie ist glücklich.

Aber hier setzet die Lamentatio wieder ein:

Wie wankend und unstet ist das Glück in dieser Welt!

Wie vergänglich sind die irdischen Freuden!

Nicht anders als eine Rose, die am Morgen eines schönen Sommertages ihr Haupt voll Pracht und Anmut majestätisch in die Höhe hebt, und dieses Haupt noch am nämlichen Tage entstellt und allen Reizes beraubt unter die Dornen sinken läßt – genau so ist's um die irdischen Freuden bestellt.

Ha! Wie mancher, der auf der höchsten Stufe der Glücksleiter heute steht und mit Verachtung einen Blick auf die Untenstehenden wirft, liegt am folgenden Tag in der Tiefe des Abgrundes.

Und darum hat auch der weiseste aller Könige, der große Salomo, unbedingt recht, wenn er ausruft: Eitelkeit! Eitelkeit der Eitelkeiten!

Schluß der Lamentatio. –

Der erstgeborene Bub erkrankte.

Frau Rosel lief zum Arzte und zu ihrer Mutter. Der Arzt kam allein, aber die Mutter brachte sieben Nachbarinnen mit, die sich auf Kinderkrankheiten verstanden. Auch die Frau Mutter wußte eine Menge Mittel, die sie ihrer Rosel zuliebe ungesäumt anwandte.

Der Doktor aber war ein verrohter und gefühlloser Mensch, sprach von Obstruktionen und drohte mit Klistieren.

Laut schrien die Frauen auf und die älteste unter ihnen raunte der Frau Großmutter ins Ohr (um das Büblein in der Wiege zu schonen), er sei ein Vorläufer des Antichristen.

»Kleine Kinder will er martern!« schrie eine der Frauen, als der Doktor unter Hinterlassung seiner Spritze geflüchtet war.

»Renn zu, du Teufel!« Eine brave Nachbarin rief's ihm nach; sie stand zornig am Fenster und verfolgte den bösen Menschen mit harten Worten.

Und das Kindl zeterte und wollte sich auch nicht beruhigen, als sich die Großmutter über die Wiege beugte und unter Nennung der allersüßesten Jungfrau als Schwurzeugin gelobte, sie würde es niemals zulassen, daß sich der bestialische Doktor an der armen Unschuld versündige. Übrigens hatte eine gute Freundin schon unter dem Beifall der Zuschauerinnen das bösartige Spritzeninstrument auf die Straße geworfen und dort einer Bubenschar zur Beute überliefert.

*

Ein wunderschönes Kränzlein aus weißen Rosen drückte die schluchzende Großmutter dem toten Enkelchen auf das Haar.

Und die Nachbarinnen brachten Trauerkränze, die Kinder kamen mit Liliensträußen und ungeputzten Näschen.

Frau Rosel weinte in tiefem Kummer und Pankraz versuchte zu trösten, während ihn das Elend halb betäubte.

Die Großmutter fand rascher über das Unglück hinweg, weil die Matrone Rosina ihre Gedanken auf das feine Engelein wandte, das nun im Himmel droben als ständiger Fürbitter bei Gott für die Familie bete, insbesondere für die Frau Großmutter, der es zuletzt in den Armen gelegen habe.

Pankraz aber sah finster auf die fette alte Hebamme und dachte auflehnend, der liebe Gottvater werde sich schon so viele Engel erschaffen haben, als ihm lieb sind. Und um seine Chöre voll zu machen, brauche er die Menschen nicht.

»Ein süßes, süßes Engelein!« sagte die Großmutter verklärt und wollte die neuen Trostgründe an ihren Schwiegersohn weiterverkünden. Er stieß sie fast von sich. »Die Menschen,« knirschte er und wehrte sie mit umflorten Augen ab, »die Menschen haben kein Recht, die Kinder in den Himmel zu liefern. Sie haben nur die Pflicht, sie dem Leben zu erhalten.«

Und die alte Frau erschrak zutiefst in ihr Gewissen hinein, das danach verlangte, diesem irren Manne ins Gesicht zu sagen, daß er Fluchwürdiges ausspreche und Heiliges schände.

Aber sie schwieg und schrieb's dem Schwiegersohne auf die Rechnung.

 


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